Protokoll der Sitzung vom 20.07.2012

des Ministeriums für Inneres und Sport auf die Frage 34 des Abg. Dr. Manfred Sohn (LINKE)

Auswirkung des Fiskalvertrages auf die Kommunalfinanzen in Niedersachsen

Am 29. Juni 2012 hat der Deutsche Bundestag mit einer Zweidrittelmehrheit dem ESM-Vertrag und dem Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion, dem sogenannten Fiskalvertrag, zugestimmt.

Der Fiskalvertrag sieht vor, dass das jährliche gesamtstaatliche strukturelle Defizit von 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht überschritten werden darf, solange der öffentliche Schuldenstand nicht erheblich unter 60 % des BIP liegt. Ausnahmen gelten nur bei Naturka

tastrophen und ähnlichen volkswirtschaftlich relevanten Schadensfällen. Bei Verstoß sieht der Fiskalvertrag im Höchstfall Strafzahlungen an die EU vor. Alternativ können die Vertragsstaaten zu Strukturreformen verpflichtet werden, die von der Europäischen Kommission und dem Rat genehmigt und überwacht werden.

Im Gegensatz zum Kreditaufnahmeverbot (so- genannte Schuldenbremse) im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Artikel 109 des Grundgesetzes) umfasst der Begriff des gesamtstaatlichen Defizits im Fiskalvertrag neben Bund und Ländern auch die Kommunen und die Sozialversicherung (vgl. Artikel 126 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union in Verbindung mit dem Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen De- fizit).

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche juristischen Änderungen ergeben sich für die Haushaltswirtschaft der Städte, Gemeinden und Landkreise in Niedersachsen?

2. Inwiefern sind Befürchtungen von Städten, Gemeinden und Landkreisen bzw. der kommunalen Spitzenverbände in Niedersachsen hinsichtlich möglicher negativer Auswirkungen des Fiskalpaktes auf die kommunalen Haushalte berechtigt?

3. Welche Besonderheiten gelten bei der Einbeziehung der Kommunen in Niedersachsen in das gesamtstaatliche Defizit vor dem Hintergrund der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie?

Der Entwicklung der kommunalen Finanzen fällt bei der Einhaltung des Fiskalpakts eine wichtige Rolle zu. Infolge der expliziten Einbeziehung der kommunalen Verschuldung in die Defizitobergrenze des Fiskalpakts (im Gegensatz zur deutschen Schuldenbremse) umfasst der Begriff des gesamtstaatlichen Defizits im Fiskalpakt neben Bund und Ländern auch die Kommunen (vgl. Artikel 126 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union in Verbindung mit dem Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit).

Vor diesem Hintergrund begrüßt die Landesregierung, dass der Bund im Rahmen der Verhandlungen zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalpakts eine deutliche Entlastung der Kommunen zugesagt hat. Insbesondere beim Ausbau der Kinderbetreuung (der Bund übernimmt die Kosten für die Schaffung von weiteren 30 000 Kindertages- stättenplätzen) und bei der Finanzierung der Eingliederungshilfe für Behinderte werden die Kommunen deutlich entlastet. Außerdem hat der Bund angekündigt, die Landkreise bei den Kosten der Grundsicherung im Alter und bei dauernder Erwerbslosigkeit schon ab 2014 zu 100 % zu entlas

ten. Insgesamt werden die niedersächsischen Kommunen durch den Fiskalpakt und die komplette Übernahme der Grundsicherung in Milliardenhöhe entlastet. Das zwischen den Ländern und der Bundesregierung erzielte Verhandlungsergebnis zum Fiskalpakt stellt aus Sicht der Landesregierung einen wichtigen Baustein zur notwendigen Konsolidierung der kommunalen Haushalte dar. Auch die Vertreter der niedersächsischen kommunalen Spitzenverbände haben die Vereinbarungen insoweit ausdrücklich begrüßt.

Weiterhin begrüßt die Landesregierung, dass der Bund sich bei den Verhandlungen zu seiner gesamtstaatlichen Verantwortung für die Realisierung der Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und des Fiskalpakts ausdrücklich bekannt hat.

Die konkreten, sich aus dem Fiskalpakt ergebenden gesetzgeberischen Maßnahmen zur innerstaatlichen Umsetzung sind Gegenstand laufender Gespräche zwischen Bund und Ländern. Mit den verfassungsrechtlich verankerten Schuldenregeln und der Haushaltsüberwachung im Stabilitätsrat bestehen in Deutschland bereits umfassende institutionelle Regelungen. Mit negativen Auswirkungen für die niedersächsischen Kommunalfinanzen durch die notwendigen Anpassungen ist nicht zu rechnen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Die in Artikel 3 des Fiskalpakts niedergelegten Vorgaben für nationale Fiskalregeln verpflichten die Bundesrepublik Deutschland als Gesamtstaat. Für die Umsetzung und Einhaltung dieser Vorgaben sind innerstaatlich daher Bund und Länder gemeinsam verantwortlich. Die sich aus dem Fiskalpakt ergebenden gesetzgeberischen Maßnahmen zur innerstaatlichen Umsetzung sind Gegenstand laufender Gespräche zwischen Bund und Ländern. Juristische Änderungen für die Haushaltswirtschaft der Kommunen ergeben sich weder direkt aus dem Fiskalvertrag noch aus den zwischen Bund und Ländern derzeit erörterten Maßnahmen zur Konkretisierung der innerstaatlichen Umsetzung.

Zu 2: Etwaige Befürchtungen der Kommunen im Hinblick auf mögliche nachteilige Auswirkungen des Fiskalpakts auf die kommunalen Haushalte sind unberechtigt. Über die bestehenden Regelungen zur Begrenzung der strukturellen Defizite der Kommunen hinausgehende Beschränkungen des kommunalen Haushaltsrechts sind nicht vorgesehen.

Zu 3: Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie wird durch den Fiskalpakt bzw. den in der Diskussion zwischen Bund und Ländern befindlichen gesetzgeberischen Maßnahmen zur innerstaatlichen Umsetzung nicht berührt.

Anlage 34

Antwort

des Ministeriums für Inneres und Sport auf die Frage 35 der Abg. Victor Perli und Pia-Beate Zimmermann (LINKE)

Ausschreitungen von deutschen Fußballfans in Niedersachsen nach dem EM-Halbfinale Deutschland-Italien am 28. Juni 2012

Im Zusammenhang mit der Beantwortung einer Dringlichen Anfrage während der Sitzung des Landtages am 21. Juni 2012 sagte Innenminister Uwe Schünemann: „Auch während der jetzigen Fußballeuropameisterschaft hat es solche Ausschreitungen nicht gegeben. Die Sorge, dass ein gefährlicher Nationalismus in diesem Zusammenhang zunimmt, ist offensichtlich unbegründet. Auch von der Abwertung anderer Nationen kann nun keine Rede sein.“ Der Innenminister führte dann weiter aus: „Für die derzeit stattfindende Europameisterschaft 2012 wurden bisher keine politisch motivierten Gewaltdelikte in Niedersachsen registriert.“

Nach dem EM-Halbfinalspiel Deutschland-Italien am 28. Juni 2012 berichteten nun Medien über Ausschreitungen von Fußballfans in Niedersachsen. So soll es in Wolfsburg demnach zu chaotischen Szenen gekommen sein. Etwa 750 italienische Fans wollten ihren Sieg mit einem Autokorso in der Innenstadt feiern. Daraufhin hätten deutsche Fans mehrfach versucht, die etwa 50 Fahrzeuge mit Gewalt zu stoppen. Insgesamt sollen vier Menschen verletzt worden sein, darunter eine hochschwangere Frau, der in den Bauch getreten wurde. Nach Medienberichten hat es auch in Celle nach dem Spiel Ausschreitungen gegeben. Fußballfans sollen demnach zwei Polizisten und zwei Sicherheitsdienstmitarbeiter angegriffen und verletzt haben. Während des Vorfalls sollen sich zudem rund 100 Personen versammelt haben, die lautstark gegen die Beamten und das Sicherheitspersonal skandierten.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wo kam es in Niedersachsen am 28. Juni 2012 nach dem EM-Halbfinalspiel DeutschlandItalien in welcher Form zu gewalttätigen Ausschreitungen, Rangeleien und Sachbeschädigungen?

2. Wie viele Straftaten welcher Art wurden in diesem Zusammenhang registriert?

3. Wie bewertet die Landesregierung vor dem Hintergrund der von Innenminister Uwe Schü

nemann in der Sitzung des Landtages am 21. Juni 2012 getätigten Aussagen diese Ereignisse?

In Niedersachsen fanden am 28. Juni 2012 anlässlich des Halbfinalspieles der Fußball-Europameisterschaft 2012 (EURO 2012) zwischen Deutschland und Italien zahlreiche organisierte PublicViewing-Veranstaltungen und Folgeaktionen statt. Zu insgesamt 63 anlassbezogenen polizeilichen Einsatzlagen mit insgesamt mehr als 120 000 Besuchern erstatteten die niedersächsischen Polizeibehörden Verlaufsmeldungen im Rahmen des polizeilichen Informationsaustausches.

Am 28. Juni 2012 fand in Wolfsburg eine zentrale Public-Viewing-Veranstaltung mit ca. 4 000 Zuschauern auf dem Hollerplatz statt. Weitere ca. 1 500 Personen verfolgten die Übertragung in zahlreichen Gaststätten im Wolfsburger Innenstadtbereich. Unter diesen ca. 5 500 Personen befanden sich ca. 750 Anhänger der italienischen Nationalmannschaft, die nach Ende des Spiels den Sieg der italienischen Mannschaft und den damit verbundenen Einzug in das Finale der EURO 2012 ausgelassen feierten.

Unmittelbar nach dem Spiel kam es zu vereinzelten Provokationen von Anhängern der beiden beteiligten Mannschaften. Weiterhin gab es eine körperliche Auseinandersetzung unter zwei Anhängern der deutschen Nationalmannschaft, in deren Verlauf die schwangere Lebensgefährtin eines der Beteiligten angegriffen und verletzt wurde. Die strafrechtlichen Ermittlungen dauern an. Insgesamt wurden im Zusammenhang mit der Public-ViewingVeranstaltung in Wolfsburg acht Straftaten bekannt, darunter vier Körperverletzungen, eine Sachbeschädigung, zwei Widerstände gegen Vollstreckungsbeamte und eine Beleidigung. Ursächlich für die anlasstypischen Provokationen und Straftaten sind nach Einschätzung der Landesregierung nicht die jeweilige Nationalität des Gegners, sondern die mit dem Spielverlauf und -ausgang verbundenen Emotionen und ein damit einhergehendes Aggressionspotenzial.

Die Public-Viewing-Veranstaltung in Celle am 28. Juni 2012 besuchten ca. 3 000 Zuschauer. Als dort eingesetzte Beamte in eine Auseinandersetzung zwischen mehreren Personen auf dem Veranstaltungsgelände eingriffen, schlugen an der Auseinandersetzung Beteiligte auf sie ein, griffen sie mit Pfefferspray an und traten auf einen zu Boden gestürzten Beamten ein. Weitere Folgen konnten durch die Unterstützung und das Eingrei

fen des Sicherheitsdienstes des Veranstalters verhindert werden.

Auffällig dabei war eine Menge von 70 bis 100 Schaulustigen, die zu den Handlungen gegen die Beamten und den Ordnungsdienst durch Zurufe ermunterten und unterstützten. Die eingesetzten Beamten waren nach ambulanter Behandlung weiter dienstfähig.

In zwei weiteren Fällen sind Strafverfahren wegen Körperverletzungen und in einem Fall wegen versuchten Raubes eingeleitet worden. Die Ermittlungen gegen die Tatverdächtigen dauern an.

Auch in Celle handelt es sich um anlasstypische Handlungen ohne nationalistischen Hintergrund unter Veranstaltungsbesuchern.

Darüber hinaus wurde in Niedersachsen im Rahmen von 15 weiteren Veranstaltungen über Störungen berichtet. In diesem Zusammenhang wurden Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzungen in achtzehn, Sachbeschädigungen in zwei, Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte in drei, Diebstahl in einem, Propagandadelikten gemäß § 86 a StGB in fünf, Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz in einem, Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz in fünf sowie wegen sonstiger Delikte (vor allem Beleidigungen und Trunkenheitsfahrten) in zehn Fällen eingeleitet.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1. und 2: Siehe Vorbemerkungen.

Zu 3: Die EURO 2012 war insgesamt gekennzeichnet durch eine hohe Disziplin und Friedfertigkeit der Fußballfans aller Nationen. Bei den in der Kleinen Anfrage thematisierten Vorfällen vom 28. Juni 2012 handelt es sich - bezogen auf die riesige Anzahl friedlicher Fußballfans - um bedauerliche Einzelfälle. Es gibt keinen Grund, von den am 21. Juni 2012 im Landtag abgegebenen Äußerungen und Einschätzungen abzuweichen.

Anlage 35

Antwort

des Ministeriums für Inneres und Sport auf die Frage 36 der Abg. Kreszentia Flauger (LINKE)

Der Bundestag erlaubt den Meldebehörden den Datenverkauf an Werbe- und Inkassofirmen - Stimmt die Landesregierung diesem „gesetzlichen Wahnsinn“ (Thilo Weichert, Landesbeauftragter für den Datenschutz in Schleswig-Holstein) zu?

Als Deutschland gegen Italien um den Einzug in das Finale der Fußballeuropameisterschaft spielte, beschloss der Deutsche Bundestag eine Änderung des Melderechtsgesetzes. Nach dem neuen § 44 können private Unternehmen von den Einwohnermeldeämtern Datensätze über Privatpersonen kaufen. In diesen Datensätzen sind u. a. Vor- und Zuname, Anschrift und gegebenenfalls der Doktorgrad enthalten. Ebenso können sie eine Nachricht erhalten, wenn die Person verstorben ist. Eine Zustimmung der betroffenen Personen ist für den Verkauf ihrer Daten nicht erforderlich. Es besteht lediglich ein Widerspruchsrecht; und selbst dieses Widerspruchsrecht entfällt laut Gesetz, wenn die Daten „ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden“.

Jede Firma, die auf egal welchem Weg an die Anschrift einer Person gelangt ist, hat damit das Recht, zu jeder Zeit die gültige Anschrift der Person zu erfahren.

Datenschützer von Bund und Ländern üben harte Kritik an dem Gesetz. Thilo Weichert, oberster Datenschützer des Landes SchleswigHolstein, nennt es „gesetzlichen Wahnsinn“. Peter Schaar, Datenschutzbeauftragter des Bundes, bezeichnet es als „Geschenk für die Werbewirtschaft“ und wirft der CDU/CSU/FDPKoalition im Bundestag Klientelpolitik vor. Aus den Koalitionsreihen wiederum gibt es erste Absetzbewegungen. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) und CSU-Parteivorsitzender Horst Seehofer wollen das Gesetz stoppen, nachdem ihre eigene Partei im Bundestag zugestimmt hat. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (ebenfalls CSU) wiederum verteidigte ebenso wie die FDP das Gesetz. Regierungssprecher Steffen Seibert geht Medienberichten zufolge davon aus, dass sich das Gesetz im weiteren parlamentarischen Verfahren noch ändern wird.

Dieses weitere Verfahren findet im Bundesrat statt, der der Änderung des Melderechtsgesetzes zustimmen muss, damit das Gesetz in Kraft treten kann.

Ich frage die Landesregierung: