Protocol of the Session on July 20, 2012

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Wenn es von der Opposition nicht gewünscht wird, hier Fragen zu stellen, dann ziehen wir den Antrag zurück.

(Unruhe)

Okay. - Meine Damen und Herren, dann sind wir uns einig, dass am Ende der Tagesordnung über die Wortmeldung von Herrn Minister Möllring eine Debatte eröffnet wird. Ich schlage Ihnen vor, dass sich die Geschäftsführer verständigen, in welcher Abfolge und mit welcher Dauer das passieren soll. Wir haben ja dann noch ein bisschen Zeit.

(Ronald Schminke [SPD]: Vier Stun- den! - Heiterkeit)

Dann ist die Aussprache zur Geschäftsordnung hiermit beendet.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 43 auf:

Erste Beratung: Soziale Wirtschaftsförderung in Niedersachsen - dringend geboten und rechtlich möglich - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/4970

Zur Einbringung hat sich die Frau Kollegin Weisser-Roelle gemeldet. Ich erteile ihr das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Linksfraktion fordert in dem vorliegenden Antrag die Landesregierung auf, Wirtschaftsförderung in Niedersachsen nachhaltig zu gestal

ten und an soziale Kriterien zu binden. Das ist in Niedersachsen bisher nicht der Fall. In Bundesländern wie dem Freistaat Thüringen oder in Sachsen-Anhalt gibt es wenigstens erste Einzelbeispiele für die zwingende Einbeziehung sozialer Kriterien in die Wirtschaftsförderung. Die Details dazu enthält unser Antrag. Immerhin geht es in Niedersachsen um ein Volumen von insgesamt 700 Millionen Euro, das aus Landesmitteln - sprich: Steuergeldern - für die Ankurbelung der Wirtschaft eingesetzt wird. Das ist sehr viel Geld, meine Damen und Herren.

Wer öffentliche Mittel im Rahmen der Wirtschaftsförderung für sich beansprucht, muss auch Bedingungen erfüllen. Er muss ökonomische Bedingungen erfüllen und natürlich Effektivitätskriterien entsprechen. Das ist keine Frage und auch weitgehend geregelt. Natürlich muss er auch ökologische Bedingungen erfüllen. Auch das ist keine Frage. Wer als Unternehmen aber Geld aus dem Topf des Landes erhalten will, muss dafür aber auch verbindlich soziale Kriterien erfüllen. Das ist die unmissverständliche Auffassung der Linksfraktion.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist auch die Position des DBG, nicht zuletzt des DGB-Landesbezirks Niedersachsen/SachsenAnhalt/Bremen. Fördergeld an Unternehmen in Niedersachsen darf ab sofort nur für gute Arbeit ausgereicht werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist für die Linke nicht hinnehmbar, wenn Betriebe, die Tarifverträge ignorieren, Dumpinglöhne zahlen und Betriebsräte verhindern, auch noch aus der Landeskasse mit Steuergeldern unterstützt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Dem rasanten Anstieg des Niedriglohnsektors sowie von prekärer Beschäftigung in Niedersachsen wie auch bundesweit muss endlich auch in der Wirtschaftsförderung ein Riegel vorgeschoben werden. Der Anteil des Niedriglohnsektors in Niedersachsen ist von 15 % im Jahr 1995 auf inzwischen 20 % gestiegen. Etwa 500 000 Beschäftigte arbeiten zwischen Nordsee und Harz zu Stundenlöhnen von unter 8,50 Euro, meine Damen und Herren. Die Zahl von Minijobs als ausschließliche Beschäftigung ist ebenfalls spürbar angestiegen.

Die Landesregierung soll daher dem Landtag noch in dieser Wahlperiode einen entscheidungsreifen

Vorschlag vorlegen, wie die Wirtschaftsförderung in Niedersachsen entsprechend umgestellt wird.

Fördergelder zwischen Ems und Harz sollen nur noch an Unternehmen ausgereicht werden, die einen Mindestlohn zahlen - die Linke hält 10 Euro für dringend geboten - und die sich an tarifliche Regelungen halten. Bestandteil der Wirtschaftsförderung sollen demnach künftig auch Mindesquoten für die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen, von Auszubildenden oder für Menschen mit Behinderung sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Geprüft werden soll von der Landesregierung ebenfalls die Einführung von Bonussystemen. Was verstehen wir darunter? - Das bedeutet, dass Unternehmen, die eine umfangreiche Tarifbindung oder eine hervorragende Mitbestimmung verzeichnen, bei Vorliegen dieser Voraussetzungen vom Land höhere Fördersummen erhalten können.

Meine Damen und Herren, bislang war es rechtlich umstritten, die Vergabe von Fördermitteln bzw. die Einräumung von Bürgschaften an Unternehmen ausdrücklich mit Bedingungen an die Qualität der Arbeitsplätze und die Entlohnung zu verknüpfen. Jetzt aber kommt Dr. Wolfhard Kohte, Arbeitsrechtsprofessor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, in einem Gutachten zu dem Ergebnis, dass sowohl das Grundgesetz als auch die niedersächsische Landesverfassung und das EURecht dem Gesetzgeber nahelegen, seine Spielräume für die Förderung des sozialen Zusammenhalts im Rahmen von Beihilfen oder bei der Vergabe von Aufträgen von Regierung und Verwaltung nachhaltig zu nutzen.

Meine Damen und Herren, das Gutachten wurde von der Hans-Böckler-Stiftung, der Otto-BrennerStiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegeben.

(Gabriela König [FDP]: Toll! Alles Ihre eigenen Leute! - Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Da muss sie selber lachen!)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Wolfhard Kohte zeigt in seinem Gutachten, dass im Bereich der sozialen Wirtschaftsförderung auch für Niedersachsen deutlich mehr Spielräume als heute ausgeschöpft werden können. Wünschenswert ist es, soziale Wirtschaftsförderung von einer Ausnahme zur Regel zu machen. Darum haben wir in Niedersachsen in diesem Bereich noch sehr viel zu tun. Schließlich stellt sie ein nicht unwichtiges Instrument im Kampf gegen prekäre Beschäftigung,

Billiglohn und Diskriminierung sowie für mehr gute Arbeit dar. Es sollte uns allen Verpflichtung sein, dieses Instrument, soweit es geht, rechtlich auszuschöpfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir bitten daher alle Fraktionen des Niedersächsischen Landtages um tatkräftige Unterstützung für unseren Antrag und damit für eine neue, höhere Qualität der Wirtschaftsförderung hier in Niedersachsen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, für die SPD-Fraktion hat sich der Kollege Will zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Bewertung der Qualität und der Entwicklungstendenzen des niedersächsischen Arbeitsmarktes kann man der Analyse des Antrages nur zustimmen, und zwar trotz aller regierungsamtlichen Erfolgsmeldungen und Stellungnahmen der die Regierung tragenden Fraktionen.

(Beifall bei der SPD)

Da Sie die Realität in letzter Zeit systematisch ausblenden, gebe ich einige Hinweise zur Wirklichkeit: Trotz Wirtschaftswachstums und Fachkräftemangels sinkt die Vollzeitbeschäftigung, steigen aber andererseits Teilzeitarbeit und die Zahl der Minijobs. Zwischen 2000 und 2011 nahm die Vollzeitbeschäftigung in Niedersachsen um 85 000 Stellen ab. Gleichzeitig stieg die Zahl der Teilzeitarbeitsverhältnisse um 150 000 und die der Minijobs um 89 000. Auch der Anteil der befristeten Arbeitsverhältnisse stieg in dieser Zeit von 7,8 % auf 10 %, bei den unter 25-Jährigen sogar auf über 35 %. Die Entwicklung am Arbeitsmarkt ging also insbesondere zulasten der jüngeren Arbeitnehmer.

Auch die Zahl der in Leiharbeit beschäftigten Menschen hat sich seit 2004 auf über 85 000 Betroffene fast verdreifacht.

(Gabriela König [FDP]: Da waren Sie aber noch in Verantwortung!)

Meine Damen und Herren, im Jahr 2010 arbeiteten geschätzt ca. 23 % - Frau König, hören Sie doch einmal zu! - aller 3,3 Millionen Beschäftigten in Niedersachsen im Niedriglohnsektor. Ca. 570 000

Beschäftigte verdienten weniger als 8,50 Euro in der Stunde. Zwei Drittel der Betroffenen sind Frauen.

Die Frauenerwerbsquote in Niedersachsen liegt andererseits lediglich bei 65 %. Sie ist damit unterdurchschnittlich und die fünftniedrigste im Bundesvergleich. Was tun Sie eigentlich, um hier die Beschäftigungschancen zu verbessern und endlich den Anschluss an andere Bundesländer zu schaffen?

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, 134 000 der Erwerbstätigen in Niedersachsen beziehen ergänzend zu ihrem Einkommen Arbeitslosengeld II. Das ist eine gigantische Kombijobmaschine,

(Gabriela König [FDP]: Die Sie einge- führt haben!)

die die Steuerzahler in Niedersachsen jährlich 1,1 Milliarden Euro kostet. Das ist das wahre Gesicht Ihres Jobwunders in Niedersachsen! Billig kann jeder, aber gute Arbeit sieht anders aus!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es besteht also dringender Handlungsbedarf. Es geht nicht nur um Arbeit an sich, sondern es geht um gute Arbeit, Arbeit, die existenzsichernd für die Einzelnen und für die Familien ist, um Wertschätzung gegenüber Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, um Mitbestimmung und Teilhabe, um die Einhaltung von Sozialstandards und um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das gehört für uns zu guter Arbeit. Diese Maßstäbe müssen auch bei der öffentlichen Unterstützung von Unternehmen angelegt werden.

Meine Damen und Herren, wie können wir in diesem weitestgehend deregulierten Arbeitsmarkt mit ausufernder prekärer Beschäftigung Ordnung schaffen? - Der vorliegende Antrag will die Wirtschaftsförderung an soziale Kriterien koppeln. Das ist aber nur ein kleiner Teil der Lösung. Weite Bereiche werden davon noch ausgeklammert. Was ist mit Unternehmen, die sich im gleichen Markt bewegen, aber keine Förderung beantragen? Dort geht es dann weiterhin ohne gesetzlichen Mindestlohn. Dort wird es übrigens auch weder eine Verbesserung der Frauenbeschäftigungsquote noch mehr Dauerarbeitsplätze für junge Arbeitnehmer geben.

Sie springen mit dem Antrag also noch zu kurz; denn es bedarf einer weitergehenden Wiederherstellung eines geordneten Arbeitsmarktes. Eine in erster Linie auf die staatliche Wirtschaftsförderung ausgerichtete Regulierung gibt dabei gleichzeitig den Hinweis: Außerhalb der Förderung könnt ihr weitermachen wie bisher!

Was wäre also wirklich sinnvoll? - Bei öffentlichen Vergaben und Ausschreibungen fordern wir seit Jahren ein zeitgemäßes Vergabe- und Tariftreuegesetz.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)