Protocol of the Session on September 28, 2012

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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Kollege Hagenah das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir begrüßen, dass die Fraktion DIE LINKE mit ihrer Initiative zu Genossenschaften und deren Nutzen dieses Thema auch in Niedersachsen auf die Tagesordnung gesetzt hat. Das haben wir ja auch durch den Änderungsantrag deutlich gemacht, den wir zusammen mit der SPD-Fraktion dazu vorgelegt haben.

Im Internationalen Jahr der Genossenschaften erleben wir geradezu einen Boom bei der Ausbreitung dieser alternativen Geschäftsform; Frau Weisser-Roelle hat darauf hingewiesen. Seit der Novelle im Jahr 2006 steigt die Zahl der Neugründungen jährlich an. In 2011 kamen bundesweit rund 370 Genossenschaften hinzu, sodass mittlerweile mehr als ein Fünftel der Menschen in Deutschland auf diese Art Wirtschaft selbst in die Hand nimmt - ein

echtes Erfolgsmodell. Niemandem ausgeliefert zu sein und keine Fremdbestimmung, sondern gemeinsam Einfluss auf regionale Wirtschaftskreisläufe zu nehmen - das bieten Genossenschaften. Deswegen sind sie so beliebt. Als Gegenentwurf zur Globalisierung mit ihren anonymen Finanz- und Wirtschaftswelten, denen gegenüber sich viele machtlos glauben, zeigen Genossenschaften auf, wie der einzelne Mensch wirtschaftlich handlungsfähig bleibt.

Wir Grüne freuen uns besonders über die zahlreichen Neugründungen im Bereich der regenerativen Energiewirtschaft. Während Politik und Wirtschaft den Menschen über Gebühr lange Atomstrom diktierten und weltweit oft nur über den Klimawandel gesprochen wird, ohne sich auf effektive Lösungen zu einigen, schließen sich immer mehr Bürgerinnen und Bürger zusammen, um ihren eigenen regenerativen Strom zu erzeugen und damit aktiv zum Schutz des Klimas beizutragen - ein Erfolgsmodell.

Sehr positiv sehen wir auch die vielen Gründungen von Genossenschaften im sozialen Bereich. Hier konnte die Novelle viel erreichen und den Weg für neue Zusammenschlüsse ebnen. Damit wird der genossenschaftliche Grundgedanke, die solidarische Selbsthilfe, gestärkt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Änderungsvorschlag zum Antrag der Fraktion DIE LINKE war erforderlich, weil aus unserer Sicht - anders als die Linke meint - die Novelle des Genossenschaftsgesetzes im Jahr 2006 im Wesentlichen gelungen ist. Sie sollte deswegen nicht so vor das Rohr geholt werden, wie es im Ursprungsantrag der Fall war.

Auf der Grundlage der Initiative der Fraktion der Linken haben sich SPD und Grüne zusammengesetzt und noch einmal genau geschaut, was besonders wichtig und nützlich ist, um Genossenschaften auch weiterhin bestmöglich zu unterstützen und für eine weitere Verbreitung dieses Geschäftsmodells zu sorgen. Wir wollen Genossenschaften bekannter und damit für mehr Menschen zugänglich machen, sie stärker in der Wirtschaftspolitik des Landes etablieren und das Prozedere und die Vorschriften für die kleinen Genossenschaften weiter vereinfachen. Wenn uns das gemeinsam gelingt - denn heute werden ja wohl alle zustimmen -, dann sind wir auf einem guten Wege.

Über dieses Thema hat im Wirtschaftsausschuss eine durchaus produktive Debatte stattgefunden.

Der Wirtschaftsausschuss sollte das Land häufiger mit dieser Debattenkultur voranbringen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN sowie Zustimmung bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Kollege Hillmer das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir heute über das Thema Genossenschaften diskutieren können. Es ist angebracht, dieses Thema im Internationalen Jahr der Genossenschaften auch hier im Landtag zu besprechen. Mein Dank geht auch an den Ministerpräsidenten David McAllister, der dieses Thema mit verschiedenen Schirmherrschaften bei unterschiedlichen Genossenschaften immer wieder - besonders in diesem Jahr - unterstützt.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Ich selbst bin überzeugter Genossenschaftler in verschiedenen Genossenschaften und sehe Genossenschaften als ein Instrument freier Bürger, die sich freiwillig zusammenschließen, um gemeinsam etwas zu leisten, was den Einzelnen überfordern würde. Die Genossenschaftsidee ist von einem zutiefst bürgerlichen Geist geprägt, der nicht nach Obrigkeit ruft, sondern selbst Verantwortung für sich und andere übernimmt.

Dieser Freiheitsgedanke stand auch in der Mitte des 19. Jahrhunderts Pate, als die gerade befreiten Bauern in großer Not eben nicht wieder zurück unter das schützende Dach der Obrigkeit geschlüpft sind, sondern ihre Freiheit in genossenschaftlicher Selbsthilfe abgesichert haben. Die Namen, die dabei zu nennen sind, sind Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch, die Gründungspaten waren - übrigens unabhängig voneinander. Diese beiden hätten sich eigentlich im Grabe umdrehen müssen, wenn sie gesehen hätten, was die Brüder der Linken im Geiste in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR aus dem Genossenschaftsgedanken gemacht haben. Da gab es Zwangskollektivierung und Enteignung. Dort wurden freie Bauern zu Traktoristen verknechtet. Sie sollten sich bei diesem Thema eigentlich zurückhalten.

Meine Damen und Herren, Genossenschaften sind vom Identitätsprinzip geprägt. Der Eigentümer ist häufig auch der Kunde. Im Vordergrund ihres Wirtschaftens steht nicht das Renditeziel, sondern der Förderzweck für die Mitglieder. Genossenschaften haben insofern immer auch eine dienende Funktion für ihre Mitglieder. Die Nachschusspflicht, die bei Genossenschaften häufig vereinbart ist, ist eigentlich ein genialer Gedanke. Sie schafft aus dem Stand Vertrauen und Kreditwürdigkeit und stabilisiert die Haftungsgemeinschaft. Wenn alles andere unsicher ist, bekommt eine Genossenschaft immer noch Kredit.

Wir haben in Niedersachsen Warengenossenschaften, Einkaufs- und Verkaufsgenossenschaften. Dort wird von Kleinen Marktmacht durch Bündelung erzeugt. In der Landwirtschaft und im Handwerk ist das ein ganz besonders verbreitetes Modell. Wir haben Volks- und Raiffeisenbanken, viele Wohnungsgenossenschaften und übrigens auch mindestens eine Krankenhausgenossenschaft.

(Elke Twesten [GRÜNE]: Und eine Schulgenossenschaft!)

- Und eine Schulgenossenschaft, danke schön. Darauf komme ich später noch zu sprechen. - Auch die Steuerberater in Deutschland haben ihre IT-Verantwortung über die DATEV genossenschaftlich organisiert. Immer dort, wo Einzelne etwas nicht leisten können, ist die Genossenschaft also ein hervorragendes Modell.

Gerade in jüngster Zeit werden immer mehr Energiegenossenschaften gegründet.

Es gibt auch noch viele weitere Ansätze für neue Genossenschaften. Wenn z. B. in einem Gewerbegebiet kein schnelles Internet verfügbar ist, kann man natürlich nach dem Bürgermeister bzw. nach dem Staat rufen. Man kann aber auch eine Genossenschaft gründen.

Wenn eine Gemeinde ein Schwimmbad nicht mehr unterhalten kann, kann man trocken schwimmen oder eine Genossenschaft gründen. Wenn man sich als Einzelhändler in der Innenstadt vielleicht durch große Shoppingcenter auf der grünen Wiese bedroht fühlt, kann man klagend und leise aufgeben, man kann auch eine Genossenschaft gründen. Wenn eine Windkraftanlage für den Einzelnen zu teuer ist, kann man das E.ON überlassen oder eine Genossenschaft gründen und das gemeinsam tun.

Wenn den Eltern in Nordrhein-Westfalen die IGSEinheitsschule irgendwann nicht mehr passt, können sie nach Niedersachsen kommen oder eine Genossenschaft gründen und im Rahmen dieser Genossenschaft eine eigene Schule etablieren. Meine Damen und Herren, große Aufgaben werden mit einer Genossenschaft leistbar!

Was steht dem entgegen, und warum haben wir hier auch Aufträge für die Landesregierung formuliert? - Bei der Gründung hat die Genossenschaft in der Praxis häufig das Nachsehen gegenüber Kapitalgesellschaften, gegenüber einer GmbH. Viele Steuerberater greifen lieber auf die GmbHKonstruktion zurück, weil die GmbH einfacher zu gründen ist, aber auch wieder leichter abzuwickeln ist. Eine Genossenschaft ist die nachhaltigere Wirtschaftsform.

Wir möchten mehr Genossenschaften in Niedersachsen, weil Genossenschaften nachhaltiger sind und sich als äußerst krisenstabil erwiesen haben. Wir treten für Genossenschaften ein, weil Genossenschaften die Selbstständigkeit fördern. So können 20 kleine Handwerker als Genossenschaft große Aufträge annehmen, die sonst nur Großbetrieben vorbehalten bleiben. Wir wollen Genossenschaften, weil Genossenschaften Bürgern z. B. die Möglichkeit eröffnen, sich aktiv in die Energiewende einzubringen.

Daher halten wir die Änderung des Genossenschaftsgesetzes im Jahre 2006 ausdrücklich für einen Erfolg. Daher werben wir für das Genossenschaftsmodell und fordern die Landesregierung auf, das Ihrige dazu beizutragen. Daher möchten wir die Genossenschaften noch attraktiver gestalten und in Verständigung mit dem Genossenschaftsverband die Gründungs-, Bilanzierungs- und Prüfungsvorschriften erleichtern, aber bitte nur bis zu der Untergrenze, bei der der Verband das auch mitmacht. Wir legen großen Wert auf die Verständigung mit dem Verband, der letztlich die Gewährleistung dafür übernehmen muss, dass diese Genossenschaft solvent und solide aufgestellt ist.

Meine Damen und Herren, Genossenschaften sind auch in Zukunft ein gutes Geschäftsmodell. Genossenschaften sind ein Gewinn für alle.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Jetzt hat Frau König für die FDP-Fraktion das Wort. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben schon viel dazu gehört, wie gut Genossenschaften arbeiten, vor allen Dingen auch hier in Niedersachsen. Genossenschaften sind nämlich etablierte Selbsthilfeorganisationen und wirtschaftliche Unternehmen mit sozialem Faktor. Unser Wirtschaftsminister a. D. Walter Hirche hat das schon sehr früh erkannt und dieses Gesetz 2006 entsprechend verändern lassen, sodass Gründungen erleichtert und beschleunigt werden konnten. Ich finde, das war ein sehr gelungenes Werk. Dem können wir hier eigentlich nur aufbauend etwas hinzufügen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir kennen Genossenschaften aus dem Bankenbereich, der Wohnungswirtschaft und dem Konsumbereich. Herr Hillmer hat das sehr schön ausgeführt. Daher brauche ich gar nicht mehr näher darauf einzugehen. Etwa 20 % und damit knapp 1,7 Millionen Mitglieder beteiligen sich an dieser wachsenden Unternehmensform. Sie ist also ein richtiges Erfolgsmodell. Ein besonderes Merkmal ist, dass die Genossenschaften krisenfest und insolvenzresistent sind. Allein in Niedersachsen sind hier knapp 23 000 Arbeitsplätze angesiedelt. Und gerade Niedersachsen sticht durch seine bedeutende Genossenschaftskultur im Landwirtschaftsbereich gegenüber anderen Bundesländern heraus.

2009 beginnt ein wahrer Aufschwung, zunehmend und in 200 weiteren Bereichen, z. B. Kultur, IT, Freiberufler und Energie. Letzteres - das haben wir eben schon gehört -, also die Energieerzeugung und -versorgung, birgt ein großes Betätigungsfeld, das zukunftssicher ist und sich noch stärker ausbauen lässt. Gerade hier ist die Nachfrage in der Bevölkerung ständig gewachsen.

Aber auch der demografische Wandel zeigt hinsichtlich Wohnen und Leben im Alter und hinsichtlich Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch neue Möglichkeiten. Ich denke da beispielsweise an Generationenhäuser und an den - als ein weiteres Betätigungsfeld - Altenwohnbereich.

Es ist daher von großem Interesse, diese Beteiligungsform noch bekannter zu machen, Maßnahmen zu unterstützen und Gründungs- sowie Bi

lanzformen zu vereinfachen oder besser auf diese Unternehmensform zuzuschneiden.

Dies gilt auch in den Finanzbranchen. Volks- und Raiffeisenbanken sowie Sparkassen müssen einer anderen Bewertung unterliegen als Großbanken. Hier haben sich die Maßstäbe in der Vergangenheit verschoben. Die besonderen bodenständigen Strukturen müssen wir mehr in den Fokus stellen.

Genossenschaften bieten Beteiligungsmöglichkeiten für alle und erzeugen insbesondere im Zusammenschluss mit Gleichgesinnten Vorteile durch eine echte Teilhabe an Objekten und Produkten jedes Einzelnen. Das ist eine gute Sache, die wir auch in Zukunft unterstützen werden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich erteile jetzt Herrn Jüttner für die SPD-Fraktion das Wort. Bitte!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einigen Jahren wäre es schwer vorstellbar gewesen, dass die UNO das Genossenschaftswesen als das Thema des Jahres hervorhebt. Genossenschaften galten insbesondere in den entwickelten Industriestaaten eher als verschnarcht und als von gestern. Darauf will ich ausdrücklich hinweisen.

Diese Situation hat sich inzwischen deutlich verändert. Zu tun hat das sicher auf der einen Seite mit der Globalisierung und der immer stärkeren Anonymisierung von wirtschaftlichen und finanzpolitischen Entwicklungen und den darin steckenden Krisen und auf der anderen Seite mit dem Wunsch von immer mehr Menschen, selbstbestimmt darüber zu reden, wie sich ihr Umfeld ganz konkret entwickelt. Frau Weisser-Roelle hat das, wie ich finde, überzeugend ausgeführt.

Das 19. Jahrhundert kennt die Genossenschaften eher als Selbsthilfe mit einem starken karitativen Bezug. Liberale setzen sich für Ärmere ein, um sie aus der Not herauszuholen und ihre wirtschaftlichen Belange gemeinsam zu entwickeln. Im Übrigen sind Genossenschaften nicht per se und rechtlich zwingend gemeinwohlorientiert. Darauf will ich ausdrücklich hinweisen.

Heute gibt es das immer noch, und zwar im Bereich der Wohnungswirtschaft und im Bereich der landwirtschaftlichen Produktion, weil es Einzelne überfordern würde und deshalb sinnvoll ist, ge

meinsam Einkaufsgenossenschaften zu bilden und Ähnliches.

In den letzten Jahren erleben wir aber immer stärker - das ist durch die Gesetzesänderung 2006 noch einmal begünstigt worden -, dass Menschen weniger abhängig sein wollen und ihre wirtschaftlichen Belange in überschaubaren Zusammenhängen und in lokalen Wirtschaftskreisläufen organisieren möchten.

Allein seit 2006 haben sich über 500 Energiegenossenschaften in Deutschland gegründet. Sie sind langsam nicht mehr nur das Sahnehäubchen, sondern einer der zentralen Bestandteile der Umorganisation im Bereich der Energiewirtschaft.