Protocol of the Session on December 5, 2012

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Niedriglöhne und Inkaufnahme von Tierqual für Billigfleisch - geboren um zu schlachten? - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/5483

Dazu erteile ich dem Kollegen Christian Meyer das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kennen Sie Eimermenschen? - So werden laut Neue Osnabrücker Zeitung vom 3. Dezember 2012 über 800 ausländische Schlachthofarbeiter in Sögel genannt, weil sie zu Schichtbeginn mit Eimern zum Schlachthof ziehen. Sie wohnen in erbärmlichen Bruchbuden, in Sammel- und Massenunterkünften, die menschenunwürdig sind.

Dieses soziale Elend bekommt Gesicht. So etwa in Lohne: 25 m² für eine vierköpfige Familie, im ganzen Haus nur ein Bad für 19 Menschen. Miete für das Zimmer: 450 Euro kalt.

In Visbek leben 70 bulgarische Werksvertragsarbeiter in Zimmern mit bis zu acht Betten, an Lohn bekommen sie gerade einmal 4 Euro. Sie arbeiten in der zu Wiesenhof gehörenden GeestlandSchlachterei in Wildeshausen.

Was macht der Schlachtriese VION in Emstek? - Er schmeißt 60 Festangestellte raus, und gleichzeitig werden per Werkvertrag 60 rumänische Arbeiter hereingeholt.

Lohndrückerei und Ausbeutung nennen wir das.

Die Fleischindustrie profitiert von einem weit verzweigten Netzwerk der Ausbeutung von Mensch und Tier. Niedersachsen ist in Ihrer Regierungszeit zum Niedriglohnschlachthof Europas geworden.

In Dänemark schließen Schlachthöfe, hier in Niedersachsen werden die Schlachtkapazitäten mehr als verdoppelt, und CDU und FDP subventionieren das auch noch.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Unglaublich!)

Allein 7 Millionen Euro bekam der Schlachthof in Wietze im Wahlkreis von Herrn Bode. Mehr als 4 Millionen Steuergelder gingen an Wiesenhof. Das ist in etwa die gleiche Summe, mit der Wiesenhof jetzt sein schlechtes Image als Sponsor von Werder Bremen aufpolieren will.

Doch Gewerkschafter und Kirchenvertreter prangern diese sozialen Missstände im Fleischtopf Niedersachsen an. So predigte etwa Prälat Kossen: Ganz unbescholtene Bürger verdienen mitten unter uns kräftig an der Situation der Migranten mit, wenn abbruchreife Häuser zu horrenden Preisen vermietet werden. - Recht hat er, der Prälat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die mögliche Antwort der Fleischindustrie sah jedoch anders aus: Wie bei der italienischen Mafia legte man dem Kirchenmann einen Tierkadaver vor die Tür. Diese Bedrohung kirchlicher Vertreter dürfen wir nicht hinnehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Dirk Toepffer [CDU])

Ebenso unpassend ist auch eine Aktion des Landvolks, kritische Reden von Kirchenvertretern zu Erntedank zu melden oder Schulbücher im Sinne

der Agrar-Lobby von Aussagen zur Massentierhaltung zu säubern.

(Vizepräsident Dieter Möhrmann übernimmt den Vorsitz)

Weder von Minister Lindemann noch von Minister Busemann war etwas zu dieser unfassbaren Einschüchterungsaktion gegen kirchliche Vertreter zu hören.

(Beifall bei den GRÜNEN - Jens Nacke [CDU]: Das ist ja ganz was Neues! Meine Damen und Herren, wir haben eben so viel über Ihre Bilanzen geredet. Ihre einseitige Ausrich- tung auf die Massentierhaltung vernichtet nicht nur Hunderte von Höfen, sondern auch Tausende von Arbeitsplätzen. Schauen wir uns einmal das Jobwunder in der Agrarindustrie in Niedersachsen an. (Der Redner zeigt ein Schriftstück - Jens Nacke [CDU]: Halten Sie mal still! Ich kann das nicht sehen! Sie zit- tern so!)

30 000 Arbeitsplätze in der Landwirtschaft weniger, seit CDU und FDP regieren, 10 000 Arbeitsplätze weniger im nachgelagerten Bereich. Das ist Ihre Bilanz. Lohndrückerei, Billigfleischproduktion und massive Arbeitsplatzverluste - das ist die Schattenseite der industriellen Fleischproduktion.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bevor Sie gleich mit dem Mantra kommen, man brauche hohe Mindestlöhne, möchte ich an Frau Grotelüschen erinnern, die Vorgängerin von Herrn Lindemann, die im NDR sagte: 5 Euro Stundenlohn sind doch akzeptabel.

Zur Erinnerung: Gestürzt ist Frau Grotelüschen nicht über die vielen Tierschutzskandale, sondern über Berichte von Arbeitern, die in ihrem Schlachthof für Ausbeuterlöhne von 3,50 Euro bis zu 16 Stunden täglich gearbeitet haben sollen.

Jetzt hat die CDU diese Frau, die 5 Euro akzeptabel findet, wieder in den CDU-Landesvorstand gewählt und für den Bundestag aufgestellt.

(Zurufe von den GRÜNEN: Aha!)

Das konterkariert nicht nur alle Tierschutzbemühungen, wie auch der Austritt der Landesvorsitzenden des Deutschen Tierschutzbundes zeigt, nein, auch sozial haben Sie jede Glaubwürdigkeit verloren. Die Lohndrücker sitzen bei ihnen im Landesvorstand.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, Niedersachsen muss endlich für menschenwürdige Arbeit sorgen. Das gilt gerade auch für den Bereich der Werkverträge. Ein eigenes Landesmindestlohngesetz wie in Bremen ist überfällig. Auch brauchen wir mehr Kontrollen der rechtlosen Zustände in der Fleischindustrie, nicht nur beim Tierschutz, sondern auch beim Arbeitsschutz und bei den Arbeitnehmerrechten.

Es ist gut, dass jetzt einige Landkreise inakzeptable Zustände auf dem Wohnungsmarkt überprüfen wollen. Aber wir fragen uns, was eigentlich die Sozial- und Wohnungsbauministerin Özkan zu diesen unhaltbaren Zuständen sagt. Sie taucht bei diesem Thema genauso weg wie die ganze Landesregierung.

Meine Damen und Herren, für uns ist der Ausbau der industriellen Massentierhaltung durch CDU und FDP auch sozial eine Katastrophe. Für uns steht die Menschenwürde an oberster Stelle. Wir wollen, dass sich kein Mensch mehr in einer solch verzweifelten Lage befindet wie die Eimermenschen von Sögel. Dafür muss das Land endlich sorgen.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, für die CDU-Fraktion erteile ich nun Herrn Kollegen Toepffer das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Meyer, die CDU hat bereits im Jahre 1947 ein sehr gutes Programm zur ersten Bundestagswahl geschrieben, die Düsseldorfer Leitsätze. Darin lese ich immer sehr gerne.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Das war das Ahlener Programm!)

- Nein, die Düsseldorfer Leitsätze waren vorher. Da haben Sie eine Bildungslücke.

Leitsatz 16 lautet:

„Die ‚soziale Marktwirtschaft’ kann nur verwirklicht werden, wenn sie das Vertrauen aller Schichten des Volkes besitzt“.

Das ist ein kluger Satz.

Ich muss sagen, Sie haben eben Zustände geschildert, die in der Tat nicht dazu geeignet sind, Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft hervorzurufen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der LINKEN - Oh! bei den GRÜNEN)

Das liegt u. a. daran, dass in der fleischzerlegenden Industrie nur noch 25 % aller Arbeitnehmer einen festen Arbeitsvertrag haben und 75 % der Mitarbeiter dort als Werkunternehmerbeschäftigte arbeiten müssen, unter Zuständen, die Sie zutreffend geschildert haben.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Daran verdienen viele, nämlich die Unternehmen, die Werkunternehmer beauftragen, die Werkunternehmer selbst, die teilweise keine sind,

(Beifall bei den GRÜNEN)

diejenigen, die menschenunwürdige Unterkünfte stellen, und diejenigen, die Transporte von diesen menschenunwürdigen Unterkünften zu den Arbeitsplätzen organisieren.

All das funktioniert offensichtlich nur noch mit ausländischen Arbeitnehmern, weil Deutsche das gar nicht mehr mitmachen.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Jetzt die Conclusio, Herr Toepffer! - Enno Ha- genah [GRÜNE]: Was machen wir jetzt, Herr Toepffer?)

Herr Toepffer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Adler?

Ja, gerne.