Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 41. Sitzung im 14. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 16. Wahlperiode.
Wir beginnen die heutige Sitzung mit der Fragestunde, Tagesordnungspunkt 29. Es folgt Punkt 3, die strittigen Eingaben. Anstelle des Tagesordnungspunktes 30, der Besprechung der Großen Anfrage zum Thema Stallbauboom, die auf den Tagungsabschnitt im August vertagt werden soll, behandeln wir dann den Tagesordnungspunkt 40, also den Antrag zum Thema Bleiberecht. Anschließend erledigen wir die Tagesordnungspunkte 31 bis 39 in der Reihenfolge der Tagesordnung, wobei die Tagesordnungspunkte 33, 38 und 39 nur zum Zwecke der Ausschussüberweisung aufgerufen werden sollen.
Im Ältestenrat bestand zwischen den Fraktionen Einvernehmen darüber, die Tagesordnung bei Bedarf um eine Beschlussfassung über einen Sitzverlust zu erweitern. Nachdem die Abgeordnete Frau Meißner, wie Sie der in Kürze zu verteilenden Drs. 16/1388 werden entnehmen können, mit Schreiben vom heutigen Tage ihren Mandatsverzicht erklärt hat, halte ich das Haus vor dem Hintergrund dieser Absprache damit einverstanden, dass wir den Beschluss über diesen Sitzverlust heute Mittag an geeigneter Stelle fassen, sobald mir der Landeswahlleiter in der notwendigen Form den Mandatsübergang mitgeteilt hat. - Das Einvernehmen zu diesem Ablauf stelle ich hiermit fest.
Ich darf Sie noch herzlich darum bitten, Ihre Reden rechtzeitig an den Stenografischen Dienst zurückzugeben.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es haben sich entschuldigt von der Landesregierung Herr Finanzminister Möllring ab mittags, von der Fraktion der CDU Herr Focke, von der Fraktion der SPD Herr Klein, von der Fraktion der FDP Herr
Schwarz, Herr Rickert sowie Herr Riese und von der Fraktion DIE LINKE Frau Weisser-Roelle ab 12 Uhr.
Vielen Dank. - Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gestatten Sie mir noch eine Bemerkung: Ausweislich des Vorläufigen Stenografischen Berichts des gestrigen Tages hat der Kollege Perli im Rahmen der Aussprache Folgendes gesagt:
„Ich finde, das sind ganz gute Gründe dafür, dass wir die Banken besetzen und dort fragen: Warum gibt es kein Geld für Bildung?“
Ich möchte die Gelegenheit nehmen, dies persönlich zu missbilligen, und kündige hiermit an, dass wir diese Aussage in der nächsten Sitzung des Ältestenrats thematisieren und besprechen werden.
Die für die Fragestunde geltenden Regelungen unserer Geschäftsordnung setze ich als bekannt voraus. Um dem Präsidium den Überblick zu erleichtern, bitte ich Sie, dass Sie sich nach wie vor schriftlich zu Wort melden, wenn Sie eine Zusatzfrage stellen möchten.
Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte: Wie geht die Landesregierung mit den aktuellen Entwicklungen um?
Diese Frage wird von den Abgeordneten Bode und Oetjen von der FDP-Fraktion gestellt und wird nun vom Kollegen Oetjen eingebracht. Ich erteile ihm dazu das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gewaltbereitschaft gegenüber Polizeibeamtinnen und -beamten ist in den letzten Jahren sowohl in ihrer Häufigkeit als auch in ihrer Intensität gestie
gen. Polizeibeamtinnen und -beamte erfahren immer häufiger körperliche und physische Verletzungen im Dienst. Es handelt sich hier um ein Phänomen, welches bundesweit zu beobachten ist.
Dies wird auch durch die Polizeiliche Kriminalstatistik Niedersachsen 2008 des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres, Sport und Integration belegt. Hiernach hat die Zahl der Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamtinnen und -beamte im letzten Jahr einen neuen Höchststand erreicht.
Um diese Entwicklung hinreichend beurteilen zu können, ist es notwendig, genaue Informationen über die Anzahl und Formen dieser Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamtinnen und -beamte zu erhalten. Zudem muss geklärt werden, wie mit dem Phänomen der steigenden Gewalt umgegangen wird und welche Maßnahmen ergriffen werden, um die Polizeibeamtinnen und -beamten zu schützen.
1. Wie hat sich die Zahl der gegen Polizeibeamtinnen und -beamte verwirklichten Straftatbestände, aufgegliedert nach den einzelnen Delikten, in den letzten Jahren entwickelt?
2. Ergreift die Landesregierung Maßnahmen, um die Ursachen des Phänomens der ansteigenden Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamtinnen und -beamte zu analysieren, und wie sehen diese aus?
3. In welcher Art und Weise werden Polizeibeamtinnen und -beamte vor gewalttätigen Übergriffen geschützt und im Umgang mit solchen Situationen geschult?
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit Jahren sind kontinuierlich steigende Fallzahlen bei Übergriffen gegen Vollstreckungsbeamte unseres Landes, aber auch bundesweit festzustellen. Die Anzahl der Fälle von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ist in Niedersachsen seit dem Jahr 2001 um etwa 60 % gestiegen. Im Jahr 2008 wurden beinahe 2 500 Fälle in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfasst.
Die Niedersächsische Landesregierung nimmt die Entwicklung dieses Phänomens mit großer Aufmerksamkeit und zunehmender Sorge wahr. Wir sind der Überzeugung, dass es unsere Aufgabe ist, dieses Kriminalitätsphänomen fortwährend zu analysieren, aus den Erkenntnissen wirkungsvolle Strategien zu entwickeln und zugleich Initiativen zu ergreifen, um den Schutz unserer Polizeibeamtinnen und -beamten zu verbessern. Hierzu hat die niedersächsische Polizei bereits in den vergangenen Jahren ständig ihre taktischen Vorgehensweisen überprüft und insbesondere Fortbildungsangebote angepasst. Darauf werde ich noch im Detail eingehen.
Zu 1: Für die Darstellung von Straftaten gegenüber Polizeibeamtinnen und -beamten liegt als Datenquelle die PKS vor. Eine automatisierte Auswertung der gesamten Fälle, in denen Polizeibeamtinnen und -beamte Opfer von Straftaten geworden sind, lässt sich über die PKS aktuell nicht realisieren.
Der AK II der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder hat am 15. September 2008 beschlossen, dass in der PKS zusätzliche Merkmale zum Geschädigten erfasst werden. Die fachlich relevante und spezifische Rolle des Geschädigten wird seit Jahresbeginn 2009 abgebildet. Insofern können wir in der Zukunft sehr viel detaillierter Auskunft geben.
Als eine Kenngröße für das Ausmaß der Straftaten gegen Polizeibeamtinnen und -beamte kann der in der PKS abgebildete Tatbestand des § 113 StGB - Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte - herangezogen werden. Aufgrund der bundesweit geltenden Erfassungskriterien für die PKS ergeben sich allerdings Einschränkungen hinsichtlich der Aussagekraft zur Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte. Unter diesem PKS-Schlüssel werden auch Taten erfasst, die keine Gewalttaten gegen Polizeibeamte darstellen, wie z. B. Gewaltausübung gegen andere hoheitlich handelnde Personen mit Amtsträgereigenschaft, Widerstandshandlungen ohne Zufügen eines körperlichen Schadens und im Einzelfall Drohung mit Gewalt oder bloßes passives Verhalten.
In diesem Schlüssel fehlen darüber hinaus bestimmte Fallkonstellationen, die an anderen Stellen in die PKS einfließen. Bei Vorliegen mehrerer Straftaten innerhalb eines Lebenssachverhalts wird in der PKS lediglich die schwerwiegendste
Straftat gezählt. Das hat zur Folge, dass Widerstandshandlungen gegebenenfalls im Kontext anderer, parallel begangener schwerwiegenderer Straftaten registriert werden. Vor diesem Hintergrund sind die in der PKS ausgewiesenen Zahlen differenziert zu betrachten.
Im Einzelnen ergibt sich folgende Entwicklung dieser Straftaten in Niedersachsen: 2001: 1 556 Straftaten, 2002: 1 771 Straftaten, 2003: 1 840 Straftaten, 2004: 1 884 Straftaten, 2005: 2 197 Straftaten, 2006: 2 318 Straftaten, 2007: 2 416 Straftaten und 2008 - das ist der Höchststand -: 2 499 Straftaten.
Zu Frage 2: Bereits während der Vorstellung der PKS 2008 im März 2009 habe ich darauf hingewiesen, dass wir gemeinsam mit dem Landeskriminalamt und dem KFN eine Untersuchung durchführen werden, um neben Aussagen zur quantitativen Entwicklung der Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte gerade auch Aussagen zur qualitativen Veränderung der Gewaltausübung zu erhalten.
Im Rahmen einer Befragung werden zum einen solche Fälle untersucht, in denen die niedersächsischen Polizeibeamten als unmittelbare Folge der Gewaltausübung dienstunfähig gewesen sind. Die Ergebnisse lassen sich mit der früheren Studie „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte 1995 bis 2000 - eine kriminologische Analyse“ des KFN ergänzen.
Darüber hinaus kommt es allerdings in vielen Fällen auch zur Gewaltausübung gegen Polizeibeamte, die keine Dienstunfähigkeit zur Folge hat. In einer zweiten Teilstudie werden wir durch eine ergänzende Befragung auch solche Fälle in die Untersuchung einbeziehen. Mit einer dritten Teilstudie erfolgt eine Datenanalyse der angezeigten Widerstandshandlungen und Rohheitsdelikte zum Nachteil der Polizeibeamten. Erste Zwischenergebnisse werden noch in diesem Jahr vorliegen.
Die Innenministerkonferenz hat sich auf der letzten Sitzung ebenfalls mit dem Thema befasst und den AK II der IMK gebeten, ein bundesweites Lagebild zu erstellen und Umsetzungsvorschläge vorzulegen. Hierbei sollen auch die Ergebnisse der niedersächsischen Studie berücksichtigt werden. Das heißt, im Dezember erwarten wir hier klare Beschlüsse.
Zu Frage 3: Der Vermeidung bzw. Reduzierung von Gewalt und der Verhinderung vermeidbarer Gefährdungen von Polizeibeamten wird im Bereich
der Aus- und Fortbildung eine besondere Bedeutung beigemessen. Ein wesentlicher Meilenstein wurde in der Ausbildung mit der Einführung des akkreditierten Bachelorstudiengangs erreicht. Während des Bachelorstudiums an der Polizeiakademie Niedersachsen werden grundlegende Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse für die Verwendung in der Sachbearbeitung des Einsatz- und Streifendienstes und des kriminalpolizeilichen Ermittlungsdienstes vermittelt. Die hierfür erforderlichen Trainings wurden insbesondere unter dem Aspekt der Eigensicherung inhaltlich überarbeitet, aufeinander abgestimmt und an die Herausforderungen des Polizeidienstes angepasst. Der Anteil, mit dem die zukünftigen Polizeibeamten durch praktische Trainings vorbereitet werden, nimmt unter Einbeziehung der beiden Praktika fast die Hälfte des Kontaktstudiums ein.
Nach der Ausbildung greift das Fortbildungskonzept „Systemisches Einsatztraining“ (SET), das aktuell in ein neues Polizeitrainerkonzept einbezogen worden ist. Hier werden sowohl die Bewältigung von Routineeinsätzen als auch von besonderen Einsatzlagen trainiert, wobei auch die dienststellenspezifischen Besonderheiten berücksichtigt werden.
Im Mittelpunkt des SET stehen die Lagebewältigung zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags bei gleichzeitiger Vermeidung bzw. Reduzierung von Gewalt und Zwangsanwendung, die Verhinderung vermeidbarer Gefährdungen von Polizeibeamten und anderen Personen sowie die Steigerung der Akzeptanz polizeilichen Einschreitens. In fächerübergreifender Vorgehensweise werden Fähigkeiten in den Trainingsfeldern Stressbewältigung, Kommunikation, Taktik und Eigensicherung, Eingriffstechnik, Nichtschießen/Schießen und Eingriffsrecht vermittelt.
Das SET wird den im Außendienst befindlichen Beamtinnen und Beamten landesweit angeboten. Diese Gruppe umfasst ca. 14 000 Beschäftigte, von denen die ca. 8 000 Beamten im Einsatz- und Streifendienst und in den Polizeistationen die größte Priorität genießen. Darüber hinaus wird das SET für Angehörige des Kriminalermittlungsdienstes, der zentralen Kriminaldienste und der Bereitschaftspolizei durchgeführt. Die einzelnen Trainingseinheiten der mehrtägigen Veranstaltungen setzen sich aus Basis- und Ergänzungsbausteinen zusammen. Für ein Basistraining ist ein Zeitansatz von vier Tagen vorgesehen.
Neben dem SET sind das Schusswaffeneinsatztraining, das Abwehr- und Zugriffstraining sowie das einsatzbezogene Fahrtraining die wichtigsten Säulen des Polizeitrainings für die Zielgruppe Außendienst. Ziel dieser Trainings ist es, durch Vermittlung von Handlungskompetenz ein größtmögliches Maß an Sicherheit für alle Beamten zu erreichen. Die Trainings bauen aufeinander auf, sodass beginnend bei den handwerklichen Fertigkeiten bis zu den komplexen Verhaltenstrainings das taktisch richtige und rechtlich zulässige Einsatzverhalten vertieft und gefestigt wird.
Aufgrund der Zunahme bestimmter Deliktfälle gegen Polizeibeamte hat die niedersächsische Polizei in den vergangenen Jahren ihre taktischen Vorgehensweisen ständig überprüft, gegebenenfalls fortentwickelt und insbesondere Fortbildungsangebote angepasst. So wurden etwa der Angriff mit Messern, Amoklagen und der Umgang mit psychisch Kranken in das SET integriert. Im neuen Polizeitrainerkonzept sind die verschiedenen Trainingsfelder aufeinander abgestimmt und noch enger miteinander verzahnt. Auf der Grundlage des landesweit gültigen Standards des Konzeptes werden die haupt- und nebenamtlichen Polizeitrainer für ihre Arbeit in den Polizeibehörden durch die Polizeiakademie Niedersachsen qualifiziert. Die Eigensicherung und der Schutz vor gewalttätigen Angriffen haben nicht nur im Polizeitraining, sondern auch bei der Ausstattung unserer Polizei einen hohen Stellenwert.
Eine wesentliche Komponente des modernen passiven Schutzes für Polizeibeamte stellt die ballistische Schutzweste dar. Sie schützt nicht nur gegen Beschuss, sondern bei körperlichen Angriffen auch gegen Schlag und Messerangriff. Das Ausstattungskonzept sieht für die Polizei eine persönliche Ausstattung sowie eine fahrzeug-, funktions- und dienststellenbezogene Ausstattung mit ballistischen Schutzwesten vor. Die persönliche Ausstattung umfasst alle Beamten im Außendienst sowie die Anwärter bei der Polizeiakademie. Der Einsatz- und Streifendienst ist mit circa 18 000 ballistischen Unterziehschutzwesten ausgestattet.