Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 47. Sitzung im 16. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 16. Wahlperiode.
Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit der Fragestunde, Tagesordnungspunkt 24. Es folgt die Fortsetzung des Tagesordnungspunktes 2, strittige Eingaben. Anschließend erledigen wir die Tagesordnungspunkte 25 bis 29 in der Reihenfolge der Tagesordnung.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es haben sich entschuldigt von der Fraktion der CDU Frau Klopp und von der Fraktion der FDP Herr Rickert.
Die für die Fragestunde geltenden Regelungen unserer Geschäftsordnung setze ich bei allen als bekannt voraus.
Um dem Präsidium auch weiterhin den Überblick zu erleichtern, bitte ich Sie, sich schriftlich zu Wort zu melden, wenn Sie eine Zusatzfrage stellen möchten.
Wir kommen zu Frage 1, die von den Abgeordneten Frau Reichwaldt und Frau Flauger von der Fraktion DIE LINKE gestellt wird:
Auswirkungen der jüngsten Schulgesetznovellen und Umsetzung des Turbo-Abiturs an Integrierten Gesamtschulen?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verlese unsere Mündliche Anfrage „Auswirkungen der jüngsten Schulgesetznovellen und Umsetzung des Turbo-Abiturs an Integrierten Gesamtschulen?“
Der Landtag beschloss am 16. Juni 2009 die Einführung des Abiturs nach zwölf Jahren auch an Gesamtschulen. Der Gesetzgeber hat dabei keine genaueren Vorgaben gemacht, wie die Umsetzung der Schulzeitverkürzung an Integrierten Gesamtschulen (IGS) erfolgen soll. In zahlreichen Stellungnahmen zur Gesetzesnovelle warnten IGSVertreterinnen und -Vertreter sowie andere Bildungsexpertinnen und -experten davor, dass mit der Verkürzung der Schulzeit an IGSen deren pädagogische Kernidee - der gemeinsame Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlicher Leistungsstärke - zerstört werde. Mit Beginn des Schuljahres 2010/2011 wird die Umstellung auf das Turbo-Abitur starten. Um den betroffenen Schulen, Lehrkräften, Eltern und Schülerinnen und Schülern Gelegenheit zu geben, sich mit Umwälzungen auseinanderzusetzen und sich vor Ort darauf einzustellen, müssen die untergesetzlichen Regelungen rechtzeitig vor dem Beginn des nächsten Schuljahres bekannt sein.
Dies betrifft erstens die Durchlässigkeits- und Versetzungsverordnung, zweitens die Verordnung über die Abschlüsse im Sekundarbereich I der allgemeinbildenden Schulen, drittens die Verordnung über die gymnasiale Oberstufe, - - -
Frau Kollegin, ich darf Sie kurz unterbrechen. - Wir warten jetzt, bis etwas mehr Ruhe eingekehrt ist und Sie Ihre Frage weiter vortragen können. - Bitte schön, Sie haben das Wort.
- - - viertens den Erlass „Die Arbeit in den Schuljahrgängen 5 bis 10 der Integrierten Gesamtschule“ und fünftens den Erlass „Zeugnisbestimmungen in den allgemeinbildenden Schulen“.
In diesen Regelungen legt die Landesregierung Vorgaben von zentraler Bedeutung für die Organisation der Integrierten Gesamtschulen fest. Dies betrifft etwa die organisatorischen Vorgaben für die Schuljahrgänge 5 bis 10 - Stundentafel, Einsetzen der zweiten Fremdsprache, Gestaltung des Wahlpflichtunterrichts usw. -, die Führung des 10. Schuljahrgangs auch als Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe, die Fachleistungsdifferenzierung in den Fächern Mathematik, Englisch, Deutsch, Naturwissenschaften auf drei Anforderungsebenen sowie zugleich die Möglichkeit des Abweichens von dieser Differenzierung in den Schuljahrgängen 7 und 8 und die Leistungskriterien am Ende des 9. und 10. Schuljahrgangs, auf deren Grundlage die Klassenkonferenzen entscheiden, ob die Schülerinnen und Schüler zum Besuch der Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe berechtigt sind.
In ihrer Antwort vom 28. August auf die Mündliche Anfrage Nr. 47 der Abgeordneten Flauger und Reichwaldt führt die Landesregierung aus, dass eine „Arbeitsgruppe Gesamtschule“ ab Anfang September eingerichtet werde, „in der die Konzeptionen der zu ändernden untergesetzlichen Regelungen noch vor dem gesetzlich vorgeschriebenen Anhörungsverfahren zu diesen Regelungen unter Hinzuziehung des Sachverstands von Vertreterinnen und Vertretern von Gesamtschulen erörtert werden“ - Plenarprotokoll vom 28. August 2009.
1. Wie setzt sich diese Arbeitsgruppe Gesamtschule zusammen, und wie lautet ihr konkreter Arbeitsauftrag?
2. Wie sieht der Fahrplan der Landesregierung für den Erlass der notwendigen Rechtsverordnungen aus?
3. Welche Vorschläge gibt es seitens der Landesregierung zu den notwendigen Änderungen der Rechtsverordnungen?
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Schulgesetzänderung am 16. Juni 2009 sind eine ausführliche Beratung und Information in den Ausschüssen des Landtages, insbesondere im Kultusausschuss, vorangegangen. Dabei hat die Landesregierung dem Parlament umfassend dargelegt, welche untergesetzlichen Regelungen mit welcher Zielsetzung zu ändern sind. In der schriftlichen Begründung zu dem Gesetzentwurf ist nachlesbar, dass die wesentlichen Gestaltungsprinzipien für die Integrierte Gesamtschule auch bei der Einführung des Abiturs nach zwölf Schuljahren erhalten bleiben.
Darüber hinaus haben die Mehrheitsfraktionen die Landesregierung gebeten, in den untergesetzlichen Regelungen sicherzustellen, dass bei Vorlage eines entsprechenden pädagogischen Konzeptes gemeinsamer Unterricht auch in allen Fächern erteilt werden kann. Die Landesregierung wird dieser Bitte selbstverständlich nachkommen.
Damit kann ab dem 1. August 2010 gemeinsamer Unterricht in den Schuljahrgängen 5 bis 8 sogar in allen Pflichtfächern der Integrierten Gesamtschule erteilt werden, eine Möglichkeit, die rot-grün- oder rot-geführte Landesregierungen in Niedersachsen zu keinem Zeitpunkt zugelassen haben. Der Vorwurf, mit der Einführung des Abiturs nach zwölf Schuljahren an der Integrierten Gesamtschule würden Landesregierung und die sie tragenden Mehrheitsfraktionen dieses Hauses die pädagogische Kernidee der Gesamtschule zerstören, ist angesichts der tatsächlichen Entscheidungen nachweislich halt- und substanzlos.
Die Landesregierung hat in ihrer Antwort auf eine entsprechende Anfrage der Fraktion DIE LINKE im August mitgeteilt, dass sie eine Arbeitsgruppe Gesamtschule einberufen wird. Die Arbeitsgruppe ist inzwischen zu ihrer konstituierenden Sitzung am 9. September 2009 zusammengetreten.
Zu Frage 1: Die Arbeitgruppe setzt sich wie folgt zusammen: drei Schulleiterinnen/Schulleiter von Integrierten Gesamtschulen, je zwei Stufenleiterinnen/Stufenleiter des Sekundarbereichs I und II von
Integrierten Gesamtschulen, zwei Schulleiterinnen/Schulleiter von nach Schuljahrgängen gegliederten Kooperativen Gesamtschulen, zwei Vertretungen der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule sowie zwei für Gesamtschulen zuständige schulfachliche Dezernentinnen/Dezernenten der Landesschulbehörde. Die Arbeitsgruppe wird von dem für Gesamtschulen zuständigen Referatsleiter im Kultusministerium geleitet.
Die Landesregierung erstellt derzeit die Entwürfe für die untergesetzlichen Regelungen. Der Auftrag der Arbeitsgruppe besteht darin, die Konzepte der untergesetzlichen Regelungen für die Gesamtschulen vor dem Hintergrund der bisherigen Gesamtschulpraxis und Gesamtschulerfahrungen zu erörtern und zu reflektieren. Dies soll noch vor dem gesetzlich vorgeschriebenen Anhörungsverfahren geschehen.
Zu Frage 2: Es ist beabsichtigt, die Entwürfe der untergesetzlichen Regelungen zum Jahreswechsel in das Anhörungsverfahren zu geben und dann im Frühjahr 2010 in den Amtsblättern mit Wirkung zum 1. August 2010 zu veröffentlichen. Die Schulen werden auf diese Weise frühzeitig über die neue Rechtslage in Kenntnis gesetzt.
Zu Frage 3: Die Vorschläge der Landesregierung zu den notwendigen Änderungen sind im Rahmen der Schulgesetzberatungen insbesondere im Kultusausschuss ausführlich dargelegt worden. Diese sind u. a. der Beginn der zweiten Fremdsprache im Schuljahrgang 6, die Differenzierung auf drei Anspruchsebenen in den Fächern mit äußerer Fachleistungsdifferenzierung bei gleichzeitiger Möglichkeit des Abweichens in den Schuljahrgängen 7 und 8 - das habe ich in den Vorbemerkungen schon dargestellt -, die Führung einer Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe im 10. Schuljahrgang und die Zuweisung in die Einführungsphase auf der Grundlage der Schülerleistungen in den vier Differenzierungsfächern und den übrigen Fächern, die Neugestaltung der Stundentafel mit Blick auf die 260 fachbezogenen Gesamtstunden in den Schuljahrgängen 5 bis 12 bis zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife nach zwölf Schuljahren sowie die Bestandsschutzregelung für die nach Schuljahrgängen gegliederten Kooperativen Gesamtschulen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Damit hier keine Legendenbildung passiert: Wir haben nicht die ausführlichsten Beratungen zum Schulgesetz gehabt, sondern die knappsten, die es in diesem Landtag jemals gegeben hat.
(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN - Heinz Rol- fes [CDU]: Was stellen Sie für eine Frage?)
Ich erinnere nur daran, dass wir nach der Anhörung drei Tage Zeit für die Auswertung hatten, ohne dass ein Protokoll vorgelegen hat, das so schnell auch nicht vorliegen konnte.
Da in Niedersachsen bei der Schulwahlentscheidung nach dem 4. Schuljahr der freie Elternwille gilt, frage ich die Landesregierung: Warum will die Landesregierung den freien Elternwillen bei der Entscheidung, ob das Abitur nach acht oder nach neun Jahren gemacht wird, bei der Anmeldung an einer Integrierten Gesamtschule nicht gelten lassen?