Protokoll der Sitzung vom 26.11.2009

des Ministeriums für Inneres, Sport und Integration auf die Frage 4 der Abg. Kreszentia Flauger (LIN- KE)

Welche Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE im Niedersächsischen Landtag werden mit welchen Mitteln und in welchem Umfang vom Verfassungsschutz beobachtet?

Im April und September 2008 stellte die Fraktion DIE LINKE jeweils Anfragen an die Niedersächsische Landesregierung, in denen um die Beantwortung von Fragen zur Beobachtung durch den Verfassungsschutz gebeten worden war. Beide Anfragen wurden unter Berufung auf die Geheimhaltung nicht beantwortet (Drs. 16/244 und Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der Fragestellerin im Rahmen der Fragestunde am 18. September 2008).

Die Landesregierung verwies darauf, dass sie zur Beobachtung von Abgeordneten die „zur Verfügung stehenden Mittel“ nutze. Eine Erklärung der Begrifflichkeiten und eine Mitteilung über die Namen der beobachteten Abgeordneten, des zeitlichen Umfangs und der zur Beobachtung verwendeten Mittel blieb allerdings aus. Als Begründung gab die Landesregierung an, dass Aussagen zu den „geheimhaltungsbedürftigen“ Angelegenheiten des Verfassungsschutzes, insbesondere in Bezug „auf dessen Arbeitsweise, Strategie und Erkenntnisstand in Bezug auf bestimmte Personen oder Organisationen grundsätzlich nur in den dafür vorgesehenen Gremien“ des Landtags getroffen würden.

Unabhängige Experten bewerten die Beobachtung von Abgeordneten durch den Verfassungsschutz nicht nur als höchst bedenklich, sondern vertreten die Position, dass dadurch auch die Möglichkeit, ihrer politischen Arbeit nachzugehen, stark eingeschränkt wird.

Am 31. Juli 2009 gestand das Bundesverfassungsgericht Abgeordneten das Recht auf Aufklärung hinsichtlich ihrer Überwachung durch Geheimdienste zu. Das Gericht räumte den Informationsrechten der Parlamentarier schon deshalb ein besonderes Gewicht ein, weil eine nachrichtendienstliche Beobachtung der Abgeordneten „erhebliche Gefahren im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit“ berge. Nach Aussage des Gerichts sei es nicht ausreichend, ausschließlich zuständige parlamentarische Kontrollgremien zu informieren. Auch die Mitglieder des Niedersächsischen Landtags können somit grundsätzlich Auskünfte zu ihrer Beobachtung durch den Verfassungsschutz verlangen.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche Abgeordneten der Linksfraktion im Niedersächsischen Landtag werden vom niedersächsischen Verfassungsschutz in welchem Umfang beobachtet, und seit wann erfolgt die Beobachtung?

2. Werden bei der Beobachtung dieser Abgeordneten nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt und, falls das der Fall ist, in welchem Zeitraum und gegen welche Abgeordneten?

3. Welche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Linksfraktion im Niedersächsischen Landtag (inklusive Wahlkreismitarbeiterinnen und -mit- arbeiter) werden vom niedersächsischen Verfassungsschutz in welchem Umfang, seit wann und mit welchen nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet?

Die Landesregierung hat - insbesondere in den jährlichen Verfassungsschutzberichten des Ministeriums für Inneres, Sport und Integration - kontinuierlich dargelegt, dass die Partei DIE LINKE, zuvor Die Linkspartei.PDS bzw. Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), tatsächliche Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen im Sinne des § 3 Abs. 1 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes (NVerfSchG) bietet. Dem gesetzlichen Auftrag folgend, wird die Partei durch die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde beobachtet. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nach § 6 Abs. 1 NVerfSchG ist dabei nicht ausgeschlossen, wenn die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen einen Einsatz zulassen und insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, an den angesichts der besonderen Stellung von Parteien und ihren Abgeordneten im Grundgesetz (Artikel 21) hohe Anforderungen gestellt werden, gewahrt ist.

Die Rechtmäßigkeit dieser Beobachtung der Partei DIE LINKE durch den Verfassungsschutz ist zuletzt durch das Oberverwaltungsgericht NordrheinWestfalen (OVG NRW) mit Urteil vom 13. Februar 2009 (16 A 845/08) bestätigt worden. Das Gericht stellte in seinem Urteil fest, dass die Gesamtschau aller vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte darauf hindeutet, dass die Parteien PDS, Die Linkspartei.PDS und heute DIE LINKE gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgten und weiterhin verfolgen. Daher erklärte auch das OVG NRW, dass eine weitere nachrichtendienstliche Aufklärung erforderlich erscheint.

Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Die Partei PDS, die Linkspartei.PDS bzw. DIE LINKE wird seit 2003 durch die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde beobachtet. Eine Beobachtung von Einzelpersonen, wie in den Fragen 1 und 2 unterstellt, wird durch die Verfassungsschutzbehörde nur in besonderen, in § 4 Abs. 1 Satz 3 NVerfSchG geregelten Ausnahmefällen durchgeführt. In diesem Sinne werden keine Abgeordneten der Linksfraktion im Niedersächsischen Landtag von der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde beobachtet.

Die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde beobachtet die Partei DIE LINKE auf der Grundlage des § 3 Abs. 1 NVerfSchG. Für die Bewertung der Partei ist deren gesamtes Auftreten maßgebend. Parteien manifestieren sich, wie auch andere Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes, durch Äußerungen und Handlungen ihrer Mitglieder, wobei bei Parteien auch ihre Abgeordneten eingeschlossen sind. In diesem Sinne werden auch personen- und sachbezogene Informationen von Abgeordneten der niedersächsischen Landtagsfraktion der Partei DIE LINKE, die für die Bewertung der Partei und zur Aufklärung des bestehenden Verdachts relevant sind, durch die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde erhoben und gespeichert. Zu diesen Informationen gehören u. a. biografische Daten der Abgeordneten, deren Funktionen innerhalb der Partei, Mitgliedschaften in extremistischen Zusammenschlüssen der Partei bzw. frühere Mitgliedschaften in extremistischen Personenzusammenschlüssen sowie Kontakte zu in- und ausländischen extremistischen Parteien und Gruppierungen.

Zu 2: Zur Beantwortung dieser Frage wird auf die Ausführungen in der Vorbemerkung und zur Beantwortung der Frage 1 verwiesen.

Ergänzend zu diesen Ausführungen wird darauf hingewiesen, dass Detailinformationen darüber, welche Beobachtungsobjekte mit welchen konkreten nachrichtendienstlichen Mitteln von einer Verfassungsschutzbehörde überwacht werden, der Geheimhaltung unterliegen würden.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli 2009 (Az. 2 BvE 5/06) steht einer Geheimhaltung nicht entgegen. Auch nach dieser Entscheidung ist eine Auskunftsverweigerung gegenüber Abgeordneten bei parlamentarischen Anfragen aus Geheimhaltungsgründen möglich. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu entschieden, dass die Auskunftsverweigerung einer ge

sonderten Begründung bedarf, sofern die Geheimhaltungsbedürftigkeit nicht bereits evident ist.

Es ist offensichtlich, dass in diesem Fall öffentlich keine Informationen dazu gegeben werden können, wie und unter Einsatz welcher konkreten nachrichtendienstlichen Mittel die Verfassungsschutzbehörde eine Beobachtung durchführt. Bei einer Beantwortung dieser Frage müsste die Landesregierung in namentlich benannten Einzelfällen den konkreten Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel offenlegen, was zu einer Offenbarung der Arbeitsweise, Strategien, Methoden und des Erkenntnisstandes der Verfassungsschutzbehörde führen würde. Dies würde die Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde - hier die weitere Beobachtung des Beobachtungsobjektes - erheblich gefährden und dadurch dem Wohl des Landes Niedersachsen Nachteile zufügen und gleichzeitig schutzwürdige Interessen Dritter verletzen (Artikel 24 Abs. 3 der Niedersäch- sischen Verfassung). In solchen Fällen ist auch angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Geheimhaltung dieser Informationen offensichtlich erforderlich.

Zu 3: Siehe Vorbemerkung sowie die Antworten zu den Fragen 1 und 2.

Anlage 4

Antwort

des Ministeriums für Inneres, Sport und Integration auf die Frage 5 des Abg. Hans-Christian Biallas (CDU)

Freiwilliger Ordnungs- und Streifendienst in Niedersachsen

Zum Frühjahr 2007 wurde in mehreren Städten, Samtgemeinden und Gemeinden ein Freiwilliger Ordnungs- und Streifendienst (FOSD) eingerichtet.

Der FOSD soll die Präsenz der Ordnungsbehörden im öffentlichen Raum verbessern und dazu beitragen, das Sicherheitsgefühl der Bürger zu verbessern, Verstöße gegen Rechtsvorschriften oder gegen die allgemeinen Regeln eines geordneten Zusammenlebens zu verringern und Zivilcourage und bürgerschaftliches Engagement zu stärken.

Hier geht es einerseits um eine effektive Aufgabenwahrnehmung und einen konsequenten Gesetzesvollzug durch die Behörden, andererseits aber auch darum, dass unter den Bürgern eine Kultur des Hinsehens und der gegenseitigen Verantwortung entstehen und erhalten bleiben muss. Beides wird durch den Freiwilligen Ordnungs- und Streifendienst gefördert,

der an der Schnittstelle zwischen behördlichem Gesetzesvollzug und bürgerschaftlichem Engagement ansetzt.

Die Anzahl der Freiwilligen reicht von nur einer Person in Wittingen bis sieben in Nordhorn und vierzehn in Stade; die Einsatzkonzepte und Aufträge variieren je nach den örtlichen Gegebenheiten. Auswahl und Qualifizierung der Freiwilligen erfolgten unter Beteiligung der Polizeiakademie Niedersachsen und der örtlichen Polizeidienststellen.

Ich frage die Landesregierung:

1. In welchen niedersächsischen Städten und Gemeinden existiert ein Freiwilliger Ordnungs- und Streifendienst (FSOD) mit welcher Personenstärke?

2. Wie bewertet die Landesregierung die Arbeit des Freiwilligen Ordnungs- und Streifendienstes in Niedersachsen?

3. Welche Maßnahmen unternimmt die Landesregierung, damit weitere Städte und Gemeinden einen Freiwilligen Ordnungs- und Streifendienst einführen bzw. diesen - soweit er bereits besteht - in personeller Hinsicht ausweiten?

Im Jahr 2006 wurde das Pilotprojekt „Freiwilliger Ordnungs- und Streifendienst - FOSD“ initiiert, mit dem neue Wege beschritten werden sollten, um das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. An dem Pilotprojekt haben acht niedersächsische Städte und Gemeinden teilgenommen. Die Grundidee des FOSD ist, bürgerschaftliches Engagement für den Bereich öffentliche Sicherheit und Ordnung zu aktivieren und Bürgerinnen und Bürger gezielt in die Arbeit der Ordnungsbehörden mit einzubeziehen. Dadurch soll einerseits die Aufgabenwahrnehmung der Ordnungsbehörden intensiviert, andererseits aber auch unter den Bürgerinnen und Bürgern eine Kultur des Hinsehens und der gegenseitigen Verantwortung gefördert werden. Hierzu hat jede Pilotkommune ihr eigenes Konzept entwickelt.

Durch die Beteiligung ehrenamtlich tätiger freiwilliger Helferinnen und Helfer, die zusätzlich zu den eigenen Bediensteten eingesetzt werden, haben die Kommunen die Möglichkeit, ihre Präsenz im öffentlichen Raum zu erhöhen. Die Freiwilligen sollen dazu beitragen, Verstöße gegen Rechtsvorschriften oder gegen die allgemeinen Regeln eines geordneten Zusammenlebens zu verringern und dadurch auch das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger zu stärken. Dabei werden den Freiwilligen keine hoheitlichen Befugnisse übertragen, sondern sie sollen ausschließlich als engagierte Mitbürgerinnen und Mitbürger auftreten, die allerdings durch Stadt oder Gemeinde mit einem besonderen Auftrag ausgestattet sind und mit

den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in enger Verbindung stehen. Der FOSD bildet so eine Schnittstelle zwischen behördlichem Gesetzesvollzug und bürgerschaftlichem Engagement.

Die Polizeiakademie hat das Projekt begleitet und die Arbeit des FOSD in den Jahren 2007 und 2008 im Auftrage des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres, Sport und Integration evaluiert. Hierzu wurden Bürger- und Expertenbefragungen durchgeführt und die Arbeit des FOSD vor Ort beobachtet. Die Befragung von insgesamt 1 580 Bürgerinnen und Bürgern und die Befragung von insgesamt 166 Anwohnerinnen und Anwohnern sowie Nutzerinnen und Nutzern der durch die Freiwilligen bestreiften öffentlichen Anlagen und Plätze (im Fol- genden Befragungsgruppe Anlagen) haben eine hohe Zustimmung in der Bevölkerung ergeben. So fühlen sich seit Einrichtung des FOSD 33,8 % der Bürgerinnen und Bürger sicherer; bei der Befragungsgruppe Anlagen sagen dies sogar 51,3 %. Dass die Anzahl der Verstöße zurückgegangen ist, meinen 46,3 % der Bürgerinnen und Bürger und 60,8 % der Befragungsgruppe Anlagen. Dabei ist die Einschätzung der Befragungsgruppe Anlagen besonders interessant, weil sie mit dem FOSD am intensivsten in Berührung kommt und deshalb auch am ehesten in der Lage ist, die Wirkungen seiner Arbeit wahrzunehmen. Dies gilt vor allem auch für Veränderungen in der Einhaltung der allgemeinen Regeln eines geordneten Zusammenlebens. Auch außerhalb der Befragungsgruppe Anlagen ist die Akzeptanz für die Arbeit des FOSD hoch. So sprechen sich 82,1 % der Bürgerinnen und Bürger für eine Fortsetzung des Dienstes in ihrer Kommune aus.

Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: In folgenden niedersächsischen Städten und Gemeinde besteht derzeit ein FOSD:

Stadt Celle: 8 Freiwillige (5 Frauen und 3 Männer)

Gemeinde Goldenstedt: 3 Freiwillige (1 Frau und 2 Männer)

Gemeinde Hermannsburg: 5 Freiwillige (5 Män- ner)

Stadt Nordhorn: 9 Freiwillige (2 Frauen und 7 Männer)

Stadt Stade: 11 Freiwillige (2 Frau- en und 9 Männer)

Stadt Wittingen: 1 Freiwilliger (1 Mann)

Die Gemeinde Belm und die Samtgemeinde Bersenbrück haben das Pilotprojekt FOSD nicht in eine Dauereinrichtung überführt und jeweils zum 31. Dezember 2008 bzw. 31. Mai 2009 auslaufen lassen.

Zu 2: Mit der Einrichtung eines FOSD sind drei Hauptziele verknüpft:

- das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung zu steigern,

- die Anzahl der Verstöße gegen Rechtsvorschriften und die allgemeinen Regeln des Zusammenlebens zu reduzieren und

- die Entwicklung von Zivilcourage und bürgerlichem Engagement zu fördern.