Protokoll der Sitzung vom 29.04.2010

Dies wurde bisher von allen im Landtag vertretenen Parteien so vertreten und mitgetragen. Das ist gelebte Praxis in Niedersachsen und wird von mir nicht infrage gestellt. Das noch einmal deutlich.

(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Weitere Wortmeldungen zu Tagesordnungspunkt 21 a liegen mir nicht vor.

Ich eröffne die Besprechung zu Tagesordnungspunkt 21 b:

Obama unterstützen - Guantanamo-Gefangenen helfen - Schünemann in die Schranken weisen - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/2436

Dazu erteile ich jetzt dem Kollegen Adler von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

(Unruhe)

- Herr Kollege, Sie können noch etwas warten. Wer dringenden Gesprächsbedarf hat oder den eben diskutierten Punkt nachdiskutieren will, der kann das von mir aus außerhalb des Plenarsaals tun. Aber ich möchte, dass hier ein bisschen Ruhe einkehrt.

(Johanne Modder [SPD]: Auch an der Regierungsbank; das wäre nett!)

Bitte, Herr Kollege!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der US-Invasion in Afghanistan wurden über 1 000 Gefangene, vermeintliche El Kaida- oder Talibankämpfer, in Guantanamo inhaftiert.

(David McAllister [CDU]: US-Inva- sion?)

- Ja. Was denn sonst?

(Björn Thümler [CDU]: Unerhört!)

Den Gefangenen wurden kein Kriegsgefangenenstatus und auch keine ordentlichen Gerichtsverfahren zugebilligt. Es wurde ihnen auch die Zuerkennung des Habeas-Corpus-Act verwehrt. 2006 hat der Supreme Court der USA festgestellt, dass die Militärtribunale, die dort errichtet wurden, nicht rechtens sind. In Guantanamo wurde auch systematisch gefoltert. Der Untersuchungsrichter Baltasar Garzon vom Spanischen Nationalen Gerichtshof hat in seinen Untersuchungen hervorgebracht, was die Folter bedeutete: u. a. Schläge auf Hoden, Nahrungs- und Schlafentzug, Waterboarding, Beschmieren der Gefangenen mit Exkrementen.

Seit Existenz des Lagers gibt es Bemühungen zur Freilassung der Gefangenen. Mehrere Länder Europas haben Gefangene aufgenommen, u. a. Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien und die Schweiz. In der Zeit der von SPD und Grünen getragenen Bundesregierung ging es um die Freilassung von Murat Kurnaz, eines in Deutschland geborenen türkischen Staatsangehörigen, der auch Gefangener dort war. Aber die Freilassung konnte damals nicht durchgesetzt werden. Kein Ruhmesblatt für die damalige Bundesregierung von Grünen und SPD. In der Zeit der Großen Koalition ging es um die Freilassung von ein paar Uiguren, also von chinesischen Staatsangehörigen, die nicht nach China zurückkehren konnten. Auch damals hat die Bundesregierung versagt. Die Flüchtlinge sind dann in einem kleinen Pazifikstaat untergekommen, in dem sie heute noch leben.

Heute gibt es in Guantanamo noch 200 Gefangene; darunter 50, gegen die strafrechtlich überhaupt nichts vorliegt und um deren Freilassung es jetzt geht. Es geht also um eine Handvoll Gefangene, die, wenn auf Europa verteilt würde, auf Deutschland zukämen. Es hat Äußerungen aus der Bundesregierung gegeben, nach denen Deutschland ein paar von ihnen mit aufnehmen könnte.

(David McAllister [CDU]: Könnte!)

Kaum sind diese Äußerungen gefallen, haben sich die Innenminister einiger Länder - allen voran der Innenminister aus Bayern, aber auch der niedersächsische Innenminister Schünemann -, gegen eine solche Aufnahme ausgesprochen. Dabei geht es hier um einen Akt der Humanität.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Damit hat er es nicht so!)

Es geht ferner darum, dem amerikanischen Präsidenten Obama zu helfen, sein Wahlversprechen einzulösen; denn er hatte es in den Vereinigten Staaten nicht ganz einfach. Die Widerstände gegen die Auflösung dieses Lagers sind beträchtlich. Es gibt dagegen ganz erhebliche Widerstände. Er kann es ohne Hilfe von außen offenbar nicht schaffen. In einer solchen Situation ist Solidarität gefragt, nicht jedoch eine Politik, die der Bundesregierung auch noch in den Rücken fällt.

(Beifall bei der LINKEN)

Nichts anderes hat Innenminister Schünemann hier gemacht. Er hat außenpolitisch Porzellan zerschlagen und ist offenbar ein Hindernis. Den Akt der Humanität durchzusetzen, ist das, was wir beanspruchen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aus diesem Grund haben wir dieses Thema auch zum Gegenstand der heutigen Aktuellen Stunde gemacht.

Herr Ministerpräsident, greifen Sie ein! Weisen Sie diesen Innenminister in die Schranken, und sorgen Sie dafür, dass in Niedersachsen ein Stück Humanität durchgesetzt wird! Sorgen Sie dafür, dass dem Präsidenten Obama an dieser Stelle geholfen wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erteile der Kollegin Polat von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen macht sich schon seit Jahren für eine Aufnahme unschuldiger Häftlinge aus Guantanamo stark. Auch heute noch steht Guantanamo neben Abu Ghraib und Bagram als weltweites Symbol für die Verletzung der Menschenrechte und den Ver

lust menschenrechtlicher und moralischer Prinzipien im Kampf gegen den Terrorismus. In diesem Moment sitzen noch genau 180 Menschen in den Zellen des US-Gefangenenlagers Guantanamo auf Kuba und hoffen, dass es Länder gibt, die endlich ihrer Aufnahme zustimmen. Eines muss Ihnen doch klar sein: Diese Menschen, die von den USA zu Unrecht inhaftiert und ihrer Rechte beraubt worden sind, sollten jetzt ein Recht darauf haben, zu entscheiden, nicht in das Land einreisen zu müssen, das ihnen dieses Unrecht angetan hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die Hauptverantwortung für eine Auflösung von Guantanamo - das ist klar - liegt bei den Vereinigten Staaten von Amerika. Die Verantwortung für die Achtung des Völkerrechts und der Menschenrechte obliegt jedoch allen demokratischen Staaten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Bundesrepublik Deutschland ist in der humanitären Pflicht, Gefangene aufzunehmen, gegen die von den USA keine strafrechtlichen Vorwürfe erhoben wurden. Das, meine Damen und Herren, gilt auch für Niedersachsen.

Am 3. März bekräftigte der Bundesminister des Auswärtigen in seiner Rede vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, dass der Einsatz für die Menschenrechte im ureigensten Interesse der Bundesrepublik Deutschland sei. Menschenrechtspolitik erfordert konkrete Handlungen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mit der Aufnahme zu Unrecht Inhaftierter aus Guantanamo würden wir in Niedersachsen nicht nur zur Stärkung des Völkerrechts und der Menschenrechte beitragen, sondern, liebe Kolleginnen und Kollegen, zugleich die moralische Position des Westens in der Welt verbessern; denn gleichzeitig leisten wir einen substanziellen Beitrag für die eigene Sicherheit. Der Fortbestand von Guantanamo bietet - das muss uns allen klar sein - eine ideologische Grundlage für den weltweiten Terrorismus.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Menschenrechtspolitik besteht nicht nur aus dem Zeigen mit dem Finger auf ferne Länder und aus dem Schwingen von Sonntagsreden, meine Damen und Herren, sondern Menschenrechtspolitik

bedeutet auch, die Innenpolitik und das eigene konkrete Handeln, Herr Schünemann, nach menschenrechtlichen Standards auszurichten. Das haben die CDU-Innenminister offensichtlich vergessen.

Die Bundestagsfraktion der Grünen hat konsequenterweise einen Antrag „Umgang mit Guantanamo-Häftlingen“ in den Bundestag eingebracht, der letzte Woche im Parlament debattiert worden ist. Mit diesem Antrag werden die Koalitionsfraktionen von CDU und FDP um nichts anderes gebeten, als dem von ihnen gewählten Bundesinnenminister zu folgen, der eine solidarische Prüfung zur Aufnahme von Häftlingen fordert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bezeichnend war in der Plenardebatte allerdings, dass es der Union an einem Kompass in der Menschenrechtspolitik fehlt; denn große Teile der Union inklusive der Innenminister der Bundesländer sind in der Frage, ob die Aufnahme von Häftlingen aus Guantanamo solidarisch geprüft werden solle, ganz anderer Auffassung als die Bundeskanzlerin und der Bundesinnenminister. Von der Union hat es im Bundestag niemand für nötig gehalten, sich zu dem Thema zu äußern. Stattdessen hat man den Parlamentarischen Staatssekretär nach vorn geschickt.

Diese Querelen und unsachlichen Äußerungen insbesondere der Herren Innenminister Schünemann und Herrmann wären nicht weiter neu, wenn die Leidtragenden dieser Querelen nicht unschuldige Menschen wären. Doch leider trägt die Union in der Guantanamo-Debatte ihre internen Streitigkeiten auf dem Rücken der Gefangenen aus, die ohne Grund und ohne Anklage seit Jahren eingesperrt sind, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vorverurteilungen, pauschale Plattheiten und vor allem das Spielen mit der Angst der Bevölkerung erinnern doch sehr stark an die alte Bush-Rhetorik. Meine Damen und Herren, US-Präsident Obama gerät natürlich zunehmend unter Druck. Am 22. Januar 2009 hatte Obama angekündigt, das Lager binnen eines Jahres aufzulösen. Der anvisierte Zeitplan ist jedoch nicht eingehalten worden.

Es ist angeklungen: Andere europäische Länder sind hier weiter. Andere europäische Länder sind ihrer humanitären Pflicht und ihrer Bündnispartnerschaft nachgekommen. Es sind Portugal, Irland, Belgien, Italien, Ungarn, Albanien und die Slowakei, die im Übrigen auch einer Entschließung des

Europäischen Parlaments vom 4. Februar 2009 nachgekommen sind, der mehr als 500 Abgeordnete des Europäischen Parlaments zugestimmt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Deshalb abschließend noch einmal: Da der Bundesregierung nun eine konkrete Anfrage der US-Regierung zur Aufnahme einiger Personen vorliegt, ist der Zeitpunkt für eine verantwortungsvolle Entscheidung im Sinne der Menschenrechte und der Bündnispartnerschaft gekommen. Die solidarische Prüfung der Bundesregierung zur Aufnahme von als nicht gefährlich eingestuften Personen aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen auf der Grundlage des § 22 des Aufenthaltsgesetzes würden wir daher begrüßen.