Protokoll der Sitzung vom 29.04.2010

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir fahren in der Aktuellen Stunde fort. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Helmhold das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte auf einige Aspekte eingehen, mit denen Gesundheitsminister Rösler in den letzten Tagen durchs Land gezogen ist, der dem Ärztemangel mit mehr Studienplätzen, der Abschaffung des Numerus clausus und einer Landarztquote begegnen will.

(Gabriela König [FDP]: Richtig!)

Zunächst möchte ich feststellen, dass trotz weitgehend stabiler Studierendenzahlen der Altersdurchschnitt der praktizierenden Hausärztinnen und Hausärzte besonders auf dem Lande steigt und wir zukünftig zunehmende Versorgungsprobleme zu erwarten haben. Trotz der gleichbleibenden Studierendenzahlen hat sich die Ärzteschaft also nicht aus sich selbst heraus verjüngen können. Das ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen, u. a. darauf, dass aus den von den Vorrednern schon genannten Gründen das Praktizieren auf dem Land nicht unbedingt die attraktivste Art ist, den Arztberuf auszuüben.

Meines Erachtens muss man allerdings bezweifeln, dass es als Gegenmaßnahme nützen würde, mehr Studienplätze einzurichten.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Denn nach dem Examen gehen 20 bis 30 % der Ärztinnen und Ärzte nicht in den ärztlichen Beruf, sondern in die Pharmabranche oder in die Wissenschaft. Weitere 20 bis 30 % steigen nach der Facharztausbildung komplett aus diesem Beruf aus - übrigens überwiegend Frauen, die sich dann wohl eher der Familie widmen. Dass dies mit den Bedingungen des Arztberufs im Moment kaum zu vereinbaren ist, ist allgemein bekannt. Ein weiterer nicht unerheblicher Teil geht übrigens ins Ausland, nicht zuletzt wegen der dort besseren Arbeits- und Vereinbarkeitsbedingungen.

Ein Anstieg der Zahl der Studienplätze würde also nicht unbedingt zur Lösung des Versorgungsproblems führen. In diesem Zusammenhang muss man auch bedenken, dass ein Medizinstudienplatz etwa 250 000 Euro kostet. Aus meiner Sicht wäre es wesentlich sinnvoller, die Arbeitsbedingungen so zu verbessern, dass die ausgebildeten Ärztinnen und Ärzte gerne in ihrem Beruf verbleiben. Wenn man jedoch über eine Aufstockung nachdenkt, müsste man dies sinnigerweise wohl im Zusammenhang mit der Bachelor/Master-Struktur des Studiums tun.

Der zweite Vorschlag des Bundesgesundheitsministers ist die Abschaffung des Numerus clausus. Nun gebe ich Herrn Rösler recht, dass sicherlich nicht derjenige der bessere Arzt wird, der das bessere Abitur hat. Aber würde die Abschaffung des Numerus clausus gegen den Ärztemangel auf dem Land helfen? Das wäre doch wohl nur dann der Fall, wenn man der Logik folgen würde, dass diejenigen, die ein schlechtes Abitur haben, später alle Landärzte werden wollen. Ich glaube, dass das nicht der Fall ist. Zumindest kann man sich darauf wohl nicht verlassen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Übrigens werden 60 % der Studienplätze in der Medizin ohnehin bereits jenseits des klassischen Numerus-clausus-Verfahrens von den Universitäten vergeben,

(Helge Limburg [GRÜNE]: Aha!)

sodass so etwas eigentlich auch kaum nutzen würde.

Zu dem Vorschlag einer Landarztquote werden erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken geäußert - auch vom ehemaligen Wissenschaftsminister -, weil dadurch das Recht der freien Berufswahl tangiert werden könnte.

Wichtig scheint tatsächlich zu sein, dass man die Arbeitsbedingungen der Ärzte verbessert. Wir brauchen - das hilft nicht nur Ärztinnen und Ärzten - eine familienfreundliche Infrastruktur. Außerdem brauchen wir eine andere Vergütung der Hausärzte in unterversorgten Regionen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Es kann z. B. nicht sein, dass ein Hausarzt auf dem Land, weil er alleine ist, also keine Kollegen mehr hat, und zwangsweise sehr viele Patienten versorgen muss, durch das System der Vergütung so abgestraft wird, dass er diese Versorgung nicht mehr ausreichend honoriert bekommt, weil an einer Stelle gesagt wird: Jetzt ist Schicht!

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Wir brauchen die Kooperation zwischen den unterschiedlichen Gesundheitsberufen, und wir brauchen neue Versorgungsformen.

(Gabriela König [FDP] und Dr. Gabrie- le Heinen-Kljajić [GRÜNE] diskutieren lebhaft miteinander)

Frau Helmhold, ich bitte um Nachsicht. Irgendwie muss ich den Streit zwischen Frau König und Frau Heinen-Kljajić bereinigen.

Nicht meinetwegen streiten, ihr beiden!

Nehmen Sie doch bitte draußen Platz! Das ist sehr intensiv. Es ist fast spannender als hier vorne.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Entschuldigung! Nein, so war es nicht gemeint, Frau Helmhold.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Schöner Fauxpas! - Ursula Helmhold [GRÜ- NE]: Das ist wahrscheinlich, weil Sie mich nur von hinten sehen!)

Frau Helmhold, Entschuldigung, so war es nicht gemeint. - Ich bitte aber, das jetzt einzustellen, damit wir hier fortfahren können und Frau Helmhold die entsprechende Aufmerksamkeit bekommt. - Bitte sehr!

Ich nehme an, der Präsident hat das so gemeint, dass er die beiden Kolleginnen von vorne sehen kann und bei mir, weil er mich nur von hinten sieht, Mimik und Gestik nicht beurteilen kann.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Wolfgang Jüttner [SPD]: Gut, dass du ihm geholfen hast!)

Sie bekommen 15 Sekunden zusätzlich.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP - Wolfgang Jüttner [SPD]: 30!)

Herzlichen Dank, Herr Präsident! - Ich denke z. B. an mobile Arztstationen und an medizinische Versorgungszentren dort, wo die Versorgung unterdurchschnittlich ist.

Man darf aber auch nicht unerwähnt lassen, dass es sich bei dem Problem auf dem Lande um ein Verteilungsproblem handelt. Die Zahl der ambulant tätigen Ärzte ist in den letzten Jahren um 50 %

gestiegen, wie Herr Schwarz bereits dargestellt hat. Wir haben in Niedersachsen 89 % überversorgte Planungsbereiche. Daher kann man nicht generell von einem Ärztemangel sprechen und auch nicht fordern, dass wir grundsätzlich mehr Ärzte brauchen. Der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen hat in der Neuen Presse heute ausgeführt, dass die Versorgungsquote mit Hausärzten z. B. in Northeim 130 % beträgt, aber in Gifhorn nur 80 %.

(Glocke des Präsidenten)

Das bedeutet, dass man hier Überkapazitäten abbauen und dort Unterkapazitäten erhöhen muss.

An dieser Stelle ist auch die Selbstverwaltung gefragt. Meines Erachtens müssen wir sehr genau differenzieren, wofür wir zuständig sein können und was die Selbstverwaltung selbst leisten muss. Sie hat diesen Auftrag übernommen. Dann müssen auch in diesem Bereich die Hausaufgaben gemacht werden.

Kommen Sie bitte zum Schluss!

Die Planungs- und Niederlassungszonen müssen ebenso geändert werden wie die Vergütungsgrundsätze. Die entsprechenden gesetzlichen Regelungen müssen dann von den Selbstverwaltungsorganen eingefordert werden. Das soll dann bitte gemacht werden.

Im Übrigen finde ich den Vorschlag von Herrn Rösler gar nicht so schlecht, in überversorgten Gebieten frei werdende Praxen zu sperren. Dass die Ärzte dagegen Sturm laufen, wie heute in der Welt zu lesen ist, kann ich gut verstehen; denn eigentlich ist das fast sozialistische Planwirtschaft, wie der Kollege Schwarz und ich eben festgestellt haben. Damit müssen aber Sie fertig werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Mundlos das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Jahren haben CDU und FDP dieses

Thema bereits auf die Tagesordnung gesetzt. Wir haben auch eine Anhörung dazu durchgeführt und der Landesregierung Arbeitsaufträge gegeben. Ich komme noch dazu. Vieles ist inzwischen geschehen.

Herr Schwarz tut jetzt so, als habe er dieses Thema entdeckt. Dazu kann ich nur sagen: Herr Schwarz, Sie haben zwei Jahre gebraucht. In der Anhörung selber haben Sie die Sachen überwiegend bekrittelt und kaum ein gutes Haar an den Dingen gelassen.

(Uwe Schwarz [SPD]: Es gab einen Änderungsantrag von uns! Darin stand das Gleiche!)

Es ist schön, dass Sie jetzt mit im Klub sind und auch etwas für die hausärztliche Versorgung tun wollen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Aufgaben eines Hausarztes sind sehr vielfältig. Sie gehen weit über Diagnose, Therapie und Prävention hinaus. Auch Beratung und Vernetzung mit anderen Gesundheitspartnern gehören mit dazu.

Der Hausarzt hat darüber hinaus eine familienärztliche und eine soziale Funktion. Das ist nicht zu unterschätzen.