Protokoll der Sitzung vom 18.08.2016

Wir müssen stets im Blick behalten: Rechtliche Betreuung bedeutet für die betroffenen Personen eine ganz wesentliche Einschränkung ihrer Selbstbestimmung. An oberster Stelle steht daher die Vermeidung rechtlicher Betreuung.

Vor diesem Hintergrund stelle ich mich gern den Anforderungen der Nrn. 2 und 3 des Entschließungsantrags. Das Sozial- und das Justizministerium haben die beteiligten Akteure bereits für Ende September 2016 zu einem Runden Tisch Betreuung eingeladen.

Last but not least: Die Zahl der Betreuungsverfahren hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Damit nimmt auch die Bedeutung der ehrenamtlichen Betreuer weiter zu. Deren Unterstützung liegt mir ganz besonders am Herzen. Dabei geht es nicht nur um finanzielle Überlegungen, sondern auch um das Zeichen für die Betreuten, dass die Gesellschaft sie nicht fallen lässt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben in letzter Zeit ganz umfangreiches Werbe- und Informationsmaterial erstellt, um den ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuern eine Hilfe an die Hand zu geben. Wir veranstalten regelmäßig einen Tag der ehrenamtlichen und rechtlichen Betreuerinnen und Betreuer, um ihnen die Anerkennung zuteilwerden zu lassen, die sie für ihre Arbeit tatsächlich verdienen.

Ich fasse zusammen: Die Landesregierung begrüßt den Entschließungsantrag aller Fraktionen und wird sich nachdrücklich für seine Umsetzung einsetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Wir sind jetzt am Ende der Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit die Anträge in der sich aus der Beschlussempfehlung ergebenden geänderten Fassung annehmen will, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist das einstimmig so beschlossen.

Ich rufe jetzt auf den

Tagesordnungspunkt 25: Abschließende Beratung: Das Angebot von ambulanten Psychotherapiemöglichkeiten für Sexualstraftäter ausbauen! - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/4360 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen - Drs. 17/6263

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag abzulehnen.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Beratung. Das Wort hat der Kollege Volker Meyer, CDU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sicherheit für die Bevölkerung und eine erfolgreiche Resozialisierung verurteilter Straftäter sind Maßstab und Richtschnur für den Justizvollzug in Niedersachsen. Dabei sind Sicherheit und soziale Integration gleichwertige Vollzugsziele in Niedersachsen. Der Weg der Sicherheit bei gleichzeitiger sozialer Integration wurde von unseren ehemaligen Justizministern, Elisabeth Heister-Neumann und Bernd Busemann, erfolgreich gestaltet.

In Gesprächen mit den Experten wurde in den vergangenen Jahren immer wieder auf das Pro

blem der unzureichenden therapeutischen Versorgung von Hunderten nicht in Haft befindlicher Sexualstraftäter - mit der Gefahr potenziell neuer Opfer - hingewiesen. Weiterhin wurde immer wieder auf das Problem fehlender Angebote im Bereich der ambulanten Behandlungsangebote für Sexualstraftäter in der Fläche aufmerksam gemacht. Es ist unstrittig, dass sich im Land Niedersachsen unterschiedliche regionale Strukturen entwickelt haben und dass es für diesen Bereich durchaus viele Ansatzpunkte für eine qualitative, vor allem aber auch für eine quantitative Verbesserung gibt.

Vor diesem Hintergrund haben wir Ihnen vorgeschlagen, drei Modellversuche durchzuführen, die hinsichtlich der Organisation und Durchführung von Therapien durchaus unterschiedlich sind. Nach Abschluss der Modellversuche hätte man auf Grundlage der Ergebnisse ein System mit ambulanten Behandlungsangeboten implementieren können, um eine qualitative und quantitative Verbesserung gegenüber dem heutigen Stand zu erreichen.

Wir waren sehr erfreut, dass Experten diesen Entschließungsantrag als sehr gelungen bezeichneten, da er einen Weg aufzeigt, wie in den nächsten Jahren mit diesem wichtigen Thema umgegangen werden kann, dass man Erfahrungen sammeln kann und das sinnvollste Projekt dann entsprechend weiterentwickeln könnte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Justizministerium und das Sozialministerium trafen in den entsprechenden Ausschusssitzungen zu unserem Antrag folgende Feststellungen. Erstens. Es ist außerhalb der Ballungsräume vielerorts nicht möglich, eine ausreichend therapeutische Versorgung sicherzustellen. Zweitens. Es fehle an niedergelassenen Therapeuten, die bereit sind, Sexualstraftäter zu behandeln. Drittens. Bislang würden nur wenige entlassene Sexualstraftäter von einer der zehn forensischen Ambulanzen im Maßregelvollzug betreut.

Im Zusammenhang mit Punkt 3 führte das Sozialministerium weiter aus, dass es dabei zukünftig nur um eine qualifizierte Betreuung einer bestimmten, relativ kleinen Gruppe von verurteilten Sexualstraftätern und anderer Gefangene gehen kann.

Genau diese seit Jahren bekannten Problem sind es, die uns dazu bewogen haben, diesen Antrag zu stellen und diese Modellprojekte vorzuschlagen, um das Angebot von ambulanten Psychothera

piemöglichkeiten für Sexualstraftäter sowohl quantitativ als auch qualitativ auszubauen.

Das Gruppenangebot in Lingen wird aktuell mit sechs Sexualstraftätern durchgeführt. Eine ähnliche Gruppe ist in Lüneburg in Planung. Für den sehr kleinen Teil der ehemaligen Sicherungsverwahrten wird die Nachsorge durch die forensische Ambulanz in Rosdorf durchgeführt. Damit bleiben Hunderte von Sexualstraftätern weiterhin alleine mit ihrem Problem, eine adäquate Therapie bei einem niedergelassenen Therapeuten zu finden, bzw. haben keine Chance, zeitnah ein Therapieangebot zu erhalten.

Sich seitens der Regierungsfraktionen dann im Sozialausschuss hinzustellen und zu sagen, es sei alles in bester Ordnung, obwohl Hunderte von Sexualstraftätern keine Therapiemöglichkeit haben, macht sehr deutlich, dass Sie die Problematik nicht erkennen wollten oder nicht erkannt haben. Sie sind nicht bereit, etwas für eine geringere Rückfallquote zu versuchen. Dies ist für uns besonders enttäuschend.

Gerade die Erfahrungen mit den psychotherapeutischen Fachambulanzen in Bayern zeigen, dass die dortigen Behandlungen zu einem deutlichen Rückgang der Rückfallquoten bei Sexualstraftätern führen. Diese Chance sollten wir auch in Niedersachsen nutzen.

(Zustimmung bei der CDU)

Daher appelliere ich noch einmal an Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen: Geben Sie sich einen Ruck, unterstützen Sie einen Antrag, der gerade auch die Experten in diesem Bereich überzeugt hat! Kommen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot und Grün, heraus aus Ihrem Modus der reinen Verwaltung der Justizpolitik! Wagen Sie mit uns innovative Projekte zur Gestaltung eines modernen niedersächsischen Strafvollzugs! Unterstützen Sie unseren Antrag!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Meyer. - Jetzt hat sich Dr. Marco Genthe, FDP-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in den letzten Monaten des Öfteren darüber

diskutieren müssen, dass Insassen des Maßregelvollzuges mit psychischen Problemen schwere Straftaten begangen haben. Bei der Diskussion ist immer wieder deutlich geworden, wie wichtig es ist, Täter mit psychischen Problemen zu therapieren. Auch aus solchen Tätern dürfen keine Wiederholungstäter werden. Wichtig ist es, diese Leute zu einem straffreien Leben zu bringen und gleichzeitig die öffentliche Sicherheit nicht zu gefährden.

Meine Damen und Herren, das gilt nicht nur für Menschen im Maßregelvollzug, sondern auch für Straftäter, die unter Bewährungsaufsicht gestellt wurden. Dazu bedarf es eines Systems von ambulanten Behandlungsmöglichkeiten. Das Sozialministerium hat bereits vor zehn Jahren die Idee entwickelt, forensische Ambulanzen für Insassen des Maßregelvollzuges zu etablieren. So konnten überwiegend erfolgreich ca. 500 entlassene Maßregelvollzugspatienten therapiert und behandelt werden. Da stellt sich selbstverständlich die Frage, ob auch entlassene Strafgefangene, insbesondere Sexualstraftäter, in den forensischen Ambulanzen behandelt werden können. Insoweit gibt es zwischen dem Sozialministerium und dem Justizministerium eine Arbeitsgruppe, die bereits entsprechende Vereinbarungen zwischen den Häusern entwickelt hat.

Wie immer, meine Damen und Herren, ist bei einer solchen Diskussion die Frage der Finanzierung eine sehr wichtige. Da es jedoch in Bezug auf den Gesamthaushalt um wirklich überschaubare Beträge geht und, wie wir durch die verschiedenen Fällen wissen, um eine sehr wichtige, drängende Frage der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, kann das nicht entscheidend sein.

Am Ende, meine Damen und Herren, halte ich es für sinnvoll, die von der CDU angeregten Modellprojekte zu etablieren, um weitere Erfahrungen in diesem Bereich zu sammeln. Insbesondere halte ich es für vernünftig, die vorgeschlagene Evaluierung Ende 2018 durchzuführen, um die dann notwendigen Konsequenzen ziehen zu können. Die Antwort von Rot-Grün in dieser Frage, einfach so weiterzumachen, ist mir zu wenig. Die FDP-Fraktion wird dem Antrag der CDU zustimmen.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Genthe. - Bevor ich dem nächsten Redner, Herrn Marco Brunotte, das Wort erteile, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass der

Wirtschaftsminister am Ende der Tagesordnung eine Unterrichtung zu VW abgeben wird.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Marco Brunotte, Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Morgen sind sie wieder unsere Nachbarn.“ Das ist ein Slogan, den wir in Vollzugsdebatten relativ häufig benutzen, um den gesellschaftlichen Anspruch, die gesellschaftliche Aufgabe deutlich zu machen, die uns alle in der Reintegration von Straftäterinnen und Straftätern betrifft, wenn sie ihre Strafe abgesessen und sich mit ihrer Straftat intensiv auseinandergesetzt haben. Es ist eine Aufgabe für uns alle, dafür die Voraussetzungen zu schaffen, dass diese Integration gelingen kann, dass ein Platz in der Gesellschaft wieder vorhanden ist und dass natürlich auch eine Aufarbeitung der Straftat und auch der die Straftat verursachenden Rahmenfaktoren erfolgen kann.

Es ist bei der Klientel, über die wir hier reden, bei Sexualstraftätern, eine besondere Schwierigkeit, diese Reintegration stattfinden zu lassen. Häufig ist das Stigma selbst bei erfolgreicher Therapie noch immer vorhanden. Man erlebt eine Distanzierung. Und somit ist es schwierig, nach der Straftat zurückzukommen und dann wieder diesen Platz einzunehmen.

Der Antrag, den die CDU ins Plenum gebracht hat, ergänzt sich mit einem Impulspapier des VDS, des Verbandes der Sozialarbeiter in der niedersächsischen Strafrechtspflege, ein Verband, mit dem wir seit vielen Jahren immer wieder im Austausch stehen, der Impulse gibt und der ein wichtiger Partner für uns ist.

Ich vermute, dass der Antrag zumindest in Teilen - der Kollege Meyer hat schon den Link gesetzt - aus diesem Verband kommt. Auch wir als SPD haben uns natürlich - gemeinsam mit den Grünen - damit auseinandergesetzt.

Wir verweigern uns nicht einem modernen Vollzug. Wir haben in den letzten Jahren viele Dinge angeschoben. Das ist kein einfaches „Weiter so!“. Aber die Frage ist: Mit welchen Strukturen reagiere ich auf welche Herausforderung, auf welche Problemstellung?

Zwischen dem Justizministerium und Sozialministerium ist eine Kooperationsvereinbarung zur Öffnung der forensischen Institutsambulanzen für

Sexualstraftäter geschlossen worden, um Vorhandenes zu nutzen und Doppelstrukturen auch unter wirtschaftlichen Aspekten zu vermeiden.

Einen Flaschenhals merken wir immer wieder bei allen diesen therapeutischen Ansätzen: die Rekrutierung von geeignetem Personal. Der Markt bei Psychologen, Psychiatern und Therapeuten ist oftmals sehr eng, auch der Markt beim Pflegepersonal. Es fällt auch schwer, Stellen im Vollzug zu besetzen.