Protokoll der Sitzung vom 14.09.2016

(Christian Dürr [FDP]: Das war auch notwendig, weil die Gesetzesvorlage stümperhaft war!)

Das führt ganz praktisch zu einer größeren Übersichtlichkeit des Gesetzes. Die sogenannten Buchstabenparagrafen sind gestrichen worden. Es führt aber auch zu einer tiefgreifenden und strukturellen Erneuerung. Und diese, meine Damen und Herren, war auch dringend notwendig.

Zu den einzelnen Änderungen:

Mit dem Gesetz schaffen wir eine klare Eingrenzung und genauere Definition des Gewaltbegriffs. Zukünftig wird klar sein, dass nicht jede Farbschmiererei oder einfache Sachbeschädigung als Gewalt im Sinne dieses Gesetzes qualifiziert werden und zu einer Beobachtung durch den Inlandsnachrichtendienst führen kann.

Wir regeln erstmals in Deutschland klar die verschiedenen Phasen der Beobachtung. Wir legen ausdrücklich eine Verdachtsgewinnungs-, eine Verdachts- und eine Beobachtungsphase fest.

Wir verbessern bei der Datenerhebung den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Die Löschung und die Überwachung werden zukünftig durch einen besonders bestellten Aufsichtsbeamten gewährleistet.

Außerdem verbessern wir den Schutz für Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträger.

Wir stärken, meine Damen und Herren, den Minderjährigenschutz. Ursprünglich war geplant, wie es auch in anderen Ländern der Fall ist, das Mindestbeobachtungsalter auf 16 Jahre anzuheben. Die jetzige Regelung ist ein Kompromiss, natürlich als Reaktion auf den Fall Safia S., auf dieses schreckliche Verbrechen hier in Hannover.

Der Rechtsstaat muss auf solche Verbrechen reagieren. Er darf aber nicht überreagieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Minderjährige müssen auch weiterhin in erster Linie ein Fall für Präventionsarbeit und Sozialpolitik sein. Aber im Einzelfall wird es eben nach unserer Regelung auch zukünftig möglich sein, 14- und 15Jährige zu beobachten. Das wissen auch Sie, Herr Kollege Dr. Birkner, und insofern habe ich mich sehr über Ihre gestrige Pressemitteilung gewundert, die suggeriert, wir würden die Beobachtung von 14- und 15 -Jährigen generell ausschließen.

(Jörg Bode [FDP]: Das ist ein Miss- verständnis!)

Die Haltung der CDU dazu war erwartbar. Sie wollten schon früher möglichst weitgehend und unkontrolliert speichern und beobachten dürfen.

Die Haltung der FDP ist aber schlicht enttäuschend. Während Sie an anderen Stellen so tun, als würden Sie beim Ringen um einen sachlichen Ausgleich zwischen Freiheits- und Sicherheitsinteressen mitwirken, stimmen Sie hier in den Chor der reflexhaften Gesetzesverschärfer ein, den wir in den letzten Jahren nach nahezu jeder schlimmen Straftat im In- oder Ausland zu hören bekamen.

Meine Damen und Herren, die Zeiten des synchronen Grundrauschens der früheren Innenminister Schäuble und Schünemann sind zum Glück vorbei. Ihre oft verfassungswidrigen und stets abenteuerlichen Gesetzesvorhaben zur öffentlichen Sicherheit sind Geschichte. Dafür fällt jetzt, im Jahre 2016, die FDP in Niedersachsen als Bürgerrechtspartei leider aus. Für den ausgewogenen Ausgleich von Freiheits- und Sicherheitsinteressen fühlen sich in Niedersachsen nur Sozialdemokraten und Grüne verantwortlich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Um es noch einmal klar zu sagen, Herr Kollege Bode: Gefahrenabwehr kennt keine Altersgrenze, und das ist auch richtig so. Aber: Gefahrenabwehr ist in allererster Linie Aufgabe der Polizei, und auch das ist richtig so; da gehört diese Aufgabe hin. Am Trennungsgebot sollten und dürfen wir nicht rütteln. Auch wenn die CDU mit ihren Forderungen dieses wichtige Verfassungsgebot immer wieder in Frage stellt. Rot-Grün steht zu den Lehren aus unserer Geschichte - auf die Sie, Herr Busemann und andere, in der letzten Plenardebatte in anderem Zusammenhang so engagiert hingewiesen haben -, und zwar nicht nur aus den Lehren der NS-Zeit mit der Gestapo, sondern auch aus den Lehren der DDR-Staatssicherheit. Die Trennung von Exekutivbefugnissen und Beobach

tungsbefugnissen ist ein Kernelement unseres Grundgesetzes. Wir werden daran festhalten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wir streichen den sogenannten Großen Lauschangriff. Dazu hatte Schwarz-Gelb in Ihrer Regierungszeit, Herr Dr. Birkner, nie die Kraft.

Das Gesetz enthält klare Regelungen für den Einsatz von V-Leuten. Zukünftig dürfen Täter schlimmster Straftaten nicht mehr als V-Leute angeworben werden. Auch ist es verboten, dass Personen ihren wesentlichen Lebensunterhalt als Spitzel verdienen. Insbesondere gilt zukünftig der Vorrang „Ausstieg vor Informationsbeschaffung“. Wer ausstiegswillig ist, der darf nicht, wie in anderen Bundesländern geschehen, vom Nachrichtendienst dazu gedrängt werden, in einer extremistischen Szene weiterzumachen, nur damit es etwas mehr Informationen gibt. Wir müssen doch über jede Person froh sein, die aussteigt, und das schreiben wir auch gesetzlich fest, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir führen - vielleicht ein Randdetail, aber ich meine, es ist wichtig genug, um an dieser Stelle erwähnt zu werden - das Verbot ein, dass Kreditinstitute und andere Dienstleistungsanbieter den Betroffenen von Auskunftsverlangen durch den Nachrichtendienst allein deshalb Verträge kündigen oder andere Nachteile zufügen. Auch das wirkt vorzeitiger Stigmatisierung entgegen. Das ist übrigens etwas, was der Bund schon länger geregelt hat, was Schwarz-Gelb in Niedersachsen zehn Jahre lang aber immer wieder abgelehnt hat, obwohl die Vorschläge auf dem Tisch lagen. Auch an dieser Stelle stärkt dieses Gesetz den Schutz der Bürgerrechte.

Das Gesetz enthält engere Überprüfungsfristen für die Datenspeicherung.

Wir stärken die Auskunftsrechte und Berichtspflichten an Betroffene und an den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und erhöhen auch so die Transparenz. Künftig gilt: So viel Transparenz wie möglich, so viel Vertraulichkeit wie nötig, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir stärken die Rolle der G 10-Kommission. So muss diese z. B. bei längerfristigen Observationen oder auch bei V-Mann-Einsätzen zukünftig vorab

entscheiden. Unter Schwarz-Gelb waren längerfristige Observationen überhaupt völlig ungeregelt und unkontrolliert. Auch dem setzen wir jetzt ein Ende.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Schließlich stärken wir die Rolle der Landesdatenschutzbeauftragten und natürlich des Ausschusses für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes. Es wird zukünftig die Möglichkeit geben, sich bei der Kontrollarbeit im Ausschuss durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützen zu lassen, es gibt mehr Unterrichtungspflichten, und es gibt die Möglichkeit, dass der Ausschuss Sachverständige mit der Bearbeitung einzelner Fallkomplexe beauftragt.

Das sind wichtige Fortschritte. Dass Herr Kollege Dr. Birkner in seiner gestrigen Pressemitteilung kritisiert, dass der Sachverständige nicht von einem Fünftel der Ausschussmitglieder beauftragt werden kann, mag aus Sicht einer kleineren Fraktion - die wir ja durchaus auch sind - verständlich sein. Ich möchte Sie aber daran erinnern, dass Sie, Ihre Mehrheit, Ihre Landesregierung, in zehn Jahren Schwarz-Gelb dieses Instrument grundsätzlich abgelehnt haben. Insofern müssen Sie unseren Schritt als deutlichen Fortschritt anerkennen. Wir übernehmen die Regelung aus dem Bund. Im Bund hat sich z. B. mit dem Sachverständigen Jerzy Montag gezeigt, dass es auch bei einer Zweidrittelmehrheit gelingt, sich auf Sachverständige zu einigen, ohne dass man in eine Art Gutachterkrieg gerät und fünf Gutachter denselben Sachverhalt untersuchen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen: Mehr parlamentarische Kontrolle, engere Prüffristen, gleichzeitig Regelung der Internetaufklärung, Heraufsetzung des Beobachtungsalters, gleichzeitig Ausnahmen in wichtigen Fällen, engere Regelungen für V-Leute, Streichung des Großen Lauschangriffs, klare Regelung der Beobachtungsphasen, differenzierte und technisch angepasste Beobachtungsinstrumente - wir bekommen für unseren gut aufgestellten Verfassungsschutz das modernste Verfassungsschutzgesetz Deutschlands. Ich freue mich auf die Abstimmung gleich.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Limburg. - Jetzt hat das Wort der Abgeordnete Jens Nacke, CDU-Fraktion. Bitte schön, Herr Nacke!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute sprechen wir über das Verfassungsschutzgesetz. Ich denke, das ist der richtige Zeitpunkt, um noch einmal daran zu erinnern, dass, als wir mit der Gesetzesberatung begonnen haben, die Ausgangslage für dieses Gesetz denkbar schlecht gewesen ist. Die Politik des grünen Koalitionspartners der SPD war schon damals und ist bis heute geprägt von Misstrauen gegenüber den Sicherheitsbehörden des Landes, und dies galt und gilt insbesondere für den Verfassungsschutz. Breite Teile der Grünen haben damals auf dem Parteitag tatsächlich die vollständige Abschaffung des Verfassungsschutzes gefordert, und die heutige Fraktionsvorsitzende hat auf dem Parteitag die Mitarbeiter - Zitat - als „Scheißhaufen“ bezeichnet.

(Zurufe von der CDU: Pfui!)

Das war inakzeptabel.

(Zuruf von der CDU: Das ist Alzhei- mer!)

Die Koalition war in der Frage des Verfassungsschutzes zerstritten, und zwar so zerstritten, dass es zu dieser wichtigen Fragestellung keine Regelung im Koalitionsausschuss gab, sondern externe politische Kommissionen eingesetzt werden sollten, die dann entsprechende Vereinbarungen treffen sollten. Die einzige Festlegung war die Heraufsetzung des Alters für Beobachtungspersonen auf 16 Jahre - rein ideologisch geprägt, und schon damals falsch!

(Christian Dürr [FDP]: Richtig!)

Die Voraussetzungen waren schlecht, weil wir einen Minister hatten, der das Präsidentenamt des Verfassungsschutzes neu besetzt hat, rein politisch besetzt hat und dabei auf die Qualifikation verzichtet hat.

(Beifall bei der CDU - Helge Limburg [GRÜNE]: Das ist eine Frechheit! Un- erhört!)

Die Präsidentin des Verfassungsschutzes lieferte dann auch rechtzeitig. Zu einem politisch genehmen Zeitpunkt behauptete sie wahrheitswidrig, es würden Journalisten seitens des Verfassungsschutzes beobachtet. Schon damals haben wir

ihren Rücktritt gefordert. Er wäre schon zu dem Zeitpunkt richtig und dringend erforderlich gewesen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Jörg Bode [FDP]: Das kann ja jeder- zeit nachgeholt werden!)

Der Minister hat aus abhängig Beschäftigten eine Task Force gegründet, die dann einmal quer durch den Verfassungsschutz gemäht ist und die absurde Behauptung aufgestellt hat, es gebe eine Praxis der rechtswidrigen Speicherung, die wenigstens 40 % der Akten des Verfassungsschutzes beträfen. Der Minister hat sich diese Aussage zu eigen gemacht. Sie war immer falsch, und sie ist nie korrigiert worden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das, meine Damen und Herren, waren die Voraussetzungen. Und dann kam ein Gesetzentwurf, von dem man nur sagen kann: Er war unausgegoren, er war unpraktikabel, er war in wesentlichen Teilen verfassungswidrig - weil er nämlich Exekutivaufgaben auf das Parlament übertragen wollte -, und er war schlicht unbrauchbar.

Dann geschah in der Tat etwas Ungewöhnliches - dies hat der Kollege Limburg gerade angesprochen -: Dieses Parlament hat ein Gesetzgebungsverfahren auf den Weg gebracht, das es in dieser Form nur sehr selten, vielleicht noch nie gegeben hat, nämlich dass wir uns wirklich zwei Jahre Zeit genommen haben, dieses Gesetz vollständig neu zu formulieren, vollständig neu zu überlegen. Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst hat die unbrauchbare Arbeit des Ministers verworfen und einen vollständig neuen Gesetzentwurf geschrieben, der dann auch die entsprechenden Maßnahmen ergriffen hat und der beispielsweise verfassungswidrige Teile gegen Ihren zunächst erbitterten Widerstand irgendwann endlich aus diesem Gesetzentwurf gebracht hat.