Protokoll der Sitzung vom 15.09.2016

Bund auf, seinen Tierschutzplan den gesellschaftlichen Forderungen gemäß anzupassen. Auch EU-weit brauchen wir höhere Standards und einen höheren Förderspielraum, um die Fleisch- und Nutztierproduktion, die Haltung und die Verarbeitung näher an Tierwohlkriterien ausrichten zu können.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. Sie sind genau im Zeitlimit geblieben. - Für die CDU-Fraktion folgt jetzt Herr Abgeordneter Dammann-Tamke. Bitte sehr!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Janßen, ich will Ihnen in meiner Rede darlegen, warum wir einen Änderungsantrag eingebracht haben. Das haben wir im Übrigen sehr wohl schon im Fachausschuss getan und dabei auch mehr dazu ausgeführt, als ihn nur noch einmal zu verlesen, wie Sie es im Prinzip gerade getan haben, Herr Janßen.

2011 hat der niedersächsische Landwirtschaftsminister Gert Lindemann den Tierschutzplan auf den Weg gebracht. Er hat richtig gehandelt. Warum hat er richtig gehandelt, auch wenn dies nach wie vor in weiten Teilen des Berufsstandes sehr, sehr kritisch gesehen wird? - Er hat deshalb richtig gehandelt, weil uns beispielsweise die Niederländer beim Thema Legehennen und Verzicht auf das routinemäßige Kupieren der Schnäbel vorgemacht haben, dass es geht, und weil der Lebensmitteleinzelhandel auf diesen Zug aufgesprungen ist. Der Lebensmitteleinzelhandel hat die gesamte Branche unter Druck gesetzt, und auf diesen Druck hin hat der Zentralverband der Geflügelwirtschaft dann auch die entsprechenden Vereinbarungen mit der Politik getroffen.

Aber die Umsetzung des Tierschutzplans in Niedersachsen - so, wie sie von dieser Landesregierung praktiziert wird - ist in höchstem Maße fahrlässig. Warum? - Weil der Tierschutzplan nicht mehr ergebnisoffen, nicht mehr wissenschaftsbasiert, nicht mehr praxisorientiert ist und - was am wichtigsten ist - vom Tierhalter nicht mehr als leistbar betrachtet wird.

Woran machen wir das fest? - Die AG Folgenabschätzung wurde ganz einfach abgeschafft, und

das ganz abgesehen davon, dass in den verschiedenen Arbeitsgruppen nach dem Regierungswechsel personelle Umsetzungen erfolgten, die das Vertrauen der Landwirte in diese Arbeitsgruppen nicht erhöht haben.

Der Grund für unseren Änderungsantrag liegt aber vor allen Dingen darin, dass der Tierschutzplan ausschließlich Tierschutzaspekte betrachtet und nicht in eine ganzheitliche Betrachtung, wie es beispielsweise die AG Folgenabschätzung hätte machen können, eingestiegen ist, sondern sie sogar mit der Abschaffung dieser AG Folgenabschätzung ausgeblendet hat.

Ich möchte auf die Äußerungen des Ministers vom heutigen Morgen zum Tagesordnungspunkt Dringliche Anfragen verweisen, als er auf die Nachfrage zur Ökobilanz sagte, das Thema müsse ganzheitlich betrachtet werden. Genauso verhält es sich beim Thema Tierschutzplan. Auch hier muss es ganzheitlich betrachtet werden.

Ich nenne nur ein Beispiel. Seitdem wir in der Freilandhaltung auf das Kupieren der Schnäbel bei den Hennen verzichten, haben wir zweifelsohne optimale Haltungsbedingungen für unsere Hennen. Es geht hier nicht um Bio, konventionell oder Käfig - es ist Freilandhaltung. Aber es wird völlig ausgeblendet, dass der Anteil der Hennen, die durch Federpicken und Kannibalismus zu Tode kommen, in der Öffentlichkeit nicht mehr beleuchtet wird. Ich sage Ihnen: Für eine tote Henne spielt das Thema Tierwohl leider keine Rolle mehr.

(Beifall bei der CDU)

Was das Weitere zur ganzheitlichen Betrachtung angeht, muss ich Ihnen sagen: Das Thema Ressourcenverbrauch blenden Sie völlig aus. Weniger Tiere und Auslauf bedeuten ein Mehr an Futter, bedeuten ein Mehr an Energie, bedeuten ein Weniger an Filtertechnik. - Auch hier sind Sie weit weg von einer ganzheitlichen Betrachtung.

(Zuruf von Miriam Staudte [GRÜNE])

Ich will Ihnen sagen, warum wir einen Änderungsantrag eingebracht haben. In unserem Änderungsantrag finden Sie Begrifflichkeiten und Attribute wie leistbar, wirtschaftlich langfristig rentieren, Überforderung, Verständnis, Alleingelassenwerden, Rückhalt und Kosten - Begrifflichkeiten und Attribute, die Sie in Ihrem Antrag völlig ausblenden.

Jetzt komme ich zu dem von meinen beiden Vorrednern schon erwähnten Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung. Dieses

Gutachten ist hervorragend, und es beziffert die jährlichen Kosten für einen Umstieg auf eine gesellschaftlich akzeptierte Form der Nutztierhaltung in Deutschland auf 3 Milliarden Euro bis 5 Milliarden Euro jährlich.

Nehmen wir den Durchschnittswert von 4 Milliarden Euro; denn ich habe noch niemanden gefunden, der diese Angabe von 3 Milliarden Euro bis 5 Milliarden Euro infrage gestellt hat. Und für alle die, die mich jetzt so fragend anschauen: Ich habe Betriebswirtschaft im Bereich Agrarwissenschaft studiert, und deshalb folgen Sie bitte einfach meinem Rechenbeispiel:

In Niedersachsen betreiben wir ca. 35 % der Tierhaltung in Deutschland. 35 % von 4 Milliarden Euro sind 1,4 Milliarden Euro. 1,4 Milliarden Euro sind auf der Basis dieses wissenschaftlichen Gutachtens also der Betrag, den uns der Umbau zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung alleine in Niedersachsen jährlich kostet. Das sind keine Zahlen der CDU-Fraktion, sondern das ist auf Basis des Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirats errechnet worden.

Ich darf zitieren, was der Wissenschaftliche Beirat in seiner Zusammenfassung zu dieser Thematik gesagt hat:

„Ohne politische Begleitmaßnahmen würde eine solche Kostensteigerung aufgrund des Wettbewerbsdrucks in der durch Kostenführerschaft geprägten Fleisch- und Milchwirtschaft zur Abwanderung von Teilen der Produktion in Länder mit geringeren Tierschutzstandards führen, wodurch die Tierschutzindizes konterkariert würden.“

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Ja, wenn man keine Kennzeichnung macht!)

Meine Damen und Herren, dieses wissenschaftliche Gutachten zeigt in beeindruckender Art und Weise auf, dass Ihr Antrag, der da lautet „Schaffen von Rahmenbedingungen“, viel zu kurz springt. Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht über eine Situationsbeschreibung nicht hinaus. Die Ansätze in Bezug auf finanzielle Anreize für die Landwirte sind angesichts von 1,4 Milliarden Euro jährlich für Niedersachsen absolut marginal und geradezu lächerlich.

Der wichtigste Grund, weshalb Ihr Antrag völlig an der Realität vorbei geht: Eine gesellschaftlich akzeptierte Nutztierhaltung setzt eine Gesellschaft voraus, die auch bereit ist, für Lebensmittel und Fleisch und Eier aus artgerechter Tierhaltung dau

erhaft wesentlich mehr zu bezahlen. Und da habe ich, mit Verlaub, Bedenken. Gerade vor wenigen Tagen gab es die Schlagzeile, dass 50 % der Kinder in Deutschland in diesem Jahr nicht in Urlaub fahren konnten. Die sind nicht deswegen nicht in Urlaub gefahren, weil ihre Eltern keine Zeit für sie hatten, sondern weil das Budget dieser Haushalte einfach zu knapp bemessen war.

Sie springen mit Ihrem Antrag also viel zu kurz. Unser Antrag beschreibt das Thema und zeigt Wege auf, wie wir einen gesamtgesellschaftlichen Konsens herbeiführen. Solange Sie nicht bereit sind, dieses Thema ganzheitlich zu betrachten, müssen wir leider sagen: Sie reden nach wie vor am Thema vorbei und machen weiterhin Politik auf Kosten einer gesellschaftlichen Gruppe, und die heißt „Landwirte“.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Dammann-Tanke. - In letzter Sekunde gab es von Herrn Janßen noch die Bitte auf eine Kurzintervention. Bitte sehr, 90 Sekunden!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will auch nur auf einen Punkt eingehen, nämlich auf die Bereitschaft der Käufer, mehr für tierische Produkte auszugeben. Nach einer aktuellen Umfrage - in dem Fall von Zühlsdorf + Partner aus 2015 - sind mehr als 80 % der Verbraucher bereit, für nach Tierwohlkriterien gelabeltes Fleisch deutlich mehr auszugeben, hier zwischen 36 und 58 %.

Das Problem, das wir im Moment haben, besteht darin, dass wir für Tierprodukte keine Kennzeichnungspflicht ähnlich der Kennzeichnungspflicht haben, die es z. B. bei Eiern gibt. Wir haben bei Eiern die Erfahrung gemacht, dass der Verbraucher sehr wohl bereit ist, mehr für tierschutzgerechte Produktion auszugeben. Ich sehe überhaupt keinen Grund, warum das nicht auch auf andere Bereiche der Tierhaltung übertragbar sein sollte.

Ich glaube, wenn wir zu einer Kennzeichnung kommen, die - entsprechend den Kriterien bei den Eiern - alle Produkte erfasst, etwa mit „0“, „1“, „2“ oder „3“ - über die Kriterien kann man sich natürlich streiten, aber sagen wir mal: „0“ bedeutet Bio, „1“ bedeutet Freilandhaltung, „2“ bedeutet „mit

erhöhtem Tierschutzstandard“, und „3“ bedeutet „erfüllt die gesetzlichen Normen“ -, dann hat der Verbraucher ein Entscheidungskriterium, das tatsächlich transparent ist. Das hat er zurzeit nämlich nicht, und genau das ist das Problem. Denn wenn ihm das andere zu unsicher ist, entscheidet er im Ergebnis eben doch lieber nach dem Geldbeutel.

Vielen Dank.

Danke schön, Herr Kollege. - Herr DammannTamke möchte erwidern. Bitte! Sie haben ebenfalls 90 Sekunden.

Verehrter Kollege Janßen, glauben sollten wir, wenn wir am Sonntag die Kirche besuchen.

(Anja Piel [GRÜNE]: Ein bisschen flach, nicht?)

Diese 1,4 Milliarden Euro jährlich in Niedersachsen, geteilt durch 20 000 landwirtschaftliche Haupterwerbsbetriebe, die Tierhaltung betreiben, ergeben 70 000 Euro jährlich für jeden landwirtschaftlichen Betrieb in Niedersachsen, der Tierhaltung betreibt.

70 000 Euro jährliche Belastung durch den Umbau auf eine gesellschaftlich akzeptierte Nutztierhaltung! - Dass ein Landwirt entsprechende Investitionen auf den Weg bringt, in der Hoffnung und in dem Glauben, dass eine Kennzeichnung dazu führt, dass der Verbraucher dieses Mehr an Kosten dauerhaft abdeckt, halte ich für eine verwegene Annahme. Ich kenne keinen betriebswirtschaftlichen Berater, der irgendeinem Landwirt ernsthaft empfehlen würde, auf der Basis „Glaube, Liebe, Hoffnung“ diese Investition zu tätigen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Es folgt jetzt für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Hermann Grupe. Bitte!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Dieser Antrag bleibt ein Selbstbeweihräucherungsantrag ohne jeden Inhalt und ohne jede Perspektive.

(Beifall bei der FDP)

Das ist angesichts dieses wichtigen Themas sehr bedauerlich.

Es ist schon bemerkenswert: Während sich die Betriebe in schwersten Nöten befinden, während wir gerade ein Höfesterben erleben, wie wir es selten gehabt haben - gerade bei den Ferkelbetrieben -, sonnen Sie sich in Forderungen und lassen die Landwirte im Endeffekt mit den Problemen alleine.

(Beifall bei der FDP)

Herr Janßen, ich hatte eben den Eindruck, Sie haben in der Hektik die falsche Rede gegriffen.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Immerhin hat er etwas vorbereitet!)

Sie erzählen uns, man müsste neue Haltungsformen fördern und alte Tierhaltungssysteme abschaffen. Aus Ihrem Munde! - Wie oft habe ich das hier schon gefordert? Und was macht Ihr Minister? - Er atomisiert das Agrarförderprogramm, kürzt es von 40 auf 10 Millionen Euro. In der Vergangenheit, unter Heiner Ehlen, wurden da Investitionen in Höhe von 250 Millionen Euro ausgelöst.

Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, haben uns immer gesagt, wir wollten die Massentierhaltung fördern. Heute fordern Sie - das ist vielleicht ein Lichtblick -, man müsse neue Haltungsformen fördern. Das wäre auch richtig. Aber Ihr Minister tut genau das Gegenteil.