Nun legt die FDP-Fraktion einen Antrag vor, dessen inhaltliche Ausrichtung durchaus in den Abschlussbericht der Kommission einfließen sollte. Ich habe, anders als die Antragstellerin, sogar vier Aspekte herausgelesen, die ich gerne kurz beleuchten möchte.
Unterlagen bundesweit sichern. - Wer einmal im Archiv der Zentralstelle der Bundesbehörde für Stasi-Unterlagen in Berlin oder auch in der Außenstelle in Magdeburg war, erahnt, wie viel Material bearbeitet worden ist und wie viel mehr noch darauf wartet, erschlossen zu werden. Hier schlummert Geschichte - Geschichte, die über Jahrzehnte unser Land, unsere Bürgerinnen und Bürger geprägt und belastet hat und bis heute Schatten wirft. Das gilt für die neuen Bundesländer, das gilt für die alten Bundesländer und damit natürlich auch für Niedersachsen.
Deshalb müssen konsequenterweise die Unterlagen bundesweit gesichert werden, was ja auch bereits in zwei Bereichen stattfindet, nämlich a) in der Stasi-Unterlagenbehörde und b) in der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Nationales Kulturgut? - Selbstverständlich. Wer wollte daran zweifeln!
Zugänglichkeit mit einer Systematik herstellen. - Meine sehr geehrten Damen und Herren, was für die Materialien der NS-Diktatur gilt und auch künftig gelten soll, muss auch für die Materialien der Stasi-Diktatur gelten.
Wir bleiben nur glaubhaft, wenn wir Nazi-Unrecht und SED-Unrecht gleichermaßen aufarbeiten, Ergebnisse öffentlich machen und über eine Systematik wissenschaftlich fundiert zugänglich machen.
Einrichtung eines zentralen Archivs. - Auch das gibt es ja bereits. Wir haben es gehört: 111 km Aktenmaterial, 1,7 Millionen Fotos, Filme und vieles andere mehr.
Eine Sonderrolle spielen in der Tat fast 16 000 Säcke voller Schnipsel, von denen in den letzten zehn Jahren knapp 400 erschlossen worden sind - eine langwierige, ausgesprochen schwierige Aufgabe.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man weiß, dass in diesen 400 von 16 000 Säcken 1 000 Vorgänge über Täter und Opfer gefunden wurden, dann weiß man auch, welche Bedeutung dieses Material hat, und dann weiß man auch, dass es gerechtfertigt ist, die Aufgabe in Angriff nehmen zu wollen, auch das Material in den verbliebenen 15 600 Säcken zusammenzusetzen und zu erschließen.
Ich möchte zur Bekräftigung meiner Ausführungen den gerade verstorbenen Dr. Grasemann, einen profunden Kenner der Materie, bedeutenden Wissenschaftler und kompetenten Zeitzeugen, zu Wort kommen lassen. Nach einer Diskussion mit Schülern hat er einmal gesagt, ihm sei bewusst, dass für die Schüler die DDR Geschichte sei. Aber es ist Geschichte, die noch qualmt. Es gebe noch immer Zeitzeugen, die mit dieser Vergangenheit leben müssten. Es ist wichtig, dass diese Geschichte nicht verschwiegen und nicht vergessen wird.
Dr. Grasemann war davon überzeugt, dass die Aufarbeitung der Stasi-Zeit den unschätzbaren Wert des Rechtsstaates für die Demokratie belegt und beweist, dass der Rechtsstaat die Menschen stärkt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht nur meine Fraktion und ich finden, dass dies stimmt. Ob es der Alt-Bundespräsident Roman Herzog, der amtierende Bundespräsident Joachim Gauck oder Frau Birthler ist - die Liste ließe sich lange fortsetzen -, alle könnte ich mit Aussagen zitieren, die dem Geist dieses Antrags, den wir gerade beraten, Rechnung tragen würden.
Die Aspekte dieses Antrags gehören in den Abschlussbericht der Enquetekommission als Handlungsorientierung und Verpflichtung für uns alle.
Von mir aus hätten wir heute auch gleich über den Antrag abstimmen können. Aber da dieser Vorschlag nicht die Mehrheit gefunden hat, kann ich nur bitten, ihn gleich zur federführenden Beratung
an die Enquetekommission zu überweisen und ihn dort dann zügig zu beraten, damit das in den Abschlussbericht einfließen kann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Die Aufarbeitung von StasiAktivitäten in Niedersachsen beschäftigt diesen Landtag seit ca. anderthalb Jahren. Im Rahmen der hierzu eingesetzten Enquetekommission haben wir uns auch mit dem vorhandenen Archivgut beschäftigt.
Das Gros der überlieferten Dokumente wird in der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR - kurz: BStU - aufbewahrt. Dort befinden sich über 111 km an Akten und auch zahlreiche weitere Mediendokumente.
Außerdem befinden sich dort ca. 16 000 Säcke mit zerrissenem und bisher weitgehend ungesichtetem Schriftgut. In jedem Sack liegen ca. 2 500 bis 3 500 zerrissene Seiten, in einzelne Schnipsel zerrissen. Es ist eine Puzzlearbeit ohnegleichen, das wieder zusammenzufügen. Aber es ist gleichwohl wichtig, dass man sich damit beschäftigt; denn hinter jeder Akte verbirgt sich ein menschliches Schicksal. In diesem Stasi-Unterlagenarchiv ist die massenhafte Verletzung von Menschenrechten dokumentiert.
Ich möchte daran erinnern, dass zu Zeiten der friedlichen Revolution 1989/90, um die Jahreswende, Stasi-Mitarbeiter versucht haben, Spuren des unrechtmäßigen Handelns und von Personenidentitäten zu vernichten. Die Stasi-Mitarbeiter hatten den Auftrag, Dokumente möglichst umfangreich zu zerstören bzw. sie unlesbar zu machen und auch die Findmittel dazu zu vernichten.
Ich liege sicherlich nicht verkehrt, wenn ich sage, dass gerade diese Säcke uns als Mitglieder der Enquetekommission, die wir sie sowohl in Berlin als auch in der Außenstelle in Magdeburg selbst gesehen haben, erschüttert haben, weil wir wissen, dass all das die Folge einer wirklich einzigartigen
Die Fraunhofer-Gesellschaft hat zwischenzeitlich einen Hochleistungsscanner entwickelt, mit dessen Hilfe wie bei einem riesigen Puzzle die Schnitzel wieder zu lesbaren Dokumenten zusammengefügt werden. Es dauert aber ziemlich lange, ehe man so etwas hinbekommt, und es funktioniert auch nicht mit allen Dokumenten. Aber nur so ist die weitere Aufarbeitung von Einzelschicksalen, aber auch die Dokumentation von Stasi-Praktiken - beispielsweise bei der Grenzsicherung und Ausspähung der Friedensbewegung - möglich.
Mit dem vorliegenden Antrag soll der Landtag nun die Landesregierung auffordern, sich bei der Bundesregierung für die Einrichtung eines zentralen Stasi-Unterlagenarchivs einzusetzen sowie die Herstellung lesbarer Dokumente - wie vorhin geschildert - zu fördern.
Meine Damen und Herren, seit 1991 bereits werden die Stasi-Akten in der BStU aufbewahrt. Geregelt wird der archivische Umgang mit den Akten im Stasi-Unterlagengesetz und damit letztlich auch schon eine Art archivische Verwahrung der StasiUnterlagen. Die Akten sind auch für die Betroffenen und für die wissenschaftliche Forschung zugänglich. Davon wird auch rege Gebrauch gemacht - zum Glück.
Nachdem das BStU seit nunmehr einem Vierteljahrhundert besteht, hatte der Bundestag 2014 die Einrichtung einer Expertenkommission beschlossen, um Reformbedarfe der BStU zu klären. Die sogenannte Böhmer-Kommission hat im April dieses Jahres empfohlen, die Stasi-Unterlagen unter dem Dach des Bundesarchivs weiterzuführen. Das Bundesarchiv ist schon seit Langem zuständige Fachbehörde für das Archivgut des Bundes und seiner Vorgängerinstitutionen.
Unter anderem lautet eine weitgehende Empfehlung, dass die Akten grundsätzlich in der Normannenstraße in Berlin-Lichtenberg bzw. in den Ländern des Aktenbestandes verbleiben sollen. Auch da gilt also das Provenienzprinzip, das für die archivische Behandlung und Dokumentation grundlegend ist.
Überdies hat der Bundestag BStU und Bundesarchiv mit der Erarbeitung eines Konzepts für die dauerhafte Sicherung der Stasi-Akten durch eine Überführung des Stasi-Unterlagenarchivs in das Bundesarchiv unter Beachtung bestimmter Elemente beauftragt.
Meine Damen, meine Herren, Sie sehen, dass schon eine ganze Menge von dem passiert, was der Antrag intendiert. Die Gefahr, dass den StasiUnterlagen nicht die notwendige Aufmerksamkeit zukäme, ist angesichts der Bemühungen der Böhmer-Kommission und der bisherigen Arbeit der BStU unter der Leitung des hochgeschätzten Herrn Roland Jahn nicht ohne Weiteres nachzuvollziehen. Das Bundesarchiv als fachlich kompetente Einrichtung scheint zur dauerhaften Sicherung des Archivgutes überaus geeignet.
Nach dem FDP-Antrag scheint darüber hinaus aber beabsichtigt zu sein, eine weitere Einrichtung und Systematik zu schaffen, um bundesweit verstreut liegende Akten zugänglich zu machen. Hierzu haben wir noch Erörterungsbedarf; denn dafür müssten erhebliche Ressourcen bereitgestellt werden. Vielleicht handelt es sich aber auch um ein Missverständnis; denn auch der Vergleich mit der Zentralstelle in Bad Arolsen hinkt, weil diese eine ganz andere Genese hat. Mir ist nicht bekannt, dass wir für alle Unterlagen, die mit dem Nationalsozialismus in Deutschland zu tun haben, eine bundesweit einheitliche Systematik haben. Das wäre schlechterdings auch unmöglich.
Gleichwohl halte ich das grundsätzliche Anliegen des Antrags für unterstützenswert. Wir werden in der Enquetekommission darüber beraten. Letztlich könnte der Beschluss hierzu auch in die Empfehlungen eingehen, die die Enquetekommission zur Aufarbeitung der Stasi-Machenschaften am Ende ihrer Tätigkeit verfassen wird.
Also: Auch wir sind dafür, konstruktiv mit dem Antrag umzugehen. Ich denke, dass wir uns hier auf einen guten Weg begeben können und uns letztlich auch einigen werden.
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nun hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Asendorf das Wort. Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Thematik der Stasi-Unterlagen habe ich erstmals durch die Enquetekommission gefunden. Der Einblick in die Geschichte der DDR anhand der StasiUnterlagen ist schwere Kost.
Besonders beeindruckend war für mich der Besuch mit unserer Enquetekommission in Magdeburg beim Archiv des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR - kurz: BStU. Etwa 16 000 Säcke liegen dort mit zerrissenen Papieren in einer Halle mit Metallregalen. Unermüdlich wird dort an der Rekonstruktion der Unterlagen gearbeitet und damit vielen Menschen ein Stück ihrer Geschichte zurückgegeben. Es ist ein bedrückendes Gefühl, diese vielen Säcke zu sehen und zu ahnen, welche Schicksale von Opfern der Stasi sich dahinter verbergen mögen.
Wir ließen uns vom Bundesbeauftragten Herrn Jahn von der Arbeit des Archivs berichten, und es besteht kein Zweifel an dem Engagement der Institution, die sich sicherlich unser aller Unterstützung gewiss sein darf. Es geht hierbei nicht nur um die Rekonstruktion der Unterlagen. Mit der Arbeit des Archivs werden insbesondere Grundlagen zur Geschichtsforschung und für die Auseinandersetzung mit unserer jüngeren Geschichte geschaffen.
Mit den Verbindungen der Stasi-Vergangenheit zu Niedersachsen rückt dieser Teil der ehemaligen DDR sehr nah an uns heran. Die Auseinandersetzung mit diesem Kapitel der Geschichte, wie sie in unserer Enquetekommission bislang bereits stattgefunden hat, ist unglaublich wichtig und verdient auch weiterhin unsere Unterstützung.