Protokoll der Sitzung vom 28.08.2013

(Schriftführer Belit Onay betritt den Plenarsaal - Beifall)

- So holt man sich Beifall!

Wir beginnen jetzt mit der Beratung der Tagesordnungspunkte 5 bis 7. Herr Fraktionsvorsitzender Thümler, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Hohes Präsidium! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über zwei Entschließungsanträge und einen Gesetzentwurf meiner Fraktion zum Thema „Bekämpfung von Wohnungsmissständen und Wahrung der Einheitlichkeit von Mindestanforderungen in Niedersachsen“.

Zum Kernbereich der sozialen Marktwirtschaft gehören faire Arbeitsbedingungen, aber auch insbesondere menschenwürdige Lebensumstände. Wenn durch Lohndumping oder Endlosketten von Werkverträgen faire Arbeitsbedingungen bei uns in Niedersachsen nicht gegeben sind, sind Staat und Gesellschaft in besonderer Weise gefordert. Wir debattieren deswegen heute über das Thema in allem Ernst. Ich finde, es ist eben kein Thema, um kurzfristige Geländegewinne im Bundestagswahlkampf erzielen zu wollen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Johanne Modder [SPD]: Genau!)

Darum dient es der Sache auch nicht, wenn Regierungsmitglieder dabei eine ganze Branche unter Generalverdacht stellen. Vielmehr muss es darum gehen, die wirklich schwarzen Schafe von der Herde zu trennen und ihnen das Handwerk zu legen.

Wenig zielführend ist auch der Versuch der Koalitionsfraktionen, den gesetzlichen Mindestlohn - wir haben heute Morgen schon darüber diskutiert - als Allheilmittel gegen menschenunwürdige Arbeits- und Wohnbedingungen von Werkvertragsmitarbeitern zu propagieren.

(Johanne Modder [SPD]: Das haben wir nie gesagt!)

Denn ein Mindestlohn allein ist noch kein Garant dafür, dass sich bei den Arbeits- und Wohnbedingungen etwas verbessert.

Wir hier im Landtag sind uns, so denke ich, fraktionsübergreifend darin einig, dass sich der tragische Tod der zwei Werkvertragsarbeiter in Papenburg vor einigen Wochen in Niedersachsen und auch anderswo nicht wiederholen darf.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung bei den GRÜ- NEN)

Es reicht aber nicht, die unhaltbaren Zustände in manchen Unterkünften zu kritisieren, sondern man muss handeln, wenn dies geboten ist. Genau das tun wir, meine Damen und Herren. Ich will es an dieser Stelle sagen: Ich bin dem wissenschaftlichen Dienst meiner Fraktion außerordentlich dankbar, dass er in der Lage gewesen ist, einen Gesetzentwurf vorzulegen, zu dem die Landesregierung bis heute nicht die Kraft gefunden hat.

(Beifall bei der CDU - Johanne Mod- der [SPD] lacht)

Ich finde, das ist gar nicht lächerlich, sondern es offenbart im Gegenteil, dass Sie dieses Thema möglichst schnell irgendwie in den Griff bekommen wollen, was okay ist. Missstände müssen schnell bekämpft werden. Keine Frage. Gleichwohl muss es doch essenziell möglich sein, einen Gesetzentwurf hier zu diskutieren, weil er eine viel breitere Wirkung entfaltet, als es lediglich eine Verordnung zu tun vermag.

(Johanne Modder [SPD]: Schon ein- mal mit den kommunalen Spitzen- verbänden gesprochen? - Anja Piel [GRÜNE]: Das hilft!)

- Ich komme gleich darauf.

Umstände und Missstände, die dazu führen, dass Menschen in Unterkünften untergebracht werden, die nicht menschenwürdig sind, darf es nicht geben und werden wir weiterhin nicht dulden.

Die CDU-Fraktion hat vor diesem Hintergrund bestehende Vorschriften für Gebäude, Wohnungen, Wohnräume und Personenunterkünfte geprüft. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen: Es besteht Ergänzungsbedarf. Es besteht dringender Handlungsbedarf.

Weil Sie gerade die kommunalen Spitzenverbände angesprochen haben, kann ich Ihnen sagen, dass Sie mit Ihrer Verordnung, die Sie vorgelegt haben und die gestern von Frau Rundt vorgestellt worden ist, deutlich hinter dem zurückbleiben, was beispielsweise in den Landkreisen Vechta,

Cloppenburg und Emsland Standard ist. Damit verursachen Sie ein Problem.

(Beifall bei der CDU - Lachen bei der SPD)

Ich würde an Ihrer Stelle nicht lachen, sondern ich würde in Ihre Vorlage schauen und sie mit dem vergleichen, was man in diesen Landkreisen als Standards für Wohngebäude geschaffen hat - und das nicht erst gestern; denn diese Standards gelten dort seit 2008, und fortlaufend werden Überprüfungen durchgeführt. - Sie sollten nicht mit dem Kopf schütteln, sondern sich mit der Sache beschäftigen. Das haben Sie nicht, weil Sie nämlich völlig unvorbereitet Ihrem Ministerpräsidenten zu seinem Showtermin hinterhergelaufen sind. Das werfen wir Ihnen vor.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Johanne Modder [SPD]: Da sind die Missstände aufgefallen!)

In der Sache geht es darum, dass es zum einen gilt, die Brandschutzvorschriften für Großunterkünfte zu verändern. Wegen der im Brandfall drohenden besonderen Gefahren müssen an den Brandschutz für Beherbergungsstätten besondere und höhere Sicherheitsanforderungen gestellt werden, als es sie bisher in der Bauordnung gibt. Insbesondere müssen für Großunterkünfte die Standards erstens für den Feuerwiderstand von Bauteilen, zweitens für die Rettungswege und drittens für die Alarmierungseinrichtungen angehoben werden. Die Bauministerkonferenz - bundesweit - hat für die Großunterkünfte eine Musterverordnung mit höheren Anforderungen gegenüber sonstigen Unterkünften entworfen, die eine möglichst frühzeitige Branderkennung und Alarmierung der Gäste sicherstellen soll. Diese Musterverordnung ist geeignet, um schnell zu Verbesserungen im Brandschutz von Beherbergungsstätten zu kommen. Sie, meine Damen und Herren, müssen diese Musterverordnung jetzt schnell und konsequent in Niedersachsen umsetzen.

Strengere Brandschutzvorschriften für Großunterkünfte sind die eine Sache. Um Überbelegung und andere menschenunwürdige Wohnbedingungen zu verhindern, brauchen wir außerdem erstens einheitliche Wohnmindeststandards und zweitens verbesserte Kontrollmöglichkeiten für die Bauaufsichtsbehörden. Beides sieht unser Gesetzentwurf vor, den wir ebenso wie den Entschließungsantrag beraten.

Darin steht erstens: Das Gesetz definiert konkret, was einheitliche Mindeststandards für alle Wohnungen und Wohnunterkünfte sind. Dazu zählen erstens insbesondere eine Mindestquadratmeterzahl pro Person, zweitens eine Mindestzahl an Sanitäranlagen für eine genau definierte Personenzahl, drittens ausreichende Koch- und Heizungsmöglichkeiten, viertens in den Schlafräumen ein Bett pro Person und fünftens mindestens ein Aufenthaltsraum mit bestimmten Mindestgrößen.

Zweitens. Wir schaffen für die Kommunen zudem eine sichere Rechtsgrundlage, auf die sie sich bei ihrem behördlichen Handeln berufen können. Bislang waren die Kontrollmöglichkeiten der Bauaufsichtsbehörden bezüglich der Einhaltung der baulichen Standards eingeschränkt. Mit der entsprechenden Gesetzesänderung können die Bauaufsichtsbehörden die Einhaltung der Mindeststandards zukünftig effektiv überprüfen. Das ist zum einen dadurch gewährleistet, dass Eigentümer und Bewohner gegenüber den Behörden auskunftspflichtig sind. Die Bauaufsichtsbehörden erhalten zudem ein Betretungsrecht für den Fall, dass tatsächliche Anhaltspunkte für Verstöße vorliegen.

Ich denke, wir alle sind uns darüber einig, dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Werkvertragsarbeitnehmer verbessert werden müssen.

Keine Einigkeit besteht über die Frage des richtigen Weges - zumindest entnehme ich das der Aktuellen Stunde von heute Morgen - und den Anwendungsbereich entsprechender Regelungen. Im Unterschied zu Ihnen wollen wir nämlich sicherstellen, dass beispielsweise auch Asylbewerberheime und Unterkünfte für andere Menschen - gleich, ob ältere oder jüngere; das gilt für Studentenwohnheime - eben nicht mit geringeren Standards belegt werden dürfen als die Werkvertragsunterkünfte, die wir hier besprechen. Das wäre im Übrigen im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz in Artikel 3 des Grundgesetzes auch schwer begründbar. Und wir würden damit Menschen und Bürger erster, zweiter, dritter und vierter Klasse schaffen. Das wollen wir im Wohnungsbereich nicht mehr.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen bin ich schon etwas verwundert, dass Sie uns an eben dieser Stelle nicht folgen wollen, nämlich dass die Mindeststandards auf alle Wohnräume in diesem Land Anwendung finden

sollen. Ich finde, dass man die Realitäten nicht ausblenden darf: Missbrauch - das wissen wir - findet nämlich auch in anderen Bereichen statt, und zwar hinter den Kulissen von Einfamilienhäusern. Das ist aus den Berichterstattungen der letzten Wochen deutlich geworden. Deswegen muss das einen weiteren Kreis ziehen.

(Johanne Modder [SPD]: Pflegehei- me!)

Im Unterschied zu Ihnen erscheint es uns auch zwingend notwendig, diese Regelung in einem Gesetz zu treffen, weil vor dem Hintergrund der Einschränkungen durch Artikel 13 des Grundgesetzes, der die Unverletzlichkeit der Wohnung regelt, nur ein Gesetz die notwendige Rechtssicherheit für die Behörden schafft, die das Zutrittsrecht brauchen. Mit einer bloßen Rechtsverordnung oder einem Erlass ist dieses nicht zu gewährleisten, meine Damen und Herren.

Die Vorteile einer gesetzlichen Regelung liegen auf der Hand:

Erstens. Die Regelung gilt für alle Wohnräume. Jeder hat ein Anrecht auf eine menschenwürdige Unterkunft.

Zweitens. Wir schaffen einheitliche Standards, die im ganzen Land gelten, Rechtssicherheit und Transparenz.

Drittens. Der Normalbürger muss keine Angst vor unangekündigten Kontrollbesuchen der Bauaufsichtsbehörden haben; denn unser Gesetzentwurf sieht vor, dass die Bauaufsichtsbehörden zunächst Informationen und Auskünfte einholen und nur dann ein Hausbesuch gemacht werden darf, wenn es einen begründeten Verdacht für Verstöße gibt. Ein solcher Besuch muss zudem vorher angekündigt werden und darf nur werktags und tagsüber erfolgen.

Viertens. Unangekündigt dürfen die Bauaufsichtsbehörden nur bei dringenden Gefahrenlagen in die Wohnung kommen, so wie es die Polizei auch heute schon nach Polizeirecht bei akuter Gefahr für Leib und Leben darf.

Fünftens. Um keine unangemessenen und unpraktikablen Anforderungen zu stellen und z. B. keine unnötigen Probleme für Kitas zu schaffen, haben wir darauf verzichtet, eine Höchstpersonenzahl für Schlaf- und Wohnräume festzulegen, und nur eine Festlegung hinsichtlich Mindestquadratmeterzahlen getroffen. Außerdem gilt die Regelung „eine Person, ein Bett“.

Das Parlament sollte nach meinem Dafürhalten selbstbewusst genug sein, der Landesregierung mit einer Gesetzesänderung auf die Sprünge zu helfen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Denn eines ist klar: Bloße Handlungsempfehlungen für die Kommunen, ein Erlass oder eine Verordnung können nur eine Übergangslösung darstellen. Das reicht nicht, um das Problem in Gänze in den Griff zu bekommen. Der Erlass, den die Landesregierung derzeit noch in Vorbereitung hat, erscheint im Vergleich zu unserer Gesetzesinitiative als stumpfes Schwert und am Ende des Tages möglicherweise auch als nicht rechtssicher. Es ist heute schon ein Armutszeugnis für die Landesregierung, dass es der kleine wissenschaftliche Dienst meiner Fraktion geschafft hat, einen Gesetzentwurf vorzulegen und damit schneller zu sein als Ihr gesamter Apparat, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Ich finde, der Weg über den Gesetzentwurf, den wir eingebracht haben, ist gangbar. Der Entwurf sollte nun zügig beraten werden. Es steht ja immer im Raum, dass man Gesetze angeblich nicht schnell beraten kann. Ich erinnere daran, dass wir im Landtag Gesetzentwürfe schon innerhalb von wenigen Tagen durchberaten und beschlossen haben, weil wir uns über die Bedeutung und Wichtigkeit bestimmter Regelungen einig gewesen sind. Die Toten aus Papenburg sollten uns ein mahnendes Beispiel sein, das uns präsent und im Gedächtnis bleiben sollte. Dieser Fall macht deutlich, dass wir in der Pflicht sind, zu handeln und eine Grundlage zu schaffen, damit die Behörden vor Ort zum einen mit den von ihnen gewählten Standards weiterarbeiten können, aber gleichzeitig auch Rechtssicherheit haben, wenn sie trotz der Einschränkung des Artikels 13 Zutritt zu einer Wohnung haben müssen. Wenn uns das gelingt, meine Damen und Herren, ist das eine gute Stunde für das Parlament.

Vielen Dank.

(Starker Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Thümler. - Das Wort hat jetzt der Kollege Ronald Schminke für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jahrelange scharfe Proteste haben dafür gesorgt, dass die übelsten Formen des Lohndumpings in der Leiharbeit heute besser bekämpft werden können. Es läuft noch nicht alles sauber, aber Branchenzuschläge und Übernahmegarantien wirken. Zumindest das haben wir schon geschafft.

Aber damit sind die Probleme noch nicht vom Tisch. Die Werkvertragsarbeit - man sollte besser von „Scheinwerkverträgen“ reden - wird den betroffenen Arbeitnehmern das Leben weiterhin schwer machen. Darum müssen wir heute erneut mit Ihnen reden und Ihnen das Nötige ins Stammbuch schreiben. Denn Sie sitzen heute auch deshalb auf den Oppositionsbänken, weil Sie in der Vergangenheit diese Zustände gar nicht zur Kenntnis genommen haben.