Protokoll der Sitzung vom 28.08.2013

Aber damit sind die Probleme noch nicht vom Tisch. Die Werkvertragsarbeit - man sollte besser von „Scheinwerkverträgen“ reden - wird den betroffenen Arbeitnehmern das Leben weiterhin schwer machen. Darum müssen wir heute erneut mit Ihnen reden und Ihnen das Nötige ins Stammbuch schreiben. Denn Sie sitzen heute auch deshalb auf den Oppositionsbänken, weil Sie in der Vergangenheit diese Zustände gar nicht zur Kenntnis genommen haben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, zunächst möchte ich jedoch etwas klarstellen: Wir haben grundsätzlich nichts gegen Werkverträge einzuwenden, wenn bei der Leistungserbringung und der Bezahlung der eingesetzten Arbeitnehmer eine klare und saubere Abgrenzung zum Auftraggeber erfolgt. Denn das Einkaufen einer Leistung ist ja nicht verboten. So viel vorweg.

Problematisch wird es aber, wenn keine klare Abgrenzung stattfindet und die Leistung im Werk des Auftraggebers stattfindet, wenn Maschinen- und Materialeinsatz nicht getrennt werden, wenn die Weisungen direkt vom Auftraggeber kommen, wenn also geltendes Recht ausgehebelt wird. Dann haben wir es mit klassischen Scheinwerkverträgen zu tun. Dagegen müssen wir, meine Damen und Herren, mit aller Härte zu Felde ziehen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte Ihnen gerne einmal eine persönliche Erfahrung aus dem Baugewerbe schildern. Denn da sind Werkverträge ein besonderes Problem, auch heute noch.

Beim Bau der JVA Rosdorf bei Göttingen wurden Arbeitnehmer aus Polen eingesetzt. Die Leute waren in furchtbar engen Containern unterbracht - immer sechs Personen in einem Container. In diesen Containern waren notdürftig Dachlatten angenagelt, an denen die nasse Wäsche getrock

net werden konnte. Gekocht wurde draußen: Nach 12 bis 14 Stunden knochenharter Arbeit mussten sich die Männer jeden Abend auch noch selbst ihr Essen kochen. Die Arbeiter bekamen 3,80 Euro für jede Arbeitsstunde. Und selbst von diesem wenigen Geld wurde bei der Barauszahlung vom Arbeitgeber ein erheblicher Anteil einbehalten. Den Leuten war versprochen worden, dass sie alle vier Wochen eine Heimreise machen können, aber sie mussten erst sechs Monate lang arbeiten, bis das Zugesagte zum ersten Mal Realität wurde.

Wenn die Stimmung bei den Arbeitern schlechter wurde, hat der Arbeitgeber ein Fest veranstaltet, auf dem es viel Wodka gab. Dafür wurden sogar polnische Prostituierte angeheuert. Die Kosten für dieses Fest und für die Damen wurden den Leuten von ihrem Verdienst abgezogen, genauso wie die Kosten für den engen Wohncontainer und die unglaublich schlechten Toiletten- und Waschanlagen. Die Leute waren menschenunwürdig kaserniert.

Das ist kein Einzelfall; so etwas ereignet sich auf vielen Baustellen in der gesamten Bundesrepublik. Ich habe damals mit eigenen Augen gesehen, dass die Arbeiter bei sengender Hitze Wasser aus einem alten Bauschlauch getrunken haben. Das Schicksal dieser ausgebeuteten Menschen hat mich betroffen gemacht. Aber noch viel mehr hat es mich beschämt, dass auf dieser Landesbaustelle viele - Architekten, Ingenieure, Bauleiter, Arbeitgeber bei anderen Gewerken - ein- und ausgegangen sind, ohne diese menschenunwürdigen Zustände wahrzunehmen. Man hätte diese Zustände aber wahrnehmen können und sie der FKS, der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, oder dem Hauptzollamt melden müssen. Diese Gleichgültigkeit, meine Damen und Herren, gibt es heute zum Teil auch in der Fleischindustrie. Auch dort gibt es eine Kultur des Wegschauens. Anders kann man das nicht sagen. Das ist ein Skandal, meine Damen und Herren! Deshalb müssen wir da ran und ganz schnell etwas ändern.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Thümler, darum ist der Missbrauch von Werkverträgen auch kein Kavaliersdelikt. Das ist oft Ausbeutung pur, gut organisierte Lohndrückerei, Sozialdumping, Steuerhinterziehung, Sozialversicherungsbetrug. Das muss schnellstens beendet werden. Darum geht es.

Nun wieder zu Ihnen, verehrte Oppositionsbänkler: Wenn Sie ernsthaft solche Zustände und insbesondere auch die Zustände in der Fleischindustrie dort, wo Sie noch Mehrheiten haben und bisher die Zustände vor Ihrer Haustür nicht bemerken konnten oder wollten, abstellen wollen, dann sollten Sie nicht hier irgendwelche PlaceboAnträge stellen und einbringen, sondern die Bundesratsinitiative dieser Landesregierung unterstützen. Denn diese Initiative ist zielführend, meine Damen und Herren,

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

weil wir z. B. geeignete Änderungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz fordern, weil wir die Mitbestimmung der Betriebsräte ausweiten wollen - bisher waren die Betriebsräte nämlich so gut wie überhaupt nicht beteiligt -, weil wir eine Meldepflicht für Werkvertragsbeschäftigte einführen wollen und den Nachweis der Sozial- und Krankenversicherung einfordern und weil wir die Generalunternehmerhaftung ausweiten wollen - bis zur Durchgriffshaftung, um ausstehende Löhne einklagen und durchsetzen zu können. Dafür stehen wir!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dafür setzen sich insbesondere auch unser Ministerpräsident und die gesamte Landesregierung ein. Sie können gerne mit dazu beitragen und dabei mitmachen. Rufen Sie die Fleischindustrie zur Ordnung! Die muss jetzt den Hebel umlegen. Wir erwarten Mitarbeit. Daran mangelt es meiner Meinung nach erheblich. Die Caritas hatte zu einem Runden Tisch eingeladen. Von 16 eingeladenen Arbeitgebern ist lediglich einer gekommen. Das ist nicht in Ordnung, und das beklagen wir. Da muss sich etwas ändern. Rufen Sie die Fleischbarone zur Ordnung, meine Damen und Herren der Opposition! Es sind doch Ihre Nachbarn.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Polemik!)

Viele Unternehmen spalten über Outsourcing ganze Belegschaften und benutzen die ausgelagerten eigenen Firmen als Schmutzkonkurrenz mit Lohndrückerfunktion gegen die Stammbelegschaft. Die Kernbelegschaften werden an den Rand gedrängt, und es entsteht eine Dreiklassengesellschaft: die Stammbelegschaft mit allen Tarifansprüchen, Leiharbeitnehmer mit Branchenzuschlägen und Werkvertragsarbeitnehmer ohne

tarifliche Ansprüche, ohne Weihnachtsgeld, ohne zusätzliches Urlaubsgeld und ohne sonstige Teilleistungen.

Dabei werden die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte schändlich ignoriert. Auch das werden wir nicht mehr hinnehmen. Wir wollen, dass die Betriebsräte zukünftig echte Mitbestimmungsrechte haben. Ohne Zustimmung des Betriebsrats darf es keine Werkvertragsarbeit und auch keine Leiharbeit im Unternehmen geben. Das ist unsere Position.

Daran kann sich der Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbände Niedersachsen, Volker Müller, der sich heute Morgen zu Wort gemeldet und Alarm geschlagen hat, einmal machen; denn da gibt es viel zu tun. Unternehmensberater sind nämlich unterwegs und zeigen in Seminaren den Arbeitgebern auf, mit welchen Tricks Lohndrückerei über Outsourcing am besten zu organisieren ist. Darum sollte sich der Hauptgeschäftsführer besser einmal kümmern; denn das verstößt gegen alle guten Sitten. Es hat mit Sozialpartnerschaft nichts mehr zu tun. Solche Strategien müssen wir mit verbesserten Rechten der Betriebsräte beantworten, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir haben auch die Verbesserung der Lebensverhältnisse von Bulgaren und Rumänen - demnächst gilt für ihre Heimatländer die volle Freizügigkeit - auf unserer Agenda. Es wäre schön, wenn wir ebenfalls von der Bundesregierung hier Taten sehen würden.

Wir fordern mehr Kontrollen, vor allem in den Problembereichen: in Schlachthöfen und Zerlegebetrieben, in der Getränkeindustrie, in Molkereien, in Großbäckereien, in der Logistikbranche, im Großhandel und bei sogenannten Regaleinräumern im Einzelhandel. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit ist völlig unterbesetzt. Ihr fehlt Personal. Sonst könnten wir wesentlich effektiver zu Werke gehen und die sogenannten Freelancer - Stichwort „Scheinverträge“ - hochnehmen und ihnen Sanktionen verpassen. Dann könnte man darauf antworten und ihnen das Handwerk legen. Genau das ist nötig, meine Damen und Herren. In diese Richtung geht unser Antrag.

Vielen Dank für Ihr Gehör.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schminke. - Jetzt hat der Kollege Thomas Schremmer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Er wird un- serem Gesetzentwurf zustimmen!)

Sehr geehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Hilbers, das werde ich nicht machen. Meines Erachtens führen wir hier im Augenblick eine Murmeltier-Debatte. Es geht um menschenunwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen. Der eigentliche Skandal aus meiner Sicht ist, dass scheibchenweise immer wieder neue Missstände bekannt werden. Dabei halten wir uns für eine vorbildlich zivilisierte Gesellschaft. Ich glaube, das geht so nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein solches Ausmaß wie in den vorliegenden Fällen von unverschleiertem Werkvertragsmissbrauch und Lebensverhältnissen, die ich persönlich als subventionierte Sklaverei bezeichnen möchte, ist meines Erachtens nicht mehr hinnehmbar. Ich finde es beschämend, dass in Niedersachsen so mit Menschen aus anderen Ländern umgegangen wird, die wir vielmehr als willkommene Fachkräfte hier brauchen und die meines Wissens auch zu einem sehr großen Anteil gut qualifiziert sind.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Zweifelsfrei muss man also doch mehr kontrollieren. Solche Problemlagen sind allerdings - wir haben das gehört; auch Herr Thümler hat es gesagt - nicht neu und deswegen auch wenig überraschend.

Natürlich haben auch die CDU-Landräte und -Bürgermeister in ihren Landkreisen im Rahmen ihrer kommunalen Möglichkeiten kontrolliert und reagiert. Das scheint aber keine abschreckende Wirkung gehabt zu haben; denn sonst hätten wir diese Zustände nicht. Die Subunternehmen und auch einige Betriebe sind sich nämlich nicht zu schade, mit Unterstützung von Rechtsanwälten die rechtlichen Möglichkeiten komplett auszuschöpfen.

Kontrollen - das will ich hier ganz deutlich sagen - sind aber auch Landesaufgabe. Davor hat sich die alte Landesregierung jedoch sehr gedrückt. Das muss man so sehen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Überprüfen wir noch einmal die EEG-Befreiung von Betrieben, die ihre eigentlich reguläre Beschäftigung über Sachkosten auslagern und dadurch eine höhere Befreiung erhalten! Kontrollieren wir die Einhaltung von Arbeits- und Gesundheitsschutzbestimmungen in Betrieben mit hohem Anteil an Werkvertragsarbeitnehmerinnen und Werkvertragsarbeitnehmern durch die Gewerbeaufsicht! Auch das kann man machen. Überprüfen wir etwaigen Missbrauch bei der Sozialversicherungspflicht und den Transferleistungen wie Kindergeld!

Diese Aufgaben hat die alte CDU/FDP-Landesregierung liegen lassen. Deswegen frage ich mich: Wie glaubwürdig sind Fünf-Punkte-Pläne oder andere Scheinaktivitäten? - Sie hätten es machen können, meine Damen und Herren von der Opposition, und haben es liegen lassen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Es geht hier nicht nur um Wohnraum, liebe Kolleginnen und Kollegen. Im Grundsatz geht es auch heute wieder - zum hundertsten Mal; ich muss es immer wieder sagen - um die Frage, welchen Wert wir der Arbeit in unserer Gesellschaft zumessen. Oder - Martin Schulz hat es gestern anders formuliert - es geht um die Frage, ob sich die hemmungsloseste Ausbeutung positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen auswirken darf. Wollen wir das so haben? - Ich sage: Das wollen wir nicht.

Lassen Sie mich noch einmal die Zahlen der letzten zehn Jahre nennen, damit Sie auch wissen, wie die Entwicklung war, die Sie offensichtlich verschlafen haben, auch wenn es wehtut, Frau König: sozialversicherungspflichtige Beschäftigung minus 4,2 %, sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung plus 40 %, befristete Beschäftigung plus 30 %, Erwerbstätigkeit ausschließlich als Minijob plus 20 %, Leiharbeit plus 185 %. Bei den Scheinwerkverträgen habe ich ein großes Fragezeichen stehen, weil ich es nicht genau weiß. Ich weiß aber sehr wohl, dass wir dort eine fünfstellige Zahl von offensichtlich Betroffenen haben. Die Niedriglohnschwelle wird von

600 000 Beschäftigten unterschritten. 1,1 Milliarden Euro Aufstockerleistungen werden in Niedersachsen jedes Jahr gezahlt. Es ist Steuergeld, das hier verpulvert wird.

Der Wahlkampfslogan der CDU zum Arbeitsmarkt lautet: „Gute Arbeit und neue Ideen. So bleibt Deutschland stark.“ Meine Damen und Herren, plakatieren Sie das einmal in Ihren Landkreisen in bulgarischer, rumänischer und polnischer Sprache! Dann werden Sie erleben, was sich da entwickelt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Hören Sie also auf, sich hier regelmäßig mit tränenreicher Stimme dazu zu bekennen, dass Sie Dumpinglöhne und diese Missstände nicht wollen! Sie wollen einen Ehrenkodex. Wie Sie aber schon gehört haben, funktioniert das nicht. Es funktioniert seit Jahren nicht.

Wir brauchen andere Maßnahmen. Sie können unserem Vergabegesetz zustimmen. Darin geht es um Tariftreue und um soziale Standards. Sie können einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn zustimmen. Er löst nicht alle Probleme;

(Ulf Thiele [CDU]: Dieses Problem eben genau nicht!)

aber er löst einige. Wir müssen ja nicht in einem Schritt alle Probleme lösen. Das alles wollen Sie nicht, weil Sie selbst davon überzeugt sind, es sei richtig, dass weniger als 8,50 Euro bezahlt werden. Das ist der Skandal.

(Beifall bei den GRÜNEN - Björn Thümler [CDU]: Das ist falsch!)

Ich würde sagen, dass sich die Regierungsarbeit gerade in diesem Punkt mit „anpacken und besser machen statt liegen lassen und rumeiern“ beschreiben lässt - um einmal ein bisschen von dem aufzugreifen, was Sie hier immer vortragen.