Protokoll der Sitzung vom 13.06.2017

Wichtig ist - gerade im Hinblick auf Zukunftsfähigkeit neuer Geschäftsmodelle und Digitalisierung -, dass man auch Gründer unterstützt. Auch hierzu ist schon einiges vom Kollegen Toepffer gesagt worden.

Wir als Freie Demokraten haben hier einen umfassenden Antrag mit aus unserer Sicht mutigen und zukunftsweisenden Vorschlägen vorgelegt: bürokratiefreies erstes Jahr, Absetzbarkeit von Wagniskapital, Förderung der Universitäten und Vermittlung des Unternehmertums bereits an den Schulen, um nur einige Punkte zu nennen.

Was ist aus den Beratungen geworden?

(Christian Dürr [FDP]: Nichts!)

Ein weichgespülter Antrag von Rot und Grün - weichgespült, keine Substanz mehr vorhanden, reine Prüfaufträge, um bloß nicht bei diesem Thema Farbe bekennen zu müssen. Da wird sich wirklich an der Zukunft versündigt, weil das die Chancen sind, die wir haben. Wenn wir diese Chancen nicht nutzen und auf dem Gebiet weiter so zaghaft bleiben, dann werden Wohlstand und Wertschöpfung an Niedersachsen vorbeigehen.

Die Quittung werden dann unsere Kinder, aber wahrscheinlich in Bälde auch schon wir zu tragen haben. Das ist verantwortungslos, Herr Minister. Es gibt so viel zu tun. Mit weichgespülten Forderungen, mit weichgespülten Reden werden Sie dem Anspruch, den Sie haben müssten, eine Wirtschaftspolitik in Niedersachsen tatsächlich zu gestalten, nicht gerecht.

(Starker Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Birkner. - Es folgt jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kollegin Maaret Westphely. Frau Westphely, bitte sehr! Sie haben bis zu 14 Minuten.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Sie werfen der Landesregierung hier Ablenkung vor. Aber das ist natürlich ein Argument, das auch umgekehrt funktioniert, liebe Kolleginnen; denn Sie versuchen hier mit der Debatte über die Vergabe von den rot-grünen Erfolgen abzulenken.

(Heiterkeit bei der FDP - Christian Dürr [FDP]: Entschuldigung! Comedy erst ab 19 Uhr! Das macht man nicht!)

Wir tragen Verantwortung, Politik für die Menschen da draußen zu machen. Wie und wo und ob sie Arbeit und Beschäftigung haben, das ist eine zentrale Frage, mit der wir uns hier beschäftigen.

(Christian Dürr [FDP]: Aber nicht die- se Landesregierung, oder?)

Tatsache ist, dass die sozialversicherungspflichtige Vollbeschäftigung seit Jahren gestiegen ist und sich mittlerweile auf einer Rekordhöhe befindet, und die Prognosen für das laufende Jahr übertreffen diese sogar.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Während unter zehn Jahren Schwarz-Gelb 30 000 Vollzeitstellen verlorengegangen sind, wurden seit Rot-Grün 93 000 Vollzeitstellen geschaffen. Gut ist, dass die Menschen auch noch besser ausgebildet und qualifiziert sind; denn das ist wirklich wichtig für den Standort Niedersachsen. Für die immer komplexer werdende Arbeits- und Wirtschaftswelt brauchen wir hoch qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Aber selbstverständlich gibt es auch Wasser im Wein. Der Anteil der atypischen Beschäftigung - Teilzeit, Leiharbeit, geringfügige Beschäftigung - steigt und liegt mittlerweile bei rund 40 %. Das entspricht etwa dem Bundestrend.

Auch wenn Rot-Grün das Tempo aus der rasanten Zunahme der geringfügigen Beschäftigung nehmen konnte, wurden es noch mehr. Unterbeschäftigung ist ein Problem, und immer mehr Langzeitarbeitslose finden zwar wieder Arbeit, gleichzeitig stagniert die Langzeitarbeitslosigkeit aber auf einem hohen Niveau.

Diese Probleme treffen vor allen Dingen Frauen. In Niedersachsen sind 2016 mehr als eine Million Frauen atypisch beschäftigt gewesen. Das sind 70 %. Dabei sind es die Frauen, die den Fachkräftebedarf in den kommenden Jahren decken können. Mehr und bessere Kinderbetreuung, flexible Arbeitsplatz- und Arbeitszeitmodelle und eine Kultur, in der Frauen wie Männern Gleiches abverlangt und zugetraut wird, sind die Voraussetzungen dafür.

Wir, Rot-Grün, haben damit angefangen, eine aktive Arbeitsmarktpolitik auch für Langzeitarbeitslose zu machen. Unser Programm gegen Langzeitarbeitslosigkeit startet in zwei Wochen und wird 1 000 Menschen wieder in Arbeit bringen; denn Arbeit ist Teilhabe an der Gesellschaft.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD - Zuruf von Christian Dürr [FDP])

Mit dieser Initiative wollen wir den Druck auf Berlin erhöhen, endlich in Arbeit und nicht in Arbeitslosigkeit zu investieren; denn angesichts des Fachkräftemangels können und wollen wir uns den Luxus, auf all diese Menschen und ihr Potenzial zu verzichten, nicht länger leisten.

Die wohl größte Herausforderung für die Arbeit der Zukunft in allen Branchen, in der Industrie, im Handwerk, in der Dienstleistung und im Handel, ist die zunehmende Digitalisierung. Auf der einen Seite sind die Chancen großartig. Intelligente Werkzeuge im weitesten Sinne können persönliche Hindernisse kompensieren und eröffnen damit für Einzelne ganz neue Entwicklungschancen. Auf der anderen Seite - und das ist gut - werden Erfahrung und handwerkliches Können dadurch nicht ersetzt werden können. Dass alles aber zusammenzubringen, erfordert Zeit. Wer nicht auf der Strecke bleiben will, muss sich ununterbrochen neues und komplexes Wissen aneignen - und das kann auch ziemlich anstrengend sein.

Das wohl größte Problem ist, dass durch die Digitalisierung die Grenzen zwischen Arbeitszeit und freier Zeit verschwimmen. Für das psychische Wohlbefinden ist Einfluss und Mitsprache bei der Frage, wann, wo und wie gearbeitet werden soll, entscheidend. Bisher haben vor allem Arbeitgeber Ansprüche an die Flexibilität ihrer Beschäftigten gestellt. Insofern wundert es nicht, dass besonders häufig Menschen unter psychischen Belastungen leiden, die hochgradig digital arbeiten; so eine Sonderauswertung zum DGB-Index „Gute Arbeit“ für 2016.

Im Gegenzug müssen auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr Mitsprache darüber bekommen, wie viel, wo und wann sie arbeiten. Das Modell einer flexiblen Vollzeit mit einem Arbeitszeitkorridor zwischen 30 und 40 Stunden würde modernen Lebensentwürfen entgegenkommen, sorgt für mehr Geschlechtergerechtigkeit und hilft auch gleichzeitig gegen den Fachkräftemangel.

Entscheidend ist aus unserer Sicht aber, dass Erneuerung und Digitalisierung genutzt werden, um unseren ökologischen Fußabdruck zu verkleinern und auch zukünftigen Generationen einen Planeten zu hinterlassen, auf dem man noch leben kann.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Durch 3-D-Druck können Baupläne über das Netz statt Bauteile in Containern über das Meer verschickt werden. Videokonferenzen ersetzen Geschäftsreisen, Arbeit im Homeoffice reduziert Pendlerströme. Nie zuvor war es so einfach, Dinge und Erfahrungen über Sharing-Plattformen zu teilen. Das reduziert materiellen Konsum.

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta übernimmt den Vorsitz)

Dafür bedarf es höchster Datensicherheits- und Verbraucherschutzstandards. So schaffen wir zukunftssichere Arbeitsplätze sowie neue Geschäftsmodelle und schützen unsere Lebensgrundlagen - in Niedersachsen bieten wir dafür mit dem Mittelstand-4.0-Kompetenzzentrum ganz konkrete Beratung und Unterstützung an.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Ein weiteres Feld sind neue Arbeitsplätze in neuen Unternehmen. In Niedersachsen haben wir einige international aufgestellte Konzerne, die Zugpferde für ihre jeweilige Branche sind. Trotzdem ist es nicht gut, wenn das Wohl und Wehe eines Landes zu stark von diesen großen Playern abhängt. Ein Schlüssel für die Zukunftsperspektive und für die Krisenfestigkeit in Niedersachsen liegt deshalb in der Diversifizierung von Branchen und den Unternehmen selbst.

Ein Schlüssel, um das zu gewährleisten, ist die Förderung von Gründerinnen und Gründern und Start-ups - sei es mit dem Ziel, selbstständige Unternehmen zu werden, oder mit dem Ziel, als Kooperationspartner mit alten Unternehmen neuen

Produktideen oder Verfahrensweisen neue Innovationskraft zu verleihen.

Parallel zu unserer Plenarbefassung im vergangenen halben Jahr mit diesem Thema hat der Wirtschaftsminister wichtige Impulse für die Zukunft gesetzt. Mit NSeed stehen zusätzlich 4 Millionen Euro Beteiligungskapital für Start-ups zur Verfügung. Außerdem sollen bis zu vier neue Start-upZentren im Land entstehen, die das Ministerium mit 600 000 Euro Anschubfinanzierung ausstatten wird.

In Matching-Veranstaltungen - bei der ersten durfte auch die Politik dabei sein - von Start-ups und etablierten Unternehmen geht es nicht nur um das Kennenlernen und Ausloten von Kooperationsmöglichkeiten, sondern um einen Dialog darüber, wie wir uns in Niedersachsen strategisch so aufstellen können, dass die starke Start-up-Szene in Niedersachsen überregional sichtbar wird, dass sie sich regional und überregional vernetzen kann und dass sie sich weiterentwickeln kann.

Konsens zwischen allen Teilnehmern bei diesem ersten Treffen war, dass die Voraussetzungen in Niedersachsen mit einem starken Mittelstand und attraktiver Lebensqualität für junge Leute mit Familien nicht zu verachten sind. Überhaupt gab es dort eine ansteckende Aufbruchsstimmung und einen großen Zuspruch bei den Unternehmen. Leider war niemand von der FDP dabei.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Zurufe von den GRÜNEN: Aha!)

Zum Schluss die für uns in Niedersachsen wichtigste Branche, die Mobilität und Logistik: Wenn wir es ernst meinen und wollen, dass der Verkehrssektor seinen Beitrag zur Erreichung der Klima- und Gesundheitsziele leistet - und das tun wir ausdrücklich -, dann bedeutet das für die Mobilitätswirtschaft in Niedersachsen einen tief greifenden Strukturwandel. Niedersachsen ist ja nicht nur ein starker Mobilitäts-, sondern auch ein starker Logistikstandort.

Zukunftsfähig und im Einklang mit den Pariser Klimazielen kann es in dieser Branche nur weitergehen, wenn der gesetzliche Rahmen die Nachteile der Schiene gegenüber dem Lkw ausgleicht. Für Züge müssen heute immer und auf jeden Kilometer Trassengebühren gezahlt werden, für Lkw nur auf knapp 1 % des Straßennetzes eine Maut. Kein Wunder, dass dann die Straßen verstopfen!

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Eine nachhaltige Antwort auf Staus sind nicht neue Autobahnen, sondern ein gesetzlicher Rahmen, der tatsächlich umsteuert. Hier wird uns bekanntlich immer Infrastrukturfeindlichkeit vorgeworfen.

(Jörg Bode [FDP]: Zu Recht!)

Dazu kann ich nur sagen: Wer hat das Konzept und die Ideen für Alpha E entwickelt? - Das waren wir - schon in der letzten Wahlperiode.

(Jörg Bode [FDP]: Das waren die Bürgerinitiativen!)

Dann hat der Wirtschaftsminister es in einem sehr erfolgreichen Dialogverfahren umgesetzt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die Mobilität der Zukunft für Güter und Personen ist digital und vernetzt. Abgesehen vom enormen Gewinn für die Nutzerinnen und Nutzer entstehen dadurch ganz neue Geschäftsmodelle und Arbeitsplätze. Wir müssen mit dafür sorgen, dass diese in Niedersachsen sind.

Auch die Zukunft der Automobilindustrie verändert sich einschneidend. Auf dem weltgrößten Automarkt, in China, werden aktuell die Tore der Metropolen für den Verbrennungsmotor als Hauptverursacher der Luftverschmutzung geschlossen. Das wird nicht ohne Auswirkungen auf den weltgrößten Automobilkonzern bleiben.

Es ist kein Wunder, lieber Herr Toepffer, dass der Elektromotor in Deutschland immer noch stottert, solange er von der Industrie nur halbherzig entwickelt wird und von der Politik, wie gerade von Ihnen, immer noch schlechtgeredet wird. Allein China zeigt schon, dass der fossile Verbrenner ein Auslaufmodell ist.

Die Herausforderung für die Beschäftigung der Zukunft liegt darin, dass die Wertschöpfungskette beim elektrischen Fahrzeug ganz anders aussieht. Es sind viel weniger Komponenten. Der größte Baustein ist das Batteriesystem. Daraus erwachsen große Umstrukturierungen für Produkte und Beschäftigung in der Zulieferindustrie und darüber hinaus.

Das Wichtigste ist aber: Wenn wir verhindern wollen, dass Wolfsburg das Detroit von morgen wird, und erreichen wollen, dass die Wertschöpfung eines verkauften Autos zukünftig auch bei uns und nicht ausschließlich in China oder Japan stattfindet, dann muss es gelingen, die VW-Batteriefertigung in Niedersachsen aufzubauen.