Protokoll der Sitzung vom 13.06.2017

„Der niedersächsische Richterbund beurteilt die Neuerung skeptisch. ‚In den vergangenen 70 Jahren hat in Niedersachsen niemand einen Richterwahlausschuss vermisst‘, sagt der Vorsitzende Frank Bornemann. Es werde wieder eine neue Verwaltungseinheit geschaffen - und für die Richter, die dem Gremium angehören werden, bedeute das mehr Arbeit.“

Eine Zustimmung aus der Richterschaft, die es doch angeblich geben soll, Frau Ministerin, stelle ich mir ganz anders vor.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Inhaltlich, Frau Ministerin, liegen Sie mit dem Richterbund auf einer Wellenlänge. Denn der Richterbund verlangt eine Stärkung des Rechtsstaates. Eine Stärkung des Rechtsstaates wird aber nicht dadurch bewirkt, dass man ein Gremium schafft, in dem die der Justiz angehörenden Mitglieder von den nicht der Justiz angehörenden Mitgliedern überstimmt werden können.

Frau Ministerin, ich verstehe das in diesem Zusammenhang angeführte Argument nicht, hier gehe es um ein Mehr an demokratischer Legitimation. Denn zumindest ich habe an der Uni in Vorlesungen zum Verfassungsrecht gehört, dass wir das Prinzip der Gewaltenteilung hochhalten. Aber wo, bitteschön, ist denn die eigenständige Justiz, wenn im Grunde genommen Abgeordnete auf

wesentliche Entscheidungen der Justiz Einfluss nehmen können? Einen Gewinn, Frau Ministerin, im Sinne eines großen Schrittes sehe ich in der Einrichtung eines Richterwahlausschusses überhaupt nicht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der Richterbund fordert ganz andere Dinge: beispielsweise die Rückkehr zu einer bundesweit einheitlichen Besoldung und eine Anpassung der Bezüge der Richter an die Gehälter der Privatwirtschaft.

Frau Ministerin und liebe Kollegen, die Rechtspolitik machen wollen, wir alle sind doch stets bei den gleichen Veranstaltungen der Rechtspfleger, der Gerichtsvollzieher, des Richterbundes usw. Und wir hören überall die gleiche Sorge: Wie wollen wir vor dem Hintergrund der hohen Gehälter, die man in der privaten Wirtschaft erzielen kann - wenn man denn ein Leistungsträger in dieser Gesellschaft ist -, mit den viel zu kargen Besoldungsangeboten die Spitzen der jeweiligen Fachkräfte für die Justiz des Landes gewinnen?

Was wir brauchen, ist eine Stärkung der Justiz, aber die erreichen wir nicht mit diesem Gesetzentwurf.

Frau Ministerin, Sie haben davon gesprochen, dass es ein großer Schritt sei, dass wir zu mehr Eigenverantwortung kommen, indem die Justizangehörigen bei der Mittelverwendung und den Planstellenbesetzungen mitentscheiden können. - Aber das heißt doch nur, dass wir zum Teil die Verantwortung für die Verwaltung eines Mangels auf die Leute übertragen, die uns gegenüber einen völlig anderen Anspruch haben, nämlich den Anspruch, dass die Justiz - und zwar bundesweit - so aufgestellt ist, dass sie den Rechtsgewährungsanspruch des Bürgers erfüllen kann.

Jeder Vermieter, der einmal erlebt hat, wie lange es dauert, bis man einen Mietnomaden aus einer Wohnung herausbekommt - einschließlich der Vollstreckung -, jeder, der Opfer einer Gewalttat oder eines Einbruchsdeliktes geworden ist, von dem hier so häufig die Rede ist, und der dann hat erleben müssen, wie lange es bis zur Anklage dauert, bis die Justiz nach Abschluss der Polizeiarbeit ihren Auftrag hat erfüllen können,

(Andrea Schröder-Ehlers [SPD]: Po- pulismus! - Sabine Tippelt [SPD]: Abenteuerlich!)

jeder, der weiß, wie lange es dauert - nämlich bis zu neun Jahren -, bis man die Kostenübernahme für eine Therapie mit der Krankenversicherung ausgehandelt hat, bis die Frage der Therapiefähigkeit eines schwer kranken, eines behinderten Menschen ausgeurteilt ist, der weiß auch, warum wir mehr Mittel und mehr starke Justiz für die Erfüllung des Rechtsgewährungsanspruchs brauchen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich sehe Ulf Prange im Moment nicht - schade. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses hat mich in der Vergangenheit schon „Justizrebell“ genannt - einen Titel, auf den ich inzwischen stolz bin. Ich hätte Ulf Prange gerne etwas vorgehalten, nämlich einen Bericht aus der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 10. Dezember 2016 mit dem Titel: „Kauder: Mangelwirtschaft in der Justiz gefährdet Rechtsstaat.“ Kauder beklagt darin die bundesweite Mangelwirtschaft. Dort steht u. a. - ich merke, die Zeit wird knapp -:

„Vor drei Jahren haben bei einer großen Allensbach-Umfrage vier von fünf Staatsanwälten erklärt, nicht genügend Zeit zur Bearbeitung ihrer Fälle zu haben. Drei Viertel der Richter und Ankläger haben zur gleichen Zeit erklärt, die Bedingungen für eine gute Rechtsprechung in Deutschland hätten sich massiv verschlechtert.“

(Gerald Heere [GRÜNE]: Es ist kein Parteitag hier!)

Weiter heißt es - Frau Ministerin, das ist für uns keine Überraschung -:

„Nach internen Daten aus einem Bundesländervergleich sind die Gerichte in Hessen, Bayern und Niedersachsen besonders schlecht ausgestattet.“

(Andrea Schröder-Ehlers [SPD]: In Hessen?)

Was wir sicherlich brauchen, ist ein klein wenig mehr Eigenverantwortlichkeit der Justiz. Aber, Frau, Ministerin, Sie in Ihrem Amt und wir als Parlamentarier müssen eines beachten: Wir haben auch eine eigene Verantwortung gegenüber der Justiz. Wir haben eine eigene Verantwortung für das Funktionieren des Rechtsstaates. Ich wünsche mir, dass wir uns dessen bei den kommenden Beratungen auch bewusst sind.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Winkelmann. - Jetzt hat der Kollege Helge Limburg, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal, Herr Kollege Winkelmann, zu Ihrer Einschätzung, was das Interesse hier im Haus angeht: Sagen wir es mal so: Ich glaube, es ist eine Erfahrung, die die Justizpolitikerinnen und Justizpolitiker aller Fraktionen in diesem Hause, und zwar nicht erst seit dieser Legislaturperiode, machen, dass man den Eindruck gewinnen könnte, als würde Justizpolitik nicht zu den Schwerpunktthemen bei den Debatten in diesem Hause gehören. Ich bin ganz sicher: Die Kolleginnen und Kollegen, die nicht die Gelegenheit haben, jetzt hier zu sein, bedauern das sehr, sind aus gutem Grunde abwesend und werden unsere Reden im Protokoll nachlesen oder auf Video anschauen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Frau Ministerin hat uns den vorliegenden Gesetzentwurf vorgestellt. Er beinhaltet eine ganze Menge Regelungen; einige will ich unterstreichen.

Die gesetzliche Regelung zu den Budgeträten kann aus meiner Sicht in ihrer Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Hier werden bei dem wichtigen Aspekt der Verwaltung des Budgets die Selbstverwaltung der Justiz in Niedersachsen gestärkt und damit der Verfassungsanspruch der Unabhängigkeit der Justiz noch weiter gestärkt und mit noch mehr Leben gefüllt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die Ausweitung der Mitbestimmungsmöglichkeiten ist ausdrücklich zu würdigen - auch das ist ein wichtiger und richtiger Schritt.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Unabhängigkeit der Justiz als dritte Staatsgewalt ist elementar für unsere Rechts- und Verfassungsordnung. Demokratie ohne funktionierenden Rechtsstaat ist zwar denkbar, sie wäre aber hoch problematisch. Ohne funktionierenden Rechtsstaat wird Demokratie zur Willkürherrschaft der Mehrheit, wie wir gerade leider in mehreren Ländern dieser Erde, auch in Europa, beobachten müssen.

Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen, allen Richterinnen und Richtern, allen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten und auch allen sonstigen

Beschäftigten der niedersächsischen Justiz für ihre wertvolle und unverzichtbare Arbeit zu danken.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Es ist angesprochen worden, dass die Niedersächsische Verfassung die Möglichkeit zur Einrichtung von Richterwahlausschüssen seit 1993 ausdrücklich vorsieht. Der Gesetzentwurf setzt diese bewusst getroffene Verfassungsnorm nun in Gesetzesform um. Wir begrüßen das ausdrücklich.

Die Justiz in Niedersachsen ist demokratisch legitimiert - das ist gar keine Frage. Es handelt sich aber - das wissen wir alle - um eine sehr indirekte demokratische Legitimation. Sie ist abgeleitet vom Justizminister, dessen demokratische Legitimation wiederum vom Landtag abgeleitet ist, dem einzig direkt gewählten Verfassungsorgan.

Mit dem Wahlausschuss rücken die Stellenbesetzungen bei Richterinnen und Richtern näher an den Landtag, aber auch näher an die Justiz selbst heran und damit näher an den demokratischen Souverän. Das stärkt die Stellung und das Ansehen der Justiz, und das stärkt eben auch die direkte demokratische Legitimation.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Der Gesetzentwurf beschränkt in der Tat die Macht der Landesregierung und weitet gleichzeitig die Macht von Landtag und Richterinnen und Richtern aus. Was er nicht beinhaltet, ist eine Möglichkeit zur etwaigen politischen Willkür. Herr Kollege Winkelmann, wenn Sie unterstellen, es bestünde die Möglichkeit, dass die Politik die Justiz überstimmt, dann ist das ausdrücklich nicht richtig. In § 93 des Gesetzentwurfs finden Sie ausdrücklich - die Ministerin hat das auch ausgeführt -, dass für Personalentscheidungen in der Tat eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig ist. Damit ist sichergestellt, dass die Politik eben nicht in der Lage ist, die Justiz, die dritte Staatsgewalt, zu überstimmen. Das würde ja sonst auch unterstellen, dass sich die Politik aus Opposition und Regierung immer komplett einig ist. Nein, in erster Linie stärkt dieser Wahlausschuss die Macht der Justiz, die Macht der Selbstverwaltung. Das finden wir ausdrücklich richtig.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Winkelmann hat hier angesprochen, dass die Justiz nicht ausreichend ausgestattet sei. Ihre Befun

de sind ja erst einmal auf ganz Deutschland bezogen. Für Niedersachsen bleibt festzuhalten, dass Rot-Grün in den letzten Jahren die Stellenanzahl und auch die Mittel in der Justiz insgesamt kontinuierlich verstärkt und ausgebaut hat entgegen dem Antrag der CDU-Fraktion. Herr Winkelmann, das wissen Sie ganz genau. Ihre eigene Fraktion wollte die Justiz zum Finanzsteinbruch machen. SPD und Grüne waren es, die mehr Geld für die Justiz bereitgestellt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Zum Abschluss möchte ich noch auf Folgendes hinweisen: Wir haben in den vergangenen Jahren erlebt, wie CDU und FDP Kampagnen gegen Richterinnen und Richter in diesem Land geführt haben: Kampagnen gegen den Präsidenten des Landgerichtes Hildesheim, Kampagnen gegen die jetzige Präsidentin des Oberlandesgerichts Oldenburg, Kampagnen gegen den Präsidenten des Oberlandesgerichts Celle. Diese Kampagnen haben gezeigt: Ob die Justiz in das Zentrum parteipolitischer Auseinandersetzungen gerückt wird, liegt nicht in der Frage, ob es Richterwahlausschüsse gibt oder nicht, sondern in der Frage, wie verantwortungsbewusst Abgeordnete mit ihren Rechten und Möglichkeiten umgehen.

Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Limburg. - Ich stelle fest, dass weitere Wortmeldungen zum Tagesordnungspunkt 6 nicht vorliegen. Damit schließen wir die erste Beratung zu diesem Gesetzentwurf.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Federführend soll sich in diesem Fall der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen mit dem Gesetzentwurf befassen und mitberatend der Ausschuss für Haushalt und Finanzen. Wer das so unterstützt, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist ausreichend. Damit ist das so beschlossen und wird so geschehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, darf ich auf Veränderungen in der Tagesordnung für morgen und übermorgen hinweisen. Das ist jetzt insbesondere ein Hinweis für die vorgesehenen Rednerinnen und Redner zu den Punkten, die ich ansprechen werde. Der Tagesordnungspunkt 12 a, also

der erste Antrag zur Aktuellen Stunde, wird erst am Donnerstag nach den Dringlichen Anfragen aufgerufen. Das ist das Ergebnis einer interfraktionellen Einigung und hängt mit der Ab- bzw. Anwesenheit des zuständigen Fachressorts zusammen.

Der Tagesordnungspunkt 36 mit dem Titel „Den Wandel im Einzelhandel im Sinne vitaler Innenstädte und attraktiver Ortskerne unterstützen“ wird nach dem Tagesordnungspunkt 15 aufgerufen und schließt damit die Lücke, die durch das Verlegen des ersten Themas der Aktuellen Stunde auf den Donnerstag in der Tagesordnung für morgen entstanden ist.