Protokoll der Sitzung vom 23.01.2014

a) Gefahrengebiete in Hamburg - Drei Sprengstoffanschläge in Göttingen - Stehen wir am Beginn einer neuen Welle von Linksterrorismus? - Anfrage der Fraktion der CDU - Drs. 17/1139

Diese Dringliche Anfrage wird die Abgeordnete Frau Jahns vortragen. Bitte sehr, Frau Jahns, Sie haben das Wort.

(Ulrich Watermann [SPD]: Sie zieht die Frage jetzt zurück!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Dringliche Anfrage der CDU-Fraktion einbringen: Gefahrengebiete in Hamburg - Drei Sprengstoffanschläge in Göttingen - Stehen wir am Beginn einer neuen Welle von Linksterrorismus?

Am 21. Dezember 2013 kam es in Hamburg zu schweren Ausschreitungen rund um die linksautonome „Rote Flora“. Die Zeitung Die Welt vom 23. Dezember 2013 berichtet, dass sich bis zu 4 700 gewaltbereite Linksextremisten einen Straßenkampf mit 3 100 Polizisten geliefert hätten. 120 Polizisten seien zum Teil schwer verletzt worden. Die Ausschreitungen weiteten sich vom Schanzenviertel auch in angrenzende Stadtviertel Hamburgs aus.

In den folgenden Tagen kam es bundesweit zu mehreren Angriffen von mutmaßlichen Linksextremisten auf Polizisten. Die Ereignisse in Hamburg strahlten auf ganz Deutschland aus und waren Anlass für weitere Anschläge und Angriffe. So sind beispielsweise zu nennen:

28. Dezember 2013: Farbanschlag auf drei Polizeifahrzeuge in Straubing (Bekennerschreiben auf www.indymedia.org „Farbanschlag auf Bullenkar- ren!“),

31. Dezember 2013: Anschlag auf ein Büro der SPD in Mülheim (Bekennerschreiben auf www.in- dymedia.org „Frohes Neues SPD (nicht)!“),

6. Januar 2014: Anschlag auf die SPD-Geschäftsstelle in Frankfurt (FAZ vom 8. Januar 2014 „Stell- vertreterkampf um die ,Rote Flora’“).

In Hamburg hat der SPD-Innensenator Neumann große Teile der Stadt zu einem sogenannten Gefahrengebiet erklärt, in dem anlassunabhängige Kontrollen durch die Polizei durchgeführt werden konnten. Dieses Gefahrengebiet wurde kritisiert. Der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz, SPD, sagte laut Spiegel-Online-Meldung vom 13. Januar 2014 aber, dass sich diese Maßnahmen bewährt hätten.

Der Leiter des Verfassungsschutzes in Hamburg, Manfred Murck, warnt in der Welt vom 13. Januar 2013 vor Linksterrorismus. Für viele Linke sei laut Murck Gewalt weiterhin ein legitimes politisches Instrument.

In Niedersachsen ist insbesondere Göttingen zum Brennpunkt linksextremistischer Anschläge geworden. Laut Spiegel-Online vom 6. Januar 2014 wurde ein funktionstüchtiger Sprengsatz kurz vor Weihnachten am Göttinger Bahnhof unter dem Privatwagen eines Bundespolizisten gefunden. Durch ein Bekennerschreiben der Gruppe „Flora und Fauna“ auf www.indymedia.org wurde man auf zwei weitere Sprengsätze aufmerksam. Einer befand sich am Verwaltungsgericht Göttingen und einer am Hauptzollamt Göttingen.

Ferner wurde in der Nacht vom 3. auf den 4. Januar 2014 auf ein Gebäude in der Nikolaistraße in Göttingen ein Anschlag verübt. Die Hessisch Niedersächsische Allgemeine Zeitung vom 6. Januar 2014 berichtet, dass die Täter den Schriftzug „Flora bleibt“ auf die Wände des Gebäudes gesprüht und Behälter mit Farbe auf das Haus geworfen hätten. Dabei sollen auch mehrere Fensterscheiben zu Bruch gegangen sein. In diesem Haus ist auch das Büro des SPD-Ortsverbandes untergebracht.

Bereits im letzten Jahr wurden am Rande einer Demonstration am 29. November 2013, zu der u. a. die „Göttinger Antifaschistische Linke International“ und die Grüne Jugend Göttingen aufgerufen hatten, zwei Autos auf Grundstücken von Studen

tenverbindungen angesteckt, wie die HNA am 30. November 2013 berichtete. Bereits mehrfach zuvor kam es in 2013 zu Anschlägen auf verschiedene Studentenverbindungen in Göttingen.

Bereits in den Vorjahren gab es in Göttingen Anschläge auf Behörden. So zündete am 1. Dezember 2011 ein Brandsatz am Eingang des Amtsgerichtes in Göttingen. Laut HNA vom 4. Dezember 2011 war an mehreren Stellen in der Nähe der Schriftzug „RAZ“ für „Revolutionäre Aktionszellen“ aufgesprüht.

Am 22. Januar 2010 wurde ein Mitarbeiter der Ausländerabteilung des Landkreises Göttingen verletzt, als ein Sprengsatz in der Teeküche des Amtes explodierte. In der Nähe wurde laut Welt vom 23. Januar 2011 ein Bekennerschreiben mit Hinweisen auf eine linksextremistische Motivation gefunden.

Die FAZ vom 8. Januar 2014 schreibt in ihrem Bericht zu dem Anschlag auf das SPD-Büro in Frankfurt:

„Schon zum vierten Mal haben autonome Gruppen die Parteizentrale angegriffen.“

„Die SPD, so heißt es bei den Sicherheitsbehörden, ist offenbar zum neuen Feindbild der autonomen Szene geworden. Die Wut gegen die sozialdemokratische Politik in Hamburg bricht sich auch in Frankfurt Bahn.“

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Teilt die Landesregierung die Einschätzung, dass es auch in Niedersachsen ein erhebliches linksextremes Gewaltpotenzial gibt?

2. Welche Präventionsmaßnahmen gegen linksextremistische Gewalt werden gegenwärtig oder zukünftig von der Landesregierung durchgeführt?

3. Wie will die Landesregierung zukünftig Parteibüros der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und - speziell in Göttingen - Studentenverbindungen und staatliche Einrichtungen vor linksextremistischen Anschlägen besser schützen?

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Jahns. - Es folgt die Antwort durch die Landesregierung, ich denke durch den Herrn Innenminister. Herr Pistorius, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie es mich unmissverständlich ausdrücken: Die Niedersächsische Landesregierung verurteilt Anschläge und Angriffe jedweder Art auf Privatpersonen, Vereine und Institutionen genauso wie auf staatliche Einrichtungen.

(Beifall)

Und gerade weil das so ist, gebietet die uns obliegende Pflicht zur stets differenzierten Betrachtung der Realitäten, den Hinweis zu geben, dass die Landtagsfraktion der CDU nach meiner Auffassung ein leicht überzeichnetes Bild von der derzeitigen Situation vermittelt. Vom Beginn einer neuen Welle zum Linksterrorismus kann nicht die Rede sein, meine Damen und Herren. Natürlich - das ist die Differenzierung - ist aber auch der Linksextremismus kein statisches Phänomen und muss deshalb weiterhin beobachtet werden - und wird auch weiterhin beobachtet. Es hat in den vergangenen Jahren mit schwankender Intensität immer wieder Angriffe auf staatliche Einrichtungen und Repräsentanten sowie auf weitere Ziele seitens der autonomen und linksextremen Szene gegeben.

Auch aus dem vorliegenden Bekennerschreiben einer bislang nicht bekannten Gruppierung „Flora und Fauna“ ergeben sich keine Hinweise auf ein strukturiertes Handeln mit einer klaren ideologischen Zielsetzung. Die willkürliche Aufzählung und Aneinanderreihung bundesweit verübter Straftaten aus den letzten vier Jahren an sich begründet aber noch keine neue Deliktsqualität der Straftaten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Deliktsqualität „Terrorismus“ ist über das Strafgesetzbuch gesetzlich bestimmt. Ich verweise auf die einschlägigen Vorschriften in §§ 129 a und 129 b: „Bildung terroristischer Vereinigungen“ und „Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland“.

Ich betone: Im bundeseinheitlichen „Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen politisch motivierter Kriminalität“ werden darüber hinaus schwerwiegende politisch motivierte Gewaltdelikte - die Katalogtaten des § 129 a StGB - als Terrorismus ange

sehen, die im Rahmen eines nachhaltig geführten Kampfes planmäßig begangen werden, in der Regel durch arbeitsteilig organisierte und verdeckt operierende Gruppen.

Es hat in den letzten Jahren in Niedersachsen kein einziges Delikt gegeben, das in diesem Sinne als „terroristisch“ zu klassifizieren wäre.

Das linksextremistische Personenpotenzial in Niedersachsen entwickelt sich nach Einschätzung der Landesregierung rückläufig. Die Gewaltbereitschaft innerhalb der linksextremistischen Szene besteht aber weiterhin fort. Die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung gegen Sachen, teilweise und nicht selten auch gegen Menschen, ist dementsprechend niedrig. Szeneintern gibt es ein hohes Maß - ich finde, gelegentlich auch ein erschreckend hohes Maß - an Akzeptanz für gewalttätige Angriffe insbesondere auf Rechtsextreme und Polizeibeamte.

Polizistinnen und Polizisten werden dabei in erster Linie als Repräsentanten des verhassten „Repressionsapparates“ wahrgenommen. Ihnen wird absurderweise „Kumpanei“ mit Rechtsextremisten unterstellt, weil sie, ihrem gesetzlichen Auftrag entsprechend, auch Aufmärsche und Versammlungen von Rechten schützen müssen. Sie werden zynischerweise zwischen Menschen und Sachen eingeordnet. So kommt es vor allem bei Demonstrationen immer wieder zu ganz gezielter Gewalt gegen Polizeikräfte. Das ist menschenverachtend und auf das Schärfste zu verurteilen.

(Lebhafter Beifall)

Wie hoch die Gewaltbereitschaft gegenüber Rechtsextremisten ist, zu denen aus Sicht der autonomen Szene auch Burschenschaften zählen, zeigen zudem die Auseinandersetzungen zwischen Links- und Rechtsextremisten im Alltag und bei demonstrativen Ereignissen.

Diese vorhandene Gewaltbereitschaft muss uns besorgt machen, und sie zeigt uns, dass eine Beobachtung des Linksextremismus auch weiterhin unvermindert erforderlich ist.

(Lebhafter Beifall)

Es sind aber gegenwärtig trotz dieser Gewaltbereitschaft keine Anhaltspunkte für gezielte Anschläge auf das Leben von Personen bekannt. Anschläge mit derartigem Charakter haben die Bundesrepublik nach dem Bekanntwerden der NSU-Mordserie erschüttert. Dabei handelte es sich um tatsächlichen Rechtsterrorismus. Wenn hier

nun der Begriff „Linksterrorismus“ in den Raum gestellt wird, so werden dadurch nicht nur Ängste geschürt, sondern es handelt sich auch - ich betone das mit aller Nachdenklichkeit - in gewisser Weise um eine Rücksichtslosigkeit gegenüber den Opfern der NSU-Morde und ihren Angehörigen, die unter tatsächlichem Terrorismus gelitten haben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich stelle fest, meine Damen und Herren: Es kann in Niedersachsen nicht von Linksterrorismus gesprochen werden. Es wurden schwerwiegende Straftaten begangen, als „terroristisch“ können diese aber nicht bezeichnet werden. Auch verfestigte Strukturen und klare ideologische Zielsetzungen sind zurzeit nicht erkennbar.

Meine Damen und Herren, seitens der Niedersächsischen Landesregierung werden die aufgeführten jüngsten Anschläge ungeachtet dessen - oder gerade deshalb - sehr, sehr ernst genommen. Dies gilt auch für die Anschläge, die nicht in der Anfrage erwähnt wurden, z. B. für den Brandanschlag auf Bundeswehrfahrzeuge in der Nacht auf den 16. Dezember 2013 in Lüneburg. Sie sind unverantwortlich, menschenverachtend und nicht zu akzeptieren.

(Beifall)

Die Sicherheitsbehörden werden auch weiterhin unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten mit Nachdruck gegen alle extremistischen Straftäter vorgehen. Die Sicherheitsbehörden gehen dabei derzeit davon aus, dass auch zukünftig mit Angriffen auf Büros und Einrichtungen der SPD sowie anderer Parteien zu rechnen ist. Auch diese Straftaten werden mit der gebotenen Entschiedenheit verfolgt, weil sie einen Angriff auf das demokratische System der Bundesrepublik Deutschland darstellen.

(Beifall)