Protokoll der Sitzung vom 26.03.2014

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir tun alles, um die Abschiebungen so human wie möglich zu gestalten. Wir teilen den Termin vorher mit. Die Menschen gehen in aller Regel freiwillig mit. Das ist eine gute Praxis. Trotzdem wollen wir uns weiter anstrengen, die Zahlen zu reduzieren.

Wenn Herr Focke von Anstand spricht, dann fällt mir so manches ein. Aber eines steht fest: Sie, meine Damen und Herren von der CDU, sind nicht diejenigen, die in dieser Frage mit dem Finger auf andere zeigen sollten.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. - Sie haben 4:07 Minuten länger gesprochen als üblich. Wir werden das bei weiteren Wortmeldungen berücksichtigen. Aber erst einmal bleiben wir bei 5 Minuten. Wenn um zusätzliche Redezeit gebeten wird, gucken wir, wie wir hier verfahren.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Kollegin Filiz Polat, Bündnis 90/Die Grünen. Frau Polat, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden den Paradigmenwechsel weiter vorantreiben, ob Sie das gut finden oder nicht. Sie werden, wie der Innenminister gesagt hat, jeden landespolitischen Handlungsspielraum in der Flüchtlingspolitik nutzen, der sich uns bietet und der uns rechtlich als möglich erscheint.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Hier wissen wir die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände, den Flüchtlingsrat und die Flüchtlingsorganisa

tionen an unserer Seite. Sie unterstützen uns nämlich in dieser Frage.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Christian Dürr [FDP]: Warum sagen die das nicht öffentlich?)

Aber wo, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind die Anträge der CDU zur Flüchtlingspolitik? Wo sind Ihre Konzepte für ein gerechtes europäisches Asylsystem, wo Ihre Vorschläge für eine humane Flüchtlingspolitik oder eine andere Abschiebepraxis, Frau Jahns? - Fehlanzeige bei der CDU! Nichts haben Sie eingebracht! Gar nichts!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Helge Limburg [GRÜNE]: Da kommt gar nichts! Die wollen einfach nur weitermachen!)

Denn die CDU-Fraktion, meine Damen und Herren, will gar keinen Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Sie wollen in der Schünemann’schen Ecke sitzen bleiben und verteidigen leider immer noch die furchtbare Politik dieses unsäglichen Ministers.

(Zurufe von der CDU)

- Das zeigt diese Reaktion gerade.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Warum lernen Sie nicht aus Ihren Fehlern, gerade in Niedersachsen, wo doch selbst Ihr Ministerpräsident a. D. erklärt hat, dass Sie die Wahl wegen dieses Politikfeldes verloren haben?

Meine Damen und Herren, es ist eine Herausforderung, zehn Jahre Schünemann’sche Politik in 365 Tagen zu ändern. Aber wir arbeiten daran, den letzten Geist dieser Politik auch aus der hintersten Ecke zu vertreiben, Herr Minister!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Angelika Jahns [CDU]: Also wirklich!)

Meine Damen und Herren, gerade bei den Abschiebungen, die in unserer Verantwortung liegen, gerade dort, wo Ausländerbehörden im Auftrag des Gesetzgebers ordnungspolitisch handeln, brauchen die Behörden klare Richtlinien des Innenministeriums, die ihnen einerseits vermitteln, was der Anspruch unserer neuen Flüchtlingspolitik ist, und die andererseits auch den Handlungsrah

men und die Grenzen für eine Abschiebung aufzeigen. Deshalb haben wir die Ankündigung des Innenministers in der Presse, dass bald ein Rückführungserlass in Kraft gesetzt wird, der einen klaren Handlungsrahmen definiert - eine der ersten Maßnahmen unter Schünemann bestand darin, dies abzuschaffen -, ausdrücklich begrüßt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Gudrun Pieper [CDU]: Bleiben Sie bei der Wahrheit!)

Herr Innenminister Pistorius hat es gerade schon beschrieben: Wir wollen nicht, dass Eltern, wenn sie abends ihre Kinder ins Bett bringen, Angst haben müssen, dass sie abgeschoben werden. Das wird es unter Rot-Grün nicht geben!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ein zentraler Gegenstand der Auseinandersetzung bleibt der Umgang mit Flüchtlingen, die sich im Dublin-System befinden, wobei die Verantwortung hauptsächlich beim Bund liegt. Wir Grüne sagen ganz deutlich: Die Dublin-Verordnung gehört abgeschafft!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das wurde den Mitgliedern des Sozialausschusses auch bei der Reise nach Italien deutlich gemacht. Mit den Worten eines Jesuitenpaters in Rom gesagt: Die DublinVerordnung ist ein totaler Fehler!

(Gudrun Pieper [CDU]: Mit dem haben Sie aber nicht gesprochen!)

Meine Damen und Herren, es ist die CDU, die dieses unsägliche System unverändert verteidigt. Es ist Ihre Partei, die im Bundestag und in der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament zu denjenigen gehört, die Europa zu einer Festung haben verkommen lassen, und die eine Politik vertreten, die Millionen von Steuermitteln für die Aufrüstung an europäischen Grenzen zum Kampf gegen Flüchtlinge verschwendet.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Helge Limburg [GRÜNE]: Rich- tig!)

Die syrischen, somalischen und afghanischen Flüchtlinge sind nicht Europas Feinde, meine Damen und Herren.

(Glocke des Präsidenten)

Erkennen Sie das endlich an!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nach den Tausenden Toten im Mittelmeer und den Bootsunglücken vor Lampedusa im Oktober letzten Jahres haben viele Politikerinnen und Politiker der EU - auch hier in der Bundesrepublik - für einen Moment innegehalten. Sie gaben das Versprechen ab, dass Tragödien wie diese nie wieder geschehen dürfen.

Nur acht Tage nach dem ersten Bootsunglück geriet ein weiteres Boot in Seenot. 250 Menschen verloren nur einen Steinwurf von Lampedusa entfernt ihr Leben. Die italienischen Behörden erhielten zwar den Notruf, aber das Boot befand sich in maltesischen Hoheitsgewässern.

Was haben die Angehörigen und die Flüchtlinge von den zahlreichen Trauerbekundungen, meine Damen und Herren?

Europa kommt auf dem Weg zu einem gemeinsamen Asylsystem nicht voran. Wenn es aber um Grenzüberwachungssysteme wie „Eurosur“ oder Maßnahmen der Grenzsicherung geht, fließen die Millionen, und die europäischen Staatschefs sind sich leider sehr schnell einig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Zu glauben, dass durch die Taskforce Mittelmeer, durch Frontex oder nationale Militäroperationen wie die italienische „Mare Nostrum“, die wir kennenlernen konnten, Flüchtlinge gerettet werden, ist zynisch und kaum zu ertragen.

Lassen Sie mich zum Schluss aus dem bewegenden Appell der Bürgermeisterin von Lampedusa, Giusi Nicolini, nach den Unglücken vor ihrer Insel zitieren - mit Erlaubnis des Präsidenten -:

„Am 3. November musste ich feststellen, dass mir bereits 21 Leichen übergeben worden waren - von Menschen, die bei dem Versuch, Lampedusa zu erreichen, gestorben waren. Das ist für mich unerträglich und für die Insel ein großer Schmerz. Ich musste sogar Kolleginnen und Kollegen in der Provinz um Hilfe bitten, damit wir die letzten elf Leichen würdevoll bestatten konnten - auf Lampedusa stehen auf den Friedhöfen mittlerweile keine Gräber mehr zur Verfügung. Wir werden neue schaffen, aber ich frage mich: Wie groß muss der Friedhof auf unserer Insel noch werden?

Und so bin ich immer mehr davon überzeugt, dass die europäische Flüchtlingspolitik diese Opfer in Kauf nimmt, um die Immigration zu kontrollieren, womöglich sogar um abzuschrecken. Für die Menschen, die mit dem Schiff nach Lampedusa aufbrachen, war die Reise ihre letzte Hoffnung. Ihr Tod ist für Europa eine Schande.“

(Ulf Thiele [CDU]: Das ist eine schlimme Unterstellung!)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Polat. - Wir haben die Überziehung der Redezeit durch den Minister sozusagen mit eingespeist. Das machen wir bei Ihnen auch, Herr Kollege Oetjen.

Für die FDP-Fraktion hat Jan-Christoph Oetjen das Wort. Bitte schön!