Protokoll der Sitzung vom 14.03.2013

Frage 1: Anpassung der Pflegesätze - Welche Kompetenzen haben das Land und die neue „Fachkommission Pflege“?

Einbringen wird diese Frage Herr Kollege Böllke. Bitte, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Wenn ich darauf hinweisen darf, bevor ich die Frage verlese: Hinter dem ö steht ein Dehnungs-h. „Böhlke“ klingt viel schöner, wie ich finde.

(Heiterkeit)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stellen folgende Frage als Mündliche Anfrage:

Im Koalitionsvertrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 18. Februar 2013 wird angekündigt, eine „Fachkommission Pflege“ ins Leben zu rufen, „die die landespolitischen Initiativen unter Einbeziehung der Verbände … vorbereitet“. So soll u. a. über eine Konvergenzphase eine Anpassung der Pflegesätze auf mindestens den durchschnittlichen Pflegesatz der westdeutschen Bundesländer erfolgen.

Wir fragen die Landesregierung:

1. In welchem Verhältnis wird die Fachkommission zu dem gemäß § 92 SGB XI in Niedersachsen eingerichteten Landespflegeausschuss stehen?

2. Welche Aufsichtsmöglichkeiten hat das Land bei der Bestimmung der Höhe der Pflegesätze, und wie wird die konsequente Nutzung konkret erfolgen?

3. Auf der Basis welcher (Rechts-)Grundlage soll die Konvergenzphase eingeführt werden, und wie und von wem werden die entsprechend erhöhten Pflegesätze zu finanzieren sein?

(Beifall bei der CDU)

Für die Landesregierung möchte Frau Ministerin Rundt antworten.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Gemäß § 9 des SGB XI sind die Länder für die Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur verantwortlich. Dabei wirken sie nach § 8 Abs. 2 SGB XI mit den Kommunen, den Pflegeeinrichtungen und den Pflegekassen eng zusammen.

§ 1 des Niedersächsischen Pflegegesetzes definiert die Zielsetzungen, die für planerische und fördernde Maßnahmen auf Landesebene gelten. Danach ist eine leistungsfähige, wirtschaftliche und räumlich gegliederte pflegerische Versorgungsstruktur zu gewährleisten. Die Sicherstellung dieses Ziels muss durch eine ausreichende Zahl von Pflegeeinrichtungen erfolgen. Notwendig ist eine ortsnahe, aufeinander abgestimmte und dem allgemein anerkannten medizinisch-pflegerischen Erkenntnisstand entsprechende Versorgung der Pflegebedürftigen. Dies gilt sowohl für den ambulanten Bereich als auch für die teilstationäre und vollstationäre Pflege.

Die Umsetzung dieser Zielsetzungen ist in Niedersachsen defizitär. Die Rahmenbedingungen für eine qualitätsgesicherte Altenpflege in Niedersachsen sind unzureichend und werden sich im Zuge des demografischen Wandels weiter - vermutlich dramatisch - verschlechtern, wenn wir nicht unverzüglich Maßnahmen zur Verbesserung dieser Rahmenbedingungen ergreifen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Landesregierung weist auf folgende Aspekte hin:

Die Pflegesätze sind in Niedersachsen die niedrigsten aller westdeutschen Flächenländer. Die Pflege in Niedersachsen ist unterfinanziert. Nicht nur im stationären, sondern auch im ambulanten Bereich. Die Träger von Pflegeeinrichtungen und ihre Beschäftigten stehen Tag für Tag vor der Herausforderung, unter zunehmend erschwerten Bedingungen den Bedarf der Pflegebedürftigen zu befriedigen. Die Altenpflege leidet unter ihrer Konkurrenzsituation zu anderen Berufsfeldern und unter ihrem schlechten Ruf.

Die Landesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, diese Rahmenbedingungen zu verbessern. Unverzichtbar ist, dass alle Pflegebedürftigen und auch ihre Angehörigen in Niedersachsen Zugang zu einer guten und sicheren Pflege haben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Landesregierung wird daher umfassende Initiativen und Maßnahmen sowohl auf der Bundes- als auch auf der Landesebene ergreifen.

Kommen wir zuerst zur Bundesebene. Die wesentlichen Zukunftsprobleme der Pflegepolitik sind auf Bundesebene nach wie vor ungelöst. Dazu gehört die Neudefinition des bisher rein somatisch ausgerichteten Pflegebedürftigkeitsbegriffs.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Vorarbeiten dafür sind von einem Expertenbeirat bereits im Jahr 2009 abgeschlossen worden.

Auf Bundesebene ist die Problematik der Dynamisierung der Leistungen der Pflegeversicherung zu lösen. Seit ihrer Einführung haben die Leistungen der Pflegeversicherung erheblich an Kaufkraft verloren. Am Beispiel der Leistungen der Pflegestufe II in der vollstationären Pflege wird dies deutlich: Bei Einführung der Pflegeversicherung betrug die Leistung monatlich 2 500 DM, also 1 279 Euro. Dieser Betrag gilt noch heute. Eine durchschnittlich zweiprozentige jährliche Preissteigerungsrate unterstellt, hat dieser Betrag heute im Vergleich zu 1995 eine Kaufkraft von lediglich 57 %.

Pflegebedürftige müssen die nicht von der Pflegeversicherung gedeckten Kosten selber aufbringen. Dieser privat zu finanzierende Anteil steigt Jahr für Jahr. Somit nimmt auch der Anteil Sozialhilfeberechtigter zu, weil immer häufiger privates Einkommen und Vermögen zur Finanzierung der Pflege

nicht ausreichen. Die bisherigen Leistungsanpassungen, die im SGB XI vorgesehen sind, gleichen diesen Effekt unzureichend aus. Der stationäre Bereich beispielsweise wurde von den letzten Leistungsanpassungen des Pflege-NeuausrichtungsGesetzes gänzlich ausgenommen.

Der Bericht der Bundesregierung vom 5. Dezember 2011 über die Entwicklung der Pflegeversicherung und den Stand der pflegerischen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland weist darauf hin, dass bereits im Jahr 2004 die Sozialhilfeausgaben im ambulanten Bereich nahezu wieder denen des Jahres 1995 - vor Einführung der Pflegeversicherung - entsprachen und seitdem kontinuierlich angestiegen sind.

Die Pflegeversicherung ist deutlich unterfinanziert. Das jetzige Beitragssystem wird den Anforderungen des demografischen Wandels nicht standhalten können. Erforderlich ist daher der Umstieg in eine solidarische und auskömmliche Finanzierung unter Einbeziehung aller Einkunftsarten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Eine einheitliche Pflegeausbildung und deren Absicherung ist ebenfalls auf Bundesebene noch nicht gewährleistet, insbesondere nicht die tarifliche Ausbildungsvergütung.

Die Landesregierung wird sich daher verstärkt dafür einsetzen, dass eine umfassende Reform der Pflegeversicherung auf Bundesebene unverzüglich in Angriff genommen wird.

Reden wir über die Landesebene. Auf der Ebene des Landes besteht erheblicher Aufholbedarf. Die vorherige Landesregierung hat es versäumt, den Herausforderungen des demografischen Wandels zu begegnen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie hat in Kauf genommen, dass sich die Situation der pflegebedürftigen Menschen, der Einrichtungsträger und ihrer Beschäftigten in den letzten Jahren stetig verschlechtert hat. Sie hat ihre Verantwortung nach den Regelungen des SGB XI und des Niedersächsischen Pflegegesetzes nur unzureichend wahrgenommen.

Die Landesregierung weist darauf hin, dass der im Landespflegeausschuss im November 2011 geschlossene sogenannte Pflegepakt zwar eine Reihe von Zielformulierungen und Absichtserklärungen enthielt, jedoch lediglich ein kleiner Teil davon

umgesetzt wurde. Das dort formulierte Ziel, gemeinsame und einheitliche Handlungsempfehlungen bzw. Leitlinien für die Altenpflege in Niedersachsen festzulegen, hat keine Fortschritte erbracht. Der Pflegepakt ist in den Anfängen stecken geblieben. Dazu folgende Beispiele:

Erstens. Nach wie vor sind trotz des Pflegepakts die Pflegesätze in Niedersachsen die niedrigsten im Vergleich zu allen westdeutschen Flächenländern.

Zweitens. Die Verhandlungen über eine Anpassung des Niedersächsischen Leistungskomplexkatalogs für die ambulante Pflege sind bis heute gescheitert.

Drittens. Die im Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz ab dem 1. Januar 2013 vorgesehenen Leistungsverbesserungen sind nicht umgesetzt worden. In Niedersachsen können Pflegebedürftige ihren Anspruch auf eine Pflege in Form von Zeitkontingenten, der bereits seit dem 1. Januar besteht, nicht durchsetzen. Die vorherige Landesregierung hat sich nicht bemüht, rechtzeitig dafür zu sorgen, dass die erforderlichen Vereinbarungen zwischen den Pflegediensten, den Pflegekassen und den Kommunen geschlossen wurden.

Viertens. Entgegen der Beschlusslage des Pflegepakts ist im Bereich des Bürokratieabbaus bis heute nichts geschehen, weder beim Abbau von Dokumentationspflichten noch bei der Koordination von Prüfungen der Aufsichtsbehörden.

Das sind die Versäumnisse der bisherigen Landesregierung.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die jetzige Landesregierung hat in ihrer Koalitionsvereinbarung konkrete Schritte zur Verbesserung der Situation der Pflege in Niedersachsen benannt.

(Jens Nacke [CDU]: Die Landesregie- rung schließt keine Koalitionsverein- barungen! Das tun immer noch die Parteien!)

Beispielhaft sei auf folgende Maßnahmen hingewiesen: Unter anderem geht es um die Errichtung einer Fachkommission Pflege, die die landespolitischen Initiativen unter Einbeziehung der Verbände vorbereiten wird. Vorgesehen ist die Bearbeitung folgender Themen: verstärkte Anstrengungen zur Zusammenführung einer Grundausbildung von Alten-, Kranken- und Gesundheitspflege, des Weiteren - das ist ein ganz dringender Punkt - die An

erkennung der tariflichen Entlohnung in der Altenpflege zur Beendigung der Dumping-Lohnspirale in der Pflegebranche,

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

die Anpassung der Pflegesätze über eine Konvergenzphase auf mindestens den durchschnittlichen Pflegesatz der westdeutschen Bundesländer,

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

die Ausrichtung der Preisbildung in der stationären Pflege an der tatsächlichen landesweiten Auslastung und - das ist ganz wichtig - die Entlastung der pflegenden Angehörigen durch die Sicherstellung der Kurzzeit- und Verhinderungspflege in den Pflegeeinrichtungen insbesondere im ländlichen Bereich, zudem die flächendeckende Stärkung der ambulanten Pflege und ein Bürokratieabbau durch Überprüfung der Dokumentationspflichten und Bündelung bisher unabgestimmter und zersplitterter Aufsichtsaktivitäten, darüber hinaus die Einführung einer solidarischen Umlagefinanzierung der Ausbildungsvergütung in der Altenpflege,