Für die meisten von uns ist das Thema in den vergangenen Tagen durch die Zuspitzung der Krise im Nahen Osten aktuell geworden. Sie wissen, für mich ist es seit vielen Jahren aktuell.
So war der Beginn meiner Rede, bevor ich die Überschrift kannte, die die CDU dieser Anfrage gegeben hat. Ich habe es dennoch dabei belassen.
Angezeigt gewesen wären heute die Gemeinsamkeit aller Demokraten und der Versuch, die Situation auf den Straßen in Hannover oder in Deutschland zu deeskalieren. Herr Nacke, diese Chance ist leider vertan.
Bei Mitgliedern jüdischer Gemeinden gibt es zunehmend Verunsicherung und auch schon Angst. Ich sage dies ganz deutlich auch vor dem Hintergrund, dass der von allen geschätzte Herr Fürst vor ein paar Tagen in einer hannoverschen Tageszeitung nicht so recht eine Bedrohung erkennen konnte. Mich erreichen da andere Nachrichten, auch von ehemaligen Schülern, die es in ihrer Schulzeit auf Anraten ihrer Eltern noch für ratsam gehalten haben, ihr Judentum zu verschweigen.
Vieles an Antisemitismus findet heute nicht auf der Straße, sondern im Netz statt. Wer nicht im Netz unterwegs ist, ist in der Regel ein glücklicher Mensch.
Zurück zum Ausgangspunkt: Es ist unbestritten legitim, auf die Straße zu gehen und gegen Krieg oder für Frieden im Nahen Osten oder für beides zu demonstrieren. Tausende von Menschen haben das in den letzten Tagen getan. Sie sind zu Recht erschüttert über die vielen - vor allen Dingen zivilen - Opfer.
Auch im Niedersächsischen Landtag wollen wir die Hoffnung nicht aufgeben, dass es gelingen möge, einen Waffenstillstand herbeizuführen - eine Waffenruhe, in der allerdings auch der Raketenbeschuss auf Israel aufhört.
Was uns in den vergangenen Tagen alle gemeinsam bestürzt hat, ist die überall stattfindende Verwandlung von Friedensdemonstrationen in antijüdische Manifestationen.
Erschrecken Sie jetzt nicht - ich zitiere noch einmal -: „Hamas, Hamas! Juden ins Gas!“ „Jude, Jude, feiges Schwein! Komm heraus, und kämpf allein!“ - Das sind gerufene Parolen auf Deutschlands Straßen, die wir so bis dato nicht gehört haben und die wir natürlich nicht tolerieren dürfen.
Zu keiner Zeit war es in der Bundesrepublik verboten, Israel zu kritisieren. Dennoch ist ein Kernsatz in vielen Debatten - quer durch die ganze Gesellschaft, quer durch alle Schichten -: „Das wird man doch wohl noch mal sagen dürfen!“ Wenn ich das höre, wird mir immer schlecht, muss ich sagen.
Israel darf kritisiert werden, und Israel wird kritisiert. Am heftigsten sind diese Debatten übrigens in Israel selbst. Menschen, die heute aus großer Sorge um den Frieden, aus großer Sorge, weil sie vielleicht Angehörige im Gazastreifen haben, auf die Straße gehen, haben unsere Anteilnahme. Auch uns lassen die Bilder nicht kalt. Wer allerdings die genannten Parolen ruft, wer freiwillig unter Hamas-Fahnen demonstriert, wer Schilder mit dem Titel „Gestern vermeintlich Opfer, heute Täter“ trägt, an dessen Seite stehen wir definitiv nicht!
Es geht nicht an, dass Menschen jüdischen Glaubens in unserem Land bedroht und sogar verletzt werden - sei es in Berlin, Göttingen oder anderswo.
Aus Berliner Justizkreisen verlautete, „Jude, Jude, feiges Schwein“ sei kein Straftatbestand der Volksverhetzung. Also wird es anders passieren. Es wird über eine Verordnung künftig nicht möglich sein, so etwas zu rufen. Und seien Sie versichert: Dies wird auch in Niedersachsen kein Donnerhall bei Demonstrationen mehr sein, bzw. es wird überhaupt nicht mehr vorkommen.
haben alle die Verantwortung, gemeinsam - gerade auch mit Menschen muslimischen Glaubens - gegen vorhandenen Antisemitismus bei jungen Migranten vorzugehen.
Ein hervorragendes Zeichen hat gestern die Türkische Gemeinde in Niedersachsen in Hannover mit ihrer Erklärung gesetzt. Dort heißt es u. a.: Insbesondere die Relativierung der Schoah wegen der aktuellen Geschehnisse im Nahen Osten entbehrt jeder Grundlage, und wir sind beschämt über - - - - Sie haben es gelesen.
Ein letzter Satz, weil ich nicht überziehen darf - damit komme ich auch noch einmal zum AlltagsAntisemitismus -: Eine junge Frau hält in Niedersachsen eine Vorlesung an einer Universität zu unserem heutigen Debattenthema. Am Ende meldet sich eine Studentin und fragt freundlich: „Warum gehen Sie eigentlich nicht in Ihre Heimat, wo alles hier so schlimm ist?“ - Die Dozentin ist 34 Jahre alt und in Hannover geboren. Wir sollten alle darüber nachdenken und dafür sorgen, dass solche dummen Fragen an deutschen Universitäten nicht mehr gestellt werden.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung ist - wie Sie alle auch - zutiefst betroffen über die schrecklichen Geschehnisse, über die kriegerischen Auseinandersetzungen, die sich nach der jüngsten Eskalation im Nahostkonflikt ereignet haben. Wir sind schockiert über das große Leid, das so viele unschuldige Menschen dort erleben müssen.
Diese Ereignisse, die uns alle nicht kalt lassen, haben eine enorme Tragweite, und sie berühren Menschen in der ganzen Welt und wühlen sie auf - so auch bei uns. Sie machen traurig, wütend, zornig und in Teilen auch ratlos und hilflos.
Auch in Deutschland gehen Menschen auf die Straße. Sie haben dabei ganz unterschiedliche Motivationen und Hintergründe. In diesem Zusammenhang ist es am 19. Juli in Göttingen leider zu sehr hässlichen Szenen gekommen.
Mit Blick auf den - vorsichtig gesagt - tendenziös formulierten Titel dieser Aktuellen Stunde möchte ich aber direkt einige wesentliche Dinge richtigstellen.
Auf der Demo vom 19. Juli hat ein Teilnehmer des pro-palästinensischen Aufzuges eine von ihm selbst mitgebrachte Israel-Flagge verbrannt - so weit der derzeitige Erkenntnisstand. Die Polizei hatte keine Erkenntnisse darüber, dass es zu einer Gegendemonstration oder gar zu Übergriffen kommen würde. Sobald das erkannt wurde und eine Spontandemo angemeldet worden war, sind die Kräfte verstärkt worden.
Die Demo war im Übrigen nicht von linken Antisemiten angemeldet, und die Teilnehmer sind in der Masse auch nicht dem linken Antisemitismus zuzuordnen.
Schon allein deshalb führt der Tenor, den Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, für dieses sehr ernste Thema gewählt haben, auf eine falsche Fährte, die der Sache nicht dienlich ist.
Diese Landesregierung arbeitet mit ganzer Kraft daran, Antisemitismus in unserer Gesellschaft zu bekämpfen, weil es eine gemeinsame, eine sehr ernste und scheinbar nie endende Aufgabe von uns allen ist und bleiben wird. So hat der niedersächsische Verfassungsschutz erst vor zwei Wochen, Herr Nacke, in der Tat ein lange geplantes, sorgfältig und umfassend konzipiertes Symposium mit dem Titel „Antisemitismus im extremistischen Spektrum“ durchgeführt. Ich habe dort selbst die zentrale Rede gehalten.
Wenn Sie, Herr Nacke, sagen, ich würde mich hinter diesem Symposium verstecken, dann lassen Sie mich dazu zwei Bemerkungen machen:
Zweitens. Wenn ich richtig informiert bin, war die CDU-Landtagsfraktion bei dieser Veranstaltung nicht anwesend.
Wenn Sie anwesend gewesen wären, hätten Sie sich diese Aktuelle Stunde möglicherweise schenken können, weil Sie aus dieser Veranstaltung
Antisemitismus gibt es im Rechtsextremismus, im Islamismus und auch im Linksextremismus. Ganz überwiegend ist Antisemitismus in Deutschland rechtsextrem motiviert. Das gilt bis heute. Das erleben wir etwa dann, wenn Neonazis Mahnmale und jüdische Friedhöfe schänden oder den Holocaust leugnen oder relativieren.
Lassen Sie es mich deutlich sagen: Dieser pure Judenhass, egal, wo er stattfindet, und egal, von wem er artikuliert wird, wird von uns aufs Schärfste verurteilt, meine Damen und Herren.
Deswegen haben wir bei dem Symposium natürlich auch den Linksextremismus thematisiert. Dazu lässt sich eines festhalten: Die linksextremistische Szene ist in dieser Frage tief gespalten, wie sie es mit Israel halten soll. Da gibt es Strömungen, die sich mit Israel solidarisieren, und es gibt die antiimperialistischen Strömungen, die den Staat Israel ablehnen und dabei seine berechtigten Sicherheitsinteressen ignorieren. Auch das verurteile ich zutiefst - um es sehr deutlich zu sagen.
Wenn wir aber wirksam und strukturiert gegen Antisemitismus vorgehen wollen, dann dürfen wir nicht alle Strömungen vom linksextremistischen Antiimperialismus bis hin zum rechtsextremen Judenhass, vom Antizionismus bis hin zum Antisemitismus miteinander vermengen. Das hilft nicht, meine Damen und Herren.
Wir müssen dieses ernste Thema differenziert behandeln. Nur dann können wir wirksam und zielgerichtet vorgehen. Die niedersächsischen Behörden haben sich dessen angenommen - umfassend, differenziert und sorgfältig. Das Symposium ist nur ein Beispiel.