Protokoll der Sitzung vom 16.12.2014

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Dennoch sind, so die Vereinten Nationen, allein in dieser Region aktuell 1,9 Millionen Menschen akut von Hunger und Kälte bedroht - ein Armutszeugnis für die internationale Gemeinschaft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kollege Watermann hat es angesprochen: Angesichts der schrecklichen Weltlage sollten wir uns nun geschlossen für eine menschenrechtsbasierte Flüchtlingsaufnahmepolitik einsetzen und in der Bevölkerung weiterhin dafür werben. Denn gerade vor dem Hintergrund der Demonstrationen in unseren Städten gegen Muslime und Zuwanderer brauchen wir jetzt ein breites Bündnis der demokratischen Parteien und zivilgesellschaftlichen Kräfte für Menschlichkeit, für eine echte Willkommenskultur. Wir müssen das klare Signal an die Zuwanderer und die Muslime senden, dass sie gerade nach der

Terrorserie des NSU in Deutschland keine Angst zu haben brauchen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wir dürfen die Pegida-Demonstrationen nicht verharmlosen. Denn wer gegen unsere Verfassung demonstriert, ist kein Patriot. Pegida stellt Menschenrechte wie die Religionsfreiheit und das Recht aus Asyl und damit die Verfassung, die Grundlage unserer Gesellschaft, infrage. Das muss klar gesagt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Klaus Hillenbrand schreibt heute zu Recht in der taz:

„Wirklich furchtbar aber ist es, wenn Demokraten glauben, sie könnten den Irrsinn damit bekämpfen, den Irrsinnigen politisch entgegenzukommen.“

Diesen Fehler sollten wir nicht machen. Wir dürfen auch nicht die Fehler der 90er-Jahre wiederholen und aufgrund des Drucks der Straße die Aufenthalts- und Asylgesetze verschärfen. Das ist ganz wichtig für das Jahr 2015.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Polat. - Für die Fraktion der FDP spricht jetzt die Abgeordnete Hillgriet Eilers. Bitte sehr! Ich erteile Ihnen das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Polat, Sie haben gerade sehr wenig zu Niedersachsen gesagt. In der Vergangenheit hat Niedersachsen doch bewiesen, dass es die Kraft hat, große Zahlen von Flüchtlingen in unsere Gesellschaft zu integrieren. Das war nach dem Zweiten Weltkrieg möglich, als viele Vertriebene halfen, unser Land wieder aufzubauen. Es war ebenso möglich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, als viele Opfer von Flucht und Vertreibung hier ein neues Zuhause fanden. Auf die damit verbundenen Integrationsleistungen können wir Niedersachsen stolz sein.

Wenn wir nun erneut vor der Herausforderung stehen, viele Menschen aufzunehmen, können wir von diesen Erfahrungen profitieren. Denn wir ha

ben begriffen, dass Neubürger unsere Gesellschaft bereichern können und das Land voranbringen, auch wenn klar ist, dass es eine Zeit dauern wird, bis das Fremde heimisch wird.

Alle Vertreter in unserem Parlament sind sich einig, dass unser Land Aufgaben zu lösen hat, die nur im Zusammenklang mit Bund und Kommunen zu bewältigen sind. Die zu erwartende Finanzspritze von 500 000 Euro für 2015 - Sie haben es gerade erwähnt - brauchen wir genauso dringend wie gemeinsame gesamtstaatliche Lösungen für minderjährige Flüchtlinge, für die Gesundheitsversorgung, für die Erstaufnahmen und für die Unterbringung. Aber ich sage auch deutlich: Mehr Einsatz ist erforderlich, um die Not der Flüchtlinge in Syrien und im Irak zu lindern. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die verstärkten EU-Aktivitäten an den Grenzen keine weiteren Menschenleben kosten.

Über die Ziele der Migrationspolitik herrscht in Niedersachsen weitgehend Übereinstimmung. Bei der Art der Umsetzung hat die FDP allerdings deutlich andere Vorstellungen als die Regierungsparteien.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Landesregierung hat einige Weichen falsch gestellt. Wir wollen keine Flüchtlingspolitik, in deren Mittelpunkt die eigenen Apparate stehen, die Rot-Grün beharrlich mit Millionen füttert, und die an den Bedürfnissen der Menschen vorbeizielt. Wir wollen auch keine Fähnchen schwenken, auf denen „Hurra“ und „Willkommen“ steht. Solcherlei Politik gleicht einem wunderbar verpackten Geschenk, das wenig mehr enthält als taube Nüsse.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung von Ulf Thiele [CDU])

Eine liberale Migrationspolitik hat einen anderen Ansatz und ein anderes Menschenbild.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Das glaubt Ihnen doch niemand!)

Denn wir wollen den Menschen etwas zutrauen. Das gilt für die Zivilgesellschaft, für die vielen Niedersachsen, die am eigenen Leibe erfahren haben, was Flucht und Vertreibung bedeuten, und die bereit sind, auch ehrenamtlich und nachbarschaftlich zu helfen. Das gilt in besonderer Weise für jene, die zu uns kommen, weil sie leistungsbereit sind und ihre Zukunft gestalten wollen. Die meisten sind motiviert, etliche von ihnen gut gebildet. Sie waren lange genug Opfer und in eine passive Rolle gedrängt. Es ist Zeit, ihnen Chancen für ein

freies, aktives, selbstbestimmtes Leben zu eröffnen.

(Beifall bei der FDP)

Sie wollen nicht bedauert und verwaltet werden, so wie es die rot-grüne Flüchtlingspolitik bevorzugt. Sie wollen, dass man ihnen zutraut, für sich selber zu sorgen.

Aber damit das gelingen kann, sind mehr Offenheit und mehr Ehrlichkeit gefordert. Wir müssen die Chancen, aber auch die Grenzen der Aufnahme von Menschen benennen.

Zum einen ist es wichtig, darüber aufzuklären, welche positiven Effekte Zuwanderung hat und welche Potenziale sie für die Entwicklungsfähigkeit unseres Landes eröffnet.

Aber zum anderen ist es ebenso wichtig, die Probleme, die Hürden und die Lasten zu benennen, die besonders in der ersten Phase der Aufnahme mit Flüchtlingen verbunden sind, und vor allem die Ängste vor der Veränderung unserer Gesellschaft zu nehmen.

So wird der Wandel akzeptiert. Nur so kann es uns gelingen, klare Signale gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz zu setzen.

Angesichts aktueller extremer Tendenzen und des Schürens wabernder Vorurteile insbesondere

durch rechte Gruppierungen sind wir alle mehr in der Pflicht, Rückgrat zu zeigen. Ebenso klare Ansagen sind gegenüber jenen gefordert, die hier leben wollen. Sie haben sich an unsere rechtsstaatlichen Regeln zu halten und sich zu unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen.

Sehr geehrte Damen und Herren, der zeitliche Druck nimmt zu. Deswegen will die FDP konkrete, zielgerichtete Maßnahmen, die den Betroffenen direkt und schneller zugutekommen. Wir haben Ihnen frühzeitig Vorschläge gemacht, wie die Kommunen die Aufnahme besser gestalten können. Mit unserem Haushaltsentwurf unterbreiten wir Vorschläge für effektive Sprachlernangebote. Denn sie sind der Türöffner im Bildungsbereich und im Arbeitsleben. Sie ermöglichen sowohl jungen als auch älteren Menschen Chancen, um voranzukommen und ihr Leben zu meistern. Wir wollen eine Verdoppelung für Schülerinnen und Schüler sowie tausend zusätzliche Sprachkurse.

Auch hierbei gilt: Helfen wir den Menschen bei ihren ersten Schritten; denn dann werden die Flüchtlinge zum stabilen Teil unserer Gesellschaft. Trauen wir ihnen doch etwas zu!

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung von Björn Thümler [CDU])

Vielen Dank, Frau Kollegin Eilers. - Jetzt folgt die Fraktion der CDU. Ich erteile Herrn Fraktionsvorsitzendem Thümler das Wort. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Flüchtlingspolitik ist ein hoch komplexes und hoch sensibles Thema. Als niedersächsischer Christdemokrat sage ich: Wir dürfen die Augen nicht vor den schrecklichen Bildern verschließen, die aus den Bürgerkriegsgebieten etwa im Nahen Osten zu uns kommen. Wenn der Libanon an einem Wochenende ca. 500 000 Flüchtlinge aufnehmen kann, dann sollten für uns 200 000 Flüchtlinge im Jahr kein unlösbares Problem darstellen.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, die niedersächsische Union hat in dieser Frage im Übrigen keine Nachhilfe nötig. Wir haben es mehrfach gehört: In der Flüchtlingspolitik stehen wir in der Tradition von Ernst Albrecht, der vor mehr als 35 Jahren Tausende vietnamesischer Boatpeople vor dem sicheren Tod gerettet hat, weil er sie in Niedersachsen aufgenommen hat.

Herr Pistorius, in den letzten Wochen und Monaten haben Sie mehrfach die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen in Niedersachsen signalisiert. Das ist richtig. Wie die Kommunen allerdings eine menschenwürdige Unterkunft vor Ort konkret organisieren sollen, bleibt in erster Linie den Kommunen allein vorbehalten. Das ist problematisch.

Ich meine: Wer die Asyl- und Flüchtlingspolitik zu einem Schwerpunkt seiner Politik erklärt, der muss dafür auch ausreichend Geldmittel zur Verfügung stellen und darf nicht mit dem Finger allein auf den Bund zeigen. Denn hier ist zuvörderst das Land zur Hilfe der Kommunen gefordert.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von Christian Grascha [FDP])

Meine Damen und Herren, zudem finde ich es schier unerträglich, dass sich unsere Behörden angesichts der Not der Bürgerkriegsflüchtlinge neben ihren eigentlichen Aufgaben immer noch mit zigtausend aussichtslosen Asylanträgen aus dem Westbalkan beschäftigen müssen, also aus sicheren Herkunftsländern. Deswegen sind wir der Auffassung, dass diese Anzahl an Anträgen schnell bearbeitet und die Voraussetzung dafür geschaffen werden muss, dass diese Menschen wieder in ihre Heimat zurückgeführt werden können. Das trägt dazu bei, die notleidenden Flüchtlinge nicht gegen Asylbewerber aufzuwiegen.

Wer die Initiatoren der sogenannten Pegida-Bewegung als Nazis im Nadelstreifen etikettiert, der macht es sich meines Erachtens zu leicht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der Kommentar von Matthias Koch in der heutigen Ausgabe der HAZ unter dem Titel „Irrmarsch der Angstbesetzten“ sagt im Wesentlichen alles, was wichtig und richtig ist. Allerdings, meine Damen und Herren, ist Angst der falsche Ratgeber. Laut einer aktuellen Umfrage von Zeit online sympathisiert fast jeder zweite Bundesbürger mit den Demonstranten, die gegen die Terrormiliz Islamischer Staat und die Islamisierung des Abendlandes auf die Straßen gehen. Deshalb bin ich ebenso wie der Weihbischof von Hamburg, Hans-Jochen Jaschke, der Meinung: Wir können die Teilnehmer der antiislamistischen Demonstrationen nicht pauschal als Rassisten beschimpfen.

(Johanne Modder [SPD]: Das tut auch niemand!)

- Doch, Frau Modder, das machen leider zu viele. Viele machen es sich in der Frage zu einfach, weil sie die berechtigten Ängste der Menschen in diesem Land nämlich nicht zur Kenntnis nehmen.

(Johanne Modder [SPD]: Sie müssen etwas differenziert herangehen! - Wei- tere Zurufe)

Meine Damen und Herren, ich sagte es gerade: Angst ist eben der falsche Ratgeber, weil damit rechtsradikalen Vereinfachern, Rattenfängern von rechts, Tür und Tor geöffnet werden.

(Johanne Modder [SPD]: Genau!)