Protokoll der Sitzung vom 18.03.2015

Ich rufe jetzt auf den

Tagesordnungspunkt 5: Abschließende Beratung: Einsetzung einer Enquetekommission „Neuausrichtung der Krankenhausplanung und

Krankenhausfinanzierung in Niedersachsen - für eine moderne und hochwertige Versorgung!“ - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/1979 - Beschlussempfehlung des Ältestenrats - Drs. 17/3125

Tagesordnungspunkt 6: Abschließende Beratung: Wohnortnahe und flächendeckende Krankenhausversorgung auch in Zukunft sicherstellen - Krankenhausplanung neu ausrichten - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/1618 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Migration - Drs. 17/3059

Der Ältestenrat empfiehlt Ihnen, den Antrag der CDU-Fraktion abzulehnen.

Der Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Migration empfiehlt Ihnen, den Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in geänderter Fassung anzunehmen.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Beratung.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Dr. Wernstedt für die SPD-Fraktion. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Krankenhäuser sind besondere Orte. Lebenskrisen, Krankheit, Versehrtheit, weiterleben können, Abschied, sterben und der Beginn neuen Lebens finden dort Raum und Begleitung. Alles geschieht wie im Brennglas, konzentriert, oft viel zu viel auf einmal, schier nicht zu bewältigen, erschöpfend, aber auch menschlich und befriedigend. Wer erkältet mit verquollenen Augen nachts um drei im Schockraum steht und einen Patienten mit Hirnblutungen vom Hubschraubernotarzt übernimmt,

weiß, dass er mit Patienten und seinen Kollegen

eine Lebensgemeinschaft eingegangen ist. Es ist viel mehr als Dienst.

Menschen haben in vergangenen Jahrzehnten Geld und viel Arbeit in eine stationäre pflegerische und ärztliche Behandlung in der nächsten Stadt investiert. Bei manchen Häusern geht der Aufbau schon ins 19. Jahrhundert zurück.

Krankenhäuser lassen niemanden unberührt. Kein Wunder, dass mit allen Mitteln um ihren Erhalt gekämpft wird. Auch kein Wunder, dass sich alle davor fürchten, wenn eine Schließung oder gravierende Veränderungen notwendig werden. Gern wird dann mit dem Leichentuch gewedelt: Menschen werden sterben, wenn sie nicht innerhalb von zwei Minuten in irgendein Krankenhaus gebracht werden. Frauen werden unter der Geburt verbluten, wenn die nächste geburtshilfliche Abteilung nicht um die nächste Ecke steht. Politik und Verwaltung haben mit Recht Respekt vor diesen Auseinandersetzungen - nicht so sehr, weil die Szenarien, die da skizziert werden, realistisch sind, sondern weil es schwer ist, sich der moralischen Keule im öffentlichen Diskurs mit rationalen Argumenten zu widersetzen.

Heute beraten wir abschließend über einen sehr umfangreichen Maßnahmenkatalog zur Krankenhausplanung in Niedersachsen. Dieser Katalog umfasst strukturelle, finanzielle und inhaltliche Maßnahmen, die teils bereits in Gang gesetzt sind, wie die Regionalkonferenzen zur Neuordnung der Krankenhauslandschaft und der sektorenübergreifenden Verzahnung der pflegerischen und ärztlichen Versorgung sowie der gemeinsamen Planung mit dem Land Bremen.

Zur finanziellen Unterstützung notwendiger Umstrukturierungsmaßnahmen wird ein Strukturfonds mit einem Umfang von 500 Millionen Euro über die Bund-Länder-Arbeitsgruppe bereitgestellt. Inzwischen ist es auch schon gelungen, den Landesbasisfallwert anzuheben, um die Krankenhausfinanzierung abzusichern. Inhaltlich wird ein Geriatriekonzept erarbeitet, um auf die veränderten Bedürfnisse einer älter werdenden Gesellschaft fachlich angemessen reagieren zu können.

Mit unserem Antrag beauftragen wir die Landesregierung, stärker als früher Qualitätskriterien in die Krankenhausplanung einzubeziehen. Dazu zählt u. a. eine genaue Analyse der Operationsindikationen, die regional sehr unterschiedlich sind.

Bedingt durch die Privatisierung von Krankenhäusern hat das Land noch weniger Steuerungsmög

lichkeiten in Bezug auf die Versorgungslandschaft als früher. Wir halten es für notwendig, diejenigen Häuser, die sich nur rudimentär an der Notfallversorgung beteiligen, weil sie sich auf im DRGSystem lukrative Felder spezialisiert haben, und denen die Vorhaltekosten für eine angemessene Notfallversorgung zu teuer sind, an ihre Verpflichtungen zu erinnern. Die Möglichkeit, diese Häuser aus dem Krankenhausplan zu streichen, begegnet dieser Art von Wettbewerbsverzerrung.

Die knappen Ressourcen für Investitionsmaßnahmen müssen sehr viel mehr als bisher nach Schwerpunkten konzentriert werden. Das ist gleichzeitig eine Frage guter Versorgungsqualität. Auch wenn in kleinen Krankenhäusern alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr Bestes tun, um ihre Patienten gut zu versorgen - und dass sie das tun, daran zweifelt in diesem Hause sicherlich niemand -, braucht es zur Behandlung bestimmter Erkrankungen und Notfälle ein Mindestmaß an technischer Ausstattung.

Die Überlebensrate beim akuten Herzinfarkt ist viermal höher, wenn der Patient innerhalb kurzer Zeit auf einem Herzkathetertisch liegt und die Verengung der Koronarien schnell behoben wird. Schlaganfallpatienten haben eine gute Chance, dass sich schwere Symptome wie eine Halbseitenlähmung ganz oder teilweise zurückbilden, wenn sie innerhalb weniger Stunden eine adäquate Therapie in einer Stroke Unit bekommen. Diese zwei Beispiele sollen zeigen, dass es mehr braucht als ein kleines, vertrautes Krankenhaus, um gerade diejenigen Erkrankungen angemessen behandeln zu können, mit deren Anwachsen wir in den nächsten Jahren rechnen müssen.

Ich kann Ihnen versichern, meine Damen und Herren, dass auch schon vor 20 Jahren nicht jeder Notfall ins nächstgelegene Krankenhaus gefahren wurde, sondern dass seit vielen Jahren von Notärzten vorausschauend vor Ort entschieden wird, was der schnellste Weg zur bestmöglichen Versorgung ist: die nächste große Kinderklinik für Kindernotfälle, die nächste Neurochirurgie mit CT für Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma, die nächste Schwerverbranntenstation für Verbrennungspatienten, die nächste Notaufnahme, die Erfahrung im Traumamanagement und eine Blutbank hat. Dennoch haben auch kleine Krankenhäuser ihre Funktion, und es braucht regional abgestimmte Konzepte, um den Ansprüchen aller mit knappen Mitteln gerecht zu werden.

Zur Erhöhung der Versorgungsqualität gehören auch die Einrichtung eines Hygienebeauftragten und eines Patientenbeauftragten. - Das Thema hatten wir bereits in der letzten Sitzung.

Um all diese schönen Dinge tun zu können, braucht es mehr Geld für die Universitätskliniken und einen Sicherstellungszuschlag für Krankenhäuser im ländlichen Raum. Wir haben konkrete Maßnahmen erarbeitet, um diese Forderungen umzusetzen.

Meine Damen und Herren, zehn Jahre hat die Vorgängerregierung die Krankenhäuser in Niedersachsen sich selbst überlassen.

(Widerspruch bei der CDU und bei der FDP)

Mit den Privatisierungen hat man sich der Verpflichtungen vermeintlich entledigt und auf die Kräfte des freien Marktes gesetzt.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Welche Pri- vatisierungen?)

Damit hat die schwarz-gelbe Regierung wissentlich Steuerungsmöglichkeiten aus der Hand gegeben, die wir dringend brauchen, um die medizinische Versorgung einer älter werdenden Gesellschaft sichern zu können. Jetzt eine Enquetekommission zu fordern, um die Versäumnisse zu analysieren, ist, wenn man es wohlwollend formuliert, eine hilflose Geste.

Wir stellen uns der Verantwortung. Natürlich bringt das auch Kritik in einzelnen Regionen ein, weil Krankenhäuser im Rahmen von Strukturgesprächen zu der Erkenntnis kommen müssen, dass sie nicht mehr zukunftsfähig sind. Wie eingangs erwähnt, sind es Orte, die niemanden unberührt lassen. In unserem Entschließungsantrag wird ein Meilenstein in der medizinisch-stationären Versorgung in Niedersachsen gelegt. Noch hat die Opposition Gelegenheit, ihre Zustimmung zu geben.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. - Jetzt hat sich Sylvia Bruns, FDPFraktion, zu Wort gemeldet.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Finanzierung unserer niedersäch

sischen Krankenhäuser sowie die Sicherung der wohnortnahen Versorgung ist zurzeit eines der bestimmenden Themen in Niedersachsen.

Gerade wenn es um den Erhalt oder die Schließung von Krankenhäusern geht, sind die Emotionen vor Ort groß. Die Menschen haben Sorge, dass die medizinische Versorgung nicht mehr sichergestellt ist, vor allen Dingen in Gebieten, wo die Versorgung mit Haus- und Fachärzten sowieso schon enorm schwierig ist. Diese Sorgen der Bevölkerung müssen wir aufnehmen und in unsere Diskussion mit einfließen lassen.

Damit meine ich aber nicht, dass wir alle Krankenhäuser erhalten müssen. Ich begrüße ausdrücklich die Regionalgespräche, die derzeit stattfinden. Sie sind für mich ein Teil der zukünftigen Versorgung der Menschen.

(Beifall bei der FDP)

Wenn aber ein Krankenhaus geschlossen werden muss - das kann im Übrigen nicht das Land, sondern nur der Träger -, müssen wir den Menschen vor Ort die Angst nehmen. Der Weg zum medizinischen Versorgungszentrum ist für mich der Weg zur Zukunft. Dass dieser Weg kein bequemer sein wird, ist klar. Aber er ist sachlich richtig, und ich wünsche mir, dass wir ihn alle gemeinsam gehen. Dazu wäre die von der CDU geforderte Einsetzung einer Enquetekommission aus meiner Perspektive der wichtige Weg. Die Probleme sind bekannt. Wir sollten gemeinsam Lösungen finden.

(Beifall bei der FDP)

Es ist auch richtig, sich für eine Erhöhung des Landesbasisfallwertes einzusetzen. Dass dieser rund 40 Euro unter dem anderer Länder liegt, lässt sich nicht sachlogisch erklären.

Das Thema Krankenhausfinanzierung ist aber auch ein dringendes Thema für den Bund. Niedersachsen ist ja nicht das einzige Land, das seinen Investitionen nicht mehr nachkommen kann. - Ich sage ausdrücklich „kann“ und nicht „will“.

Auf die Diskussion, wer wann was nicht gemacht hat, möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen. Dieser Schlagabtausch findet ja schon immer statt. Wir sollten jetzt den Blick in die Zukunft richten. Das, finde ich, können die Menschen auch von uns erwarten.

(Beifall bei der FDP)

Seit zehn Jahren gibt es nun das DRG-System, und ich halte die Einführung nach wie vor für einen

guten Weg. Nichtsdestotrotz sollten wir uns schon jetzt an eine Überarbeitung machen.

Ich habe schon im Ausschuss angemerkt, dass die alleinige Herausnahme der Hochkostenfälle bei Universitätskliniken und Maximalversorgern nicht der richtige Weg ist. Deutschland hat zwar das DRG-System mit einer Abdeckung von über 90 % viel tiefgreifender eingeführt als das Ursprungslang - im Ursprungsland sind nur 70 % der Leistungen über DRG abgedeckt -, und die Hochkostenfälle lassen sich auch jetzt schon laut Krankenhausfinanzierungsgesetz anders abrechnen. Australien z. B. hat aber die gesamte Kindermedizin nicht ins DRG-System gezogen. Kinder haben auch in der jetzigen Krankenhausmedizin andere Ansprüche als Erwachsene. Sie haben z. B. einen anderen Betreuungsschlüssel bei Schwestern. Die Überlegung sollte hier dahin gehen, diesen Bereich eventuell anders darzustellen.

Bei meinen Gesprächen mit Krankenhäusern wurde nie das DRG-System als das Problem dargestellt. Das Problem ist einfach, dass die Häuser auch die Investitionskosten aus den DRG-Geldern bezahlen, weil das Land seinen Investitionen nicht nachkommen kann.

Zu den Patientenbeauftragten hat ja gerade eine Anhörung im Ausschuss stattgefunden. Über diesen Punkt werden wir sicherlich noch einmal gesondert reden.

Wir halten die Einrichtung einer Enquetekommission für sinnvoll. Sie braucht keine Probleme festzustellen, sie kann aber an gemeinsamen Lösungen arbeiten. Das sind wir den Menschen in Niedersachsen schuldig.

Vielen Dank.