Protokoll der Sitzung vom 18.03.2015

(Glocke der Präsidentin)

Es geht um eine erwerbsbezogene Freigrenze. Der Erwerber ist also der Maßstab, nicht das Unternehmen selbst. Das ist einer der Punkte, die noch in der Diskussion sind; das habe ich auch heute Mittag ausgeführt. Die Alternative ist: Man nimmt das Unternehmen insgesamt, dann kommt man zu einem höheren Wert. Das ist noch nicht abschließend beraten.

Liegt der Erwerb des begünstigten Vermögens unter der Freigrenze - meinetwegen unterhalb der 20 Millionen, die jetzt in Rede stehen -, erhält der Erwerber ohne Bedürfnisprüfung wie bisher - unverändert! - den Verschonungsabschlag von 85 % oder 100 %. Voraussetzung bleibt wie bisher die Einhaltung der Behaltens- und der Lohnsummenregelung über fünf bzw. sieben Jahre. Liegt der Erwerb über der Freigrenze, wird eine individuelle Bedürfnisprüfung notwendig sein. - So das Gericht. Auch daran geht kein Weg vorbei.

Zur unteren Grenze hatte ich mich schon geäußert. Wir haben das am 12. März im Kreise der Finanzminister in Berlin erörtert. In dieser Runde waren wir uns einig, dass die bisherige Gesetzessystematik beizubehalten und nur die vom Bundesverfassungsgericht gerügten Aspekte zu ändern sind. Oberstes Ziel ist eine verfassungsfeste Neuformulierung. Zusätzliche Befreiungstatbestände - das ist das, was die FDP hier vorträgt - wird es nicht geben, allerdings auch keine Ausweitung der Besteuerung.

Zum Antrag selbst habe ich hoffentlich jetzt wie im Übrigen schon in der Aktuellen Stunde am 18. Februar deutlich gemacht, dass es das Ziel der Landesregierung ist und bleibt, nach den Vorgaben des Gerichts eine verfassungsfeste Regelung zu finden, dass wir den Bestand und Schutz mittelständisch und familiär geprägter Unternehmen dabei sicherstellen werden und dass wir weiterhin Sorge tragen werden, dass die Unternehmensfortführungen nicht durch eine zu hohe Erbschaftsteuerlast gefährdet werden. Eines ist klar, meine Damen und Herren: Insolvente Unternehmen sichern keine Arbeitsplätze. Das kann natürlich auch nicht unser Ziel sein.

Aber um noch einmal auf den Kern des Urteils zurückzukommen: Die Verschonungsregelungen im Erbschaftsteuerrecht stellen eine Privilegierung betrieblichen Vermögens im Vergleich zu anderem Vermögen dar, und Privilegierungen bedürfen einer besonderen Rechtfertigung. Dazu sagt das Gericht - ich darf zitieren -:

„Die steuerliche Privilegierung unternehmerischen Vermögens ist nicht gerechtfertigt, weil der einzelne Erwerber verschont werden soll.“

Und:

„Der … Gemeinwohlgrund“

- so das Bundesverfassungsgericht -

„liegt vielmehr allein im Schutz der übertragenen Unternehmen und der damit verbundenen Arbeitsplätze.“

An diesem Leitbild müssen wir die Neuregelung orientieren.

Der Antrag, meine Damen und Herren von der FDP, bringt im Wesentlichen nichts Neues, ist aber in weiten Teilen doch sachlicher gehalten als Ihre Ausführungen eben, wie ich leider sagen muss, Herr Bode, und wird sicherlich die Diskussion mit strukturieren können. Aber das Wiederholen von Lobbypositionen,

(Christian Grascha [FDP]: Ach Herr Schneider, das ist doch unter Ihrem Niveau!)

die uns eindeutig auf dem roten Teppich nach Karlsruhe und wieder zur Aufhebung führen, kann nicht der Maßstab sein. Darin sind sich die Finanzminister einig.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir wollen eine Regelung, die das bisherige Recht weitgehend beibehält und nur die erwähnten Punkte bereinigt.

(Christian Grascha [FDP]: Aber es ist richtig, dass wir die Lobby für die klei- nen und mittleren Betriebe sind! - Weitere Zurufe von der FDP)

Wir werden uns auch nicht von Tatarenmeldungen über 188 000 gefährdete Arbeitsplätze in Niedersachsen irritieren lassen. Das ist - das darf ich noch sagen - wirklich Unfug. Wir haben unter dem geltenden Recht, das in diesem Punkt doch gar nicht geändert wird, keine Unternehmensschlie

ßungen aufgrund der Erbschaftsteuer. Wir hatten sie im Übrigen auch nicht, als es die Privilegierungsregelungen, die es jetzt gibt, noch gar nicht gegeben hat. In Wirklichkeit bleiben ja die bisherigen Regelungen weitgehend in Kraft. Wer es nötig hat, wird privilegiert, aber muss seinen Bedarf gegebenenfalls, anders als bisher, nachweisen.

Von einer Gefährdung von 188 000 Arbeitsplätzen zu sprechen, ist eine Verunsicherung des Mittelstands in Niedersachsen und hat mit der realen Situation nicht das Geringste zu tun. Würden wir das nach dem Königsteiner Schlüssel hochrechnen - insoweit darf ich mich auch einmal an die Kollegen der CDU wenden -, so würde nach der Rechnung das, was Schäuble vorlegt, die Gefährdung von 2 Millionen Arbeitsplätzen in der Republik bedeuten. Herr Hilbers, auch Sie müssten Sie sich also mit Vehemenz gegen diese Unterstellung der FDP wenden. Hier wird ja der Bundesfinanzminister als der größte Feind der mittelständischen Wirtschaft in dieser Republik dargestellt. Ich will ihn hier ausdrücklich in Schutz nehmen.

(Beifall bei der CDU - Björn Thümler [CDU]: Das geht überhaupt nicht! Das ist unglaublich!)

- Endlich sagt es einmal einer!

Ich habe meine Redezeit weit überzogen, aber die Fragen waren ja da.

Das trifft zu, Herr Minister!

(Heiterkeit - Björn Thümler [CDU]: Das ist aber das Einzige, was zutrifft!)

Ich wollte Herrn Bode Gelegenheit geben, sich noch einmal zu Wort zu melden.

Zum Schluss möchte ich der FDP ein großes Lob aussprechen. Wenn man Ihren Antrag liest, dann findet man die Feststellung, dass sich die Wirtschaft in Deutschland den zweithöchsten Mindestlohn in Europa leisten kann. Ich danke Ihnen für diese öffentliche Feststellung!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Schneider. Ihr Wunsch geht in Erfüllung. - Herr Bode, Sie erhalten eine zusätzliche Redezeit von drei Minuten. Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Schneider, wenn Sie schon zitieren, dann zitieren Sie den Satz bitte vollständig. Denn er ist eine Kritik daran, welche Belastungen mit Mindestlohn, anderen Bereichen und jetzt auch noch mit der von Ihnen geplanten Erhöhung der Erbschaftsteuer auf kleine und mittelständische Unternehmen zukommen, und besagt, dass sie sich das dann in Deutschland gerade nicht mehr leisten können, dass sie dann nicht mehr in Deutschland aktiv sind und dass wir diese Arbeitsplätze verlieren. Das wollen wir nicht für unser Land. Wir wollen zukunftsfähige Arbeitsplätze hier halten. Deswegen müssen Sie jetzt ganz schnell auf einen anderen Kurs gebracht werden, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Nun zu der Frage, wie man mit dem Urteil umgeht: Ja, Herr Minister Schneider, dies ist in der Tat eine komplexe Materie. Aber im Kern ist es eine Grundsatzfrage: Will man die jetzige Reform nutzen, um es zukunftsfest zu machen und gleichzeitig kleine, mittelständische und familiengeführte Unternehmen in Deutschland zu halten? Oder will man es technisch machen, so wie es am einfachsten für eine Verwaltung ist, und schaut dann nicht mehr, welche Konsequenzen das für Unternehmen hat? - Das ist der Weg, den Sie gehen wollen, und da sagen wir: Nein, wir wollen den anderen. Wir sind für Arbeitsplätze, wir sind für Mittelständler, wir sind für Familienunternehmer, und wir wollen, dass sie in Niedersachsen und in Deutschland bleiben können.

(Beifall bei der FDP)

Herr Schneider, nun zu den vielen technischen Einzelregelungen, die Sie durchaus richtig problematisiert haben: Das alles ist nicht ganz einfach. Es gibt aber eine erste Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, und die besagt: Der Gesetzgeber kann kleine und mittelständische Unternehmen, die familiengeführt sind, vollständig freistellen. - Das Bundesverfassungsgericht sagt ferner: Auch schon im alten Gesetz war hierfür eine ausreichende Begründung geliefert worden, weil diese Unternehmen nämlich gut sind für unser Land und weil uns diese Struktur vor großen Weltwirtschafts- und Finanzkrisen schützt, da diese Unternehmen ein anderes Verständnis von Verantwortung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben. - Das hat das Bundesverfassungsge

richt gesagt, und wir wollen, dass es jetzt 1 : 1 so kommt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Bei allem, was darüber hinausgeht, hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, dies ist nicht verhältnismäßig. Ja, das sagen wir Ihnen auch, Herr Schneider: Insoweit brauchen wir pragmatische Regelungen; denn auch die Meyer Werft ist bei der Erbschaftsteuer von ihrer Größe her ein familiengeführtes Unternehmen, aber ein großes Unternehmen.

Wenn man beim Masterplan Ems sagt, wie wichtig dieses Unternehmen ist, und alles tut, damit das Unternehmen gesichert wird, dann erwarte ich, dass nicht nur der Ministerpräsident für dieses Unternehmen kämpft, sondern auch der Finanzminister. Das wird ja wohl in Niedersachsen nicht zu viel erwartet sein, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Der Ministerpräsident versucht, die Meyer Werft zu retten, und im Erbschaftsfall lässt der Finanzminister sie über die Klinge springen. Das ist die Politik dieser Landesregierung!

(Beifall bei der FDP - Unruhe bei der SPD und bei den GRÜNEN - Glocke der Präsidentin)

Herr Bode, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss!

Wenn Sie schon nicht die guten Vorschläge des FDP-Antrags 100-prozentig umsetzen wollen, dann greifen Sie doch die Vorschläge von Herrn Schmid und Herrn Kretschmann auf. Die sind nämlich auf unserer Linie, weil sie besser als Sie wissen, wie Wirtschaft funktioniert, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP - Christian Dürr [FDP]: Offensichtlich! - Lachen bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Bode. - Um zusätzliche Redezeit hat auch Herr Kollege Hilbers gebeten. Herr Hilbers Sie haben eine Redezeit von sechs Minuten.

(Unruhe)

- Einen Moment, bitte, Herr Hilbers! - Wir fahren erst fort, wenn Ruhe herrscht! Sie alle kennen die Geschäftsordnung. Der Herr Minister hat seine Redezeit überzogen, und die Fraktionen erhalten dafür zusätzliche Redezeit. So einfach ist das!

(Anhaltende Unruhe)

- Wir fahren erst fort, wenn hier Ruhe eingekehrt ist. - Das gilt auch für die Herren von der FDP! - Bitte, Herr Hilbers!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir geht es darum, eines noch einmal klarzustellen: Das Gericht hat deutlich gemacht, dass Verschonungsregelungen im Hinblick auf Arbeitsplätze in Ordnung sind und nur in einzelnen Fällen anders ausgestaltet werden müssen und dass man den Tatbestand, dass man Vermögen, das an Arbeitsplätzen hängt, anders behandelt als anderes Vermögen, hinlänglich begründen muss. Das sage ich deswegen an dieser Stelle noch einmal, weil mich der Wortbeitrag von Herrn Heere und auch der von Herrn Henning nachdenklich gemacht haben.