Protokoll der Sitzung vom 18.03.2015

dazu gemeinsamen Handlungsdruck gibt, der aber nichts mit der Frage einer gesetzlichen Regelung, sondern mit der Frage der Umsetzung zu tun hat, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Lies. - Ich schließe die Aktuelle Stunde der Fraktion der SPD und eröffne die Aktuelle Stunde der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen:

d) Von Billigklamotten bis Luxushandy - Wie viel Verantwortung tragen Unternehmen für die Arbeitsbedingungen in Billiglohnländern? - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/3151

Bitte schön, Herr Limburg. Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Jahr 2012 brennt eine Textilfabrik in Bangladesch. Über 100 Menschen sterben in den Flammen. Ein tragisches Unglück. Aber was hat das mit uns zu tun? - Eine ganze Menge, liebe Kolleginnen und Kollegen. Denn es waren ganz wesentlich deutsche Unternehmen, die dort in dieser Fabrik produzieren ließen. Es sind deutsche Kunden, die die Klamotten kaufen, die dort produziert werden.

Es geht auch nicht nur um Kleidung - übrigens sowohl aus dem Billigsegment als auch aus den höheren Preisklassen. Es geht um Handys, um andere Elektronik, es geht um Produkte aller Art, die hier in Niedersachsen konsumiert werden, ohne dass über die Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern nachgedacht wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Hier in Hannover läuft gerade die CeBIT. Das Partnerland ist China. Es ist gut, dass wir Partnerschaften mit China haben - keine Frage. Aber in diesen Partnerschaften darf es eben nicht nur um Absatzmärkte und um billige Produktionsstätten gehen, sondern es muss uns auch ein Anliegen sein, für ordentliche Arbeitsbedingungen und für die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen in den Produktionsländern zu sorgen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Astrid Vockert [CDU]: Ich den- ke, das macht Herr Lies schon!)

Vor diesem Hintergrund ist es absolut zu begrüßen, dass jetzt Hinterbliebene der Todesopfer aus Bangladesch Klage gegen eine deutsche Textilfirma eingereicht haben - eine Zivilklage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Wir werden diese Klage sehr genau verfolgen. Hier kann sich erweisen, ob das deutsche Zivilrecht und das Zivilprozessrecht ausreichend sind, um den komplexen weltweiten Wirtschafsbeziehungen im Jahr 2015 gerecht zu werden. Ich würde es jedenfalls sehr begrüßen, wenn im Ergebnis in diesem Prozess deutlich werden würde: Wer die Verantwortung für unmenschliche Arbeitsbedingungen, für Verstöße gegen Arbeitsschutzbestimmungen in Billiglohnländern trägt, der kann und wird auch in Deutschland von deutschen Gerichten zur Rechenschaft gezogen. - Das wäre ein wichtiges Signal.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Denn die Verteidigung des Rechts, gerade auch der Rechte der Schwächeren, gehört zu den Kernaufgaben der verfassten Justiz im Rechtsstaat, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Bei der angesprochenen Klage geht es nur um die zivilrechtliche Verantwortung. Bislang besteht in Deutschland keinerlei strafrechtliche Verantwortung von Unternehmen. Es gibt Sanktionsmöglichkeiten im Ordnungswidrigkeitenrecht. Aber bislang ist mir kein einziger Fall bekannt, bei dem in Deutschland Unternehmen dafür zur Rechenschaft gezogen worden sind, dass sie in anderen Ländern unter Verstoß gegen internationales Recht, gegen die ILO-Kernarbeitsnormen produzieren ließen. Deswegen fordern SPD und Grüne in ihrem Entschließungsantrag, der morgen beraten werden wird, eine entsprechende Ausweitung des Ordnungswidrigkeitenrechts. Es muss deutlich werden, dass es Sanktionen durch die Justiz gegen Unternehmen gibt, die ihren Profit auf Menschenrechtsverletzungen aufbauen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Es gibt auch andere Wege, die gegangen werden. Gerd Müller, der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, hat ein Bündnis der Produktionsfirmen für faire und soziale Produk

tionsbedingungen initiiert. Solche freiwilligen

Selbstverpflichtungen sind grundsätzlich begrüßenswert - gar keine Frage. Aber die Durchsetzung des internationalen Rechts kann nicht allein auf Freiwilligkeit beruhen. Sie ist vielmehr Aufgabe und Verantwortung auch deutscher Behörden.

Eine weitere wichtige Maßnahme geht von einem niedersächsischen Unternehmen aus. Der VWKonzern hat als einziger Konzern bereits im Jahr 1998 - also vor über 15 Jahren - einen Weltbetriebsrat gegründet. Dieses Gremium ist im Hinblick auf die Rechte und Mitbestimmungsmöglichkeiten nicht mit deutschen und europäischen Betriebsräten vergleichbar. Aber es leistet gleichwohl einen wichtigen Beitrag für die weltweite Vernetzung, für den Informationsaustausch unter den VW-Beschäftigten und trägt so auch zur Durchsetzung und Wahrung von Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechten weltweit bei. Es ist an der Zeit, dass andere Firmen dem Beispiel von VW folgen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir müssen viele verschiedene Schritte auch aus Niedersachsen heraus unternehmen, um die ILO-Kernarbeitsnormen durchzusetzen. Aber einer dieser Schritte muss eine Form der strafrechtsähnlichen Sanktionierung von Vergehen in Produktionsländern sein. Das Weltrechtsprinzip ist keine Neuheit im deutschen Recht. Im Völkerstrafgesetzbuch ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die deutsche Justiz Verbrechen ahnden kann, die weltweit verübt werden. Umso näher liegt es doch, Konzerne, die in Deutschland ihre Produkte verkaufen, auch dafür zur Rechenschaft zu ziehen, wenn diese Produkte unter Verstoß gegen internationales Recht produziert worden sind. Die deutsche, die niedersächsische Justiz könnte so einen wichtigen Beitrag für die Durchsetzung von Menschenrechten weltweit leisten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Limburg. - Für die SPDFraktion hat nun Frau Kollegin Emmerich-Kopatsch das Wort. Bitte!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Gerade in dem vorigen Beitrag haben wir gehört, dass auch bei uns nicht nur die heile Welt herrscht; denn auch hier kann Lohndumping über Werkverträge organisiert werden. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder, der schon gesehen hat, dass man Kinderjeans inzwischen für 2,99 Euro im Discounter kaufen kann, der weiß eigentlich, dass ein solcher Preis unter guten Arbeitsbedingungen schlichtweg nicht möglich sein kann.

Eigentlich weiß jeder, dass sehr billige Textilien nur auf Kosten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, ja teilweise auf Kosten von kleinen Kindern in den Entwicklungs- und Schwellenländern möglich gemacht werden. Sie zahlen häufig den Preis dafür, dass hier ständig alles verfügbar, immer modisch und immer billiger zu kaufen ist.

Wenn irgendwo ein Unglück passiert, wie z. B. in Bangladesch, dann gehen alle in sich, verurteilen die Verantwortlichen vor Ort, alle zeigen sich empört, und nach wenigen Tagen ist das schlechte Gewissen schon wieder weg.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht einmal hochpreisige Markenkleider und -schuhe sagen etwas über die Arbeitsbedingungen derjenigen aus, die sie produziert haben. Gute Arbeit weltweit - das ist das, was wir alle uns sicherlich wünschen. Daher ist es richtig, wenn EU-weit die Forderung erhoben wird, die Produktions- und Lieferketten von international agierenden Unternehmen so transparent wie möglich zu machen. Das geht allerdings mit Preisen einher, die nicht auf heutigem Niveau zu halten sein werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss allerdings sagen - auch Herr Limburg hat das erwähnt -: Viele international tätige Konzerne legen schon heute größten Wert darauf, mit ihrer Tätigkeit auch einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung in allen Ländern, die an der internationalen Arbeitsteilung beteiligt sind, zu leisten. Volkswagen hat schon vor über 15 Jahren ein CSR-System eingeführt, das solche Sozial- und Umweltstandards festschreibt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch hierin liegt ein Schlüssel zu menschenwürdiger Arbeit für alle, die an den Prozessen der Globalisierung beteiligt sind. Sobald es Menschen gibt, die sich für andere einsetzen,

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

deren Ziel es ist, das Wachstum der Schwellenländer zu steigern und für gute Arbeit und gute Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards zu kämpfen, ändert sich vieles im Bewusstsein der Menschen. Daher sollten zukünftig durch die EU oder durch Deutschland nur noch Handelsabkommen abgeschlossen werden, mit denen auch die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbindlich mit ausgehandelt worden sind.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wie schon erwähnt, muss sichergestellt werden, dass die ILO-Kernarbeitsnormen sowie der Ausbau und Aufbau von solidarischen Systemen unterstützt und auch tatsächlich in den Ländern umgesetzt werden. Verantwortungsbewusste Unternehmen richten ihre Ziele freiwillig nach sozialen, menschenrechtlichen und ökologischen Kriterien aus. Allerdings sollten wir auch als Parlamentarier, Regierung und Konsumenten alles unternehmen, um die Produktionsbedingungen für unsere Importe und damit für die Lebenssituation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Ort positiv zu beeinflussen.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch sollten die lokalen Regierungen bei der Durchsetzung von Standards unterstützt werden und sollte die Entwicklungsarbeit speziell hierauf ausgerichtet werden. Wir dürfen nicht länger zulassen, dass es schwarze Schafe - eigentlich eine freundliche Bezeichnung - gibt, die keinerlei Skrupel kennen und niemals irgendwelche Standards einhalten wollen, um aus reiner Profitgier immer noch weiter nach Menschen zu suchen, die zu Dumpinglöhnen arbeiten, egal in welchen Ländern der Welt. Sie nehmen Menschenrechtsverletzungen, Zwangs- und Kinderarbeit in Kauf, um sich zu bereichern. Sie machen damit auch den Markt derjenigen kaputt, die sich um anständige Arbeitsbedingungen kümmern. Hier müssen schärfere Maßnahmen als bisher zum Einsatz kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird zwar schon sehr viel getan, aber es reicht noch nicht aus. Deshalb sollten wir dafür sorgen, dass die gesamte Lieferkette überall nachvollziehbar ist, dass das Textilbündnis, das gegründet worden ist, erst ein Anfang ist, dass Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften überall freien Zugang

zu den Betrieben bekommen und auch die Arbeitnehmer über ihre Rechte informieren,

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

dass es endlich auch Streikrechte in Entwicklungs- und Schwellenländern gibt und dass man sich auch bei Olympia- und Weltmeisterschaftsvergaben im Vorfeld dafür einsetzt, dass die Vergabe an die Einhaltung aller sozialen Standards gekoppelt wird.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ferner, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir gemeinsam dafür arbeiten, dass Verbrecher - etwas anderes sind sie nicht -, die sich auf Kosten der Schwachen bereichern oder korrupt sind, zur Verantwortung gezogen werden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Emmerich-Kopatsch. - Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Kollege Hilbers das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ereignisse wie in Bangladesch treffen uns alle schwer. Diese Ereignisse sind auch Anlass, darüber nachzudenken, unter welchen Bedingungen in der Welt produziert wird, unter welchen Bedingungen die Produkte, die wir kaufen, hergestellt worden sind. Zu Recht sind alle gefragt, Verantwortung zu übernehmen, und zu Recht wird an die Verantwortung aller appelliert.

Sie liegt nicht nur bei den Unternehmern, sondern auch bei den Verbrauchern. Auch wir können auf die Label schauen und feststellen, wo etwas hergestellt worden ist. Auch wir können uns Gedanken darüber machen, dass eine Jeans, die im Geschäft für 15 Euro angeboten wird, nicht unter menschenwürdigen Bedingungen und nicht unter Einhaltung sozialer Standards produziert werden kann. Darüber kann jeder selbst nachdenken. Das wird ein Umdenken in der Bevölkerung notwendig machen, also nicht nur in der Wirtschaft, sondern wir müssen in der Gesellschaft, in der Politik und in der Wirtschaft an dieser Verantwortung gemeinsam arbeiten.

Die Klage gegen KiK wirft eine ganz neue Frage auf: Wie wird man auch haftungsrechtlich mit diesen Dingen umgehen? - Ich bezweifele, dass wir in dieser Frage national überhaupt so viel regeln können. Ich glaube, dass die Grünen in dieser Hinsicht zu kurz springen.

Sie müssen sich das so vorstellen - ich habe mir das mal berichten lassen -: Wenn ein Oberhemd verkauft wird, ist es einschließlich der daran hängenden Logistikleistungen bei rund 140 Unternehmen - Lieferanten, Logistikern usw. - gewesen, bevor es die Ladentheke erreicht. Ein anderes Beispiel: Eine Jeans ist in mehr als einem Dutzend Länder gewesen, bevor sie verkaufsfertig war. Dieser Hintergrund macht deutlich, was auf diesen Märkten los ist.

Ich habe es mir mal von einem Textiler aus dieser Branche schildern lassen, der auch in Fernost tätig ist. Er sagte: Manchmal besichtigt man die Produktionsstätte vor Ort und nimmt sie in Augenschein, um sich ein Bild zu verschaffen, wie es dort funktioniert. Wenn aber derjenige, der für ein hiesiges Unternehmen arbeitet, in Lieferdruck gerät, dann bedient er sich eines Subunternehmers, der vielleicht wiederum einen Subunternehmer einschaltet. In der Zeitung war das Beispiel eines Produkts angeführt, das für 15 Dollar verkauft wird und letztlich für 8 Cent hergestellt worden ist. Derjenige aber, der ursprünglich den Auftrag erhalten hat, sollte es für 1,80 Dollar herstellen. Aber der fünfte in der Kette bekam dafür dann als Zulieferer noch 8 Cent.