Ich möchte noch sagen, dass die Parlamentarischen Geschäftsführer übereingekommen sind, dass wir auch den Punkt 26 noch vor der Mittagspause behandeln.
Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung: „Bürokratiemonster zähmen“ - Für eine Revision des Mindestlohngesetzes - Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 17/3436
Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung: Sinnvolle Nachbesserungen bei der Umsetzung des Mindestlohnes jetzt in die Wege leiten - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/3429
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir können die Diskussion über den Mindestlohn gleich fortsetzen. Aber bevor ich in die Details gehe, liegt mir daran, eines unmissverständlich klarzustellen - es liegen ja zwei Anträge vor, und ich denke, wir sollten anfangs die Unterschiede zwischen beiden Anträgen betonen -: Die CDUFraktion ist der Meinung, dass wir in Deutschland einen Mindestlohn brauchen und dass es gut und richtig war, einen Mindestlohn einzuführen. Jeder Mensch soll in diesem Land mindestens so viel Geld in der Tasche haben, dass er ohne staatliche Transferleistungen davon leben kann. Deswegen war die Einführung eines Mindestlohnes in Deutschland richtig.
ge Bode: Das, was Sie unter Nr. 5 Ihres Antrags fordern, nämlich die mögliche Anrechnung von Sachbezügen auf den Mindestlohn, werden wir so nicht mitmachen können. Die Erfahrungen in der niedersächsischen Fleischindustrie haben gezeigt, dass den Menschen für Kost und Logis Beträge berechnet worden sind, die unter dem lagen, was man tolerieren kann. Für Unterkünfte sind da Phantasiepreise verlangt worden. Dem werden wir auch in Zukunft widersprechen.
Meine Damen und Herren, 80 % der Deutschen finden die Einführung des Mindestlohnes richtig. Die erwartete Vernichtung von Arbeitsplätzen ist glücklicherweise ausgeblieben.
Aber das ist nicht der einzige Grund, weswegen wir für dieses Mindestlohnmodell kämpfen. Wir kämpfen dafür, weil es dem Grundsatz nach unser Modell ist. Sie, meine Damen und Herren von SPD und Grünen, haben in der Vergangenheit für den politischen Mindestlohn gekämpft. Sie haben dafür gekämpft, dass der Mindestlohn durch ein Parlament festgelegt werden sollte. Sie wollten Debatten, in denen sich Abgeordnete wie Ralf Stegner oder Sahra Wagenknecht zur Höhe des Mindestlohns überbieten.
Wir haben immer gewollt, dass der Mindestlohn durch die Tarifparteien festgelegt wird. Das ist jetzt gesetzlich so geregelt, und das ist dem Grunde nach auch gut so. Damit - das sage ich im Hinblick auf die nachfolgende Debatte - haben sich alle Diskussionen darüber, ob ein Mindestlohn überhaupt notwendig ist, erledigt. Erledigt ist auch die Diskussion, ob der Mindestlohn von der Politik oder von den Tarifparteien festgelegt werden soll.
Was aber nicht erledigt ist und was wir deshalb heute diskutieren müssen, ist die Frage, wie dieser Mindestlohn umgesetzt und seine Einhaltung kontrolliert wird. Da ist die Haltung von SPD und Grünen so, wie sie im Februar-Plenum deutlich geworden ist, eigentlich eindeutig. Ohne das, was man jetzt zu Kontrolle und Umsetzung beschlos
sen hat, kann es an sich auch keinen Mindestlohn geben, Herr Will. So habe ich Sie verstanden. Darüber sollten wir einmal diskutieren.
Wenn man in die Protokolle des Februar-Plenums guckt, stellt man nach Lektüre der Reden drei Dinge fest:
Erstens. Kein Redner hat hier den Mindestlohn grundsätzlich infrage gestellt - nicht einmal der Kollege Bode, was mich zugegebenermaßen überrascht hat. Das muss man aber so feststellen.
Zweitens. CDU und FDP haben konkrete Probleme bei der Kontrolle der Umsetzung der Dokumentationspflichten benannt.
Drittens. Sie haben sich jeder - jeder! - inhaltlichen Diskussion darüber, ob diese Kontrolle in der hier vorgesehenen Form notwendig ist, verweigert. Jede Kritik haben Sie so verstanden, als ob der Mindestlohn an sich angezweifelt werde.
Herr Will, Sie haben nach meinem Redebeitrag eine bemerkenswerte Zwischenfrage gestellt. Ich zitiere:
„Lieber Kollege Toepffer, können Sie mir erklären, weshalb wir überhaupt den Mindestlohn eingeführt haben?“
- Nein, es war unter Ihrem Niveau; denn nicht jeder, der die Umsetzung und die Kontrollen kritisiert, sagt damit zeitgleich, dass er keinen Mindestlohn will. Noch einmal: Das ist überhaupt nicht das Problem. Wir brauchen einen Mindestlohn.
Das Problem ist etwas anderes. Das hat der Kollege Mohr eben richtig dargestellt. Sie gehen davon aus, dass jeder, der in der Vergangenheit keinen Mindestlohn gezahlt hat, es heute nach dem Mindestlohngesetz aber müsste, dies auch künftig nicht tut. Sie unterstellen den massenhaften Rechtsmissbrauch. Das zeigt eine eigenartige Einstellung zu den Arbeitgebern in diesem Lande.
Weil Sie dieser Denkweise verhaftet sind, haben Sie sich ein besonders kniffliges Kontrollsystem erdacht, Herr Will. Es trifft 7,5 Millionen Beschäftig
te in diesem Land und ihre Arbeitgeber - nicht nur die Zehntausenden Zeitungszusteller, die besondere Probleme haben. Es trifft den kleinen Bäckermeister, der sonntags einen Aushilfsfahrer beschäftigt, der die Brötchen auf drei Filialen verteilt. Es trifft den Kioskbetreiber, der einmal in der Woche eine Verkaufshilfe beschäftigt. Es trifft das berufstätige Ehepaar, das eine Haushaltshilfe - Gott sei Dank nicht schwarz, sondern als Minijobberin - beschäftigt. Es trifft das Rentnerehepaar, das vielleicht eine kleine Ferienimmobilie hat und dort einen Hausmeister beschäftigt, der alle paar Wochen mal den Rasen mäht und ansonsten vorbeischaut.
Sie alle quälen sich jetzt durch das Mindestlohngesetz, das Arbeitszeitgesetz, die Mindestlohnmeldeverordnung, die Mindestlohnaufzeichnungsverordnung und die Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung. Manchmal stoßen sie auch noch auf die Mindestlohndokumentationspflichteneinschränkungsverordnung; sie ist aber mit der Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung identisch, weil der Begriff dem Gesetzgeber zu sperrig war, weswegen er das Wort „Einschränkung“ herausgezogen hat.
Und dann finden sich zahlreiche Querverweise. Mit den drei Verordnungen und zwei Gesetzen reicht es nicht. Da kommt noch u. a. der Hinweis auf § 14 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Dort ist die Haftungsfrage geregelt, die wir in unseren Anträgen jeweils unter Nr. 2 angesprochen haben.
Um das alles zu verstehen, lieber Kollege Will, brauchen Sie gewisse juristische Sachkenntnisse. Da müssen Sie sich mit mehr oder weniger bestimmten oder unbestimmten Rechtsbegriffen beschäftigen. Sie müssen wissen: Was ist ein verstetigtes Einkommen? Oder Sie müssen sich als Bäckermeister Gedanken machen, ob Ihr Aushilfsfahrer denn ein Arbeitnehmer ist, der seine Tätigkeit mobil ausübt. Das ist nicht einfach zu beantworten.
Wenn Sie trotz allem nicht die Lust verloren haben und trotzdem noch einen Minijobber beschäftigen wollen, stoßen Sie auf ganz banale praktische Probleme. Ein Fall aus der Praxis: Da gibt es diesen älteren Herrn aus Hameln, der in Hannover ein Mehrfamilienhaus hat und sich nun die Frage stellt: Wie zeichne ich das eigentlich auf? Wie komme ich der Dokumentationspflicht nach? Daraufhin macht er Folgendes: Er lädt sich von der Webseite der Minijob-Zentrale das dort angebotene Formular „Dokumentation der täglichen Arbeitszeit nach § 17 Mindestlohngesetz für Minijobber“ herunter. Er liest
es sich durch. Dann ist er erstaunt. In den ersten drei Spalten steht „Tag“, „Zeitraum von bis“ und „Stunden“. Das ist alles klar. In der vierten Spalte ist aber hinter jedem Tag eine Unterschrift vorgesehen. Er stellt zu Recht die Frage: Wer unterschreibt denn jetzt eigentlich? Ich kann als Arbeitgeber nicht gemeint sein. Ich habe die wöchentliche Pflicht. Der Arbeitnehmer kann auch nicht gemeint sein; denn er hat gar keine Verpflichtung zur Aufzeichnung. Diese Pflicht hat der Arbeitgeber. Vertrauensvoll wendet er sich an den Zoll. Der verweist auf seine Webseite. Dort können Sie nachlesen, was zu dieser Frage steht. Da heißt es nämlich:
So verwirren Sie die Menschen. Diese Menschen müssen diese Entscheidung treffen und werden möglicherweise in Rechtsbrüche hineingetrieben.
Herr Will, wenn Sie gleich noch reden - ich hoffe es ja -, dann können Sie mir vielleicht Fragen beantworten.
Warum diese besondere Kontrolle der Minijobs? Ich habe keine Statistik gefunden, nach der Arbeitgeber, die Minijobs anbieten, krimineller sind als andere Arbeitgeber. Warum die Minijobs? Erklären Sie mir, warum die Verkäuferin, die für 450 Euro im Rahmen eines Minijobs beschäftigt wird, der Dokumentationspflicht unterliegt, ihre Mitarbeiterin, die für 600 Euro sozialversicherungspflichtig beschäftigt wird, aber nicht. Erklären Sie, warum die Aufzeichnungspflicht wöchentlich stattfindet und nicht täglich oder monatlich.
Erklären Sie mir bitte, warum beim Arbeitgeber eines Bauarbeiters, der monatlich ein Bruttoeinkommen von 2 950 Euro erhält, durch den Zoll überprüft wird, ob dieser Bauarbeiter den Mindestlohn gezahlt bekommt. Er müsste 348 Stunden im Monat arbeiten, um weniger als den Mindestlohn zu bekommen. Nun mag es das geben. Es mag sein, dass ein solcher Exzess vorkommt. Dann erklären Sie mir aber bitte, warum Sie solche Exzesse, solche absoluten Ausnahmen zum Regelfall machen.
Lieber Herr Will, erklären Sie mir bitte auch, warum wir in Deutschland bis 2020 auf 4 200 Beschäftigte einen Kontrolleur haben werden, der nur guckt, ob das alles klappt, wenn selbst die Internationale Arbeitsorganisation in Industriestaaten einen
Sie müssen weiter erklären, lieber Herr Will, wie Sie dem Sportverein klarmachen, dass der Rentner, der den Rasen dort einmal im Monat oder alle zwei Wochen pflegt, mal ein Ehrenamtlicher ist - Konsequenz: keine Aufzeichnungspflicht - und mal ein Minijobber - Konsequenz: Aufzeichnungspflicht. Das hängt damit zusammen, ob seine Tätigkeit dem Allgemeinwohl dienlich ist. Wann ist sie das denn? Ist das der Fall, wenn der Sohn in der Fußballmannschaft mitkickt? Oder wie sieht das aus?
Wir machen weiter, Herr Will. Zwölf Minuten reichen nicht für die ganzen Probleme. Denken Sie bitte einmal an einen jungen Menschen, der zu Ihnen kommt und zwischen Abitur und Studium zwei Monate in Ihrem Abgeordnetenbüro ein Praktikum machen möchte, um hier einmal hineinzuschnuppern, was früher problemlos möglich war. Jetzt müssten Sie ihn fragen, was er denn künftig vorhat. Hat er keinen Studienplatz, ist es gut; denn dann kann die Tätigkeit in Ihrem Büro der beruflichen Orientierung dienen. Aber wehe, er hat einen Studienplatz als Elektroingenieur! Dann geht es nämlich nicht mehr, weil zweifellos die berufliche Orientierung hier nicht mehr gefragt ist. - Das ließe sich endlos fortsetzen.