Protokoll der Sitzung vom 04.06.2015

dieses Modellversuchs die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen im Umfang einer ärztlichen Regelversorgung zu ermöglichen.

Entschuldigung, Herr Dr. Pantazis. Ich muss Sie unterbrechen. Der Kollege Matthiesen möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

Ich würde sehr gern ausführen wollen.

Okay. - Nein, er möchte ausführen. - Bitte schön!

Zweitens. Wir wollen uns mit unserem Antrag auch nicht über geltendes Bundesrecht hinwegsetzen oder zu strafbaren Handlungen auffordern. In diesem Zusammenhang möchte ich allerdings nochmals betonen: Wir streben sehr wohl an, das Bundesrecht zu ändern, aber mitnichten, es zu brechen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, obwohl wir dies hier bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht haben und die Antwort des Sozialministeriums auf Ihre Anfrage an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt, obwohl sowohl der federführende Ausschuss als auch die Kommission zu Fragen der Migration und Teilhabe Ihr Werk zur Ablehnung empfehlen, halten Sie Ihren Antrag im Rahmen Ihrer anachronistisch ordnungsrechtlichen Kampagne aufrecht und untermauern hierdurch nur, dass Sie auch weiterhin ein schwieriges Verhältnis im humanen Umgang mit Flüchtlingen haben.

(Beifall bei der SPD)

Das ist für eine christliche Partei schlichtweg beschämend.

Ich empfehle Ihnen daher abschließend, dass Sie sich gerade als Christlich-Demokratische Union die Worte des Hildesheimer Bischofs Norbert Trelle zu Herzen nehmen sollten. Dieser hatte nämlich in diesem Zusammenhang gesagt - ich zitiere -:

„Eine restlose Auflösung der … Spannung zwischen der Migrationskontrolle als Teil des Ordnungsrechts einerseits und den Rechten der Menschen ohne Aufenthaltsstatus andererseits wird es nicht geben. Die derzeitige einseitige Betonung des Ordnungsrechts verschärft diese Spannung allerdings.“

Er fährt fort:

„Als Kirche nehmen wir in der Debatte um das politisch Mögliche und rechtlich Nötige vor allem aber auch die ethische und moralische Dimension in den Blick.“

(Dr. Max Matthiesen [CDU]: Wir auch!)

Ich finde, so falsch kann der Vorsitzende der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz nicht liegen. Deswegen werden wir heute Ihren Antrag ablehnen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE] - Jörg Hillmer [CDU]: Das können Sie doch nicht als Begründung dafür nehmen! - Ingrid Klopp [CDU]: Das war ein biss- chen arrogant!)

Danke, Herr Dr. Pantazis. - Jetzt hat sich Frau Eilers für die FDP-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön, Frau Eilers!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit Verlaub, Herr Dr. Pantazis, ich denke, die Unterstellung, eine Fraktion wolle an dieser Stelle nicht helfen, ist unangemessen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die CDU vertritt eine Position, der unserer Ansicht nach eine ungerechtfertigte Befürchtung zugrunde liegt. Der erste Punkt bezieht sich auf das Recht eines jeden Menschen in Deutschland auf eine medizinische Notversorgung bei akuten Erkrankungen und bei Schmerzzuständen. Es geht - Sie haben es gerade ausgeführt - um eine Basisversorgung und nicht um eine Regelversorgung. Dies ist im Asylbewerberleistungsgesetz für Asylsuchende und für Menschen ohne Aufenthaltsstatus geregelt. Somit können wir nicht erkennen, dass die Absicht besteht, gegen Rechtsstaatlichkeit zu verstoßen.

Allerdings müssen wir uns vergegenwärtigen - Sie haben es gerade gesagt -, dass etwa 50 000 Menschen in Niedersachsen ohne legalen Aufenthaltsstatus leben, ihren Aufenthalt nicht anzeigen und sich dadurch strafbar machen. Doch das ist ein Problem, das auf anderer Ebene gelöst werden muss.

Unabhängig davon, wie wir diese Situation beurteilen und verändern wollen, sind wir herausgefordert, diese Menschen auch medizinisch zu versorgen. Das können wir nicht, wie Sie bei Punkt 3 unterstellen, zu lange hinauszögern.

Entschuldigung, ich habe gerade einen Frosch im Hals.

(Dr. Thela Wernstedt [SPD] reicht der Abgeordneten ein Bonbon)

- Das ist sehr freundlich. Vielen Dank.

Zu sagen, das seien alles Illegale, und wir würden, wenn wir uns, wie vorgeschlagen, um sie kümmern würden, den Pfad der Rechtsstaatlichkeit verlassen, greift zu kurz. Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, medizinische Hilfe zu gewähren und verschiedene Wege der Hilfeleistung auch im Rahmen von Modellprojekten zu erproben. Sollten Ihre Zweifel bestehen bleiben, liebe CDU-Mitglieder, veranlassen Sie doch eine rechtliche Prüfung!

Mit dem von der FDP unterstützten Antrag haben wir konkrete Ansätze vorgeschlagen. Dazu gehört eben auch der anonyme Krankenschein. Auch wenn wir uns klar sind, dass selbst Personen, die in der Lage wären, für medizinische Leistungen zu zahlen, nicht zahlen werden, ist es richtig, dieses Verfahren im Rahmen eines Modellprojektes zu testen, auch um die Verschleppung von Krankheiten zu verhindern. Denn wir müssen uns der Auswirkungen bewusst sein: Tuberkulose oder andere Gefährdungen der eigenen Person oder anderer Personen. Das wollen wir in Deutschland nicht.

Wir gehen diesen Weg des Modellprojektes, stärken aber auch effektiv arbeitende regionale Strukturen, ebenso wie die Malteser Migranten Medizin im Raum Osnabrück.

Das Fazit ist: Solange wir keine allgemeingültige Lösung durch den Bund auf den Weg gebracht haben, werden wir im Land - in den einzelnen Regionen - unterschiedliche Netzwerke aufbauen müssen und verschiedene Lösungen finden müssen.

Da wir das Modellprojekt unterstützen und für diesen zweiten Weg plädieren, können wir den Antrag der CDU nicht unterstützen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Eilers, und vielen Dank, Frau Dr. Wernstedt, für die tätige Unterstützung. Normalerweise gehen Tabletten erst über unseren Tisch hier. - Nein, aber gut!

Meine Damen und Herren, jetzt hat sich Filiz Polat, Bündnis 90/Die Grünen, zu Wort gemeldet. Frau Polat, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben deutlich gemacht, dass wir unser Konzept der flächendeckenden Einführung der Gesundheitskarte in Niedersachsen weiterverfolgen. Damit wären wir Vorreiter, weil es eine solche Gesundheitskarte bisher nur in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen gibt. Einmalig sind auch der bei der CDU sehr umstrittene anonyme Krankenschein bzw. die Unterstützung, die das Land Illegalisierten gewährt, um ihnen einen angstfreien Gang zum Arzt und eine angstfreie Beratung zu ermöglichen.

Herr Dr. Pantazis hat es angesprochen: Die Kommission zu Fragen der Migration und Teilhabe hat sich unserer Initiative angeschlossen und den CDU-Antrag ganz klar abgelehnt - einstimmig, das muss man dazusagen. Sie hatte wirklich in keinster Weise Verständnis für Ihre Argumentation, gerade mit Blick auf Rechtsstaatlichkeit.

Frau Eilers, die CDU hat den juristischen Dienst bemüht, als wir unsere Initiative im Fachausschuss beraten haben, um nachzuweisen, dass wir als Parlament uns strafrechtlich irgendwie verantwortlich machen würden, wenn wir Initiativen unterstützen würden, die Illegalisierten die Möglichkeit geben, sich gesundheitlich versorgen zu lassen.

Der Flüchtlingsrat sprach am 8. April 2015 anlässlich der schriftlichen Kleinen Anfrage der CDU von einer „Kampagne … gegen den ‚anonymen Krankenschein‘„. Er erinnerte in seiner Pressemitteilung an die Diskussion Anfang der 90er-Jahre. Ich zitiere:

„Als ob seit damals nichts geschehen wäre! Nach wie vor gilt, was das Deutsche Institut für Menschenrechte bereits 2007 den Bundes- und Landesregierungen ins Stammbuch geschrieben hat:

‚Die medizinische Versorgung der gesamten Bevölkerung ist eine Verpflichtung für Staat und Gesellschaft. Der Staat hat die Aufgabe, auch für soziale Gruppen in besonders pre

kären Lebenslagen barrierefreien Zugang zu einer bedarfsgerechten medizinischen Versorgung zu gewährleisten.‘“

(Petra Joumaah [CDU]: Das gilt nur für die Menschen, die sich hier aufhal- ten dürfen!)

„‚Diese Verpflichtung lässt sich direkt aus dem Grundgesetz mit seinem Bekenntnis zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten ableiten.‘“

So stand es bereits 2007 im Bericht der Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität.

Wir hätten uns gefreut, wenn Sie unsere Initiative unterstützt hätten.

Zumindest hat das der Kreistag des Landkreises Göttingen getan. Er hat sich durch einstimmigen Beschluss sowohl für eine Prüfung der Einführung der Gesundheitskarte als auch für die Teilnahme am Modellprojekt zur Einführung von anonymen Krankenscheinen ausgesprochen.

Um es mit Ihrem Kollegen Herrn Adam, Mitglied des Kreistages des Landkreises Göttingen zu sagen: Es ist „ein Akt der Nächstenliebe“, das zu unterstützen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Polat. - Frau Ministerin Rundt hat sich zu Wort gemeldet. Sie haben das Wort, Frau Ministerin.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Sozialausschuss empfiehlt dem Landtag, den Antrag der CDU-Fraktion abzulehnen, nachdem auch die Kommission zu Fragen der Migration und Teilhabe dies getan hat.