Protokoll der Sitzung vom 04.06.2015

Genau das ist bei unserem Antrag gegeben. Menschen, die sich hier in Niedersachsen rechtswidrig aufhalten, die damit eine Straftat begehen, wird in einer medizinischen Notlage aus humanitären Gründen geholfen, und die Menschen, die ihnen helfen, allesamt sozial hoch motiviert, müssen nicht riskieren, selbst eine Straftat zu begehen. Ich

begreife nicht, wie man diesem unserem Antrag nicht zustimmen kann,

(Beifall bei der CDU)

zumal, meine Damen und Herren, Ihr Modellprojekt des anonymen Krankenscheins ganz sicher zum Scheitern verurteilt ist. Unabhängig von ungeklärten rechtlichen Fragen ist Ihr Modellprojekt schon von der geplanten Finanzierung her nicht durchführbar. Sie stellen jährlich 500 000 Euro in den Haushalt ein. Meine Damen und Herren, das ist einfach lächerlich!

(Beifall bei der CDU)

Im Jahr 2012 - das ist schon eine ganze Weile her - hielten sich in Niedersachsen geschätzt - nur geschätzt, weil natürlich keine verlässlichen Zahlen vorliegen und wir alle wissen, dass es auch immer noch eine recht ordentliche Dunkelziffer gibt - ungefähr 50 000 irreguläre Migrantinnen und Migranten auf, Tendenz steigend. Es sind also inzwischen mit Sicherheit erheblich mehr.

(Miriam Staudte [GRÜNE] und Uwe Schwarz [SPD]: Die sind alle krank?)

- Nein, verehrter Kollege Schwarz. Wir wollen nicht hoffen, dass sie alle krank werden. Das habe ich auch nicht behauptet.

Aber man beobachtet - dieses Beispiel will ich Ihnen gerne nennen - eine stark steigende Anzahl von Schwangerschaften. Sie wissen so gut wie ich: Das ist eine richtig kostenintensive Geschichte! Eine normale Entbindung ohne jede Komplikation kostet mindestens 800 Euro, die Vorsorge und die Nachsorge und vor allem die medizinischen Kosten für das Neugeborene nicht eingerechnet.

Jeder von uns kann sich den ungefähren Rahmen der finanziellen Belastungen vorstellen, welche allein im Hinblick auf die stark steigende Zahl von Schwangerschaften auf uns zukommen, die immer in einer Entbindung enden, sprich eines Arztes oder einer Hebamme bedürfen.

Ferner müssen die Personal- und Sachkosten der Anlauf- und Beratungsstellen finanziert werden, in denen die dringend notwendige Legalisierungsberatung stattfinden soll. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, man muss wirklich kein Haushälter sein, um zu wissen, dass das nicht funktionieren kann.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Deshalb ist unser Antrag der richtige. Stimmen Sie zu, und lassen Sie uns dann gemeinsam ein Konzept erarbeiten, welches - das ist wirklich wichtig -

aufzeigt, wie man den Betroffenen aus der Illegalität heraushelfen kann.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Joumaah. - Jetzt hat sich Herr Dr. Pantazis für die SPD-Fraktion zu Wort gemeldet. Dr. Pantazis, Sie haben das Wort.

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Joumaah, es ist eine grundsätzliche Frage der Humanität, was man im Umgang mit Flüchtlingen überhaupt erreichen oder nicht erreichen will. Wir wollen helfen.

(Ingrid Klopp [CDU]: Wir auch!)

Die Frage ist: Wollen Sie helfen, oder verstecken Sie sich hinter Ordnungspolitik und hinter zehn Jahren schünemannscher Innenpolitik und Ausländer- und Asylpolitik? Das ist die grundsätzliche Frage, die sich jetzt stellt.

(Beifall bei der SPD - Ulf Thiele [CDU]: Das ist doch peinlich!)

Lassen Sie mich nach zweieinhalb Jahren RotGrün ein kurzes migrationspolitisches Resümee ziehen.

(Zurufe)

- Ganz ruhig! - Nach einem verlorenen Jahrzehnt der Ausgrenzung und folkloristischer Fassade, Frau Joumaah, hat sich die rot-grüne Koalition darauf verständigt, Humanität - darum geht es hier - in der Flüchtlings- und Asylpolitik walten zu lassen.

(Zuruf von Jörg Hillmer [CDU])

Es ist und bleibt unser Wille, an der Seite der Flüchtlingsverbände, der Kirchen und anderer Initiativen mehr Menschlichkeit im Umgang mit Flüchtlingen und ihren Familien zu üben.

(Jörg Hillmer [CDU]: Tun Sie doch einmal etwas!)

- Herr Hillmer, hören Sie zu, dann können Sie etwas lernen.

Seit dem Regierungswechsel 2013 haben wir infolgedessen einen migrationspolitischen Paradigmenwechsel erlebt, der beispielsweise in der Reform der Härtefallkommission, der Abkehr von der

diskriminierenden Wertgutscheinpraxis, der Aufhebung der Residenzpflicht und nicht zuletzt in der Sicherstellung der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen seinen Niederschlag gefunden hat.

(Jörg Hillmer [CDU]: Was haben Sie denn da getan? Nennen Sie ein einzi- ges Beispiel!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, nach der im Dezember letzten Jahres abschließend erfolgten Beratung unseres Entschließungsantrag „Medizinische Versorgung von Flüchtlingen in Niedersachsen sicherstellen“ - Ihr hier vorliegender Antrag bezieht sich ja darauf - haben wir durch die Einführung eines anonymen Krankenscheins ein folgerichtig deutliches Zeichen des humanen Umgangs und einen Schlusspunkt hinter eine jahrelang andauernde Debatte gesetzt.

(Jörg Hillmer [CDU]: Das sind doch al- les nur Worthülsen! - Gegenruf von Dr. Thela Wernstedt [SPD]: Zuhören!)

Denn im Rahmen dieses Modellversuchs - Sie haben es ja angesprochen -, wie es ihn auch an anderen Standorten unserer Republik bereits gibt, soll in Kooperation mit der Kassenärztlichen Vereinigung und der Medizinischen Flüchtlingshilfe in Hannover und Göttingen der anonyme Krankenschein für Menschen ohne definierten Aufenthaltsstatus eingeführt werden, um die Inanspruchnahme einer ärztlichen Versorgung entsprechend dem Asylbewerberleistungsgesetz - nicht mehr und nicht weniger - zu ermöglichen, ohne dabei negative Konsequenzen fürchten zu müssen.

(Ulf Thiele [CDU]: Das ist ein Modell- projekt! Das meinen Sie doch nicht ernst!)

Und nicht nur das. In den beiden Vergabe- und Beratungsstellen soll analog den bisher an anderen Standorten erfreulicherweise sehr guten gemachten Erfahrungen neben einer originär medizinischen Konsultation ergänzend auch eine Beratung vermittelt werden, die auf eine Legalisierung und den Ausstieg aus der Illegalität gerichtet ist.

(Petra Tiemann [SPD]: Genau!)

Haushaltstechnisch ist dieses Modellprojekt in Anlehnung an die bereits bestehenden Einrichtungen mit jeweils 500 000 Euro pro Jahr angesetzt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit diesem weiteren Baustein des Paradigmenwechsels im Umgang mit Flüchtlingen folgen wir nicht nur der Forderung von Flüchtlingsverbänden und dem

Votum der Parlamentskommission zu Fragen der Migration und Teilhabe, sondern auch von diversen bundesdeutschen Ärztetagen, die in mehreren Beschlüssen die Einführung eines anonymen Krankenscheines gefordert haben, und zwar auch vor dem Hintergrund der kollektiven Dimension, die nicht behandelte Infektionskrankheiten für die Allgemeinheit haben können;

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Das ist ein wichtiger Aspekt!)

ein Umstand, den Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, in dieser Debatte wissentlich ausblenden.

(Petra Tiemann [SPD]: Ja, das wird völlig weggeblendet!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der hier nun vorliegende CDU-Antrag stellt - lassen Sie es mich so sagen, Frau Joumaah - eine anachronistische Replik auf unseren Paradigmenwechsel dar.

(Ulf Thiele [CDU] lacht)

Anachronistisch deswegen, weil er die jahrelang geführte Debatte ausblendet und uns quasi um ein Jahrzehnt zurückwirft, und zwar auf den damaligen Ausgangspunkt derselben.

Und nicht nur das, er stellt auch einen Teil einer Kampagne gegen den anonymen Krankenschein dar, die mithilfe von Pressemitteilungen - Herr Matthiesen - und einer Anfrage von Anfang März dieses Jahres von der CDU gefahren wird, und zwar mit dem altbekannten Vorwurf einer vermeintlichen Regelversorgung von Menschen ohne definierten Aufenthaltsstatus und einer ebenfalls vermeintlich fehlenden Rechtsstaatlichkeit.

(Jörg Hillmer [CDU]: Das ist doch hei- ße Luft!)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ganz abgesehen davon, dass Ihr Antrag auf schlechten Rechercheergebnissen beruht - das von Ihnen beispielsweise im Antrag herangezogene Urteil des Bundesgerichtshofs vom 2. September 2009 bezog sich auf die unerlaubte Herberge und den Unterhalt von Menschen ohne Papiere und somit auf einen anderen, nicht vergleichbaren Sachverhalt -, muss ich Sie auch in Ihren Grundforderungen enttäuschen und kann das, was ich bereits im Dezember hier im Plenum gesagt habe, gern wiederholen.

Erstens. Wir beabsichtigen nicht, für Menschen ohne definierten Aufenthaltsstatus im Rahmen

dieses Modellversuchs die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen im Umfang einer ärztlichen Regelversorgung zu ermöglichen.