Protokoll der Sitzung vom 29.05.2013

Tagesordnungspunkt 1: Mitteilungen des Präsidenten

Meine Damen und Herren, diese Plenarwoche fällt in eine Phase historischer Daten. Dazu habe ich einige Anmerkungen und Hinweise.

20 Jahre Niedersächsische Verfassung, 64 Jahre Grundgesetz und 150 Jahre Sozialdemokratie

Vor 20 Jahren, am 13. Mai 1993, hat der Niedersächsische Landtag mit 149 Jastimmen und nur einer Neinstimme die Niedersächsische Verfassung angenommen. Die neue Verfassung wurde am 19. Mai 1993 verkündet und trat am 1. Juni 1993 in Kraft. Einige wenige aus dieser Zeit sind auch heute noch hier mit dabei. Das 20-jährige Jubiläum soll Anlass für einen kurzen Rückblick auf die Entstehung sein.

Die Vorläufige Niedersächsische Verfassung von 1951 war erklärtermaßen nur ein Provisorium. Über vier Jahrzehnte war sie für die staatliche Ordnung im Land Niedersachsen dennoch ein stabiles Fundament. Nach dem weltpolitischen Ereignis der Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands sah der Landtag Handlungsbedarf: Die Gründe für die Vorläufigkeit der Verfassung waren nun nicht mehr vorhanden.

Der Landtag der 12. Wahlperiode setzte den Sonderausschuss „Niedersächsische Verfassung“ unter dem Vorsitz von Dr. Edzard Blanke ein. Die 17 Mitglieder hatten keine einfache Aufgabe zu bewältigen: Sie sollten die staatsrechtlichen Grundlagen des Landes Niedersachsen zeitgerecht und zukunftsweisend gestalten.

Die Ergebnisse der Arbeit des Sonderausschusses fanden Eingang in ein verfassungsänderndes Gesetz. Es gab also keine Neuschöpfung der Verfassung, wohl aber weitreichende Änderungen der

vorläufigen Verfassung. Einige wenige möchte ich beispielhaft erwähnen:

Die Niedersächsische Verfassung vom 13. Mai 1993 ist im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin nicht mehr als Organisationsstatut ausgebildet. Vielmehr regelt sie als Vollverfassung auch die grundlegenden Beziehungen zwischen Staat und Bürgern durch die Aufnahme von Grundrechten in die Verfassung.

Die Rechte des Parlaments - und das verdient an dieser Stelle besondere Erwähnung - sind deutlich gestärkt worden.

Plebiszitäre Elemente, die der vorläufigen Verfassung fremd waren, geben den Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern die Möglichkeit einer unmittelbaren Einflussnahme auf die politische Arbeit des Landtags und der Gesetzgebung, nämlich durch Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid.

Das Volk nahm diese neu eingeräumte Chance der Beteiligung an den politischen Willensbildungsprozessen umgehend wahr - manche werden sich erinnern -, und zwar mit nicht weniger als dem erklärten Ziel, eine Verfassungsänderung herbeizuführen.

Eine Volksinitiative, die bis zum Februar 1994 von mehr als 100 000 Wahlberechtigten unterstützt wurde, verlangte vom Landtag die Einführung einer Präambel mit Gottesbezug. Die Volksinitiative wurde von Mitgliedern des Landtages aufgegriffen, und es wurde ein Gesetzentwurf zur Ergänzung der Niedersächsischen Verfassung in den Landtag eingebracht. Dieser beschloss in seiner Sitzung am 19. Mai 1994 mit verfassungsändernder Mehrheit, der Niedersächsischen Verfassung die Präambel mit folgendem Wortlaut voranzustellen:

„Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen hat sich das Volk von Niedersachsen durch seinen Landtag diese Verfassung gegeben.“

Damit war der Grund für die einzige Gegenstimme bei der Verabschiedung der Verfassung im Jahr 1993 entfallen. Es war die Stimme des CDU-Abgeordneten Krapp, der den Gottesbezug vermisst hatte.

Der Blick zurück auf die vergangenen 20 Jahre erlaubt die Feststellung - und darin besteht sicher Einigkeit -, dass sich die Niedersächsische Verfassung bewährt hat. Sie bietet uns den funktionstüchtigen Rahmen für eine dem Gemeinwohl gewidmete Politik.

Wir können uns glücklich schätzen, in einem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat unter dem Schutz des Grundgesetzes und der Niedersächsischen Verfassung leben zu dürfen.

An dieser Stelle möchte ich alle Niedersachsen ermutigen, sich für die Demokratie aktiv einzusetzen. Nutzen Sie Ihre verfassungsrechtlichen Möglichkeiten, und nehmen sie insbesondere das Wahlrecht wahr! Für dieses Recht, für das Recht auf politische Teilhabe, haben Generationen vor uns gekämpft und Menschen ihr Leben geopfert.

Ich denke, meine Damen und Herren, es ist angemessen, in diesem Zusammenhang und an dieser Stelle an den 150. Geburtstag der SPD zu erinnern.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU)

Die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins am 23. Mai 1863 war mit der Vorstellung Ferdinand Lassalles verbunden, eine Veränderung der Gesellschaft zu erreichen. Eine emanzipatorische Politik sollte Massenteilhabe ermöglichen. Der Weg dorthin war schwierig. Am 9. August 1869 gründeten August Bebel und Wilhelm Liebknecht in Eisenach die Sozialdemokratische Arbeiterpartei. Das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 21. Oktober 1878 dokumentiert den schweren Weg der Selbstbehauptung.

Während die Weimarer Reichsverfassung die Existenz und Funktion politischer Parteien zumindest voraussetzte, wurde nach dem 30. Januar 1933 die Auflösung der demokratischen Parteien verfügt und mit dem Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. Juli 1933 zementiert.

Man muss daran erinnern, dass es 94 SPD-Abgeordnete waren, die am 24. März 1933 im Reichstag mit ihrem Nein zum sogenannten Ermächtigungsgesetz die Demokratie zu verteidigen suchten.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die sozialdemokratische Fraktion begründete der SPD-Vorsitzende Otto Wels die strikte Ablehnung der Gesetzesvorlage. Er sprach die letzten freien Worte im Deutschen Reichstag:

„Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“

Es war - wie Peter Struck es einmal beschrieben hat - „die mutigste Rede, die je in einem deutschen Parlament gehalten wurde“.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der FDP)

Unser Grundgesetz, das übrigens am 23. Mai - also vor wenigen Tagen - 64 Jahre alt geworden ist, hat aus der Geschichte die notwendigen Lehren gezogen. In Artikel 21 heißt es jetzt:

„Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei.“

Namens des Landtags gratuliere ich der SPD zu 150 Jahren ihres Bestehens und sage Dank für ihre Verdienste im Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit, im Kampf für die Demokratie.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der FDP)

Ich möchte diesen Dank zum Anlass nehmen, allen denjenigen Anerkennung zu zollen, die sich in den demokratischen politischen Parteien engagieren und die zum Gelingen unserer Demokratie beitragen. Damit meine ich nicht zuletzt die hier im Landtag aktuell vertretenen Parteien und Fraktionen. Nach den wechselvollen geschichtlichen Erfahrungen kann man heute feststellen, dass die demokratischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland und im Lande Niedersachsen feste Pfeiler der Demokratie sind. Hierfür gebührt ihnen unser Dank.

Aber, meine Damen und Herren, Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Demokratie muss immer wieder verteidigt werden. Dann und wann ist es zu gefährlichen Anfechtungen gekommen. Besonders ansprechen möchte ich das auch, weil sich am heutigen 29. Mai der Brandanschlag von Solingen, dem 5 Menschen zum Opfer fielen und bei dem 15 Personen verletzt wurden, zum 20. Male jährt. Der Bitte der Türkischen Gemeinde in Niedersachsen, bei der Gedenkveranstaltung um 13.30 Uhr vor der Marktkirche zu reden, leiste ich gerne Folge. Die Teilnahme ist nach meiner persönlichen Überzeugung für uns alle eine Gelegenheit, ein Zeichen zu setzen, dass Verbrechen dieser Art in unserer stabilen Demokratie keinen Nährboden finden dürfen.

(Starker Beifall)

Meine Damen und Herren, ich danke für die Aufmerksamkeit. Es war mir wichtig, zum 20. Geburtstag unserer Verfassung auf einige grundsätzliche Dinge hinzuweisen.

(Beifall)

Ich kann - ich denke, Sie teilen diesen Eindruck - zunächst die Beschlussfähigkeit des Hauses feststellen.

Zur Tagesordnung: Die Einladung, die Tagesordnung und der Nachtrag zur Tagesordnung für diesen Tagungsabschnitt liegen Ihnen vor. Außerdem haben Sie eine Übersicht erhalten, aus der Sie ersehen können, wie die Fraktionen die ihnen zustehenden Zeitkontingente verteilt haben. - Ich stelle das Einverständnis des Hauses mit diesen Redezeiten fest. Die heutige Sitzung soll demnach gegen 17.55 Uhr enden.

Ergänzend weise ich auf folgende Ausstellungen hin:

In der Portikushalle ist die Fotoausstellung „Zeigt euch“ zu sehen, die die Landesarbeitsgemeinschaft Soziale Brennpunke Niedersachsen e. V. konzipiert hat.

Im Forum des Landtages - übrigens einer hervorragenden Ausstellungslokalität - ist die Ausstellung „‚Fromme und tüchtige Leute …‘ - Die deutschen Siedlungen in Bessarabien (1814 bis 1940)“ zu sehen, die von der Freien Universität Berlin konzipiert wurde.

Die Veranstalter freuen sich über Ihr Interesse.

Für die Initiative „Schulen in Niedersachsen online“ werden in den kommenden Tagen Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Buxtehude Süd wieder mit einer Onlineredaktion live aus dem Landtag berichten. Die Patenschaft dafür hat der Abgeordnete Dammann-Tamke übernommen, wofür wir uns bedanken.

(Beifall)

Sendungen, die das „Modellprojekt Landtagsfernsehen“ der Multi-Media Berufsbildende Schule erstellt, stehen im Internet auf der Homepage der Schule - www.mmbbs.de - zum Abruf bereit und sollen auch über den Regionalsender LeineHertz 106einhalb gesendet werden.

Die mir zugegangenen Entschuldigungen teilt Ihnen nunmehr die Schriftführerin Frau Twesten mit.

Guten Morgen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Entschuldigt hat sich Frau Vockert von der Fraktion der CDU.

Bevor ich, meine Damen und Herren, den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich auf den vergangenen Tagungsabschnitt zurückkommen.

Das Plenum hatte in der Sitzung am 17. April 2013 aus gegebenem Anlass dem Ältestenrat den Auftrag erteilt, sich mit Fragen des Umgangs im Plenum zu befassen.

Nachdem der Ältestenrat dies in seiner letzten Sitzung getan hat, kann ich Ihnen Folgendes dazu mitteilen: