Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Sie haben gegenüber dpa wörtlich erklärt - ich zitiere -: Das Tempo dieser ersten 100 Tage wird man nicht über fünf Jahre aufrechterhalten können. - Das sorgt nicht nur bei mir für einige Verwunderung. Aus Ihrer Sicht mag diese Einschätzung ja richtig sein. Aber: Das, was Sie als Druck empfinden, ist für einen niedersächsischen Ministerpräsidenten der Normalfall.
Wir kritisieren Sie nicht dafür, dass Gorleben entgegen anders lautenden auch eigenen Versprechen vor der Wahl jetzt doch im Topf der Endlagersuche bleibt. Uns war das schon lange vorher klar. Wir kritisieren Sie aber dafür, dass Sie im Wahlkampf den Menschen das Gegenteil versprochen und dieses Versprechen nun nach nur sechs Wochen Regierungszeit gebrochen haben.
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte Ihnen, Herr Weil, auch überhaupt nicht absprechen, dass Sie persönlich das Beste für das Land wollen. Dann aber müssen Sie das Notwendige erkennen und am Ende auch umsetzen.
Die Menschen in Niedersachsen fragen sich doch zu Recht: Wo sind diese Landesregierung und diese Koalition? Gibt es eine einigende Idee? Gibt es eine gemeinsame Vorstellung oder einen Plan für das Land? Muss es Sie nicht alarmieren, wenn die öffentliche Meinung zu der Einschätzung kommt, dass nach 100 Tagen kaum etwas von der viel beschworenen Aufbruchstimmung geblieben ist? Muss es Sie nicht auch alarmieren, wenn die Öffentlichkeit den Eindruck gewinnt, dass diese Landesregierung in den ersten 100 Tagen mit angezogener Handbremse fuhr? Was soll man davon halten, wenn Frau Piel vor einigen Tagen vor Journalisten freimütig bekennt - ich zitiere -:
„Mir graust vor den Haushaltsberatungen, weil dann wohl einiges von der Begeisterung wieder einzufangen sein wird“?
nur als Chance, sondern als das essenzielle Recht dieses Parlaments verstanden, nämlich Politik zu gestalten. Dementsprechend hätten Sie, wenn Sie den Mut gehabt hätten, einen eigenen Nachtragshaushaltsplan vorlegen können. Darauf haben Sie aber verzichtet. Das ist kleinmütig, meine Damen und Herren.
Ich nenne ein weiteres Beispiel: Landauf, landab wird engagiert über die Ausgestaltung der Energiewende diskutiert. Ihr Umweltminister aber taucht ab. Nichts, schlichtweg nichts ist von Herrn Wenzel zu hören. Ebenso verhält er sich bei den jüngst durchgeführten MOX-Transporten, die durch Niedersachsen gegangen sind. Ich erinnere daran, dass sich an dieser Stelle vor nicht einmal einem Jahr gerade auch Herr Wenzel eine gespielte Entrüstung geleistet hat, die völlig unmöglich war. Heute soll der Bund schuld sein. So billig geht es aber nicht!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein chinesisches Sprichwort sagt: Ein guter Anfang ist die Hälfte des Erfolges. - Einen guten Start haben Sie verpasst. Die Koalitionsvereinbarung enthielt viele Absichtserklärungen, benannte aber keine Prioritäten. Die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten im Februar war unverbindlich. Die Regierungsklausur im April blieb ergebnislos. Insofern haben Sie, lieber Herr Weil, recht: Das Tempo der ersten 100 Tage kann kein Vorbild für die nächsten sein. Sie und Ihr Kabinett müssen endlich Fahrt aufnehmen.
Meine Damen und Herren, noch einmal ein Hinweis zur Abwicklung dieses Tagesordnungspunktes: Sie alle haben natürlich erkannt, dass die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 d eine gewisse Ähnlichkeit haben. Es gibt aber keine Vereinbarung dahin gehend, sie im Paket gemeinsam zu behandeln. Von daher werden wir sie pflichtgemäß der Reihenfolge nach getrennt und jeweils in sich selbstständig debattieren. Die Redner werden, wenn es keine andere Vereinbarung gibt - eine
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle in diesem Haus werden uns wohl sehr gerne an den 20. Januar, den Tag der Landtagswahlen, erinnern - unbestreitbar aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln und mit ganz unterschiedlichen Erinnerungen. Ob das auch bei Ihnen so ist, müssen Sie selbst beantworten.
Am 20. Januar haben sich die Wählerinnen und Wähler für einen Regierungswechsel und damit für einen neuen Politikstil entschieden. Schwarz-Gelb unter der Führung von David McAllister wurde abgewählt, und uns, Rot-Grün, wurde nach zehn Jahren Opposition die Regierungsverantwortung übertragen.
Meine Damen und Herren, morgen ist es 100 Tage her, dass sich dieser Landtag konstituiert und Stephan Weil zu unserem neuen Ministerpräsidenten gewählt hat. Alle vier Fraktionen in diesem Landtag haben dies zum Anlass genommen, hierzu eine Aktuelle Stunde anzumelden.
Meine Damen und Herren, die Berichterstattungen der letzten Tage haben bereits deutlich gemacht, dass die Einschätzungen und Wahrnehmungen der Regierungsfraktionen und der Oppositionsfraktionen über diese 100 Tage sehr unterschiedlich ausfallen. Also ist es doch sinnvoll, uns hier und heute darüber auszutauschen. Ob es den einen oder die andere noch etwas nachdenklicher stimmt, lasse ich einmal völlig offen.
Warum wir dieses Thema nicht in einem Block diskutieren, um den Rednerinnen und Rednern die Möglichkeit zu geben, in Gänze vorzutragen, bleibt ein Geheimnis der Opposition.
100 Tage nach dem Regierungswechsel stelle ich für meine Fraktion fest, dass die Zusammenarbeit mit unserem Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grü
- Ja, wir haben auch Spaß dabei. - Auch die Zusammenarbeit mit der Landesregierung - und zwar mit allen Häusern - ist sehr gut und vertrauensvoll.
Das sind die besten Voraussetzungen für eine lange und erfolgreiche Koalition. Dafür bedanke ich mich im Namen meiner Fraktion ganz herzlich.
Meine Damen und Herren, es macht Sinn, heute noch einmal in Erinnerung zu rufen, was wir tatsächlich bei Regierungsübernahme vorgefunden haben; denn das gehört zu einer vernünftigen Analyse und zur Wirklichkeit dazu: eine Ausländer- und Asylpolitik, die nur als inhuman und unsozial bezeichnet werden kann. Alle Warnsignale aus der Härtefallkommission liefen beim Hardliner Schünemann ins Leere. Den uns jetzt vorliegenden Antrag von der FDP „Mehr Menschlichkeit in der Härtefallkommission“ haben wir mit Interesse zur Kenntnis genommen. Aber wo waren Sie eigentlich in den letzten Jahren in der Ausländer- und Asylpolitik?
Ich lade Sie daher herzlich und ausdrücklich ein, mit uns gemeinsam an einer Willkommenskultur und für ein weltoffenes Niedersachsen zu arbeiten.
Ich nenne weiter: eine Schulpolitik, die einzelne Schulformen gegeneinander ausspielte und den Elternwunsch völlig ignorierte, eine Debatte über das Turboabitur war nicht gewollt, völlige Arbeitsverweigerung bei dem Thema demografische Entwicklung, obwohl dazu seit vielen Jahren ein Abschlussbericht der Enquete-Kommission vorliegt,
(Jörg Hillmer [CDU]: Frau Modder, wir sind schon 100 Tage weiter! Das ha- ben Sie schon einmal vorgetragen!)
ein unfassbarer Sanierungsstau bei der öffentlichen Infrastruktur, keine Bewegung zum Thema gute Arbeit, Mindestlohn, Leiharbeit, prekäre Be
schäftigungsverhältnisse, Missbrauch von Werkverträgen usw. Für Sie, meine Damen und Herren, war das bis dahin kein Handlungsbedarf.
Doch jetzt kommt mit Ihrer Klausur auf Borkum die Borkumer Erklärung der plötzliche Linksruck. Entdeckt die CDU ihr soziales Gewissen?
Der absolute Hammer ist für mich Ihr Verständnis einer soliden und nachhaltigen Finanzpolitik. Zu den Fakten. Der Schuldenstand 2012: 49 Milliarden Euro - in zehn Jahren also eine durchschnittliche Neuverschuldung von rund 2 Milliarden Euro jedes Jahr -, ein strukturelles Defizit von rund 1 Milliarde Euro, Steuereinnahmen viel zu optimistisch angesetzt, dazu eingeplante Verkaufserlöse, wo niemand nachvollziehen kann, was Sie eigentlich veräußern wollten, und obendrauf die Debatte um die Schuldenbremse schon 2017 völlig ohne Konzept.
Meine Damen und Herren von CDU und FDP, von Ihnen brauchen wir uns bestimmt keine Ratschläge mehr abzuholen. Die verbieten sich von ganz allein.
Ihre Abwahl am 20. Januar war verbunden mit der Unzufriedenheit der Menschen und Ihrer Stillstandspolitik. Gleichzeitig haben die Menschen in unserem Land berechtigte Erwartungen und Hoffnungen in eine neue rot-grüne Landesregierung gesetzt. Wir wissen um diese Verantwortung und sind uns den Herausforderungen, die vor uns liegen, sehr bewusst. Wir werden die Menschen nicht enttäuschen. Wir arbeiten hart und entschlossen an einem sozialen und innovativen Niedersachsen. Das Land ist bei uns, bei Rot-Grün, in guten Händen. Deshalb rate ich Ihnen von CDU und FDP zu etwas mehr Gelassenheit und Unaufgeregtheit. Ich hoffe, dass Sie Ihre Rolle der Opposition hoffentlich schnell finden.