Wer diesen Antrag annehmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. - Ich frage nach den Gegenstimmen. - Gibt es Enthaltungen? - Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt worden.
Meine Damen und Herren, bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich mich an den Kollegen Thiele wenden. Ich nehme Bezug auf den Vorläufigen Stenografischen Bericht über die 68. Plenarsitzung am 15. Juli. Während meiner Sitzungsleitung gab es, als der Ministerpräsident in der Aktuellen Stunde geredet hat, einen Zwischenruf des Kollegen Thiele, der bei uns aufgrund der Lautstärke im Plenarsaal nicht im Originalwortlaut angekommen ist.
Seit gestern liegt mir und auch anderen der Vorläufige Stenografische Bericht vor. Danach hat der Kollege Thiele gerufen: „Wie frustrierend muss das sein, dass Sie so beschissene schlechte …“ - Mit Verlaub, Herr Thiele: Das ist nicht nur unparlamentarisch, sondern eine unflätige Wortwahl - Entschuldigung, wenn ich das so sage -, die hier bei allem Eifer in der parlamentarischen Auseinandersetzung keinen Einzug halten darf. Ich erteile Ihnen daher nachträglich einen Ordnungsruf.
Herr Kollege Thiele hat sich zu einer persönlichen Bemerkung zu Wort gemeldet. Bitte schön! Sie kennen das Prozedere.
Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Ich akzeptiere selbstverständlich den Ordnungsruf und entschuldige mich für diesen Zwischenruf. Er hat hier im Parlament nichts zu suchen, bleibe aber trotzdem dabei, dass die Politik der Landesregierung katastrophal ist.
Die Entschuldigung ist angekommen. Das war auch eine Bemerkung im Rahmen der Regelung unserer Geschäftsordnung zu persönlichen Bemerkungen.
Tagesordnungspunkt 48: Erste Beratung: „Deine Chance in Niedersachsen“ - Ein niedersächsisches Programm als Ausweg aus der Duldung - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/3828
Zur Einbringung hat sich der Vorsitzende der CDUFraktion, Herr Kollege Björn Thümler, gemeldet, dem ich das Wort erteile. Bitte, Herr Thümler!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Tausende von Menschen kommen in diesen Tagen und Wochen zu uns nach Niedersachsen. Sie sind aus Krisengebieten dieser Welt geflohen und suchen Schutz vor politischer Verfolgung. Oft suchen sie aber auch eine bessere wirtschaftliche Perspektive für sich und ihre Familien. Neben den Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien, dem Irak oder aus Afrika sowie den Asylbewerbern vom Westbalkan gibt es Tausende von Menschen, die seit Langem bei uns leben - aber eben nur geduldet.
Meine Damen und Herren, viele Asylverfahren können auch nach vielen Jahren nicht abgeschlossen werden, weil die Identität des Betroffenen nicht rechtsgültig geklärt werden kann. Diese Asylbewerber stecken in einem Dilemma - man könnte auch sagen: in einem unerträglichen Dilemma - oder, ja, in einer Zwickmühle. Zum einen sind sie in einem Asylverfahren, das keine echte Chance
für sie bietet, in Deutschland zu bleiben. Zum anderen können sie ihre Fähigkeiten nicht in das gesellschaftliche Leben dieses Landes einbringen.
Viele von ihnen haben eine abgeschlossene Berufsausbildung und nach längerem Aufenthalt in Deutschland auch gute Sprachkenntnisse. Das alles wird nicht genutzt. Personen mit ungeklärter Herkunft und Identität dürfen keine Arbeit aufnehmen. Verfahren zur Klärung von Identität und Herkunft dauern Jahre. Selbst bei einer rechtsgültigen Feststellung der Personendaten kommt es erst nach Jahren des Aufenthaltes in Deutschland zu schweren Verwerfungen zwischen der gesellschaftlichen Wahrnehmung und der rechtsstaatlichen Pflicht zum Vollzug des geltenden Rechts in Form einer Abschiebung.
Meine Damen und Herren, wir als CDU-Fraktion wollen diesen Teufelskreis durchbrechen. Wer in der Vergangenheit bewiesen hat, dass er oder sie sich aktiv und positiv in der Gesellschaft eingebracht hat oder einbringt, soll bleiben dürfen.
Nun gibt es Fälle von langjährig Geduldeten, die ihre Identität aktiv verschleiert haben. Diese Personen befinden sich in einer zusätzlichen Zwickmühle, weil bei Offenbarung ihrer Identität zumeist die Abschiebung folgen müsste. Ein Staat, der sich an seine Gesetze hält, müsste dies tatsächlich tun.
Wir verstehen aber auch, warum diese Menschen dies getan haben. Sie suchen ihre Chance in Deutschland. Das ist etwas, was ihnen niemand verübeln kann.
Als Staat sind wir jedoch auch moralisch berechtigt, die Zuwanderung zu steuern. Und das ist der Punkt, an dem der Staat in die Zwickmühle gerät. Was ist wichtiger - die Verletzung der Mitwirkungspflicht durch Identitätsverschleierung nicht zu akzeptieren und abzuschieben oder gelungene Integration zu legalisieren?
Der Bundestag, meine Damen und Herren, hat nun eine neue Regelung getroffen; er hat einen neuen § 25 b in das Aufenthaltsgesetz eingefügt.
Meine Damen und Herren, es kann nicht angehen, dass, wenn hier eine Rede gehalten wird, gleichzeitig Debattiergruppen, insbesondere auf der linken Seite des Hauses, den hinteren Rand des
Plenarsaals füllen. Wenn Sie wichtige Gespräche zu führen haben, dann machen Sie das bitte draußen! Stören Sie aber nicht den Ablauf der Plenarsitzung!
Er ermöglicht Aufenthaltstitel in Fällen nachhaltiger Integration unter bestimmten Bedingungen, und zwar auch bei bisheriger Verschleierung der Identität.
Meine Damen und Herren, von dieser neuen gesetzlichen Möglichkeit sollte künftig reger Gebrauch gemacht werden. Zu diesem Zweck sollte in Niedersachsen aus unserer Sicht ein eigenes Landesprogramm mit dem Titel „Deine Chance in Niedersachsen“ aufgelegt werden.
Dieses Programm, meine Damen und Herren, richtet sich an Asylbewerber mit ungeklärter Herkunft und Identität, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen sollten: erstens Offenlegung der Identität und Herkunft, zweitens Nachweis von ausreichenden Kenntnissen der deutschen Sprache, drittens abgeschlossene, europäischen Standards entsprechende Berufsausbildung oder Studium oder - viertens - alternativ der Nachweis eines Ausbildungsplatzes oder der Anstellung als Fachkraft, die eine qualifizierte Berufsausbildung voraussetzt.
Meine Damen und Herren, dieses Programm zielt darauf ab, Menschen aus einem endlosen Asylverfahren in ein Zuwanderungsverfahren zu überführen. Insbesondere in Deutschland geborene Kinder von dauerhaft Geduldeten brauchen eine echte Chance, dauerhaft in dem Land bleiben zu können, in dem sie geboren wurden und das ihre Heimat ist.
Meine Damen und Herren, wir brauchen in Niedersachsen und Deutschland eine breit angelegte gesellschaftliche Diskussion darüber, wie wir Zuwanderung gestalten wollen. Und ich betone ausdrücklich: Ja, Niedersachsen bzw. Deutschland sind Einwanderungsland, meine Damen und Herren.
Behörden geduldet werden und ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland leben, unter klar formulierten Bedingungen eine Möglichkeit bieten, Aufenthaltsperspektiven zu erhalten. Wir wollen denjenigen, die über Jahre hier sind und von denen wir wissen, dass sie unser Land nicht mehr verlassen, ein faires Angebot machen.
Ich denke, wir sind uns fraktionsübergreifend einig in dem Ziel, langjährig Geduldeten, die Integrationsleistungen erbracht haben, eine Aufenthaltsperspektive zu geben. Deshalb sollten wir bei allem politischen Dissens, der in der Frage, wie man Zuwanderung gestaltet oder eben auch nicht, besteht, für die betroffenen Menschen eine Lanze brechen und die entscheidende Frage positiv beantworten, nämlich ob wir es ernst meinen, ihnen eine Perspektive zu geben. Dies sollten wir mit einem eigenen Landesprogramm „Deine Chance in Niedersachsen“ tun; denn das wäre ein verbindendes Zeichen, meine Damen und Herren. Diese Kraft sollte dieses Landesparlament haben.
Vielen Dank, Herr Kollege Thümler. - Für die Fraktion der SPD erteile ich jetzt der Abgeordneten Doris Schröder-Köpf das Wort. Bitte, Frau Kollegin!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Schlussphase dieser langen Plenarwoche möchte ich auf eine Tatsache aufmerksam machen, die vielleicht nicht allen Kolleginnen und Kollegen präsent ist. Von Sitzungsbeginn am Dienstag an bis heute haben wir uns als Landesparlament an sieben ausgewiesenen Stellen der Tagesordnung und in noch sehr viel mehr Einzelredebeiträgen mit den Schicksalen und Perspektiven von Menschen beschäftigt, die aufgrund von Flucht und Vertreibung oder aus anderen existenziellen Nöten heraus ihre Heimat verlassen und bei uns einen Neuanfang gesucht haben.
Wir haben über diese Menschen im Zusammenhang mit der Entlastung der Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen gesprochen; wir haben über Sprachkurse, über eine bessere Verteilung von Menschen und Zuständigkeiten in Europa, über Konsequenzen aus den tausendfachen Flüchtlingstoten im Mittelmeer,
über Teilhabe in Form von Wahlrecht gesprochen - bis hin zum Antrag der CDU „Deine Chance in Niedersachsen“, den wir nun diskutieren.
Sehr geehrte Damen und Herren, zufällig - oder auch nicht - bildet die Tagesordnung dieser Sitzungswoche damit in etwa das Spektrum der Herausforderungen ab, vor dem die niedersächsische Politik und Gesellschaft stehen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, bevor ich zu inhaltlichen Anmerkungen komme, möchte ich vorwegschicken, dass ich mich etwas über den Zeitpunkt Ihres Antrags wundere. Denn im Bundesrat wurde gerade vor wenigen Tagen das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen, mit dem das Bleiberecht neu geregelt wird. Mit dem zusätzlich ins Aufenthaltsgesetz eingefügten § 25 b soll gut integrierten Menschen nach ganz klaren Bedingungen stichtagsunabhängig endlich eine dauerhafte Perspektive in unserem Land ermöglicht werden.
Seit der Regierungsübernahme war das für die rotgrüne Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen ein Herzensanliegen. Innenminister Boris Pistorius hat dafür auf Bundesebene lange geworben und gekämpft. Herr Minister - vielleicht folgen Sie ja dieser Debatte jetzt -: Herzlichen Dank für Ihren Einsatz!
Die gleich nach der Regierungsübernahme erfolgte Reform der Härtefallkommissionsverordnung stellt auf Landesebene einen Meilenstein bei der Verbesserung im Bleiberecht dar. Durch die Reduzierung von Nichtannahme- und Ausschlussgründen in der Verordnung haben die Mitglieder der Härtefallkommission seither Dutzenden von Menschen Perspektiven für ein Leben in Niedersachsen ermöglichen können.
Sehr geehrte Damen und Herren, Ministerin Rundt wird sicherlich die Vorzüge der neuen Bleiberechtsregelung noch ausführen und auf weitere Aspekte Ihres Antrags eingehen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich bei Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen der Union, für die verantwortungsbewussten Diskussionen rund um das Thema Flucht und Asyl zu bedanken.
In den vergangenen Tagen wurde dabei immer wieder ein Bibelzitat verwendet; ich möchte auf eine Geschichte aus der Bibel verweisen: das sogenannte Damaskus-Erlebnis, die Geschichte von
Sehr geehrter Herr Schünemann, ich habe Ihrer Persönlichen Erklärung vom Mittwochabend genau zugehört und glaube, dass Sie heute manche Entscheidung anders treffen würden als in Ihrer Amtszeit. Ihr Landesvorsitzender hat den Kurswechsel der CDU in der Ausländer- und Asylpolitik wenige Tage nach der Landtagswahl angekündigt, und die Fraktion vollzieht ihn jetzt. Das ist gut für die Menschen in Niedersachsen - ganz besonders für die, die jetzt zu uns kommen, aber auch für diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die sich aus ganzem Herzen und mit ganzer Kraft diesen Neuankömmlingen ehrenamtlich widmen.