Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gemeinsam mit den Schriftführern zur Rechten und zur Linken darf ich Ihnen zunächst einen guten Morgen wünschen!
Am 22. Juli 2015 verstarb der ehemalige Abgeordnete Harm Weber im Alter von 87 Jahren. Harm Weber gehörte dem Niedersächsischen Landtag als Mitglied der SPD-Fraktion von 1974 bis 1982 an. Während dieser Zeit war er Mitglied im Ausschuss für innere Verwaltung. Harm Weber wurde mit dem Verdienstkreuz am Bande und dem Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
Am 4. September 2015 verstarb die ehemalige Abgeordnete Ursula Pistorius im Alter von 82 Jahren. Ursula Pistorius gehörte dem Niedersächsischen Landtag als Mitglied der SPD-Fraktion von 1978 bis 1990 an. Während dieser Zeit war sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Mitglied im Ältestenrat, im Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen, im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst sowie im Ausschuss für Sozial- und Gesundheitswesen.
Wir werden die Kollegin und den Kollegen in guter Erinnerung behalten und widmen ihnen ein stilles Gedenken. - Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, das Plenum ist hervorragend besetzt, sodass ich die Beschlussfähigkeit des Hauses bereits jetzt feststellen kann.
Zur Tagesordnung: Die Einladung für diesen Tagungsabschnitt sowie die Tagesordnung einschließlich des Nachtrages und der Informationen zu den von den Fraktionen umverteilten Redezeiten liegen Ihnen vor. - Ich stelle das Einverständnis des Hauses mit diesen geänderten Redezeiten fest.
Die heutige Sitzung soll demnach gegen 21.30 Uhr enden. Aber Sie erkennen in der Tagesordnung sicherlich auch Möglichkeiten, die Sitzung etwas früher zu beenden
Wie Sie sicherlich bemerkt haben, hat das von Herrn Professor Kurt Schwerdtfeger geschaffene Gipsrelief des Niedersachsen-Rosses aus dem bisherigen Plenarsaal nach seiner Restaurierung jetzt im Eingangsbereich zu unserem Interimsplenarsaal einen neuen und, wie ich finde, würdigen Platz gefunden. So Sie es noch nicht entdeckt haben: Gehen Sie bei Gelegenheit vorbei, und bestaunen Sie das wunderbar restaurierte Niedersachsen-Ross!
In der Ehrenloge begrüße ich die acht Personen umfassende Delegation der Sejmik der Wojewodschaft Niederschlesien unter Leitung der Vorsitzenden Barbara Zdrojewska.
Die Delegation absolviert in der Zeit vom 9. bis zum 12. September 2015, also in diesen Tagen, ein umfangreiches Programm in Niedersachsen, zu dem auch Gespräche mit den Mitgliedern des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten, Regionalentwicklung und Medien sowie des Ausschusses für Wissenschaft und Kultur gehören.
Ich heiße die Kolleginnen und Kollegen herzlich willkommen und wünsche ihnen einen angenehmen und informativen Aufenthalt in Niedersachsen: Witamy serdecznie w Dolnej Saksonii.
Guten Morgen! Für heute haben sich entschuldigt: von der Landesregierung Herr Finanzminister Schneider und Herr Wirtschaftsminister Lies sowie von der CDU-Fraktion Herr Kollege Dr. Siemer.
Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Regierungserklärung mit dem Titel „Flüchtlinge in Niedersachsen - Weltoffenheit schützen, Herausforderungen annehmen, Chancen nutzen“ - Regierungserklärung des Ministerpräsidenten - Drs. 17/4144
Zunächst gibt Herr Ministerpräsident Weil die angekündigte Regierungserklärung ab. Ich erteile dem Herrn Ministerpräsidenten hiermit das Wort. Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Welche Bilder vom Sommer 2015 werden in Erinnerung bleiben? Bilder von syrischen Flüchtlingen, die in Dänemark über eine Autobahn marschieren? Oder die Bilder von dem Kühltransporter bei Wien, in dem 71 Menschen elend erstickt sind? Oder das Bild von dem toten syrischen Jungen am Strand in der Türkei, das erst in der letzten Woche Millionen von Menschen tief angerührt hat? Die Bilder aus Heidenau, wo nachts eine Flüchtlingsunterkunft angegriffen und bei Tageslicht die Bundeskanzlerin als Volksverräterin beschimpft wurde? Oder überwiegen doch die Bilder von den vielen Bahnhöfen in Deutschland, wo Flüchtlinge mit Beifall begrüßt worden sind?
Die Auswahl unter den Bildern dieses Sommers ist wirklich groß, und sie alle sind Teil einer dramatischen Entwicklung. Wir erleben derzeit die größte Fluchtbewegung auf der Welt seit dem Zweiten Weltkrieg. Etwa 60 Millionen Menschen haben ihre Heimat verlassen und suchen Zuflucht. Es ist immer noch nur ein vergleichsweise kleiner Teil, der bei uns in Deutschland ankommt. Aber auch bei uns haben sich die Zugangszahlen dramatisch erhöht. Noch vor zwei Jahren waren es etwa 125 000 Menschen, die in Deutschland Zuflucht gesucht haben. Vor der Sommerpause - vor wenigen Wochen - hat der Bundesinnenminister für dieses Jahr einen Zugang von etwa 350 000 bis 400 000 prognostiziert. In der Sommerpause hat er diese Prognose auf „bis zu 800 000 Flüchtlinge“ erhöht - eine Verdoppelung innerhalb weniger Wochen! Ich glaube, uns alle beschleicht das unbestimmte Gefühl: Auch diese Prognose müsste möglicherweise noch weiter nach oben korrigiert werden. Eine solche Entwicklung hat es noch nicht gegeben.
Es ist unter diesen Bedingungen ganz gewiss nicht zu weit gegriffen, wenn ich sage: Ja, wir haben eine Krisen-, wir haben eine Notsituation. Alle unsere Aufnahmesysteme im Bund, in den Ländern und in den Kommunen sind äußerst strapaziert und immer mehr auch darüber hinaus. Umso herzlicher - das ist mir ein besonderes Anliegen am Anfang meiner Erklärung - sollten wir danken: danken den Kommunen, die unter extrem schwierigen Bedingungen bei uns in Niedersachsen Unterkünfte für die Flüchtlinge bereitstellen,
danken den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in den Landesaufnahmeeinrichtungen, die in völlig überfüllten Unterkünften eine herausragende Arbeit leisten, meine sehr verehrten Damen und Herren - herzlichen Dank für dieses Engagement! -,
danken der Polizei, den Feuerwehren und den Hilfsorganisationen, die sich weit über das Normalmaß hinaus einsetzen, danken vor allem aber auch Tausenden von Bürgerinnen und Bürgern, die in der Flüchtlingshilfe vor Ort ehrenamtlich ganz praktisch anpacken und Menschen die Hand reichen, die aus Not zu uns kommen. Diese Bürgerinnen und Bürger, das sind für mich die stillen Helden des Sommers 2015. Sie sind die besten Botschafterinnen und Botschafter unseres Landes. Herzlichen Dank für diese Arbeit!
Meine Damen und Herren, uns allen ist aber in diesen Wochen, glaube ich, auch bewusst, dass es noch um mehr als um die Aufnahme von Flüchtlingen geht. Es geht auch um die Zukunft unserer Gesellschaft. Es geht darum, ob wir uns abschotten, ob wir Hass und Ablehnung gegen Minderheiten dulden oder ob wir eine freie, demokratische, eine weltoffene Gesellschaft verteidigen. Viele Tausend Menschen in Niedersachsen geben darauf Tag für Tag eine eindrucksvolle Antwort und helfen. Diesen Menschen fühlen wir uns tief verbunden. Sie stehen beispielhaft für Mitgefühl und Mitmenschlichkeit. Unsere offene Gesellschaft steht jetzt auf dem Prüfstand, und wir alle müssen
Vor diesem Hintergrund, so meine ich, sind wir gemeinsam gut beraten, die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen, die uns verbinden. Das gesamte demokratische Spektrum in Deutschland ist sich einig, dass wir unsere humanitären Verpflichtungen erfüllen müssen und dafür auch bereit sind, große Anstrengungen in Kauf zu nehmen. Diese fundamentale Gemeinsamkeit sollten wir betonen und nicht der Versuchung erliegen, uns im politischen Kleinklein zu verheddern.
In diesem Sinne begrüße ich auch sehr die Initiative der Unternehmerverbände, des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der evangelischen und der katholischen Kirche. Sie haben völlig recht, und ich bin ihnen für diese Initiative sehr dankbar.
Was ist zu tun? - Das drängendste Problem vor Ort - das ist gar keine Frage - sind im Moment die Unterkünfte - eine ausreichende Zahl von Plätzen unter anständigen Bedingungen für die Menschen, die zu uns kommen.
Dieses Problem haben Kommunen und Land gleichermaßen. Wir machen die Erfahrung, dass es in unserem ausgetüftelten Rechtssystem gelegentlich schwer ist, schnell und flexibel zu handeln. Viele Vorschriften, die gewiss in allerbester Absicht erlassen worden sind, erschweren derzeit auch die Bereitstellung von Unterkünften.
Innenminister Pistorius hat die Initiative ergriffen, Standards zu überprüfen und gegebenenfalls vorübergehend für die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften auszusetzen. Auf der Landesebene laufen entsprechende Arbeiten. Wir werden z. B. Bauvorhaben beschleunigen und Vergaben erleichtern. Unsere Bundesratsinitiative zu diesem Thema hat ein breites Echo gefunden. Inzwischen unterstützt auch die Bundesregierung diesen Vorstoß. Wir sind dankbar für diese Unterstützung, aber sie ist auch dringend notwendig.
Bei uns in Niedersachsen hat der schnelle und konsequente Ausbau unserer Erstaufnahmeeinrichtungen höchste Priorität. Wir brauchen dringend Unterkünfte für die wachsende Zahl von Menschen, die gerade in diesen Tagen nach Niedersachsen kommen.
Um Ihnen ein kurzes Schlaglicht vom gestrigen Tag zu geben: Bayern leitet Züge inzwischen direkt durch. Gestern hat Baden-Württemberg für zumindest einen Tag erklärt, man habe keine weiteren Aufnahmemöglichkeiten mehr. - Das ist die Situation! Demzufolge nimmt es auch nicht wunder, dass die bei uns bestehenden Einrichtungen derzeit völlig überfüllt sind. Sie benötigen dringend Entlastung. Mit dem Nachtragshaushaltsplan, auf den ich noch zu sprechen kommen werde, stellen wir dafür 30 Millionen Euro bereit.
Meine Damen und Herren, leider sind in den vergangenen Jahren aus Kostengründen Einrichtungen geschlossen worden, die wir derzeit schmerzlich vermissen. Im Jahr 2013 gab es in Niedersachsen nur noch 1 700 Plätze. Heute können wir mehr als 11 000 Menschen unterbringen. Allein seit Anfang des Monats haben wir die Kapazitäten verdoppeln können. Das ist eine herausragende Leistung, für die ich mich bei allen Beteiligten sehr herzlich bedanken möchte, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Und so wird es weitergehen. Gemeinsam mit der Bundeswehr arbeitet das Innenministerium mit Hochdruck daran, in den nächsten Tagen noch einmal 2 000 bis 3 000 Plätze - man kann sagen - aus dem Boden zu stampfen. Bis zum Ende dieses Jahres sollen mehr als 15 000 Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen oder anderen winterfesten Unterkünften Aufnahme finden können. Das ist dann eine Verneunfachung innerhalb von zweieinhalb Jahren, meine sehr verehrten Damen und Herren. Eine Verneunfachung! Mit dieser Zahl haben wir dann übrigens in etwa den Bedarf abgedeckt, der aus Sicht des Bundes für Niedersachsen besteht.
Das mit diesen großen Zahlen ist schnell gesagt. Aber hinter all diesen Einzelprojekten steht eine unglaublich harte Arbeit, von allen betroffenen Seiten. Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich übrigens insbesondere bei den Kommunen bedanken, bei denen wir derzeit auf viel Verständnis stoßen. Herzlichen Dank dafür!
Wir werden auch weiter energisch die Einrichtung weiterer, neuer Unterkünfte vorantreiben. Wir tun dies vor allem auch, um die Kommunen zu entlasten, damit sie die Möglichkeit haben, sich auf zugewiesene Flüchtlinge angemessen vorzubereiten.
Wenn uns die Bewältigung der Herausforderung aus der Erstaufnahme der Flüchtlinge hoffentlich gelungen sein wird, wird sich sehr schnell ein anderes Thema stellen: der Wohnungsbau. Wir müssen dafür sorgen, dass Flüchtlinge, die jetzt zu uns kommen und bei uns bleiben werden, so schnell wie möglich nicht mehr notdürftig untergebracht sind, sondern in Wohnungen leben können. Provisorien, meine Damen und Herren, dürfen keine Dauerlösungen werden!