Protokoll der Sitzung vom 10.09.2015

(Zustimmung von Johanne Modder [SPD])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist kein Problem der Gesetzgebung; das ist ein Problem der Verwaltungspraxis.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der CDU - Jörg Bode [FDP]: Der Landesregie- rung!)

- Lieber Kollege Bode, Sie werden gleich an dieser Stelle nicht eines Besseren belehrt, aber informiert werden.

(Jörg Bode [FDP]: Warten wir mal ab!)

Wir müssen dazu kommen, dass alle Beteiligten schneller Klarheit haben. Das würde im Übrigen auch alle bei uns bestehenden Aufnahmesysteme wesentlich entlasten. Deswegen steht die Beschleunigung des Asylverfahrens meines Erachtens im Mittelpunkt aller Überlegungen.

Es gibt, Herr Kollege Bode, dafür einen Dreh- und Angelpunkt. Zuständig für das Asylverfahren ist nämlich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die 16 Länder - da gibt es keinen Unterschied nach Himmelsrichtungen, Parteibüchern oder sonst etwas - mahnen seit vielen Monaten eine wesentlich bessere Ausstattung dieser Behörde an. Die Bundesregierung hat eine deutliche Aufstockung des Personals zugesagt, aber das dauert alles sehr, sehr lange. Und im Lichte der aktuellen Entwicklung reichen die im ersten Halbjahr versprochenen zusätzlichen Stellen heute schon bei Weitem nicht mehr aus. An dieser Stelle muss dringend etwas geschehen, sonst werden die Aktenberge weiter wachsen, und die Überforderung aller anderen Beteiligten wird weiter zunehmen, meine Damen und Herren. Das ist ein archimedischer Punkt der derzeitigen Diskussion.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nur auf der Grundlage einer solchen deutlichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Bun

desamt ist es dann auch möglich, sich zu konzentrieren - nämlich auf Betroffene mit einer besonders guten und auf Betroffene mit einer besonders schlechten Bleibeperspektive. Beide Gruppen - und sie machen einen großen Teil in den Asylverfahren aus - können dann schnell und zügig entschieden werden. Auch dafür muss kein Buchstabe in keinem Gesetz geändert werden - das ist Verwaltungshandeln, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich erinnere daran mit allem Nachdruck, weil manche Diskussionen derzeit vom eigentlichen Problem ablenken. Da werden Grundgesetzänderungen erst erwogen und nach wenigen Tagen wieder fallen gelassen. Da wird über den Entzug von Barmitteln für Asylbewerber diskutiert, obwohl die Kommunen damit bereits in der Vergangenheit hinlänglich schlechte Erfahrungen gemacht haben. Und da gibt es die Diskussion über die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten, die gelegentlich so geführt wird, als ob man damit die Probleme lösen könne.

Meine Damen und Herren, Gegner wie Befürworter der „sicheren Herkunftsstaaten" überschätzen die Bedeutung meines Erachtens bei Weitem. Fragen Sie einmal Verwaltungsrichter - die Wirkung ist durchaus überschaubar. Und umgekehrt gilt dasselbe: Wir reden über Verfahren, in denen das Ergebnis so gut wie feststeht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Und deswegen setze ich sehr darauf, dass in diesem Detail wir in den nächsten zweieinhalb Wochen in den Bund-Länder Gesprächen zu einer vernünftigen Lösung kommen werden, mit der dann auch alle leben können.

Noch etwas ist hervorzuheben, und das ist mir wirklich sehr ernst: Eine Verlängerung des Aufenthalts in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist unter den heute gegebenen Bedingungen unverantwortlich.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Solange in allen Ländern die Erstaufnahmeeinrichtungen so überfordert sind, wie das derzeit der Fall ist, solange die Asylverfahren viele Monate dauern, dürfen diese Einrichtungen nicht noch weiter belastet werden. In diesem Punkt sind die Berliner Koalitionsbeschlüsse ganz sicher zu korrigieren, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der Kern des Problems bleibt einfach derselbe: Wir müssen schneller werden, wir müssen flexibler, wir müssen oftmals auch pragmatischer werden. Und wir müssen allen Beteiligten schneller Klarheit verschaffen. Das wird meine Richtschnur für die anstehenden Gespräche in Berlin sein.

Meine Damen und Herren, am Ende des Asylverfahrens stehen dann Entscheidungen - positive oder negative. Wessen Asylantrag am Ende eines rechtsstaatlichen Verfahrens abgelehnt worden ist und wer keine Abschiebungshindernisse aufzuweisen hat, der muss unser Land auch verlassen - um das klar und deutlich zu sagen. Dazu können wir uns auch aus guten Gründen bekennen. Deutschland hebt sich in seinem Bemühen um ein faires Asylverfahren überaus positiv von vielen anderen Ländern auf der Welt ab, und, wie wir derzeit schmerzlich sehen, insbesondere auch von vielen anderen EU-Mitgliedstaaten. Wir stehen zum Grundrecht auf politisches Asyl. Aber wir werden nicht die Hoffnungen aller Menschen erfüllen können, meine sehr verehrten Damen und Herren. Auch darüber müssen wir uns im Klaren sein.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich sage dies bewusst auch mit Blick auf die Menschen aus den Balkanstaaten, die in diesen Monaten zu uns kommen. Sie haben ihre Gründe, warum sie ihre Heimat verlassen, insbesondere die dort herrschende Perspektivlosigkeit für sie und ihre Familien. Das sind aber eben keine Gründe zur Anerkennung von Asyl im Sinne unseres Grundgesetzes.

Dass es eine solche Vielzahl von Asylanträgen aus diesen Ländern gibt, markiert gleichzeitig ein Scheitern der europäischen Balkanpolitik. Die Europäische Union unterstützt seit Jahren jährlich mit Milliarden Euro die Staaten auf dem Balkan. Wer sind eigentlich die Nutznießer dieser Mittel, und warum ändert sich nichts an der Lage der Menschen dort, warum wird sie schlechter? - Diese Frage muss geklärt werden, die Europäische Union muss eine neue Balkankonzeption entwickeln, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Und noch eines ist in diesem Zusammenhang für mich offenkundig. Wir brauchen die Möglichkeit zu einer begrenzten legalen Zuwanderung auch für

Gruppen, die nicht asylberechtigt sind. Für uns ist damit gleichzeitig die Chance verbunden, dass hochmotivierte, leistungsbereite Menschen zu uns kommen, die wichtige Beiträge für unser Land leisten können. Ich freue mich, dass die Bundesregierung jetzt begonnen hat, auf diesem Weg erste Schritte zu tun. Ein modernes Einwanderungsrecht ist bei uns überfällig. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Und dieser Einsicht müssen jetzt auch Taten folgen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Machen wir uns nichts vor: Ein großer Teil derjenigen Menschen, die in diesen Monaten zu uns kommen, wird auf Dauer hier bleiben. Sie kommen aus tiefer Not, und sie suchen bei uns Zuflucht. Dass sich die Lage in ihrer Heimat - denken Sie an Syrien oder den Irak - auf absehbare Zeit ändert, ist heute leider nicht sehr realistisch. Deswegen müssen wir unsere Anstrengungen verstärken, Angebote zur Integration in unsere Gesellschaft zu machen.

Der erste Schritt dazu - daran gibt es keinen Zweifel - sind Sprachkenntnisse. Wer sich verständigen kann, dem wird es viel leichter fallen, in seiner neuen Heimat zurechtzukommen. Sprachförderung macht es aber nicht nur den Flüchtlingen leichter, die lange und vielleicht für immer bei uns bleiben werden. Sprachförderung ist auch im ureigensten Interesse unserer Gesellschaft. Sprache ist die Grundlage für Bildung; Bildung ist die Grundlage für Qualifikation; Qualifikation ist die Grundlage für gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Deswegen müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, dass unsere neuen Nachbarn auf Dauer nicht Leistungsempfänger, sondern Leistungsträger werden, meine Damen und Herren. Das muss das Ziel sein.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir haben in dieser Hinsicht schon in den letzten zweieinhalb Jahren große Anstrengungen unternommen. Wir werden diese Anstrengungen noch einmal deutlich intensivieren.

Mit dem Entwurf für den zweiten Nachtragshaushaltsplan schlagen wir Ihnen ein umfangreiches Maßnahmenpaket vor. Wir stellen die Sprachförderung in ihren unterschiedlichen Facetten in den Mittelpunkt unserer Integrationsarbeit.

(Jörg Hillmer [CDU]: Auf einmal!)

Alleine für den Schulbereich stellen wir Finanzmittel im Umfang von rund 700 Stellen zur Verfügung, mit denen wir die Sprachförderung an unseren Schulen - da bin ich sicher - wesentlich vorantreiben werden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Christian Grascha [FDP]: Warum eigentlich erst jetzt?)

An unseren Schulen gibt es immer mehr Kinder und Jugendliche, die die deutsche Sprache nicht beherrschen. Zu Beginn des Schuljahres waren etwa 6 200 zugewanderte Kinder ohne hinreichende Deutschkenntnisse - eine Zahl mit deutlich steigender Tendenz.

Schon in den vergangenen beiden Jahren hat Kultusministerin Heiligenstadt die Zahl der Sprachlernklassen vervierfacht. 300 an der Zahl sollen es sein. Wir werden diese Zahl sehr schnell auf etwa 550 Sprachlernklassen nahezu verdoppeln, meine sehr verehrten Damen und Herren,

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

und damit nahezu 9 000 Kinder gleichzeitig auf den Schulalltag vorbereiten können. Wir haben für weitere Fördermaßnahmen wie Sprachförderkurse, vorschulische Sprachförderung etc. noch einmal Mittel im Gegenwert von 250 Stellen vorgesehen. Bis zu 20 Lehrkräfte davon können auch in Erstaufnahmeeinrichtungen eingesetzt werden.

Wir brauchen gerade bei Flüchtlingskindern pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir brauchen schulische Sozialarbeit zur Integration junger Flüchtlinge. Und schließlich sollen die berufsbildenden Schulen die Möglichkeit erhalten, für Sprachanfängerinnen und -anfänger Integrationskurse einzurichten. In der konkreten Umsetzung erhalten sie dabei weitestgehend freie Hand.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auf diese Weise können wir jungen Flüchtlingen übrigens auch unabhängig von der Schulpflicht, also unabhängig davon, ob sie 18 Jahre alt oder älter sind, eine Teilnahme ermöglichen. Das wird, glaube ich, die Integration dieser jungen Menschen in unseren Arbeitsmarkt wesentlich verbessern.

Lassen Sie mich eines sagen: Von manchen Besuchen weiß ich: Unsere Schulen leisten in Sachen Integration eine ganz hervorragende Arbeit, und sie tun dies auch mit äußerstem Engagement unter den derzeit sehr zugespitzten Bedingungen.

Ich bedanke mich herzlich für diese Arbeit. Wir wollen diese Arbeit tatkräftig weiter unterstützen.

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sprachförderung findet aber nicht nur in den Schulen statt. Wir werden auch die Sprachförderung für Erwachsene kräftig ausbauen. Ministerin HeinenKljajić hat mit dem Haushaltsplanentwurf hierzu bereits 5 Millionen Euro vorgesehen. Mit dem zweiten Nachtragshaushaltsplan wollen wir diesen Betrag noch einmal verdoppeln, damit auch erwachsene Flüchtlinge die Chance erhalten, sich schnell in ihre neue Heimat einzufinden.

(Ulf Thiele [CDU]: Monate ver- schenkt!)

Sprachförderung findet Tag für Tag auch in der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit statt. Ich habe mich davon kürzlich persönlich überzeugen können. Ich war wirklich beeindruckt, wie das geschieht. Es ist eine unendlich wichtige Arbeit, Menschen zunächst einmal die Möglichkeit zu geben, sich bei der Basiskommunikation, beim Einkaufen etc., in der neuen Heimat zurechtzufinden. Zur Unterstützung dieser ehrenamtlichen Arbeit, z. B. für Materialien, werden wir ebenfalls 1 Million Euro bereitstellen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Last, but not least: Wir brauchen auch mehr Flüchtlingssozialarbeit. Eine ganze Vielzahl von Fragen stellt sich Menschen, die neu nach Deutschland kommen, und sie brauchen dabei Orientierung und Unterstützung. Sozialministerin Cornelia Rundt wird diese Arbeit mit zusätzlich 5 Millionen Euro, so unser Vorschlag, unterstützen können. Auch das ist gut angelegtes Geld.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Insgesamt gesehen, handelt es sich um ein kraftvolles Paket, das die Sprachförderung bei uns im Land in den Mittelpunkt stellt und vielen Tausend Flüchtlingen - Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen - die Möglichkeit geben soll, sich schnell in unsere Gesellschaft hineinzufinden und sich hier persönlich zu entwickeln. Niedersachsen wird mit diesem Sprachförderpaket, das vielen, vielen Menschen helfen wird, seiner Verantwortung gerecht, meine Damen und Herren.