Protokoll der Sitzung vom 10.09.2015

Ich selbst hatte die Gelegenheit, mit dem Vorsitzenden eines DRK-Kreisverbandes zu sprechen, der in Celle aktiv war. Er berichtete über entsprechende Zustände. Angeforderte Dolmetscher beispielsweise mussten bis zu vier Stunden warten, weil niemand wusste, wann die Flüchtlinge dort eintreffen.

Herr Ministerpräsident, ich sage es Ihnen in aller Deutlichkeit: Der Umgang mit den Hilfsorganisationen ist mangelhaft und unprofessionell. Er beweist, dass ihre Krisenstäbe nicht funktionieren. Obwohl die Kapazität der Aufnahmeeinrichtungen erschöpft war, hat sich offenkundig niemand mit der Frage beschäftigt, was passiert, wenn noch mehr Flüchtlinge kommen.

(Zurufe von der SPD: Abenteuerlich!)

Die Frage, wo Notunterkünfte eingerichtet werden und durch wen, ist viel zu spät gestellt worden. Die Hilfsorganisationen haben das auszubaden.

Wenn Sie heute erklären, dass sich die Kapazitäten deutlich erhöht haben, dann ist das in erster Linie der Leistungsbereitschaft und der Leistungsfähigkeit der Hilfsorganisationen zu verdanken.

(Beifall bei der CDU)

Vor diesem Hintergrund ist es interessant, dass Rheinland-Pfalz gerade heute - das lief gerade über den Ticker - Anlaufstationen für ehrenamtliche Helfer plant und einrichtet. Das ist genau das, was Björn Thümler in seiner Erwiderung auf die Regierungserklärung gefordert hat, und genau das, Frau Ministerin - nein, so weit ist es Gott sei Dank nicht -, Frau Fraktionsvorsitzende Modder,

(Anja Piel [GRÜNE]: So geht das doch nicht! Was ist das für ein Niveau hier im Parlament? - Johanne Modder [SPD]: Nacke ist eben Nacke!)

was Sie als Klamauk bezeichnen.

Ich bitte Sie, Herr Ministerpräsident: Nehmen Sie das Engagement der Hilfsverbände nicht als selbstverständlich! Zollen Sie diesen Menschen, die nicht erst kommen, wenn sie Not im Fernsehen sehen, sondern die immer bereit stehen und auch noch da sind, wenn die anderen schon wieder gegangen sind, mehr Respekt! Sie sind nicht die Helden eines Sommers, sie sind die Helden auch dann, wenn keiner guckt und keiner filmt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Grant Hendrik Tonne [SPD]: Völlig unbrauchbar, was Sie da erzählen!)

Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung formuliert: Unsere offene Gesellschaft steht auf dem Prüfstand. - Ich finde, den Hilfsorganisationen ist es zu verdanken, dass am vergangenen Wochenende unsere Gesellschaft ihre Prüfung bestanden hat.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von Christian Grascha [FDP])

Herr Minister Pistorius, Sie haben ausgeführt, Sie würden uns gerne zu einem Blick in die Realität mitnehmen. Vielleicht gestatten Sie mir das Gleiche. Ich würde Sie gerne zu einem Blick in die Realität der Aufnahmeeinrichtungen mitnehmen. Zu den wochenlangen Wartezeiten bei der Registrierung haben Sie mehrfach dazwischen geschrien, das stimme nicht, das seien nur Einzelfälle.

(Zuruf von Minister Boris Pistorius)

- Meinetwegen haben Sie gerufen. Sei es drum.

10 bis 14 Tage - jedenfalls ist uns das in Braunschweig so geschildert worden - sind die Regel.

Unzureichende medizinische Versorgung, Überfüllung und Mangel an qualifiziertem Personal - so beschreibt der Geschäftsführer des Flüchtlingsrates die Zustände der Aufnahmeeinrichtungen, und er bezeichnet die Zustände als unzumutbar.

Herr Weber hat völlig recht. Die Aufnahmeeinrichtungen sind mehr als überfüllt: Zelte und Turnhallen mit Schlafgelegenheiten für über 100 Leute, Etagenbetten, doppelstöckig, stehen dicht an dicht, nur durch schmale Gänge voneinander getrennt.

(Johanne Modder [SPD]: Wie soll das denn anders gehen bei diesen Zah- len?)

Die Ausstattung mit sanitären Einrichtungen ist mangelhaft. Auf der Straße stehen Dixi-Klos, wie man das bestenfalls von eintägigen Festivals kennt.

(Uwe Schwarz [SPD]: Auch das stimmt nicht! Auch von Baustellen!)

Dieser Zustand ist nicht erst am letzten Wochenende entstanden. Die Turnhallen sind bereits seit Monaten belegt. Die Zelte stehen schon seit vielen Wochen. Niemand weiß im Moment, wie es werden soll, wenn sich die Witterungsbedingungen deutlich verschlechtern.

Ihr Staatssekretär, Herr Minister Pistorius, war zu einem Bürgergespräch in Bramsche-Hesepe. Er wird sich an die Einzelhändlerin erinnern, die dort gesagt hat: Wir haben inzwischen große Probleme. - Sie selbst rufe jedes Mal, wenn sie einen Dieb auf frischer Tat stelle, die Polizei. Doch dann bekomme sie oft zu hören: „Wir haben keine Streife frei.“, oder es dauert bis zu einer Stunde, bis die Beamten kämen. „In der Zwischenzeit bekomme

ich zum Teil Morddrohungen gegen mich und meine Familie.“ So stand es in der Neuen Osnabrücker Zeitung, zu lesen am 1. September 2015, über ein Gespräch mit Staatssekretär Mahnke. Die Mitarbeiter der Johanniter dort sagen zu Besuchern: Gehen Sie nicht in die großen Zelte, erst recht nicht als Frau. Das ist zu unsicher.

Das ist die Realität, wie sie sich derzeit in den Aufnahmeeinrichtungen zeigt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie, Herr Minister, haben heute gegenüber der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung gesagt, dass Sie alles tun wollen, damit niemand friert. So wird der Innenminister heute in der Zeitung in einer Überschrift zitiert. Wie das tatsächlich aussieht, konnte man am 8. September 2015, also am vergangenen Dienstag, in einer E-Mail des Leiters des Gesundheitsdienstes des Landkreises und der Stadt Osnabrück lesen. Dort heißt es: In der Landesaufnahmestelle Bramsche werden dringend für Säuglinge und Kleinkinder, die bei den kalten Temperaturen in Zelten übernachten, gut erhaltene Schneeanzüge (mindestens 30 Stück) von Größe 80 bis 128 benötigt.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: So ist das! Ich habe das auch gesehen!)

Herr Minister, ich habe mir nicht vorstellen können, dass es in Deutschland so weit kommt, dass wir Säuglinge und Kleinkinder in unbeheizten Zelten unterbringen und sie nur noch in Schneeanzügen warm schlafen können.

Der Innenminister räumt nun selbst ein, dass die Aufnahmekapazitäten des Landes vollständig erschöpft seien. Er hat das vorhin gesagt: für 24 Stunden erst einmal begrenzt.

Erst jetzt werden mit Nachdruck neue Standorte erschlossen. Die späte Entscheidung für EhraLessien und die Reaktivierung des Klosters Blankenburg in Oldenburg führen dazu, dass diese Anlagen erst im November bzw. im Januar zur Verfügung stehen. Sie alle wissen, wie kalt es in der Zeit ist. Diese Anlagen standen früher zur Verfügung. Die Wahrheit aber ist, dass die Landesregierung zunächst nicht bereit war, die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass neue zentrale Aufnahmestellen entstehen. Es entspricht nämlich nicht Ihrer politischen Ausrichtung. Sie hatten Sorge vor den Reaktionen in den Ortsverbänden, Sorgen vor den Reaktionen der Flüchtlingsverbände. Zu lange haben Sie gehofft, diesen Schritt vermeiden zu können, indem Sie die Flüchtlinge zügig an

die Kommunen weiterleiten und beim Bund die Lösung des Problems einfordern. Eine Strategie, die gründlich schiefgegangen ist!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Gern, Herr Minister, wird an dieser Stelle ja der Standort Oldenburg für Sie ins Feld geführt. Es ist auch unumstritten, dass dieser Standort in der Verantwortung der alten Landesregierung aufgegeben wurde. Aber, meine Damen und Herren: Ich bin lange genug im Landtag, um mich an die damalige Diskussion zu erinnern. Ich weiß, mit welcher Vehemenz SPD und Grüne eingefordert haben, den Pachtvertrag für diese Liegenschaften nicht zu verlängern.

(Gerald Heere [GRÜNE]: Wie viele Flüchtlinge hatten wir denn damals?)

Ich kenne auch die Einlassungen aus Oldenburg zum Kloster Blankenburg: zu weit draußen, zu schlechte Anbindung, man muss das alles anders machen, dezentrale Unterbringung usw.

Ich zitiere gern aus einer Pressemitteilung der Grünen vom 5. Februar 2010, in der es heißt: Es sei ein Schritt in die richtige Richtung, so sagen es die Landtagsgrünen. - Frau Polat wird zitiert: Und nun müssten auch noch die ZAAB in Braunschweig und die Außenstelle in Bramsche geschlossen werden.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Als Gemein- schaftsunterkunft!)

Wir alle sollten froh sein, dass die Grünen zu dieser Zeit keine Verantwortung getragen haben, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Filiz Polat [GRÜNE]: Als Gemein- schaftsunterkunft! Als Gemein- schaftsunterkunft! - Ottmar von Holtz [GRÜNE]: Der kennt den Unterschied nicht!)

Seitdem sind fünf Jahre vergangen, in denen die Liegenschaft in Oldenburg ungenutzt war. Gleichwohl: Sie wird erst zum 1. November in Betrieb genommen. Man kann nur den Kopf schütteln. Sie werfen der ehemaligen Landesregierung vor - im Grunde genommen hat Christian Dürr es gerade genau ausgeführt -, dass sie vor fünf Jahren einen Pachtvertrag für eine nicht benötigte Liegenschaft nicht verlängert hat, die Sie heute wohl gebrauchen könnten, obwohl Sie selbst im Frühjahr diese Dimension noch völlig unterschätzt haben.

Deswegen stellt sich die Frage: Was sind die Aufgaben? - Über die sicheren Aufnahmestaaten ist hier bereits diskutiert worden. Schauen Sie doch einmal in die anderen Bundesländer! BadenWürttemberg, regiert von einem grünen Ministerpräsidenten, verschärft die Maßnahmen gegen abgelehnte Asylbewerber. - So im Spiegel, Nr. 37, zu lesen. Dort wird ein Abschiebegefängnis eingerichtet. Viele Staatskanzleien sagen: Ja, wir müssen jetzt jene nach Hause schicken, die vom Westbalkan kommen. - Auch das wird dort zitiert. Lesen Sie den Artikel „Der Drehtüreffekt“ gern nach!

In Hessen gingen seit Jahresbeginn vom Regionalflughafen Kassel-Calden schon mehr als ein Dutzend Flüge nach Tirana und Priština. In NordrheinWestfalen stehen bis in den Spätherbst hinein Termine für Abschiebeflüge nach Serbien, Mazedonien und in das Kosovo fest. - Frau Polat, sind die inhuman? Ist der grüne Ministerpräsident Kretschmann Ihrer Meinung nach inhuman? Wie werden sich die Grünen in Niedersachsen dazu stellen, wenn der Kompromiss auch sichere Drittstaaten beinhaltet? Werden Sie den Kompromiss mit dem Bund gefährden?

Der Ministerpräsident hat heute in seiner Regierungserklärung erkennbar vorbereitet, dass Niedersachsen offenkundig beabsichtigt, die Regelung über die sicheren Drittstaaten abzulehnen, wodurch das Ganze gefährdet würde.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Mazedonien ist doch sicherer Drittstaat! Die Zahl der Anträge ist gestiegen, und die aus dem Kosovo ist gesunken! Sie reden doch die ganze Zeit von Realismus! Wo ist denn Ihr Realismus?)

Wahrscheinlich werden Sie sich wieder darauf verlassen, dass es Hessen und Baden-Württemberg - beide mit grüner Beteiligung - dann wohl richten werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Helge Limburg [GRÜNE]: Sie reden hier über ein Thema, von dem Sie nichts verstehen! - Weitere Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Niedersachsen dagegen widerspricht Frau SchröderKöpf - sie redet dabei vom Spiel, von guten Flüchtlingen und schlechten Flüchtlingen - Außenminister Frank-Walter Steinmeier, dass man die Menschen nicht zurückführen sollte. Die Verwaltungsrichter,

so stand es in der HAZ am 15. August, stöhnen dabei unter der Last der Asylverfahren. Natürlich sind es im Wesentlichen Verfahren für Menschen aus dem Balkan; denn deren Anträge sind abgelehnt worden. Da würde es helfen, diese Staaten als sichere Drittstaaten anzuerkennen; denn dann ist die Begründung insgesamt einfacher. Reden Sie mit den Verwaltungsrichtern über die Verfahren!

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Aufnahme von Flüchtlingen ist nicht dazu da, unser Land bunter zu machen oder kulturell zu öffnen. Sie ist nicht dazu da, Arbeitsmarktprobleme zu lösen oder fehlende Kinder zu ersetzen. Dafür müssen wir über vernünftige Zuwanderung und über ein Zuwanderungsgesetz diskutieren.