Tatsächlich arbeitet diese rot-grüne Landesregierung schon längst unter Hochdruck an Lösungen. Unser Antrieb sind - bei allem Respekt - nicht Ihre Anträge, Herr Thümler, und ist auch nicht diese Sondersitzung. Unser Antrieb sind die rasant steigenden Flüchtlingszahlen und die sich dahinter verbergenden Schicksale.
Die Menschen, die zu uns kommen und bei uns Zuflucht suchen - sie sind unsere Verpflichtung zum Handeln, meine Damen und Herren.
Wollen Sie den Menschen wirklich weismachen, dass sich die Landesregierung in dieser Situation ruhig zurücklehnt und den Sommer abwartet oder gar auf Anträge der Oppositionsfraktionen wartet?
Die Menschen in unserem Land erwarten von uns, dass wir gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen, damit wir die Herausforderungen, die sich im Zusammenhang mit den Flüchtlingsströmen ergeben, auch meistern, und zwar auf Dauer.
Sie können sicher sein, dass in den Ministerien, in der Staatskanzlei, in den Koordinierungsrunden und insbesondere in den Landesaufnahmeeinrichtungen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hart und sehr engagiert arbeiten. Denn auch ihnen liegt das Gelingen dieser großen Herausforderung und Aufgabe sehr am Herzen. Dafür sollten wir alle dankbar sein!
Dieser Herausforderung und Aufgabe stellt sich unsere Landesregierung von Anfang an. Meine Damen und Herren, die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge ist im Moment, wie ich finde, die größte Herausforderung, die sich bei uns im Land und insbesondere in den Kommunen seit Monaten stellt. Bis heute haben wir unsere Aufnahmekapazitäten von 1 700, Stand 2013, auf fast 11 000 Plätze steigern können. Wir werden die Kapazitäten aller Voraussicht nach bis Ende des Jahres auf 16 000 Plätze erhöhen. Meine Damen
Aber auch das wird noch nicht reichen. Deshalb werden wir auch an dieser Stelle nicht nachlassen. Wir werden nach weiteren Standorten für Aufnahmeeinrichtungen suchen und sie dann auch errichten. Es ist richtig, meine Damen und Herren, unsere Aufnahmeeinrichtungen sind zurzeit völlig überlastet. Es herrschen aufgrund der Überbelegung und der Enge Zustände, die wir alle nicht wollen und die wir schnellstens abstellen werden.
Aber was erwarten Sie eigentlich bei diesen dramatischen Zugangszahlen von Flüchtlingen, die uns täglich erreichen?
Und das ist nicht nur ein Problem Niedersachsens, meine Damen und Herren. Sehen Sie sich die Situation in Bayern oder Baden-Württemberg an: Die haben einen Stopp verhängt, und andere Bundesländer springen dafür ein!
Ein besonderer Dank geht von dieser Stelle auch an unsere Kommunen, die Erhebliches leisten und innerhalb von immer kürzerer Zeit Unterkünfte zur Verfügung stellen. Wir wissen, unter welchem Druck unsere Kommunen stehen, und haben deshalb die Kostenabgeltungspauschale nach dem Landesaufnahmegesetz zum 1. Januar 2015 von 5 932 Euro auf 6 195 Euro pro Flüchtling und Jahr erhöht.
In einem ersten Nachtrag vor der Sommerpause haben wir weitere 120 Millionen Euro Bundes- und Landesgeld für unsere Kommunen bereitgestellt. Ich hoffe sehr, dass wir durch das Paket der Bundesregierung zu weiteren spürbaren Entlastungen kommen. Der Bund wird sich dauerhaft, strukturell und auch dynamisch an den Kosten beteiligen.
- Sie haben es doch gehört: Wir werden in der übernächsten Plenarwoche einen Nachtrag verabschieden, da können Sie mitmachen! Dann kommen noch mal 180 Millionen Euro.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Christian Dürr [FDP]: In der übernächsten Plenarwoche! Das ist das Problem!)
Meine Damen und Herren, wir sind mit den Meldungen aus Berlin sehr zufrieden; wir begrüßen das. Aber wir alle wissen, dass wir in dem Bereich allesamt noch nachsteuern müssen; denn die Kommunen brauchen eine dauerhafte und verlässliche Kostenerstattung.
Das alles sind große Kraftanstrengungen. Und so etwas lässt sich nicht von heute auf morgen lösen, meine Damen und Herren; das wissen Sie auch ganz genau.
Nur zur Erinnerung: Vor der Sommerpause lag die Prognose des Bundesinnenministers bei 450 000 Flüchtlingen. Wenige Wochen später - in der Sommerpause -, am 19. August, erfolgte eine Korrektur auf 800 000 Flüchtlinge. Das ist nahezu eine Verdopplung. Man habe jetzt das System umgestellt, hieß es. Man zähle nicht mehr die Asylanträge, sondern die tatsächlichen Zugänge. Dazu kann ich nur sagen: Na prima! Herzlich willkommen in der Wirklichkeit!
Und bei diesen dramatisch ansteigenden Zahlen wollen Sie den Menschen ernsthaft erzählen, diese Landesregierung sei dann erst einmal in die Sommerpause gegangen? - Entlarvend für mich, meine Damen und Herren, ist: Als die Zahlen korrigiert wurden, wurde von Ihnen keine Sondersitzung, nicht einmal eine Unterrichtung im Fachausschuss beantragt.
Dann, in der Sommerpause, der furchtbare Anschlag auf ein Wohnhaus mit Flüchtlingen in der Gemeinde Salzhemmendorf! Für mich ist das ein unfassbarer und menschenverachtender feiger Anschlag auf eine Frau mit drei kleinen Kindern. Das, meine Damen und Herren, war auch ein Anschlag auf uns und auf unsere Grundwerte.
Zum Glück konnte Schlimmeres durch wachsame Nachbarn verhindert werden. Unser Ministerpräsident war sofort vor Ort und hat dort sehr klare und deutliche Worte gefunden. Auch dafür ganz herzlichen Dank, Herr Weil!
Damals, im Sommer, meine Damen und Herren: keine Sondersitzung, keine Unterrichtung im Fachausschuss.
Meine Damen und Herren, was ich damit deutlich machen will, ist doch Folgendes: Ihr durchschaubarer Versuch, den Eindruck zu vermitteln, es bedurfte erst des Antrages auf eine Sondersitzung, um diese Landesregierung zum Handeln zu bewegen, ist lächerlich und beschämend zugleich.
- Jetzt haben Sie sich entlarvt. Jetzt kam gerade der Zwischenruf: „Aber wirkungsvoll!“. Genau darum ist es Ihnen gegangen.
Wer den Menschen erzählen will, dass man Notunterkünfte, die Aufstockung der Erstaufnahmeeinrichtungen mit allem, was dort an Vorbereitung und Organisation dazugehört - von der Besichtigung bis zur Einrichtung und Aufnahme des Betriebes -, und dann einen Nachtrag mit immerhin einem Volumen in Höhe von 300 Millionen Euro mal eben so innerhalb weniger Tage aus dem Ärmel schüttelt, hat entweder keine Ahnung oder versucht, die Menschen bewusst zu täuschen. Beides ist schlimm.
Durch diese Sondersitzung - so wichtig und sensibel dieses Thema ist, Herr Thiele - wird kein zusätzlicher Aufnahmeplatz geschaffen und kein zusätzlicher Flüchtling untergebracht und versorgt.
Meine Damen und Herren, wir stehen vor einer riesigen Bewährungsprobe. Zurzeit sind über 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. 60 Millionen, meine Damen und Herren, so viele Menschen wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr! Sie fliehen vor Verfolgung, Krieg und Gewalt und hoffen auf ein Leben in Sicherheit und Freiheit. Sie hoffen auf eine bessere Zukunft und ein besseres, neues Leben und nicht selten auf eine neue Heimat. Wenn man den Zahlen des Herrn Bundesinnenministers noch glauben darf, werden 800 000 in diesem Jahr in Deutschland und auch bei uns in Niedersachsen Zuflucht suchen und Asyl beantragen. Die Zahlen werden sicherlich noch einmal korrigiert werden. Da bin ich mir aufgrund der Geschehnisse der letzten Tage sehr sicher.
Das ist ohne Zweifel eine große Herausforderung für den Bund, für alle Bundesländer und vor allem auch für unsere Kommunen. Und dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass wir das meistern können.
Das heißt aber auch, dass wir diese Aufgabe gemeinsam und solidarisch angehen müssen, meine Damen und Herren - Europa, der Bund, die Länder und die Kommunen. Die Flüchtlingspolitik ist und bleibt eine nationale und europäische Aufgabe.
Meine Damen und Herren, manche Bilder sagen manchmal mehr aus, als alle Worte überhaupt fassen können. Eines dieser Bilder ist sicherlich das Foto von dem dreijährigen syrischen Jungen Aylan, der ertrunken am Strand lieg - kaum auszuhalten, wie ich finde. Und ich habe auch lange überlegt, ob man solche Bilder wirklich veröffentlichen sollte. Aber vielleicht sind es gerade diese Bilder, die uns ganz brutal vor Augen führen, dass wir nicht über Zahlen reden, sondern dass wir über Menschen, über Einzelschicksale sprechen.
Oder die Bilder aus Heidenau, die Bilder vom Massengrab, vom Mittelmeer, oder auch die Bilder des Transporters, in dem 71 Menschen qualvoll erstickt sind! Man möge sich das vorstellen! Es sind aber auch die Bilder von unseren Bahnhöfen, wo die Bürgerinnen und Bürger ankommende Flüchtlinge herzlich willkommen heißen, sie mit Wasser und Lebensmitteln versorgen, wo Kinder ihre Stofftiere verschenken und aus Dankbarkeit mit einem Kuss beschenkt werden.
Ich kann mich an ein Video genau erinnern - vielleicht haben das einige von Ihnen gesehen -: Dort sind zwei junge Männer in einem Interview und unterhalten sich über die Flüchtlingspolitik, erzählen sich gegenseitig, wie schwer und schlimm das alles ist. Es gesellt sich ein kleiner Junge zu ihnen. Dann wird dieser Junge gefragt: Wie geht es dir? Wo kommst du denn her? - Er erwidert: Mir geht es gut, ich komme aus dem Kindergarten. Die jungen Männer fragen: Ist im Kindergarten alles prima? Gibt es bei euch im Kindergarten auch Flüchtlinge? - Dann antwortet dieser Junge: Nein, da sind nur Kinder.