Ich kann mich an ein Video genau erinnern - vielleicht haben das einige von Ihnen gesehen -: Dort sind zwei junge Männer in einem Interview und unterhalten sich über die Flüchtlingspolitik, erzählen sich gegenseitig, wie schwer und schlimm das alles ist. Es gesellt sich ein kleiner Junge zu ihnen. Dann wird dieser Junge gefragt: Wie geht es dir? Wo kommst du denn her? - Er erwidert: Mir geht es gut, ich komme aus dem Kindergarten. Die jungen Männer fragen: Ist im Kindergarten alles prima? Gibt es bei euch im Kindergarten auch Flüchtlinge? - Dann antwortet dieser Junge: Nein, da sind nur Kinder.
Meine Damen und Herren, eine schönere und treffendere Antwort kann man doch gar nicht bekommen. Wir hier in Deutschland und Niedersachsen leben in Sicherheit und Wohlstand. Unsere staatlichen Strukturen sind gefestigt, der Rechtsstaat ist nicht bloß eine Worthülse, hier muss niemand vor Verfolgung, Krieg oder Terror flüchten. Es geht uns gut in unserer Heimat.
Im Moment erleben wir eine wirklich riesige Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung. Es sind viele, die vor Ort in den Kommunen unterstützen und Brücken der Verständigung bauen und Nächstenliebe leben. Wir sind den vielen, vielen Ehrenamtlichen, den Helferinnen und Helfern, den Hilfsorganisationen und Rettungskräften und auch unserer Polizei, die unter einem besonderen Druck steht, zu tiefstem Dank verpflichtet, weil sie unsere Willkommenskultur mit Leben füllen, meine Damen und Herren.
Ohne deren Hilfe, ohne deren Solidarität und praktizierte, gelebte Nächstenliebe wäre das alles nicht zu schaffen. Da gibt es Menschen, die sich spontan Urlaub nehmen, sich in den Unterkünften melden und helfen wollen. Ehrenamtliche, die den ganzen Tag Betten zusammenschrauben, Wäsche sortieren, Lebensmittel verteilen oder Flüchtlingen Sprachunterricht geben, sie bei Behördengängen und Arztbesuchen begleiten und helfen, dass sie sich im alltäglichen Leben zurechtfinden. Menschen, die einfach da sind, Menschen, die einfach anpacken!
Wir können sehr stolz und dankbar sein, dass sich unser Land von seiner weltoffenen, hilfsbereiten, solidarischen und warmherzigen Seite zeigt - einer Seite, wie ich sie in dieser Form noch nie erlebt habe.
Meine Damen und Herren, ich kann aber auch die Kommunen gut verstehen, wenn sie es als eine Zumutung empfinden, wenn wir immer kurzfristiger die Flüchtlinge an sie weitergeben müssen, weil auch unsere Aufnahmeeinrichtungen aufgrund der rasanten Entwicklung an ihre Grenzen stoßen und mittlerweile völlig überfüllt sind.
Immer öfter fehlen die gesundheitlichen Untersuchungen, und auch der Asylantrag konnte nicht gestellt werden. Das ist ein wirklich unhaltbarer Zustand. Aber genau an diesen Tatbestand wird doch immer wieder deutlich, wo das eigentliche Problem steckt. Wir brauchen dringend eine bessere Ausstattung des BAMF, eine schnellere Bearbeitung der Asylverfahren und eine gerechte und solidarische Verteilung, auch auf europäischer Ebene. Wenn beides in naher Zukunft nicht klappt, dann können die Länder und Kommunen noch so viele Kapazitäten zur Unterbringung schaffen, dann wird es immer noch nicht reichen.
Meine Damen und Herren, der Bund muss endlich seiner Verantwortung gerecht werden und die Abarbeitung der Asylverfahren beschleunigen. Der Flaschenhals ist das BAMF. Hier muss schnellstens reagiert werden. 250 000 nicht bearbeitete Asylanträge, Tendenz steigend: Das ist einfach nicht mehr hinnehmbar.
Wenn der Bund das nicht in den Griff bekommt, sind auch die Vereinbarungen der Größen Koalition vom vergangenen Wochenende nicht zu halten. Wie soll es denn gehen, die Asylsuchenden aus den sicheren Herkunftsländern bis zum Ende des Asylverfahrens in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu belassen und ansonsten eine Verweildauer von bis zu sechs Monaten zu verabreden? - Stellen Sie sich das doch bitte unter den Zahlen, die wir im Moment zu verzeichnen haben, vor! Das ist völlig unrealistisch.
Deshalb erwarte ich von der Frau Bundeskanzlerin, dass sie die Flüchtlingsproblematik endlich zur Chefsache erklärt und ihre Verantwortung auf Bundes-, aber noch viel dringender auf europäischer Ebene wahrnimmt.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Ulf Thiele [CDU]: Haben Sie in dieser Woche etwas verpasst?)
Es muss endlich zu einer fairen Verteilung der Flüchtlinge in der EU kommen. Solche Sprüche wie vom ungarischen Regierungschef Orbán, das sei kein europäisches Problem, sondern ein deutsches Problem, sind nicht hinnehmbar. Das stellt die Staatengemeinschaft auf eine harte Bewährungsprobe. Wo ist eigentlich der europäische Gedanke, die europäische Idee der Wertegemeinschaft geblieben? - Solidarität, meine Damen und Herren, ist keine Einbahnstraße.
delt und ernsthaft nach Lösungen gesucht. Hier aber geht es um Menschen. Da darf man doch wohl zu Recht ein bisschen mehr Engagement von der Bundeskanzlerin erwarten.
Wir brauchen aber auch Antworten in den Krisenländern selbst. Es wird doch zum Exodus führen, wenn immer mehr Menschen ihr Land verlassen.
Meine Damen und Herren, Sie von der Opposition lenken lieber von dieser Verantwortung ab und begeben sich auf Nebenschauplätze wie „sichere Herkunftsländer“ oder „Sach- und Geldleistungen“ oder auch „Abschiebepraxis“. Ich sage Ihnen an dieser Stelle sehr deutlich: Jede und jeder hat das individuelle Recht, um Asyl zu bitten. Jede und jeder hat das Recht auf individuelle Prüfung ihres oder seines Antrages und auf ein geordnetes Verfahren.
Meine Damen und Herren, auf unser Asylrecht können wir stolz sein. Ich sage aber auch sehr deutlich: Wir müssen schneller wissen, wer bleiben kann und wer gehen muss. Und auch für die Asylbewerber ist diese Zeit der Ungewissheit eine sehr belastende Zeit. Auch sie brauchen Klarheit.
Abgelehnte Antragsteller müssen dann aber auch schnell in ihr Heimatland zurückgeführt werden - so schwer das auch für den Einzelnen ist. Auch das gehört leider zur Wahrheit dazu.
Da wird sehr deutlich, dass unser Asylrecht eben auch an seine Grenzen stößt und nicht die Probleme der Zuwanderung lösen kann. Deshalb müssen wir die Zuwanderung auf eine andere rechtliche Basis stellen. Meine Damen und Herren, wir brauchen in Deutschland endlich ein Einwanderungsgesetz.
Ich nehme sehr wohlwollend zur Kenntnis, dass die CDU da anscheinend Lockerungsübungen macht. Warten wir einmal ab! Aber im Ernst: Damit würden wir wirklich auch ein Stück zur Entspannung in der Asylfrage beitragen und den Menschen, die zu uns kommen, hier arbeiten und ein
Meine Damen und Herren, auch unser Land ist gefordert. Wir müssen auf die steigenden Flüchtlingszahlen reagieren. Das tun wir sehr eindrucksvoll. Ich bin unserem Ministerpräsidenten und der gesamten Landesregierung äußerst dankbar dafür, dass zu Beginn der Woche das Sofortprogramm in Höhe von 300 Millionen Euro auf den Weg gebracht wurde. Unsere Zustimmung zu diesem zweiten Nachtrag ist sicher. 180 Millionen Euro für unsere Kommunen! Damit ersparen wir den Kommunen eine weitere Vorfinanzierung der Kosten und schaffen Entlastung. Klar ist: Sie brauchen eine dauerhafte Entlastung.
Wir setzen wiederum einen absoluten Schwerpunkt im Bereich der Sprache; denn wir alle wissen: Sprache ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Integration. Weitere 250 neue Sprachlernklassen, insgesamt dann also 550! 250 Stellen für Sprachförderkurse, Sprachförderunterricht und vorschulische Sprachförderung! Da kommt genau das zum Tragen, Herr Thümler, was Sie vorhin in Bezug auf die Sprachlernklassen angesprochen haben. Genau das gibt den Schulen vor Ort die Möglichkeit, flexibel zu handeln, wenn eben nicht 12 oder 15 Kinder da sind, sondern weniger. Unkomplizierte Lösungen vor Ort - das ist das, was wir ermöglichen.
100 Stellen für Schulsozialarbeit! 100 Stellen für Sprachförderung an den BBSn! 70 Millionen Euro für den Ausbau und die Sanierung der Erstaufnahmeeinrichtungen! 5 Millionen Euro für die Flüchtlingssozialarbeit! 1 Million Euro für die Stärkung der Arbeit der Ehrenamtlichen und die Aufstockung der Zahl der Familienrichter! Wir rechnen in diesem Jahr mit 2 200 unbegleiteten minderjährigen Jugendlichen allein in Niedersachsen. Das muss man sich einmal vorstellen! Hier brauchen wir unbedingt schnelle Entscheidungen der Vormundschaftsgerichte.
Meine Damen und Herren der Opposition, ich lade Sie herzlich ein, dem Nachtrag im übernächsten Plenarabschnitt ebenfalls zuzustimmen
Den Haushalt 2016 werden wir natürlich auch unter diesen neuen Bedingungen beraten. Das erklärt sich von allein.
Einen Moment, bitte, Frau Kollegin! - Frau Modder. Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele zu?
Meine Damen und Herren, über die Verständigung in Europa über eine gerechte, faire Verteilung der Flüchtlinge, werden wir ja noch in der Aktuellen Stunde diskutieren. Deshalb möchte ich meinen Fokus noch einmal auf die Herausforderungen in unserem Land richten.
Ich will ausdrücklich noch einmal auf die hohe Hilfsbereitschaft und die unglaubliche Solidarität in unserer Gesellschaft hinweisen. Das erfüllt mich mit großer Freude und mit Stolz.
Für mich ist es aber auch wichtig, dass wir diese Solidarität und diese hohe Akzeptanz in der Bevölkerung nicht leichtsinnig verspielen dürfen. Die Menschen erwarten von uns Taten und keine leeren Worthülsen,
und sie erwarten, dass wir andere Aufgaben, die wir ja auch noch zu erledigen haben, nicht aus den Augen verlieren. Ich nenne hier nur beispielhaft den sozialen Wohnungsbau. Wir dürfen diese Waage nicht aus dem Gleichgewicht bringen, meine Damen und Herren.
Deshalb ist es wichtig, dass wir insbesondere unseren Kommunen die erforderlichen Handlungsspielräume geben, die sie zur Bewältigung ihrer Aufgaben brauchen. Die kommunale Handlungsfähigkeit muss auch weiterhin gewährleistet sein. Dabei ist es unser großes Glück, dass wir uns in einer Zeit der wirtschaftlichen Stärke befinden und