Die Aussage des Innenministers vom vergangenen Donnerstag im Rahmen der Dringlichen Anfrage, dass keine Menschen mit Infektionskrankheiten auf Kommunen verteilt werden, war schlicht und einfach falsch. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.
Ich möchte einmal vorlesen, wie die Situation ist, Herr Innenminister. Ich weiß, dass es schwierig ist. Aber ich würde mir wünschen, dass Sie in diesen ganz konkreten Fragen endlich Unterstützung vom Ministerpräsidenten bekommen - um auch das klar zu sagen.
Sie haben die Antwort auf die Dringliche Anfrage aus Ihrem Haus vom gestrigen Tag noch ergänzt. Sie haben gesagt: Die Wartezeit zur Erstuntersuchung beträgt an den Standorten Friedland 5 bis 6 Wochen, am Standort Braunschweig ca. 14 Tage und am Standort Bramsche-Hesepe bis zu 10 Wochen. - Das ist kein haltbarer Zustand, um auch das sehr deutlich zu sagen.
Ich möchte auf die Gesamtsituation zurückkommen. Der Schlingerkurs der letzten Tage war alles andere als förderlich. Es bleibt auch ein fader Nachgeschmack, meine Damen und Herren.
Ich komme noch einmal auf das Thema der Verteilung nach dem Dublin-Verfahren, die europäische Verteilung, zurück. Darüber haben wir eben schon diskutiert. Auch darüber diskutieren wir hier im Landtag schon länger. Aber es bleibt ein fader Nachgeschmack.
Als wir in Niedersachsen und in Deutschland von den negativen Auswirkungen des Dublin-Verfahrens nicht betroffen waren, als es vor allem Italien und Griechenland betroffen hat, haben wir uns schlicht und einfach nicht gekümmert. Machen wir uns nichts vor: In dieser Zeit hat auch die Große Koalition in Berlin die Hände in den Schoß gelegt, und zwar über Monate.
Als wir dann betroffen waren, meine Damen und Herren, haben wir spätestens durch die Öffnung der Grenzen genau dieses Dublin-Verfahren selbst außer Kraft gesetzt. Als es uns dann zu heikel wurde, haben wir versucht, die Zeit wieder zurückzudrehen, und jetzt Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raums eingeführt.
Ich will unterstreichen: Die Debatte darüber, dass die sinnvolle Verteilung der Menschen, die in Europa Schutz suchen, vorläufig gescheitert ist, auch in Niedersachsen - dies will ich deutlich sagen, Herr Weil -, ist nicht neu. Deswegen hätte ich mir gerade einige Worte dazu gewünscht.
Wir haben die Debatte über das gescheiterte Dublin-Verfahren im Februar 2014 hier im Landtag begonnen. Damals hat ein Antrag meiner Fraktion den Innenausschuss erreicht. Ich will Ihnen einmal vorlesen, was darin steht:
„Der Landtag fordert die Landesregierung daher auf, im Rahmen einer Bundesratsinitiative darauf hinzuwirken, dass die Bundesregierung sich auf europäischer Ebene für die Einführung eines Schlüssels zur europaweiten Verteilung für Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge einsetzt. Vorbild kann der... ‚Königsteiner Schlüssel‘ sein.... dem Landtag über die Ergebnisse ihrer Bemühungen bis zum 31.12.2014 zu berichten.“
Das ist ein Dreivierteljahr her, meine Damen und Herren. Bis heute haben wir kein Wort der Landesregierung dazu gehört!
(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Ulrich Watermann [SPD]: Wir haben gemeinsam einen Antrag dazu be- schlossen!)
Ich will das unterstreichen, Herr Ministerpräsident, was ich in der letzten Woche im Rahmen der Sondersitzung gesagt habe: Wir bieten Ihnen ausdrücklich unsere Hilfe - so wie es auch der Kollege Thümler für die CDU-Fraktion formuliert hat - bei
der Bewältigung der aktuellen Krise an. Dafür muss sich aber auch die Art und Weise ändern, wie Sie mit dieser Situation umgehen.
Am vergangenen Donnerstag haben wir vor allem eines gehört: Macht euch keine Sorgen! Das wird schon! - Dies sagte der Ministerpräsident. Am Montag sagte er dann: Die Lage hat sich jetzt dramatisch zugespitzt. - Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Das, was wir in Bad Fallingbostel erlebt haben, auch die Angebote dort, schien mir am Ende des Tages leider eher für die Presse zu sein, aber nicht um der Situation tatsächlich Herr zu werden.
Die letzten Tage haben doch eines gezeigt: Das Auf-Sicht-Fahren ist für die deutsche Politik keine Option mehr. Wir wissen seit Jahren, dass weltweit mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Jetzt muss endlich vorausschauende Politik das Gebot der Stunde sein.
Ich höre jetzt, dass auch die CDU auf Bundesebene bereit ist, ein Einwanderungsgesetz mitzumachen - aber erst nach der kommenden Bundestagswahl. Ich halte das für zu spät.
Ich hätte mir übrigens auch einige Worte dazu gewünscht, ob Sie bei dem Gespräch mit der Bundeskanzlerin eingebracht haben, wie es um die Visumspflicht für den Balkan steht.
Meine Damen und Herren, vorausschauende Politik gilt - das sage ich zum Schluss, Herr Präsident - ausdrücklich auch für die europäische Ebene. In der aktuellen Situation wird eines immer klarer: Wir brauchen ein europäisches Asylrecht. Nur gemeinsame Regeln werden uns an dieser Stelle weiterhelfen.
Ich finde es absolut befremdlich, dass wir es beispielsweise im Naturschutz geschafft haben, einheitliche europäische Standards durchzusetzen, aber nicht beim Thema Asyl. Die Rotbauchunke genießt durch Natura 2000 und FFH, also durch europäisches Recht, europaweit einen einheitlich hohen Schutzstatus. Menschen, die aus Syrien vor Krieg und Vertreibung zu uns geflüchtet sind, tun das nicht. Ich halte das für zynisch.
Vielen Dank, Herr Kollege Dürr. - Jetzt folgt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Piel. Bitte sehr! Ebenfalls sieben Minuten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte mich an dieser Stelle dem Dank an Ministerpräsident Weil und insbesondere an unseren Innenminister Pistorius anschließen, die unsere Länderinteressen, unsere Solidarität und unseren Einsatz für Flüchtlingspolitik auch auf der Bundesebene vertreten und sich deutlich für mehr Solidarität in Europa und für mehr Solidarität mit den geflohenen Menschen einsetzen. Vielen Dank!
Ich möchte an dieser Stelle auch der Kanzlerin Angela Merkel dafür danken, dass sie sich gegen den Widerstand in den eigenen Reihen ganz klar zu Humanität und Solidarität bekennt. Aus diesem Bekenntnis müssen aber auch konkrete politische Folgen entwickelt werden, und es muss mit Zusagen von Hilfe gegenüber den Ländern weitergehen. Um den Herausforderungen der steigenden Flüchtlingszahlen zu begegnen, ist es in diesen Tagen wichtiger denn je, dass feste Verabredungen zwischen dem Bund und den Ländern getroffen werden. Ich bedaure es sehr - da schließe ich mich den Worten meiner Kollegin Johanne Modder an -, dass es immer noch keine konkreten Zusagen und Hausnummern gibt, wie diese strukturellen Hilfen auszusehen haben.
Herr Thümler, es ist dankenswert, dass Sie sich eigene Gedanken machen, dass Sie Ratschläge formulieren und aufsetzen, aber ich bitte Sie einfach auch an der Stelle noch einmal um Unterstützung: Tun Sie das auch auf Bundesebene! Sorgen Sie dafür, dass die strukturelle Entlastung kommt! Die Kommunen und Spitzenverbände werden es Ihnen danken.
Weil wir hier immer wieder über die aktuelle Notlage aufgrund der überfüllten Landesaufnahmeeinrichtungen reden, möchte ich dazu noch einen Hinweis geben: Im Zusammenhang mit der Verfahrensbeschleunigung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gibt es offenbar auch noch keine wirklich sichtbaren Verbesserungen. Das ist der
Punkt, an dem der Bund tatsächlich etwas für Entlastung tun kann; vor allem für die Kommunen, aber auch für die Flüchtlinge, die monatelang auf die Entscheidung in ihren Verfahren warten. Ich sage Ihnen deutlich - ich glaube, in allen Ländern werden im Moment Haushaltsgespräche geführt, so wie wir sie heute führen werden -: Es wäre eine echte Erleichterung - auch für uns heute -, wenn aus dem gestrigen Gespräch eine Zusage für strukturelle Unterstützung mitgekommen wäre.
Im Zusammenhang mit den Verteilmechanismen, die gestern hinsichtlich der Menschen, die bei uns nicht durch die Registrierungsverfahren laufen und somit noch hinzukommen, verabredet worden sind, bleiben für mich noch Fragen offen. Ich bin auf die Ergebnisse der weiteren Verhandlungen an dem Punkt sehr gespannt, weil ich mich dem Zweifel anschließe, ob es gelingen kann, die großen Verteilstellen aus der Gesamtverteilung herauszunehmen. Auch darüber wird man gestern sicherlich nicht das letzte Gespräch geführt haben.
Zum Thema Solidarität: Ich bin, anders als eben angesprochen, der Meinung, dass Niedersachsen seiner Verantwortung gut gerecht wird. Wir nehmen eine große Anzahl von Flüchtlingen - auch von denen, die in Bayern angekommen sind - in ein sogenanntes Verteilzentrum auf. Es ist eine gute Entscheidung, dass vorübergehend diese Verteilzentren eingerichtet werden. Wenn sich einige Länder stärker als andere engagieren, muss an der Stelle nachgebessert werden.
Ich teile auch die Einschätzung, dass es wichtig ist, auf der Brüsseler Ebene weiter dafür zu sorgen, dass die EU neue Verteilmechanismen entwickelt, dass es eine Harmonisierung der europäischen Flüchtlingspolitik gibt und dass die Kanzlerin an der Stelle mit starker deutscher Stimme spricht und sich einsetzt.
Ich sage auch: Die Verantwortung für Flüchtlingspolitik in Europa geht über die Grenzen von Europa hinaus. Wir müssen dringend nicht nur die Gespräche mit den europäischen Partnern suchen, sondern diese Bundesregierung muss auch die Kraft entwickeln, über Europa hinaus auf Krisengebiete, auf Stabilisierung Einfluss zu nehmen. Auch dafür brauchen wir Ihre Unterstützung, auch da muss die Kanzlerin tätig werden.
Ich freue mich sehr, dass offensichtlich wir alle im Gespräch mit den vielen Ehrenamtlichen und den unzähligen Helferinnen und Helfern im Land sind. An dieser Stelle möchte ich noch einmal meinen Dank all den Menschen draußen aussprechen, die unter schwierigsten Bedingungen improvisieren und ihre gesamte Kraft einsetzen, um unter diesen angespannten Verhältnissen Hilfe zu leisten und die Menschen, die zu uns kommen, aufzunehmen. Das ist eine Arbeit, die wir politisch gar nicht genug schätzen können, für die wir gar nicht genug danken können. Wir sollten uns alle gemeinsam in diesem Dank versammeln und sagen, dass ohne diese Hilfe die Menschen, die bei uns ankommen, mittlerweile in ganz anderen Nöten wären.
Ich danke auch für den richtigen und wichtigen Hinweis darauf, dass Arbeitgeber weiter großzügig in der Frage sein sollten, ob sie Mitarbeiter freistellen, die helfen wollen. Das gilt insbesondere für die Menschen, die sprachlich im Moment gefordert sind.
Aus Gesprächen habe ich erfahren, dass es sehr viele Menschen gibt, die im Moment für Übersetzerdienste abgefordert werden. Daher bitten wir dringend auch von dieser Stelle aus - auch weil wir in der letzten Woche einen Aufruf seitens der Arbeitgeberseite hatten -, nicht nur in den öffentlichen Ämtern und den Behörden, auf die wir Einfluss haben, sondern auch in der freien Wirtschaft großzügig zu sein. Wenn Sie fremdsprachige Mitarbeiter haben, die Sie für Übersetzertätigkeiten freistellen könnten, so ist dies sicherlich eine wichtige Hilfe.
Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind, miteinander ins Gespräch zu kommen und Verteilmechanismen zu ändern. Ich denke, dass die europäische Frage gelöst werden muss. Wenn sie nicht gelöst wird, werden wir uns anders unterhalten müssen.
Ich glaube aber auch, dass es wichtig ist, den Geist, der draußen herrscht, für unsere Gespräche mitzunehmen, damit wir uns der großen Verantwortung bewusst sind, die wir nicht nur humanitär den Menschen gegenüber haben, die zu uns kommen, sondern auch gegenüber den Menschen, die auf verschiedenen Ebenen versuchen, Hilfe zu leisten, Willkommenskultur zu organisieren und
sich da zu engagieren. Wir sind an deren Seite und sollten dies auch in der politischen Debatte nicht vergessen.