Protokoll der Sitzung vom 17.09.2015

(Zurufe: Guten Morgen, Herr Präsident!)

Tagesordnungspunkt 12: Mitteilungen des Präsidenten

Das Haus ist bereits gut gefüllt; wir dürfen von hier aus die Beschlussfähigkeit des Hauses feststellen.

Zur Tagesordnung, meine Damen und Herren: Wir beginnen die heutige Sitzung mit dem Tagesordnungspunkt 13, Dringliche Anfragen. Anschließend setzen wir die Beratung in der Reihenfolge der Tagesordnung fort.

Die heutige Sitzung soll gegen 18.15 Uhr enden.

Die mir zugegangenen Entschuldigungen teilt Ihnen nunmehr die Schriftführerin, Frau Tippelt, mit.

Entschuldigt für den heutigen Sitzungstag haben sich Herr Oetjen von der FDP-Fraktion und bis etwa 10 Uhr Frau Lorberg von der CDU-Fraktion. - Das war es.

Danke schön. - Meine Damen und Herren, wir gehen gleich zu den Dringlichen Anfragen über.

Tagesordnungspunkt 13: Dringliche Anfragen

Es liegen vier Dringliche Anfragen vor. Die für die Behandlung Dringlicher Anfragen geltenden Geschäftsordnungsbestimmungen setze ich als allgemein bekannt voraus. Ich weise, wie üblich, besonders darauf hin, dass einleitende Bemerkungen zu den Zusatzfragen nicht zulässig sind. Um dem Präsidium den Überblick zu erleichtern, bitte ich, dass Sie sich schriftlich zu Wort melden, wenn Sie eine Zusatzfrage stellen möchten.

Wir beginnen mit der Dringlichen Anfrage

a) Nimmt die Landesregierung ihre Rückführungserlasse zurück? - Anfrage der Fraktion der CDU - Drs. 17/4232

Die Anfrage wird von der Abgeordneten Angelika Jahns vorgetragen. Frau Jahns, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Dringliche Anfrage der CDU-Fraktion lautet: Nimmt die Landesregierung ihre Rückführungserlasse zurück?

Täglich kommen mehr und mehr Menschen nach Deutschland und Niedersachsen, um hier Asyl zu beantragen. Die gegenwärtigen Schätzungen der Bundesregierung gehen von 800 000 Flüchtlingen in diesem Jahr aus. Andere Schätzungen gehen bereits von 1 Million Menschen in diesem Jahr aus, die Asyl beantragen. Nach dem Verteilungsschlüssel für Asylbewerber in Deutschland wären alleine für Niedersachsen in diesem Jahr bis zu 100 000 Menschen unterzubringen.

Die niedersächsischen Städte, Gemeinden und Landkreise sind nach eigenen Aussagen zunehmend mit der Unterbringung ankommender Flüchtlinge überfordert. Der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund spricht auf seiner Internetseite bereits von einem „Unterbringungsnotstand“.

Unter den ankommenden Flüchtlingen befinden sich nicht nur Personen aus Ländern wie Syrien. Bis Ende August hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bereits 256 938 Asylanträge angenommen. Dabei stammten 103 157 Asylanträge von Personen, die aus Albanien, dem Kosovo, Serbien und Mazedonien stammen. Asylanträge von Personen aus diesen Herkunftsstaaten werden zu 99 % abgelehnt. Kommunale Vertreter sind der Ansicht, dass diese Personen Kapazitäten zur Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen aus Syrien binden. Sie fordern daher, dass diese nicht auf die Kommunen verteilt werden und schnell wieder in ihre Heimat zurückgeführt werden.

Abgelehnte Asylbewerber sind verpflichtet, Deutschland wieder zu verlassen. Dazu bekannten sich auch der Ministerpräsident und der Innenminister in der Sondersitzung des Landtages vom 10. September 2015. Die Landesregierung hat zur

Rückführung von Asylbewerbern in zwei Erlassen den niedersächsischen Ausländerbehörden der Kommunen Vorgaben zur Durchführung der Rückführung und des Verfahrens vor der Härtefallkommission gemacht.

Die kommunalen Spitzenverbände haben laut rundblick vom 14. September 2015 einen „Hilferuf“ an die Landesregierung gesendet, weil die gegenwärtigen Erlasse dazu führten, dass nur ein Bruchteil der Ausreisepflichtigen tatsächlich ausreise. Die Pflichten zur Ankündigung der Rückführung und die zweifachen Hinweise auf die Härtefallkommission würden laut kommunalen Spitzenverbänden zu einer monatelangen Verzögerung oder gar zur Erfolglosigkeit führen.

Laut Presseberichten sollen die Landkreise Göttingen und Northeim wegen der geltenden Erlasse in diesem Jahr noch keine Rückführung erfolgreich durchgeführt haben.

Laut einer Antwort der Landesregierung vom 17. Juli 2015 hielten sich zum 31. Mai 2015 in Niedersachsen 17 175 ausreisepflichtige Personen auf. Im ersten Halbjahr seien von 1 715 Abschiebungsersuchen 454 Personen rückgeführt und 156 Personen in andere EU-Staaten überstellt worden. In 73,53 % der Fälle sei es damit nicht zur Abschiebung gekommen.

Die Welt berichtete in ihrer Ausgabe vom 26. August 2015, dass das grün-rot regierte Baden-Württemberg unter allen Bundesländern die höchste Rückführungsquote mit 7,1 %, gemessen an der Zahl der Asylanträge, habe.

(Jörg Bode [FDP]: Das ist ja ein Ding!)

Für Niedersachsen sei die Quote mit 3,2 % nicht einmal halb so hoch, schreibt Die Welt.

In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund kündigte Ministerpräsident Weil an, die niedersächsische Rechtslage zu Rückführungen zu überprüfen.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Wird die Landesregierung die Forderung der kommunalen Spitzenverbände nach der Rücknahme der von ihnen kritisierten Vorgaben aus den Erlassen zur Rückführung erfüllen?

2. Wie viele ausreisepflichtige Asylbewerber befinden sich gegenwärtig in Niedersachsen?

3. Plant die Landesregierung Maßnahmen, um die Rückführungsquote Baden-Württembergs zu erreichen oder zu übertreffen?

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Jahns. - Die Landesregierung wird in Person des Herrn Innenministers antworten. Herr Pistorius, bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Regierungsübernahme wurde der Abschiebungsvollzug aus guten Gründen neu justiert. Die Abschiebung ist schon als solche eine einschneidende Zwangsmaßnahme, sodass die Landesregierung es nach wie vor für richtig hält, Humanität in den Mittelpunkt zu stellen und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die freiwillige Ausreise zu erreichen, ohne dass es dieses Zwangsmittels bedarf.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das heißt aber nicht, dass geltendes Recht nicht vollstreckt wird.

(Jens Nacke [CDU]: Doch, genau das ist es!)

Es geht also nicht um das Ob, meine Damen und Herren, sondern um das Wie der Abschiebungen.

Was die Abschiebungspraxis, insbesondere die Ankündigung von Abschiebungen angeht, haben wir mit dem Rückführungserlass dafür Sorge getragen, dass die Belastungen für die Betroffenen trotz des Vollzugs so gering wie möglich ausfallen. Die entsprechenden Hinweise und Vorgaben an die Ausländerbehörden sollen sicherstellen, dass die zur Ausreise verpflichteten Menschen ausreichend Zeit erhalten, sich auf die Rückkehr vorzubereiten, um ihre Angelegenheiten in Deutschland zunächst abwickeln zu können. Dies ist nur möglich, wenn den Betroffenen der Termin für die geplante Aufenthaltsbeendigung gemäß den Vorgaben des Rückführungserlasses genannt wird. Im Übrigen ist der Rückführungserlass - darauf möchte ich sehr deutlich hinweisen - auch in dieser Frage nicht starr, sondern enthält natürlich auch Spielräume für die Ausländerbehörden, die genutzt werden können und sollen.

Mit dem Blick auf Quoten oder Vergleiche verliert man leicht aus dem Blick, dass es hier um Menschen und um individuelle Schicksale geht und dass überraschende nächtliche Abschiebungen insbesondere Kinder schwer traumatisieren können.

Die Förderung einer freiwilligen Ausreise in das Herkunftsland steht in Niedersachsen - übrigens nicht nur hier - nach wie vor an erster Stelle. Diejenigen, die diese Chance einer selbstbestimmten Rückkehr nicht nutzen, müssen - auch daran besteht kein Zweifel - abgeschoben werden. Es handelt sich um eine zwingende Rechtsfolge. Die Ausländerbehörden sind gesetzlich verpflichtet, in diesen Fällen die zwangsweise Aufenthaltsbeendigung einzuleiten.

Es geht hierbei, wie schon gesagt, eben nicht um das Ob, sondern um das Wie einer Abschiebung. Das Wie haben wir mit dem Rückführungserlass im Lichte des humanitären Ansatzes dieser Landesregierung in der Ausländer- und Asylpolitik ausgestaltet. Die Regelungen fußen dabei auf der bislang ganz überwiegenden Fallkonstellation, dass sich die Betroffenen längere Zeit in Deutschland aufhalten und nicht selten auch, ohne dass dies zu einem Bleiberecht geführt hätte, gewisse Integrationsleistungen erbracht haben. Ich will daran erinnern, dass die gerade nach heftigen Verhandlungen in Kraft getretene Bleiberechtsregelung auf Bundesebene u. a. gerade hier eine große Gruppe von Menschen aus einer Grauzone herausgeholt hat, die sonst jeden Tag mit einer Abschiebung hätten rechnen müssen. Das waren Menschen, die zum Teil jahrelang hier gelebt haben - nicht aus eigener Schuld heraus oder weil sie es nicht besser konnten, sondern weil es sich so aus der Rechtslage ergeben hat, und die natürlich für den Fall einer Abschiebung die Möglichkeit bekommen sollten, vorher noch das eine oder andere zu regeln.

Die Regelung, die Abschiebung im ersten Anlauf anzukündigen, berücksichtigte dabei insbesondere auch, dass jemand, der schon längere Zeit hier lebt, auch die Möglichkeit bekommen soll, seine Angelegenheiten regeln zu können, bevor er das Land verlässt.

Sobald aber - damit sind wir bei den veränderten Rahmenbedingungen - die versprochene erhebliche personelle Aufstockung beim BAMF in der Umsetzung begriffen ist - um es vorsichtig zu formulieren; die Maßnahmen dafür sind bereits auf dem Weg, wenn auch immer noch nicht im ausrei

chenden Umfang - und tatsächlich zu dem erhofften Ziel führt, dass Entscheidungen schneller getroffen werden - was zwingend erforderlich ist; darüber waren wir uns gestern noch einig -, wollen wir nach ablehnenden Entscheidungen für eine Beschleunigung der Rückführung sorgen.

In den Fällen, in denen das Asylverfahren und damit der Aufenthalt in Deutschland nur von kurzer Dauer waren, die betroffene Person die Erstaufnahmeeinrichtung z. B. noch gar nicht verlassen hat, in jedem Fall aber - das ist das Entscheidende - erst so kurze Zeit in Deutschland ist, dass eine Integration unter normalen Umständen schon aufgrund der Kürze der Zeit noch gar nicht hat stattfinden können, sind die grundlegenden Rahmenbedingungen andere als die, die unseren Bestimmungen zu den Rückführungsmodalitäten und den Härtefallverfahren zugrunde lagen, als sie geschrieben wurden.

Als Ergebnis der von mir bereits vor der Sommerpause veranlassten Evaluation des Rückführungserlasses werden wir deshalb ergänzende verfahrensmäßige Vorgaben zur Durchführung des Rückführungs- und Rücküberstellungsvollzugs und zur Durchführung des Härtefallverfahrens nach § 23 a des Aufenthaltsgesetzes bei kurzzeitigem Aufenthalt sowie Änderungen der Härtefallkommissionsverordnung auf den Weg bringen.

(Jens Nacke [CDU]: Wie lang ist denn „kurzzeitig“?)

Aufgrund der geänderten Sachlage sollen im Einzelnen folgende Anpassungen der genannten Runderlasse für eine erst kurze Aufenthaltsdauer erfolgen:

Auf die Bekanntgabe des Abschiebungstermins kann bei Einzelpersonen, deren aktuelle Aufenthaltsdauer in Deutschland bis zum Zeitpunkt des in Aussicht genommenen Abschiebungstermins nicht mehr als 18 Monate beträgt, abweichend von den Vorgaben des Rückführungserlasses verzichtet werden. Damit bekommen die Ausländerbehörden einen klaren Handlungsrahmen für diese Fälle und gleichzeitig den möglicherweise in Einzelfällen vielleicht erforderlichen Spielraum, im eigenen Ermessen und im Einzelfall anders zu entscheiden. Entscheidend dabei ist die Umkehrung des RegelAusnahme-Verhältnisses für diese Gruppe.

Bei Familien oder alleinerziehenden Elternteilen mit schulpflichtigen oder minderjährigen Kindern verbleibt es bei der Bekanntgabe des ersten in Aussicht genommenen Abschiebungstermins.