Protokoll der Sitzung vom 17.09.2015

Bei Familien oder alleinerziehenden Elternteilen mit schulpflichtigen oder minderjährigen Kindern verbleibt es bei der Bekanntgabe des ersten in Aussicht genommenen Abschiebungstermins.

Im Übrigen werden die Regelungen des Rückführungserlasses unberührt bleiben. Dies gilt insbesondere, meine Damen und Herren, für die Schutzvorschriften für Familien, den Vorrang der freiwilligen Rückkehr wie auch im Hinblick auf Abschiebungen, für die der Abholungstermin zwischen 21 und 6 Uhr morgens des Folgetages in der Winterzeit und bis 4 Uhr in der Sommerzeit terminiert ist.

Abweichend vom sogenannten Härtefallverfahrenserlass soll bei ausreisepflichtigen Personen, deren aktuelle Aufenthaltsdauer in Deutschland bis zum Zeitpunkt der Duldungserteilung nicht mehr als 18 Monate beträgt, die Verpflichtung zur Belehrung über die Möglichkeit und das Verfahren für die Anrufung der Härtefallkommission entfallen. Allein dadurch können sich erhebliche Verkürzungen der Aufenthaltsdauer ergeben.

Zweitens werden wir die Härtefallkommissionsverordnung ändern. Hier wird der Katalog der absoluten Nichtannahmegründe in § 5 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung erweitert. Ausländerinnen und Ausländern, die sich noch nicht 18 Monate im Bundesgebiet aufhalten, wird zukünftig der Zugang grundsätzlich verwehrt bleiben. Nur unter engen Voraussetzungen wird es hier mit einem Sonderprüfungsrecht der Kommissionsvorsitzenden Ausnahmen geben. Im Ergebnis wird damit die bisherige ständige Entscheidungspraxis - das ist dabei der entscheidende Punkt - der Kommission quasi festgeschrieben und in Regelungen gegossen. Verfahren, die im Ergebnis auch heute regelmäßig ohne Erfolg bleiben - das ist die Realität -, werden damit von vornherein vermieden.

Auch werden wir zukünftig nicht mehr in jedem Falle eine wiederholte Belehrung vorsehen. Damit kann eine Eingabe bei einem bereits feststehenden Termin für die Rückführung von vornherein als unzulässig erachtet werden und führt nicht zu einem Abbruch der Abschiebung.

Eine nochmalige Belehrung wird hierfür nur noch dann erforderlich sein, wenn sich nach der ersten Belehrung noch ein deutlich längerer Aufenthalt in Deutschland anschließt, die Aufenthaltsbeendigung also beispielsweise aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erfolgen konnte, sodass weiterhin Duldungen zu erteilen waren.

Zur Frage 1: Die Landesregierung wird auf die besondere Situation reagieren, die eintreten wird, wenn das BAMF - so wie längst eingefordert - regelmäßig über Asylanträge sehr viel schneller als bislang entscheidet mit der Folge, dass eine höhe

re Anzahl von Menschen nach einer sehr kurzen Aufenthaltsdauer in Deutschland vollziehbar ausreisepflichtig wird.

In einem Gespräch mit den Vertretern der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände hatte ich erste Überlegungen dazu bereits angesprochen. Die kommunalen Spitzenverbände haben diese Anregungen dankenswerterweise aufgenommen, gemeinsam mit den Ausländerbehörden gespiegelt - das war meine ausdrückliche Bitte - und in einem Schreiben vom 10. September detailliert und, wie ich finde, überwiegend konstruktiv Stellung genommen.

(Jens Nacke [CDU] - lachend -: Ach, um das Schreiben haben Sie gebe- ten?)

Darin schlagen die - - -

Herr Minister! - Herr Nacke, bitte Ruhe!

Sie können ja gerne bei den Spitzenverbänden nachfragen. Es hat eine Besprechung gegeben. Ich habe darum gebeten - - -

(Jens Nacke [CDU]: Das glaubt Ihnen doch kein Mensch!)

- Herr Nacke, soll ich Ihnen etwas sagen? - Es ist mir schnuppe, ob Sie mir das glauben!

(Jens Nacke [CDU]: Das glaube ich Ihnen gerne!)

Fragen Sie die kommunalen Spitzenverbände!

(Jens Nacke [CDU]: Das werden wir tun!)

Es hat eine Besprechung in meinem Haus gegeben, bei der ich darum gebeten habe, mir zuzuliefern, welche konkreten Sorgen die Ausländerbehörden mit dem Rückführungserlass haben.

(Jens Nacke [CDU]: So ist es gewe- sen!)

- So ist es gewesen!

(Jens Nacke [CDU]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)

Die Realität ist manchmal anders als Ihre Wirklichkeit, Herr Nacke.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Jens Nacke [CDU]: Sie machen sich ja lächerlich!)

In diesem Schreiben schlagen die kommunalen Spitzenverbände Anpassungen an zwischenzeitlich erfolgte Rechtsänderungen vor, regen Klarstellungen an und tragen bestimmte Überlegungen zur Veränderung der Rückführungs- und Belehrungspraxis vor.

Zeitgleich hat die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände deutlich gemacht - darauf lege ich Wert, meine Damen und Herren -, dass sich der Grundsatz der freiwilligen Rückkehr in der Praxis bewährt hat und dass die Pflicht zur Belehrung über das Härtefallverfahren nach wie vor grundsätzlich zu begrüßen ist. Diese Rückmeldungen haben wir in unsere Überlegungen mit einbezogen.

Unsere jetzigen Vorschläge und die noch offenen Aspekte werden wir im weiteren Dialog mit der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände erörtern und alsbald die Verfahren zu dem genannten Erlass bzw. zur Änderung der Härtefallkommissionsverordnung einleiten.

Zur Frage 2: Mit Stand vom 31. Juli 2015 halten sich in Niedersachsen 18 214 Personen auf, die ausreisepflichtig sind. Bei 14 301 Personen ist der Vollzug der Abschiebung allerdings aus zwingend zu beachtenden Gründen vorübergehend ausgesetzt - wir sprechen von Duldung. Solche Gründe können tatsächlicher oder rechtlicher Natur sein. Häufige Gründe sind Reiseunfähigkeit, ungeklärte Herkunft, fehlende Reisedokumente oder familiäre Bindungen, die eine Trennung im Einzelfall unverhältnismäßig erscheinen lassen, wie z. B. bei pflegebedürftigen Angehörigen. In diesen Fällen ist von Gesetzes wegen, meine Damen und Herren, die Abschiebung auszusetzen und eine Duldung zu erteilen.

Weiterhin ist bei den verbleibenden 3 913 Personen zu berücksichtigen, dass in vielen Fällen die Ausreisepflicht z. B. wegen anhängiger Gerichtsverfahren noch nicht vollziehbar oder die Ausreisefrist noch nicht abgelaufen ist und somit eine Abschiebung noch nicht eingeleitet werden darf.

Zur Frage 3: In ihrem Bericht setzt Die Welt - fachlich übrigens nicht nachvollziehbar - die Anzahl erfolgter Abschiebungen in den einzelnen Bundesländern ins Verhältnis zu der Anzahl aller Asylanträge, die in dem gleichen Zeitraum eingereicht

wurden, einschließlich derer, die im Ergebnis zur Anerkennung führen.

Erstens. Asylverfahren dauern jedoch nicht selten - darüber haben wir in den letzten Wochen oft genug gesprochen - bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung Jahre. Auch danach geht bis zu einer Abschiebung aus den verschiedenen Gründen - fehlende Reisedokumente, ungeklärte Herkunft; ich habe es aufgezählt - weitere Zeit ins Land.

Diese Zahlen miteinander ins Verhältnis zu setzen und dann miteinander zu vergleichen, ist nicht nur statistisch fragwürdig, meine Damen und Herren, sondern bringt in der Sache kein Stück voran. Die Quoten sind mit Vorsicht zu genießen. Das räumt Die Welt übrigens selbst ein.

Zweitens. Die Fokussierung auf die Abschiebungsquote wird der Sache nicht gerecht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Landesregierung hat sich mit guten Gründen für einen Paradigmenwechsel in der Ausländer- und Asylpolitik entschieden und verfolgt damit eine Reihe von Zielen, in weiten Teilen durchaus auch im Konsens mit allen im Niedersächsischen Landtag vertretenen Fraktionen.

Wir wollen in bestimmten Bereichen Erleichterungen für Menschen, die hier ernsthafte Integrationsbemühungen unternehmen und eine Bleiberechtsperspektive verdienen. Ich verweise nur auf die Regelungen zur Duldung für jugendliche Auszubildende, die wir bereits im Vorgriff auf die bundesgesetzliche Regelung in Kraft gesetzt haben, und auf die Duldungen, die im Vorgriff auf die stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung des Bundes von uns ausgesprochen wurden.

Drittens. Die Landesregierung will keinen Wettbewerb um die höchste Abschiebungsquote.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir sollten uns hüten, jetzt, da die Zugangszahlen stark steigen, unsere für richtig erachteten Grundsätze und Prinzipien über Bord zu werfen, nur weil es vielleicht etwas schwieriger wird. Wir sollten uns dazu auch nicht verleiten lassen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir sollten uns auch nicht dazu verleiten lassen, künftig nur noch auf Zahlen statt auf Menschen zu schauen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Was wir wollen, ist konsequente Rückführung,

(Zurufe von der CDU: Das haben Sie doch nicht getan! Das passiert doch nicht!)

aber eben erst, nachdem die Möglichkeiten zur freiwilligen Rückkehr ausgeschöpft wurden, und unter Beibehaltung des humanitären Grundsatzes, den wir nach wie vor für richtig halten.

Diese Humanität, meine Damen und Herren, werden wir auch in Zukunft nicht opfern. Das ist Ausdruck unserer Überzeugung, dass auch eine so einschneidende Maßnahme wie die Abschiebung in einer Art und Weise garantiert und durchgeführt sein muss, die dem individuellen Schicksal würdig und angemessen sind.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Innenminister Pistorius.

(Minister Boris Pistorius: Ich habe noch einen Nachtrag!)