Protokoll der Sitzung vom 17.09.2015

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf das, was mein Vorredner vorgebracht hat, kann ich gar nicht eingehen. Dafür reicht meine Zeit nicht. Wir haben es schon oft genug getan. Meine zwei Minuten reichen dafür nicht.

Ich möchte nur eine Bemerkung machen. Wir müssen uns immer wieder damit auseinandersetzen, dass gerade von dieser Seite aus ein gnadenlos verkürzter Begriff von Inklusion in die Welt hinausgetragen wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

An der Stelle ist mir eines wichtig: Auch den Schulen wachsen in diesen Tagen viele neue Aufgaben zu;

(Björn Thümler [CDU]: Reden Sie doch mal zur Petition!)

durch die Beschulung von Flüchtlingskindern. Das kann nur in der inklusiven Schule gelingen. Das ist der springende Punkt. Aber das können Sie nicht sehen, weil Sie einen verkürzten Begriff von Inklusion haben.

(Zuruf von der CDU: Zur Sache!)

Natürlich müssen wir über Ressourcen reden, aber wir müssen immer wieder auch darüber reden, welche Ziele die inklusive Schule eigentlich verfolgt. Sie werden durch klare gesetzliche Vorgaben abgesichert.

Ein Weiteres wird immer wieder unterschlagen: 2012 ist hier im Landtag - jetzt geht es zur Sache - ein Schulgesetz verabschiedet worden, mit dem das Auslaufen der Förderschule in der Primarstufe beschlossen wurde.

(Zuruf von den Grünen: Richtig!)

Meine Damen und Herren, das war richtig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

2015 wollen Sie eine 180-Grad-Wende hinlegen, und das wäre falsch. Denn die Inklusion braucht klare Rahmenbedingungen; das ist das A und O.

(Beifall bei den GRÜNEN und Wider- spruch bei der CDU)

Sie braucht nicht alle fünf Jahre eine neue Zielrichtung.

Natürlich wissen wir alle, dass die Weiterentwicklung der Inklusion Zeit in Anspruch nehmen wird. In dem von uns verabschiedeten Schulgesetz schlägt sich genau das nieder.

(Björn Försterling [FDP]: Warum ha- ben Sie das Schulgesetz verändert?)

Wir geben diese Zeit, und wir geben diesem Prozess Kopf, Herz und Hand. Sie haben das Gesetz nämlich verabschiedet, ohne für entsprechende Rahmenbedingungen zu sorgen. Das ist doch das, was wir im Moment ausbaden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das Personal steht nicht zur Verfügung, weil Sie das nicht vorbereitet haben, und jetzt stellen Sie sich hin und sagen: Ja, Unterrichtsversorgung in Stade! - Ich kenne diese Probleme, Herr Seefried. Die landen auch bei mir. Ich weiß sehr wohl, dass es zurzeit sehr schwer ist, das entsprechende

Personal vorzuhalten, weil es jahrelang verunmöglicht worden ist, entsprechende Studienkapazitäten zur Verfügung zu stellen.

(Zurufe von der CDU)

Mittlerweile gibt es ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um genau an dieser Stelle anzusetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Björn Thümler [CDU]: Wo sind denn die Ka- pazitäten, wo?)

Es gibt mittlerweile einen sehr gut auf den Weg gebrachten Dialogprozess.

(Björn Thümler [CDU]: Ach!)

- Ja, das ist so. Wir werden uns am 1. Oktober zu einem Forum treffen. Ich freue mich darauf, meine schulpolitischen Kollegen zu treffen.

(Zuruf von Christian Grascha [FDP]: Das hilft den Kindern? - Christian Dürr [FDP]: Warum nehmen Sie die Eltern nicht ernst?)

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN sowie Zu- stimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Scholing. - Nun hat sich Christoph Bratmann, SPD-Fraktion, zu Wort gemeldet. Herr Bratmann, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Seefried, nach Ihrem sehr engagierten Plädoyer und der bildungspolitischen Grundsatzdebatte, die Sie hier wieder aufgemacht haben, hätte ich eigentlich erwartet, dass Sie jetzt die Empfehlung „zur Berücksichtigung“ oder zumindest „zur Erwägung“ aussprechen. Die Erklärung „Material“ klang nach dieser engagierten Rede dagegen fast halbherzig.

(Christian Grascha [FDP]: Sie können ja „Berücksichtigung“ beantragen!)

Aber das könnte auch daran liegen, dass die Rede nur zum Teil, nur ansatzweise zu dem passte, was tatsächlich in der Petition steht. Ich bin nun einmal ein Fan davon, sich, wenn wir über Eingaben sprechen, auch damit auseinanderzusetzen, was die Eingebenden wollen, und das sind hier im Kern vier Forderungen; Sie haben sie ansatzweise genannt. Sie wollen den Erhalt der Förderschule mit

dem Schwerpunkt Lernen und Sprache im Primarbereich. Sie wollen vermehrte Stundenzuweisungen, kleinere Klassen. Das sind Forderungen, die durchaus legitim sind, aber an den finanziellen Möglichkeiten zu scheitern drohen. Und sie wollen pädagogische Fachkräfte in permanenter Doppelbesetzung. Ich glaube, wir sind uns auf beiden Seiten des Hauses einig, dass das nicht immer sinnvoll und natürlich auch nicht finanzierbar ist.

Wir kommen hier, wenn es um Inklusion geht, immer wieder zu bildungspolitischen Debatten. Natürlich ist allen hier im Hause klar, dass Inklusion eine große Herausforderung und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die nicht nur den Bildungsbereich betrifft. Es ist aber nicht hilfreich, aus der Diskussion über Inklusion eine reine Ressourcendebatte zu machen und immer nur über Schulstrukturen zu reden, wie Sie es immer wieder tun. Das ist überhaupt nicht das Problem, das die Menschen haben. Politik neigt manchmal dazu, sich mit Problemen zu beschäftigen, die die Menschen überhaupt nicht haben, und Lösungen anzudienen, die überhaupt nicht notwendig sind.

Hier geht es wirklich darum, welche Ressourcen wir zur Verfügung stellen und wie wir mit den Schulstrukturen umgehen. Da kann die Landesregierung vorweisen, dass sie im Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung 1,2 Milliarden Euro nur für Inklusion in den Haushalt eingestellt hat und damit an die Grenze des Machbaren geht. In den Vorgesprächen und Anhörungen zur Schulgesetznovelle ist deutlich geworden, dass das durchaus anerkannt und begrüßt wird, beispielsweise vom Verband Sonderpädagogik. Wenn die Sonderpädagogen dies über ihren Verband loben, dann nehmen wir das schon ernst, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Editha Lorberg [CDU]: Das hat man gemerkt!)

Wir haben aber in den Beratungen und in den Anhörungen zur Schulgesetznovelle auch gemerkt, wie unterschiedlich mit Inklusion umgegangen wird. Zum Beispiel hat die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, Frau Petra Wontorra, ein eindeutiges Plädoyer dafür gehalten, alle Förderschulformen abzuschaffen und möglichst schnell die gemeinsame Beschulung für alle Kinder umzusetzen. Wohlgemerkt: Andere Behindertenverbände, beispielsweise der Verband der Sehbehinderten oder der Verband der Hörgeschädigten, haben gefordert, dass die Strukturen und ihre spe

ziellen Förderschulen erhalten bleiben mögen, was ja auch geschieht. Das zeigt die Komplexität und Schwierigkeit des Themas, wenn man im Bereich der Förderschulen über Schulstrukturen spricht.

Der Weg, den die Landesregierung eingeschlagen hat, ist die behutsame Umsetzung der Inklusion mit dem schrittweisen Auslaufen der Förderschule Lernen beispielsweise, und dies eingedenk der Tatsache, dass diese Förderschulen landauf, landab - dort, wo es funktionierende regionale Inklusions-/Integrationskonzepte gegeben hat - bereits als Förderzentren existieren - nur noch ohne Schülerinnen und Schüler -, von denen aus die Inklusion dann in den allgemeinbildenden Schulen umgesetzt wird. Sie werfen sich da also quasi hinter den fahrenden Zug. Von daher können wir diese Debatte abkürzen.

Wir haben eine Schulgesetznovelle mit zahlreichen Beschlüssen zur Inklusion aufseiten der rot-grünen Landesregierung verabschiedet. Von daher ist es konsequent, wenn wir auf diese Schulgesetznovelle verweisen, die mit zahlreichen Regelungen und erheblichen Mitteln, wie ich gerade geschildert habe, für den Bereich der Inklusion einhergeht, und dem Arbeitskreis Inklusion sowie den drei Elternräten, die diese Petition eingereicht haben, sagen: Wir verweisen auf die Sach- und Rechtslage. - Dann werden sie darüber aufgeklärt, was im Bereich der Inklusion bereits geschieht.

(Christian Grascha [FDP]: Dann wer- den sie ja sicherlich beeindruckt sein!)

Das kann sich sehen lassen, das ist gut und richtig. Aber das ist natürlich nicht das Ende der Fahnenstange, denn Inklusion ist eine Aufgabe, die uns auch in den nächsten Jahren noch massiv beschäftigen wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Bratmann. - Jetzt hat sich Herr Försterling, FDP-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den Petenten geht es genauso wie vielen anderen Eltern und Lehrkräften in Niedersachsen gerade auch: Sie verstehen nicht, warum man hier den Weg der Inklusion im Schulbereich zu gehen und zu beschleunigen versucht, indem man Inklu

sion durch Gesetz verordnen will, anstatt Inklusion durch Gelingen zu erreichen.

Das, was eben angesprochen worden ist, beschäftigt insbesondere die Petenten, das beschäftigt insbesondere die Eltern: Die Ressourcen scheinen nicht auszureichen. Das müssen auch die Regierungsfraktionen nach und nach anerkennen. Die Grundschulen vor Ort sagen: Die sonderpädagogische Grundversorgung ist aktuell zu gering, insbesondere in den Bereichen, in denen man beispielsweise mit Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung arbeiten muss, wobei wir aber lange darauf warten, dass die Landesregierung endgültig die Ankündigung, einen flächendeckenden Ausbau der Schulsozialarbeit auf den Weg zu bringen, in die Realität umsetzt.

Das bedeutet doch eines: Wir laufen gerade, indem Sie versuchen, die Inklusion im Galopp voranzutreiben, Gefahr, die Menschen zu verlieren. Gehen Sie doch lieber den Weg, den wir alle ursprünglich gemeinsam gehen wollten: Inklusion Schritt für Schritt, nach und nach in der Schule verankern; mit den entsprechenden Ressourcen. Wenn die Eltern dann am Ende keine Förderschule mehr anwählen, dann sind wir die Ersten, die gemeinsam mit Ihnen die Förderschulen aus dem Schulgesetz herausstreichen. Das ist der richtige Weg. Das ist Inklusion durch Gelingen und nicht par ordre du mufti.