Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „VWAbgasaffäre“ - Hat die Landesregierung Einfluss auf die Staatsanwaltschaft Braunschweig genommen?“
Am 28. September 2015 veröffentlichte die Staatsanwaltschaft Braunschweig unter der Überschrift „Ermittlungsverfahren in der ‚VW-Abgasaffäre‘ eingeleitet“ eine Pressemitteilung, die folgenden Wortlaut hatte:
„Die Staatsanwaltschaft Braunschweig, Zentralstelle für Wirtschaftsstrafsachen, hat aufgrund von Strafanzeigen ein Ermittlungsverfahren gegen Prof. Dr. Martin Winterkorn, den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG, eingeleitet.
Der Schwerpunkt der Ermittlungen liegt auf dem Vorwurf des Betruges durch den Verkauf von Kraftfahrzeugen mit manipulierten Abgaswerten. Weiter ist in diesem Zusammenhang eine Strafanzeige der Volkswagen AG ohne Benennung eines Beschuldigten eingegangen. Zielrichtung der Ermittlungen ist insbesondere die Klärung der Verantwortlichkeiten.
Eine gleichlautende Mitteilung hatten Vertreter der Staatsanwaltschaft Braunschweig im Rahmen einer Pressekonferenz gemacht.
Daraufhin setzte weltweit eine umfassende Berichterstattung darüber ein, dass gegen Prof. Dr. Martin Winterkorn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen der „VW-Abgasaffäre“ eröffnet worden sei.
Unter dem Datum des 29. September 2015 veröffentlichte die Staatsanwaltschaft Braunschweig dann zu dem gleichen Sachverhalt folgende Pressemitteilung:
„Die Staatsanwaltschaft Braunschweig, Zentralstelle für Wirtschaftsstrafsachen, hat aufgrund von Strafanzeigen im Zusammenhang mit der ‚Abgasaffäre‘ ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Der Schwerpunkt der Ermittlungen liegt auf dem Vorwurf des Betruges durch den Verkauf von Kraftfahrzeugen mit manipulierten Abgaswerten. Weiter ist in diesem Zusammenhang eine Strafanzeige der Volkswa
Zielrichtung der Ermittlungen ist insbesondere die Klärung der Verantwortlichkeiten. Da namentlich gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Martin Winterkorn Anzeige erstattet wurde, erfolgt auch diesbezüglich die Prüfung eines Anfangsverdachts. Bei Vorliegen eines Anfangsverdachts besteht die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Der Anfangsverdacht muss jedoch auf konkreten Tatsachen beruhen, wobei offenkundige Tatsachen des Zeitgeschehens eine Rolle spielen können.
Die Pressemitteilung vom Vortag war fortan nicht mehr auffindbar und abrufbar, und die neue Pressemitteilung ist nicht als Korrektur der vorangegangenen gekennzeichnet worden.
Unter dem Titel „Griff Rot-Grün zugunsten Winterkorns ein?“ berichtete die Braunschweiger Zeitung am 7. Oktober 2015, dass bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen den ehemaligen VWVorstandsvorsitzenden Winterkorn ein Verfahren unter dem Aktenzeichen 411 Js 46675/15 geführt werde. Unter dem Js-Aktenzeichen werden bei den Staatsanwaltschaften üblicherweise die Ermittlungsverfahren geführt, hingegen sogenannte Vorermittlungen - wenn überhaupt - unter dem ARAktenzeichen geführt werden.
1. Ist es zutreffend, dass gegen den ehemaligen VW-Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Winterkorn bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig ein Verfahren unter einem Js-Aktenzeichen geführt wird?
2. Gab es seitens der Landesregierung im Hinblick auf die Frage, ob Herr Prof. Dr. Winterkorn als Beschuldigter zu führen ist, mündlich oder schriftlich Kontakt zur Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig oder der Staatsanwaltschaft Braunschweig oder auch umgekehrt? Wenn ja, wann, durch wen, in welcher Form und mit welchem Inhalt?
3. Unter welchem Aktenzeichen wurden sogenannte Vorermittlungen zur Klärung des Vorliegens eines Anfangsverdachts bei den niedersächsischen Staatsanwaltschaften in der Vergangenheit geführt, z. B. im Verfahren gegen Bundespräsident
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Birkner. - Für die Landesregierung antwortet die Justizministerin Frau Niewisch-Lennartz. Bitte sehr! Ich erteile Ihnen das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ist mit Ermittlungen um die sogenannte Abgasaffäre seit der öffentlichen Berichterstattung hierzu befasst. In diesem Zusammenhang sind bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig, seit dem 21. September 2015, mehrere Strafanzeigen eingegangen, von denen sich einige gegen Herrn Prof. Dr. Winterkorn richten. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig prüft seitdem im Rahmen von Vorermittlungen einen strafrechtlichen Anfangsverdacht gegen Herrn Prof. Dr. Winterkorn.
Die Anzeigen sind bei der Staatsanwaltschaft in das Register für Strafsachen mit einem sogenannten Js-Aktenzeichen eingetragen worden. Grundlage für die Eintragung war § 47 Abs. 1 Satz 2 der Anweisung für die Verwaltung des Schriftguts bei den Geschäftsstellen der Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Staatsanwaltschaften, also der Aktenordnung.
Danach sind Strafanzeigen unabhängig von einem Anfangsverdacht gegen die von dem Anzeigenerstatter beschuldigte Person in das Js-Register für Strafsachen und Bußgeldsachen einzutragen. In der Aktenordnung wird insoweit nicht zwischen Vorermittlungsverfahren und Ermittlungsverfahren nach Bestätigung eines Anfangsverdachts unterschieden.
Bislang ist gegen Herrn Prof. Dr. Winterkorn kein Ermittlungsverfahren in diesem Sinne eingeleitet worden.
Ein solches Ermittlungsverfahren setzt gemäß § 152 Abs. 2 der Strafprozessordnung zureichende, tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme eines Anfangsverdachts gegen Herrn Prof. Dr. Winterkorn voraus. Diese Prüfung war am 28. September 2015 noch nicht abgeschlossen und dauert auch heute noch an.
Seit dem 25. September 2015 sind bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig zahlreiche Presseanfragen eingegangen, ob dort Strafanzeigen gegen Herrn Prof. Dr. Winterkorn vorlägen. Die Pressestelle der Staatsanwaltschaft sah sich daher veranlasst, dazu am 28. September eine Presseerklärung herauszugeben, in der die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Herrn Prof. Dr. Winterkorn mitgeteilt wurde.
Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Pressemitteilung vom 28. September nicht ausreichend klargestellt, dass aufgrund mehrerer Strafanzeigen unter einem Js-Aktenzeichen nur ein Anfangsverdacht geprüft werde. Dadurch ist in der Öffentlichkeit bedauerlicherweise der falsche Eindruck entstanden, dass gegen Herrn Prof. Dr. Winterkorn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt werde. Dies bedauert die Staatsanwaltschaft Braunschweig sehr und hat sich dafür entschuldigt.
Die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft ist diesem Eindruck mit zahlreichen Interviews in Radio, Fernsehen und Presseorganen am gleichen Tag entgegengetreten und hat dabei nachdrücklich klargestellt, dass der Anfangsverdacht im Rahmen des angelegten Js-Verfahrens noch geprüft werde.
Lassen Sie mich an dieser Stelle eindeutig sagen, dass auch ich den Fehler der Staatsanwaltschaft Braunschweig in höchstem Maße bedauerlich finde.
Aufgrund der Medienberichterstattung erhielt mein Haus Kenntnis von der Pressemitteilung und forderte diese bei der Pressestelle der Staatsanwaltschaft Braunschweig an. Diese traf per Mail um 13.50 Uhr ein.
Der Sachverhalt ist parallel dazu in der Fachabteilung des MJ am Nachmittag des 28. September in einem Telefonat zwischen dem Leiter der Strafrechtsabteilung und dem Generalstaatsanwalt in Braunschweig erörtert worden. Der Generalstaatsanwalt in Braunschweig setzte den Leiter der Strafrechtsabteilung im Niedersächsischen Justizministerium dabei von dem Umstand in Kenntnis, dass entgegen der Presseerklärung der Staatsanwaltschaft Braunschweig von diesem Tage tatsächlich noch kein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war.
Nach Erhalt der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft führte der Leiter der Abteilung Strafrecht noch zwei weitere Telefonate mit der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig, in denen er um Richtigstellung bat. Außerdem gab es am Abend
des 28. September je eine SMS des Leiters der Abteilung Strafrecht und des Generalstaatsanwalts zu diesem Thema, nämlich zu der Presseberichterstattung.
Hintergrund dieser Kontakte war, dass die falsche Presseerklärung der Staatsanwaltschaft Braunschweig weiterhin unberichtigt auf der Internetseite der Staatsanwaltschaft zu lesen war. Diesen Umstand nahm auch die Staatssekretärin des Justizministeriums am späten Nachmittag des 28. September und am Abend des 29. September 2015 zum Anlass, den Generalstaatsanwalt zu bitten, dem in der Öffentlichkeit entstandenen falschen Eindruck entgegenzuwirken und die Pressemitteilung zu korrigieren.
Am späten Nachmittag oder frühen Abend des 28. September 2015 wurde die Pressemitteilung schließlich von der Homepage der Staatsanwaltschaft Braunschweig entfernt.
Am 29. September erfolgte durch die Staatsanwaltschaft Braunschweig eine Korrektur in Form einer Pressemitteilung. Inhaltlich deckte sich die neue Pressemitteilung mit den Interviews vom Vortag. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat diese Presseerklärung lediglich im Internet veröffentlicht. Ein Versand über den Pressemailverteiler unterblieb.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat zwischenzeitlich gegenüber der Pressestelle des MJ dazu mitgeteilt, man sei davon ausgegangen, dass die meisten Redaktionen ohnehin über neu eingestellte Mitteilungen auch jeweils über den Google Alert eine Nachricht erhalten.
Am 1. Oktober 2015 erfolgte eine Entschuldigung der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Sie bedauerte die Irritationen, die sie im Zusammenhang mit der VW-Abgasaffäre durch missverständliche Pressearbeit hervorgerufen hatte. Der Generalstaatsanwalt aus Braunschweig hat sich mit Schreiben vom 1. Oktober bei Prof. Dr. Winterkorn für die missverständliche Presseerklärung entschuldigt und klargestellt, dass lediglich eine Prüfung eines strafrechtlichen Anfangsverdachts stattfindet.
Zwischenzeitlich wurde seitens der Generalstaatsanwaltschaft das für die zukünftige Pressearbeit Notwendige veranlasst. Unter anderem verstärkt ein in der Öffentlichkeitsarbeit erfahrener Ober
Damit vergleichbare Fehler künftig vermieden werden, habe ich alle Pressesprecher der niedersächsischen Staatsanwaltschaften eingeladen, um sie für die Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit noch besser zu sensibilisieren und die Zusammenarbeit künftig besser zu koordinieren. Zusätzlich habe ich die Prüfung einer Änderung der Aktenordnung und des entsprechenden Formularwesens veranlasst.
Unabhängig von diesen Maßnahmen steht für die Landesregierung außer Frage, dass in einem Rechtsstaat strafrechtliche Verfahren ohne Ansehen der beteiligten Personen und ohne politische Einflussnahme von den zuständigen Staatsanwaltschaften in eigener Verantwortung geführt werden.
In diesem Zusammenhang obliegt es allein den zuständigen Staatsanwaltschaften, zu entscheiden, ab welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen eine bestimmte Person vorliegen. Ich betone - wenn das überhaupt noch erforderlich ist - an dieser Stelle noch einmal nachdrücklich, dass weder ich selbst noch meine Staatssekretärin, noch sonst jemand aus meinem Haus Einfluss auf die Frage genommen haben und auch in Zukunft nicht tun werden, ob gegen Herrn Prof. Dr. Winterkorn ein Ermittlungsverfahren geführt wird.
Zu Frage Nr. 3 verweise ich ebenfalls zunächst auf das schon Gesagte und ergänze: Anträge auf Strafverfolgung und eingehende Anzeigen, die sich gegen eine bestimmte Person richten, sind nach der Aktenordnung bei der Staatsanwaltschaft in das Register für Strafsachen und Bußgeldsachen einzutragen und erhalten ein Js-Aktenzeichen. Dies geschieht unabhängig von einem Anfangsverdacht gegen die von dem Anzeigeerstatter beschuldigte Person.