Protokoll der Sitzung vom 15.10.2015

Nachdem im Verhältnis zwischen Bund und Ländern seit dem Flüchtlingsgipfel am 24. September 2015 ein höheres Maß an Klarheit darüber besteht, hat die Niedersächsische Landesregierung umgehend Gespräche mit der kommunalen Ebene in Niedersachsen begonnen, die noch im Gange sind. Für die Kommunen ist im zweiten Nachtragshaushalt eine Vorauszahlung in Höhe von 250 Millionen Euro vorgesehen. Gegenüber dem ursprünglichen Entwurf des zweiten Nachtrags konnte der Betrag aufgrund der zusätzlichen Zahlung des Bundes in diesem Jahr noch einmal deutlich gesteigert werden. Diese Zahlung schafft Liquidität und entlastet die Kommunen wenigstens in diesem Feld im Vorgriff auf die möglichen Änderungen des Aufnahmegesetzes, die derzeit Gesprächsgegenstand mit den Kommunalen Spitzenverbänden sind.

Insgesamt zahlt das Land 2015 an die Kommunen einen Betrag von 119 Millionen Euro aus der Erstattung nach bisheriger Rechtslage. Weitere 120 Millionen Euro gehen in Richtung Kommunen als Soforthilfe und 44 Millionen Euro als Erstattung für

unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. In der Summe sind das rund 283 Millionen Euro, die vom Land an die Kommunen geleistet werden. Das sind 100 Millionen Euro mehr, als das Land vom Bund in diesem Jahr erhält, meine Damen und Herren. Das spricht eine deutliche Sprache.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Hinzu kommt die Vorauszahlung an die Kommunen in Höhe von 250 Millionen Euro, die ich gerade erwähnt hatte.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Das ist nur eine Vorauszahlung!)

Ein vergleichbar großer Ausgabenblock wird für die landeseigenen Maßnahmen gestemmt - auch das darf in Erinnerung gerufen werden -, und zwar ohne Bundesmittel, sondern allein aus eigenen Landesmitteln. Der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen werden in diesem Jahr insgesamt über 200 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Hinzu kommen 80 Millionen Euro für notwendige Baumaßnahmen. Weitere 25 Millionen Euro werden über den Grundhaushalt 2015 hinaus zusätzlich bereitgestellt, insbesondere für die Integration der Flüchtlinge durch Maßnahmen der Sprachförderung oder Flüchtlingssozialarbeit.

Die Dynamik, meine Damen und Herren, ist weiterhin ungebrochen und enorm. In dieser Lage vollzieht die Niedersächsische Landesregierung mit dem zweiten Nachtragshaushalt - auch dank Ihrer Unterstützung - einen finanziellen Kraftakt. Dies wird auch für den Haushalt 2016 gelten. Wir sind nicht am Ende des Weges, sondern am Anfang.

Hier wird es im Rahmen der parlamentarischen Beratungen noch einigen Nachsteuerungsbedarf geben. Das betrifft neben der Justierung der Anteile von Bund, Ländern und Kommunen auch die Zukunft der Notaufnahmekapazitäten. Hierfür wird ebenso eine Anschlussfinanzierung erforderlich sein wie für die anderen dringenden Maßnahmen, die mit dem zweiten Nachtrag 2015 angeschoben werden.

Stichwort Sprachförderung: Mit Blick auf den Kultusbereich hat die Niedersächsische Landesregierung ein umfassendes Konzept erarbeitet, um den Flüchtlingskindern und den jugendlichen Flüchtlingen ein gutes Lernumfeld zu bieten. Dabei ist Sprache der Schlüssel zur Bildung, und deshalb ist Sprachförderung jetzt die wichtigste Aufgabe. Ziel ist es, die Kinder und die jugendlichen Flüchtlinge

so schnell wie möglich in die Lage zu versetzen, integriert am Unterricht in der Klasse teilzunehmen.

(Ulf Thiele [CDU]: Sagen Sie das mal der Kultusministerin!)

Sprachförderung und der Umgang mit Vielfalt ist Teil des Systems, meine Damen und Herren. Dies hat das Kultusministerium mit dem Runderlass „Förderung von Bildungserfolg und Teilhabe von Schülerinnen und Schülern nicht deutscher Herkunftssprache“ vom 1. Juli 2014 bereits ein Jahr nach dem Regierungswechsel vorausschauend und verbindlich geregelt.

Finanzmittel im Umfang von mehr als 700 zusätzlichen Stellen für die Förderung von Flüchtlingskindern und jugendlichen Flüchtlingen in Schulen sind im laufenden und kommenden Haushaltjahr für das Kultusministerium vorgesehen. Rund 10 Millionen Euro sollen im zweiten Nachtragshaushalt 2015 bereitgestellt werden, rund 40 Millionen Euro zusätzlich im Haushalt 2016. Mit den zusätzlichen Ressourcen sollen namentlich Sprachfördermaßnahmen an allgemeinbildenden und an berufsbildenden Schulen erweitert und ausgebaut werden.

Die zu Beginn des Schuljahres bereits auf rund 300 erhöhte Zahl der Sprachlernklassen wird angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen um weitere 250 auf ca. 550 Sprachlernklassen ansteigen. In diesen Klassen können so mehr als 8 800 Kinder und Jugendliche ohne Deutschkenntnisse auf den Regelunterricht vorbereitet werden - ein wichtiger Schritt.

Für weitere Fördermaßnahmen wie Sprachförderkurse, Sprachförderunterricht, Sprachförderkonzepte und vorschulische Sprachförderung soll der Umfang der Lehrerstunden um mindestens 7 500 Stunden erhöht werden, das sind rund 250 Stellen. Bis zu 20 Stellen von diesem Kontingent sind vorgesehen, um eine Beschulung und Betreuung von Flüchtlingskindern in Erstaufnahmeeinrichtungen zu ermöglichen.

Ferner ist zur Unterstützung der Lehrkräfte vorgesehen, mehr sozialpädagogische Fachkräfte für die schulische Sozialarbeit zur Integration junger Flüchtlinge vor allem an Ganztagsschulen einzusetzen. Es handelt sich hierbei um 100 Stellen.

Die berufsbildenden Schulen werden ebenfalls mit 100 zusätzlichen Stellen ausgestattet. Für die Schulen wird ein Schulversuch eingerichtet mit dem Ziel, jugendliche Flüchtlinge möglichst schnell

und intensiv mit der deutschen Sprache, dem Kultur- und Berufsleben vertraut zu machen.

Den Schulen wird neben dem bereits bestehenden Berufsvorbereitungsjahr damit die Möglichkeit gegeben, im Sinne eines Kompetenzzentrums in dieser Situation angemessen und flexibel zu agieren und auf diese Weise auch jungen Flüchtlingen unabhängig von der Schulpflicht eine Teilnahme zu ermöglichen - auch das ein ganz, ganz wichtiger Schritt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Niedersächsische Landesregierung steht - das muss nicht betont werden, aber darf in einer solchen Sitzung ruhig betont werden - für eine zukunftsorientierte Flüchtlings-, Asyl- und Ausländerpolitik.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Diese umfasst u. a. Konzepte für die Unterstützung der Kommunen bei der Aufnahme der Flüchtlinge, sichert Beratungsstrukturen und unterstützt das ehrenamtliche Engagement vor Ort.

Bereits im Jahr 2014 wurden landesweit „Koordinierungsstellen Migration und Teilhabe“ auf der kommunalen Ebene eingerichtet. Zweck ist die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse und einer chancengerechten Teilhabe in unserem Flächenland Niedersachsen sowie die landesweite Etablierung eines lokalen Migrations- und Teilhabemanagements für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte.

Damit wird ein Ziel verfolgt, das klar formuliert ist, nämlich die Umsetzung einer zukunftsorientierten Migrations- und Teilhabepolitik des Landes Niedersachsen als einer gesellschaftlichen Querschnittsaufgabe unter Einbeziehung aller Menschen in Niedersachsen zu steuern und durch Festlegung gemeinsamer Standards nachhaltig zu gestalten. Ziel ist auch eine noch bessere Vernetzung der Gebietskörperschaften auf Landkreisebene, um den Austausch und die Zusammenarbeit der kreisangehörigen Kommunen in diesem Bereich zu erhöhen.

Über eine Richtlinie fördert das Land seit 2014 landesweit Koordinierungsstellen im Umfang von 1,44 Millionen Euro jährlich. Von 48 antragsberechtigten Gebietskörperschaften haben in diesem Jahr 47 eine solche Koordinierungsstelle einge

richtet und erhalten die entsprechende Förderung einer halben Personalstelle.

Durch die Migrationsberatung, also die vom Land geförderte Beratung im Rahmen der Flüchtlingssozialarbeit sowie die allgemeine Arbeit der Integrationsberatungsstellen, wird ein flächendeckendes Beratungsangebot für zugewanderte und zuwandernde Menschen als Ergänzung zur vom Bund finanzierten Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer und den Jugendmigrationsdiensten gewährleistet.

(Jens Nacke [CDU]: Sie können auf- hören, die Stunde ist um!)

- Wenn Sie eine so umfassende Frage stellen, bin ich in der Pflicht, Ihnen eine umfassende Antwort zu geben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Um den Beratungsstandard angesichts der anhaltend hohen Zugangszahlen annähernd halten zu können, ist eine wesentliche Erhöhung der Haushaltsmittel für die Migrationsberatung und somit eine Ausweitung der bestehenden oder Einrichtung von neuen Beratungsstellen zwingend notwendig. Diesem Bedarf wird durch den zweiten Nachtragshaushalt 2015 Rechnung getragen.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Zu spät, Herr Minister!)

Die fortgesetzte Förderung der Integrationslotsinnen und Integrationslotsen leistet einen ganz wichtigen Beitrag zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher Potenziale auf kommunaler Ebene. Es ermöglicht die Professionalisierung der freiwilligen Migrationsarbeit, es fördert gezielt das ehrenamtliche Engagement in dieser Arbeit. Die Teilnahme an einer Qualifizierungsmaßnahme befähigt die ehrenamtlich Tätigen, gezielt zu helfen, ohne sich selbst zu überfordern - auch das ist ein Aspekt, der immer mehr an Bedeutung gewinnt.

Die Qualifizierung der ehrenamtlichen Integrationslotsinnen und Integrationslotsen wird seit dem Jahr 2007 bereits landesweit finanziell gefördert. Die Richtlinie ist gültig bis zum 31. Dezember 2019. Im Haushaltsjahr 2015 stehen zur finanziellen Förderung der Qualifizierungsmaßnamen 130 000 Euro zur Verfügung.

Im Rahmen des Nachtragshaushalts stellt das Land Niedersachsen darüber hinaus zusätzlich noch in 2015 insgesamt 1 Million Euro zur Unter

stützung des ehrenamtlichen Engagements in der Flüchtlingshilfe zur Verfügung.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Johanne Modder [SPD] - Filiz Po- lat [GRÜNE]: Sehr gut!)

Eine zentrale Bedeutung hat die erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt. Die Niedersächsische Landesregierung hat diese Herausforderung sehr entschlossen angenommen und im Rahmen der Fachkräfteinitiative Niedersachsen bereits frühzeitig einen ständigen Austausch mit den relevanten Arbeitsmarktpartnern etabliert - darunter die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, kommunale Spitzenverbände, Organisationen der Flüchtlingsarbeit und insbesondere auch die Spitzenverbände der Wirtschaft, also die Kammern und der UVN. Des Weiteren hat die Niedersächsische Landesregierung die seit November 2014 bestehenden rechtlichen Möglichkeiten eines erleichterten Arbeitsmarktzugangs für Asylsuchende und Flüchtlinge genutzt und verschiedene Maßnahmen ergriffen, die sich als Kette der Arbeitsmarktintegration darstellen. Dazu gehört es, die Kompetenzen zu erkennen.

Seit Juni 2015 läuft das Kooperationsprojekt mit der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen der Bundesagentur für Arbeit. Das Ziel ist, Potenziale und Kompetenzen von Asylsuchenden und Flüchtlingen frühzeitig zu erkennen, idealerweise bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes zu erfassen. Zugegebenermaßen ist das zurzeit bei der Überbelegung schwer durchzusetzen.

Seit 1. Oktober 2015 besteht die Möglichkeit einer kostenlosen Beförderung im ÖPNV für Asylsuchende im Landkreis des Sitzes der Erstaufnahmeeinrichtung. Die Fahrtberechtigung wird durch den Hausausweis der Erstaufnahmeeinrichtung legitimiert. Das Land zahlt den Verkehrsunternehmen hierfür einen Ausgleich aus Regionalisierungsmitteln. Es handelt sich zugleich um eine Maßnahme der Willkommenskultur.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Aktuell - dabei geht es um die handwerkliche Ausbildung der Flüchtlinge - befindet sich ein Modellprojekt aller sechs Handwerkskammern in Niedersachsen zur Nachwuchsgewinnung im Handwerk in Vorbereitung, das vom Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr gefördert wird.

Damit soll die Gewinnung jüngerer Asylsuchender und Flüchtlinge mit Interesse an Handwerksberufen für eine Handwerksausbildung im Ausbildungsjahr 2016/2017 u. a. durch Berufsorientierung, Eignungsfeststellung und Praktikumsvermittlung unterstützt werden. Projektstart ist der 1. November 2015.

Darüber hinaus plant das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr gemeinsam mit dem IQ-Netzwerk Niedersachsen ein Modellprojekt für die Erprobung des Deutscherwerbs über EDV-gestützte audiovisuelle Sprachkurse. Diese Maßnahme ist insbesondere auch von Interesse für die Durchführung an dezentralen Standorten, wo gegebenenfalls kein ausreichendes Angebot an Regelkursen vorgehalten werden kann.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Im Juli und August 2015 hat die NBank darüber hinaus ein Interessenbekundungsverfahren für Bildungsträger zur Beantragung von Fördermitteln im Rahmen der ESF-Förderrichtlinie „Qualifizierung und Arbeit“ des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr für Qualifizierungsprojekte für Arbeitslose durchgeführt. Ein Förderschwerpunkt dabei ist die Zielgruppe der Migrantinnen und Migranten, insbesondere der Asylsuchenden und Flüchtlinge. Derzeit findet die Antragsberatung durch die NBank statt. Stichtag für die Antragseinreichung ist der 16. November 2015.

Zur Frage 2. Wie groß ist die Aufnahmekapazität Niedersachsens bei der Aufnahme von Flüchtlingen zum 30. September 2015?

Laut Bestandsmeldung vom 30. September 2015 betrug die Aufnahmekapazität in den Erstaufnahmeeinrichtungen und den Notunterkünften des Landes zum Stichtag 19 683 Unterbringungsplätze.

Zur Frage 3. Sieht die Landesregierung in der konsequenten Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern eines der Mittel zur Lösung der Krise?