Protokoll der Sitzung vom 15.10.2015

Zur Frage 3. Sieht die Landesregierung in der konsequenten Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern eines der Mittel zur Lösung der Krise?

Nach Auffassung der Niedersächsischen Landesregierung ist die konsequente Durchsetzung der Ausreisepflicht von abgelehnten Asylbewerbern ein wichtiger Beitrag, um die gegenwärtigen Herausforderungen zu bewältigen. Hierzu zählt - soweit nicht erfolgreich auf eine freiwillige Ausreise hingewirkt werden kann - auch die zwangsweise Rückführung. Insgesamt ist allerdings eine differenzierte Betrachtungsweise erforderlich:

Ein Großteil - das wird in der aktuellen Debatte leider häufig übersehen - der aktuell - z. B. aus Syrien, Irak und Eritrea - nach Deutschland einreisenden Flüchtlinge hat exzellente Chancen auf einen langfristigen Aufenthalt. Insoweit hat sich die Situation gegenüber dem ersten Halbjahr 2015, als noch etwa jede bzw. jeder zweite Asylsuchende aus Staaten mit sehr geringer Anerkennungsquote nach Deutschland kam, grundlegend gewandelt.

(Vizepräsidentin Karl-Heinz Klare über- nimmt den Vorsitz)

Nichtsdestotrotz haben sich Bund und Länder bei der Verabredung des Aktionsplans am 18. Juni und erneut beim Flüchtlingsgipfel am 24. September u. a. darauf verständigt, die Aufenthaltsbeendigungen zu beschleunigen und, um bei vollziehbarer Ausreisepflicht zügig die Rückführung zu veranlassen, verstärkt zusammenzuarbeiten. So der Wortlaut der Vereinbarung vom 24. September.

Die Niedersächsische Landesregierung trägt diese Ergebnisse der Besprechungen der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und -chefs der Länder zur Asyl- und Flüchtlingspolitik selbstverständlich mit, was z. B. auch an der vorausgegangenen Teilnahme an sogenannten KosovoProjekten zum Ausdruck gebracht worden ist.

Die Abschiebung ist von der Ausländerbehörde einzuleiten, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und die freiwillige Ausreise nicht gesichert ist. Die Entscheidung über das Ob einer Abschiebung steht mithin nicht im Ermessen der Ausländerbehörde, sondern ist bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen eine zwingende Rechtsfolge.

Zum Wie des Abschiebungsvollzugs hat die Niedersächsische Landesregierung entsprechende rechtliche Hinweise gegeben und verfahrensmäßige Vorgaben im September erneuert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus all dem wird deutlich - um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen -: Ja, die Landesregierung hat ein sehr umfassendes und überzeugendes Konzept für die Bewältigung der Flüchtlingskrise. Allerdings ist diese Flüchtlingskrise kein einfaches Projekt, das man mit einem einmal gefassten Beschluss oder Konzept auf Dauer wird bewältigen können.

Darüber, meine Damen und Herren, sollten wir schnellstmöglich bundes- und landesweit einen Konsens herstellen; denn wenn wir den Menschen sagen, wir schaffen das - eine Aussage, die ich teile -,

(Jens Nacke [CDU]: Sie schaffen es nicht!)

muss man den Menschen auch sagen, wie. Man muss den Menschen auch sagen, dass es nicht leicht wird und dass sich die Gesellschaft verändern wird. Denn wenn innerhalb eines Jahres 1 Million Flüchtlinge kommen, wird es nicht mehr in den üblichen Formen weitergehen wie bisher.

Erst dann, wenn wir das gemeinsam als Konsens feststellen, werden wir der Aussage der Kanzlerin wirklich zur Geltung verhelfen, nämlich: „Wir schaffen das.“ Mit den alten Konzepten, den alten Schuldzuweisungen und den alten Reflexen werden wir dieses Problem nicht nur nicht bewältigen, sondern wir werden auch die Gesellschaft in ihrer Struktur und ihrem Zusammenhalt gefährden, meine Damen und Herren.

(Starker, nicht enden wollender Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister, für die Beantwortung. - Uns liegt nun eine Reihe von Wortmeldungen für Zusatzfragen vor. Die erste Frage stellt der Kollege Jörg Bode. Bitte schön, Herr Bode!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Pistorius, vor dem Hintergrund, dass in der heutigen Ausgabe der Celleschen Zeitung darüber berichtet, spekuliert oder gemutmaßt wird, dass die Stadt Celle mit dem Land Niedersachsen auf freiwilliger Grundlage einen Vertrag über die Einrichtung einer Erstaufnahmeeinrichtung schließen und hierfür die Kaserne Hohe Wende nutzen wird - mit dem elementaren Ziel, das Zeltlager in Scheuen räumen zu können und künftig nicht mehr zu nutzen -, und vor dem Hintergrund, dass die Cellesche Zeitung dieses Vorhaben mit den Worten „man solle das ruhig machen; denn schlechter als unter dem Land kann es dann auch nicht werden“ kommentiert, frage ich die Landesregierung: Wie sind hier der aktuelle Sachstand und der Zeitplan, und welche der Aussagen werden wann wie eintreten?

Herr Minister, bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann bestätigen, dass es diese Ansage aus Celle gibt. Die Vertragspartner - die Stadt Celle und aus meinem Haus die Abteilungen 3 und 6 - verhandeln gerade darüber, wie die Ausgestaltung aussehen kann. Mehr kann ich im Augenblick nicht sagen.

(Jörg Bode [FDP]: Scheuen würde dann aufgegeben?)

- Unser Ziel ist, jeden Standort, der nicht winterfest ist und durch andere ersetzt werden kann, schleunigst aufzugeben. Das ist unser erklärtes Ziel, und das gilt auch für Scheuen.

Die nächste Zusatzfrage stellt die Frau Kollegin Jahns.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der NWZ vom 6. Oktober 2015 findet sich eine Kritik des Präsidenten des niedersächsischen Roten Kreuzes dahin gehend, dass die NABK nur kurzfristig für die Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung stand. Vor dem Hintergrund, dass es Kritik daran gegeben hat, dass die Landesregierung die Unterbringung von Flüchtlingen dort wieder zurückgenommen hat, frage ich Sie: Wie kurzfristig war denn die Unterbringung dort gedacht? Konnte das Rote Kreuz davon ausgehen, dass es eine längerfristige Unterbringung geben wird?

Herr Minister!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach meinem Kenntnisstand konnte das Deutsche Rote Kreuz nicht davon ausgehen, dass dort eine längerfristige Unterbringung stattfinden wird; denn es lag auch nicht in unserem eigenen Interesse, dies dort auf Dauer zu machen. Für wie lange und von welchen Fristen das DRK ausgegangen ist, kann ich Ihnen leider nicht sagen.

(Jens Nacke [CDU]: Das ist nicht die Wahrheit!)

Danke schön. - Die nächste Frage stellt Editha Lorberg, CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wird die Landesregierung morgen im Bundesrat für den gemeinsamen Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD zur Beschleunigung von Asylverfahren stimmen?

(Zustimmung bei der CDU - Ottmar von Holtz [GRÜNE]: Wo waren Sie denn die ganze Zeit? - Christian Grascha [FDP]: Sehr gute Frage! - Ottmar von Holtz [GRÜNE]: Guten Morgen! - Weitere Zurufe)

Herr Minister!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie hätten mich jetzt sehr enttäuscht, wenn Sie diese Frage nicht gestellt hätten.

(Lachen und Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Um diese Frage zu beantworten, schicke ich zwei, drei, vier, fünf Vorbemerkungen vorweg.

(Heiner Schönecke [CDU]: Einfach Ja oder Nein!)

- Bei Ihnen mag die Welt ja so sein: schwarz oder weiß, ja oder nein. Die Realität ist aber eine andere.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU)

- Wenn Sie die Antwort auf die selbst gestellte Frage antizipieren wollen, kann ich mich wieder hinsetzen.

(Jens Nacke [CDU]: Ja, machen Sie das und schicken Sie den Minister- präsidenten hierher! - Beifall bei der CDU - Unruhe)

- Dann setze ich mich wieder hin!

Herr Minister, Entschuldigung! - Meine Damen und Herren, wir gewährleisten hier einen ordnungsgemäßen Ablauf der Sitzung. Wenn eine Frage gestellt wird, hat der Minister die Möglichkeit, das zu

antworten, was er möchte. Das ist aber nicht unbedingt das, was der jeweilige Fragesteller hören möchte. Es tut mir leid. Wir werden darauf achten, dass das jetzt bei allem Respekt vor der Emotionalität, in der diese Debatte geführt wird, ordnungsgemäß abläuft.

Der Minister hat jetzt das Wort, und er wird seine Antwort auch zu Ende führen können. Bitte schön!

Ich will daran erinnern, woher wir kommen. Das wird nämlich gelegentlich vergessen. Wir hatten am 24. September diesen Gipfel. Dort sind etliche, viele Vereinbarungen getroffen worden, die meine volle Zustimmung finden.

(Jörg Bode [FDP]: Meine auch!)

Das Wichtigste war die Frage der finanziellen Ausgestaltung der Flüchtlingskrise, die angemessene Beteiligung des Bundes an dieser finanziellen Ausgestaltung. Das war eine schon lange, lange erhobene Forderung aller Bundesländer. Dieser Forderung ist nachgekommen worden aufgrund des entsprechenden Druckes und der Verhandlungsergebnisse, die die Ministerpräsidenten dort erzielt haben. Dafür sage ich namens des Innenministeriums, namens der Landesregierung Danke, weil es höchste Zeit wurde. Das ist zunächst einmal der Kern dieses Gesetzentwurfs.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Darüber hinaus, meine Damen und Herren - ich habe das vorhin in meinen Ausführungen schon beschrieben -, gab es im Ergebnis des Gipfels eine Aussage z. B. zu der Frage, dass man bei Abschiebungen und Rückführungen besser zusammenarbeiten wolle.

Tatsächlich hat der Bundesinnenminister dann ohne vorherige Ankündigung oder Abfrage bei den Gipfelteilnehmern u. a. daraus gemacht, dass keine Abschiebungen mehr angekündigt werden dürfen, ohne jede Möglichkeit bei den Ausländerbehörden, Ermessen auszuüben. Das ist ein einzigartiger Vorgang.

Es gibt viele andere Regelungen in dem Gesetz, die man kritisch oder aber auch zustimmend sehen kann. Ich sage dazu aus meiner Perspektive: Ein Gesetzentwurf, der auf der Grundlage eines Kompromisses entwickelt wurde, ist gewissermaßen - wie soll ich es sagen? - die Reinkarnation der Weisheit: Wer Prinzen haben will, muss Frösche

küssen. - In diesem Gesetzentwurf stehen etliche Dinge, die mich stören.

(Jens Nacke [CDU]: Aber sonst geht es Ihnen gut! - Heiterkeit bei der FDP)

- Darf ich bitte zu Ende ausführen, Herr Nacke? - Mir geht es glänzend.