Protokoll der Sitzung vom 11.11.2015

Dem viel beklagten Politikverdruss können wir - davon bin ich überzeugt - durch Bürgerbeteiligung insofern begegnen, als wir Bürgerinnen und Bürger, so wie wir es gewagt haben, an Entscheidungen für Großprojekte beteiligen. Es gibt so viele gut ausgebildete, kluge, kreative und engagierte Menschen in diesem Land, die nicht in eine politische Partei gehen möchten, die aber trotzdem etwas zu sagen haben und deren Unterstützung wir alle brauchen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Beteiligungsprojekte unterstützen demokratische Partizipation, wenn am Ende gewährleistet ist - auch das ist wichtig -, dass das Ergebnis von den Entscheidungsträgerinnen und -trägern akzeptiert und übernommen wird. Das, meine Damen und Herren, ist nicht unbedingt üblich. In den Kommunalverfassungen kennen wir Bürgerbeteiligungsverfahren. Bindend sind die Entscheidungen aber nicht. Der Rat entscheidet am Ende.

Die Zusage des Staatssekretärs Ferlemann aus dem Bundesverkehrsministerium, das Ergebnis werde, wie vom Forum beschlossen, genau so in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen, das alte Ypsilon sei damit tot, ist die Anerkennung und die Akzeptanz der ehrenamtlich geleisteten Arbeit. Vielleicht haben einige Akteure aus dem Dialogforum nun tatsächlich mehr Lust auf Politik bekommen? - Das moderierte Verfahren könnte diese Lust geweckt haben. Einander zuzuhören, sich nicht gegenseitig fertigzumachen, sich Zeit für schwierige Fragen zu nehmen, lösungsorientiert zu arbeiten, Gemeinsamkeiten zu entdecken, den Andersdenkenden zu respektieren, Überzeugungen zu hinterfragen, Selbstkritik zu üben - auch das ist Politik.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In der Rolle der Lehrerin könnte ich abschließend bewertend sagen: Methodenkompetenz in Form von selbstorganisierten Kleingruppenprozessen im Grundsatz dank einer auffallend guten Lerngruppe gelungen, Handlungsorientierung sowie zeitweilige frontale Unterrichtsformen wurden adäquat angewandt, die Einbeziehung externer Fachkompetenz hätte vielleicht frühzeitiger erfolgen können, Medienkompetenz hervorragend, Frauenquote von 30 % nicht annährend erreicht.

Trotzdem: Das Dialogforum hat Maßstäbe für Beteiligungsprozesse gesetzt. Rot-Grün kann auch das. Ich hoffe auf weitere.

Danke fürs Zuhören.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Menge. - Für die CDU-Fraktion folgt jetzt der Kollege Dirk Toepffer.

(Unruhe)

- Meine Damen und Herren, bitte lassen Sie doch etwas Ruhe einkehren! Dann haben wir alle es leichter. - Bitte sehr, Herr Toepffer!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn es mir zugegebenermaßen schwerfällt, muss ich an dieser Stelle zunächst den Wirtschaftsminister loben. Herr Lies, ich gehörte zu denjenigen, die der Meinung waren, das würde niemals funktionieren, es würde niemals zu einer Entscheidung kommen. Sie haben es trotzdem gewagt. Dafür mein Lob und meine Anerkennung!

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nun will ich aber nicht zu viel loben. Frau Menge hat in der Tat schon den einen oder anderen Kritikpunkt und Verbesserungsmöglichkeiten des Verfahrens angesprochen. Ich fange einmal mit Folgendem an: Ich weiß eigentlich bis heute nicht, wer genau bei diesem Dialogforum überhaupt mitgewirkt hat und wie die betreffenden Personen ausgewählt worden sind. Jedenfalls im Internet kann man das nicht feststellen. Ich denke, an der Transparenz müssen wir arbeiten.

Ich habe mir von solchen, die dabei waren, sagen lassen, dass auch die Meinungsbildung bzw. Abstimmung - es gab ja nachher doch so etwas wie eine Abstimmung - eher zufällig herbeigeführt worden ist. Es gab wohl einige sehr couragierte Forumsmitglieder, die gesagt haben: Wir wollen jetzt aber eine Entscheidung treffen. - Die haben dann mit der Rückendeckung der Kommunalparlamente den betroffenen Bereichen gesagt: Wir werden jetzt eine Meinungsbildung herbeiführen. - Diesen kommunalpolitisch Tätigen, denke ich, gilt unsere Anerkennung und unser Lob. Vielen Dank dafür, dass man eine Entscheidung getroffen hat!

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Das war sehr mutig, Herr Lies, und nun müssen Sie ebenso mutig weitermachen. Die Meinungsbildung wurde an gewisse Bedingungen geknüpft: Bereich Lärmschutz, Bereich Eisenbahnkreuzungen. Wir alle wissen, jetzt muss das Bundesrecht in weiten Teilen geändert werden. Ich denke, Sie, Herr Lies, werden die erforderlichen Bundesratsinitiativen auf den Weg bringen, und wir werden bis dahin warten und uns anderen Großprojekten widmen. Frau Menge, Sie haben es ja eben angesprochen: Das Ganze soll beispielhaft sein. - Auch Herr Lies hat gesagt: Das Forum war beispielhaft für andere Großprojekte. - Nun widmen wir uns also, während wir darauf warten, dass das Bun

desrecht geändert wird, diesen anderen Großprojekten.

Wir sollten in dem Sinne weitermachen, dass tatsächlich für das Land wichtige Entscheidungen endlich getroffen werden, damit andere wichtige Infrastrukturvorhaben endlich vorangetrieben werden. Ich denke da als Erstes - das wird Sie nicht überraschen - an die A 39. Nicht dass wir alle hier im Parlament nicht einer Meinung wären. Bis auf die grüne Mitte des Hauses wollen wir alle diese Autobahn. Wir sind uns einig. Aber skurrilerweise treffen wir keine Entscheidung, mit der wir das auch deutlich formulieren.

Ich denke, jetzt ist es an der Zeit, die Menschen draußen zu fragen. Sie haben vielleicht mehr gesunden Menschenverstand. Vielleicht wird dort tatsächlich der Mehrheitsmeinung Geltung verschafft. Deswegen denke ich, wir machen jetzt am besten weiter mit einem Dialogforum zur A 39.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das ist auch eine relativ einfache Geschichte; denn da gibt es nicht unzählige Planungsvarianten, sondern wir entscheiden einfach über zwei Dinge: Ausbau der A 39 oder - wie es die grüne Mitte des Hauses wünscht - Ausbau der B 4. Die Voraussetzungen für ein solches Dialogforum sind ja sehr gut. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat die Stimmungslage bereits abgefragt und festgestellt: 89 % der über 18-Jährigen in den betroffenen Landkreisen und der Stadt Wolfsburg kennen das Problem und wissen, worum es geht. 68 % fühlen sich bereits jetzt hervorragend informiert. 70 % - auch das muss man sagen - sind bereits für den Ausbau der A 39, nur 17 % für den Ausbau der B 4.

Frau Menge, Sie haben in Ihrer Pressemitteilung zum Thema Dialogforum Schiene Nord begrüßt, dass es mehr demokratische Partizipation geben soll.

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage von Frau Menge zu?

Aber selbstverständlich.

Auf geht‘s!

Sehr geehrter Herr Toepffer, Sie haben gerade über andere Großbauprojekte berichtet und Forderungen gestellt. Dürfen wir das als Aufforderung an die Bundesregierung auffassen, für Großbauprojekte, insbesondere für den Bundesverkehrswegeplan, andere Verfahren einzuführen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kollegin Menge, die Antwort auf diese Frage fällt mir nicht schwer. Ich habe mich bei Ihrer Rede besonders gefreut, dass Sie die derzeitige Bundesregierung in Person des Staatssekretärs Ferlemann gelobt haben. Ich denke, das spricht für sich.

(Beifall bei der CDU - Anja Piel [GRÜNE]: Das war keine Antwort!)

- Ich kann die Antwort noch deutlicher formulieren: Ich denke, die Bundesregierung hat bereits gezeigt, dass sie bereit ist, auf solche Projekte und solche Formen der Beteiligung einzugehen. Das ist doch gar keine Frage.

(Zustimmung von Björn Thümler [CDU] - Zuruf von Helge Limburg [GRÜNE])

- Soll ich es noch deutlicher formulieren, Herr Limburg, oder reicht es? - Die Uhr ist angehalten worden. Ich kann noch eine Stunde lang reden.

(Zuruf von Helge Limburg [GRÜNE])

Ich denke, ich mache jetzt weiter bei Frau Menge und ihrer Pressemitteilung, in der sie die demokratische Partizipation begrüßt hat.

Wir sollten jetzt in der Tat ein solches Dialogforum zur A 39 starten. Ich hoffe, dass die Menschen draußen dann anders agieren, als wir es hier im Landtag tun, dass sie nämlich den Mut finden, einer Mehrheitsmeinung tatsächlich Geltung zu verschaffen. Das ist das, was mich hier im Landtag tatsächlich stört, dass wir hier im Prinzip zwar eine Mehrheitsmeinung haben, die aber durch eine kleine Minderheit blockiert wird. So und nicht anders ist es.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Wie war es denn bei der Y-Trasse? Da gab es doch wohl eine Mehrheit! Und wer war dagegen?)

Wir sollten jetzt wieder der Vernunft Geltung verschaffen. Wir sollten dafür Sorge tragen, dass über

die A 39 ein Dialogforum stattfindet. Draußen wird es Ihnen sicherlich nicht so leicht gelingen, die Mehrheitsmeinung zu blockieren, wie das hier im Parlament geschehen ist. Dann wird die Vernunft wieder Einzug halten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Toepffer. - Es folgt jetzt für die Fraktion der SPD Kollege Gerd Ludwig Will. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Toepffer, Sie haben darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung auf das Vorgehen eingegangen ist. Wir würden uns wünschen, dass die Bundesregierung das Vorgehen zum Prinzip macht. Das könnte sie für die zukünftigen Projekte ja auch.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Dirk Toepffer [CDU]: Glücklicherweise sind Sie ja beteiligt!)

Frau Menge hat zum Verfahren des Dialogforums hier schon alles gesagt. Natürlich ist der Weg entscheidend, um das Ziel zu erreichen. Deswegen haben wir hier eine neue Qualität. Das ist ja auch von Ihnen begrüßt worden. Allerdings, wie üblich: ein bisschen Schiene und dann wieder A 39. Also, Sie sind in Autobahnen verliebt. Das ist Ihr Problem.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Dirk Toepffer [CDU]: 70 % der Bevölkerung!)

Wir reden eben nicht nur über Autobahnen, wir reden auch über Schiene und Wasserstraße.

Meine Damen und Herren, ich will ein paar Dinge zu den Inhalten sagen. In der Präambel des Abschlussberichts des Dialogforums Schiene Nord heißt es:

„Nach den aktuellen Verkehrsprognosen wird der Güterumschlag der deutschen Seehäfen, insbesondere aber der bremischen Häfen, in Hamburg und Wilhelmshaven bis zum Jahre 2030 weiter zunehmen. Damit steigen die kapazitiven Anforderungen an den schienengebundenen Hafenhinterlandverkehr.“

Meine Damen und Herren, diese Feststellung wird als Wettbewerbsfaktor gegenüber den Westhäfen und den Häfen Norditaliens immer wichtiger. Die Nordhäfen können im Wettbewerb nur bestehen, wenn die Hafenhinterlandanbindungen trimodal ausgebaut werden. Das heißt, Straße, Schiene und Wasserstraße sind gleichermaßen wichtig und ergeben im Ganzen das Netz an notwendiger Infrastruktur. Und: Es ist eine gesamtstaatliche Aufgabe und nicht nur die der betroffenen fünf Küstenländer.