Protokoll der Sitzung vom 30.05.2013

sind - als sie gefordert hat, meine Kollegin Frau Polat als Nächste abzuschieben; das haben Sie hier sozusagen als Verteidigung ins Feld geführt -, ist unterster, miesester Stil, Herr Kollege Nacke. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich für diesen Beitrag entschuldigen und das vor diesem Hause zurücknehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hierzu liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Nun hat für die Landesregierung Herr Minister Pistorius das Wort. Bitte!

(Zuruf von der CDU: Was? - Mitglie- der der Fraktionen der CDU und der FDP schicken sich an, den Plenarsaal zu verlassen)

Frau Präsidentin!

Moment bitte, Herr Innenminister! - Es liegt eine Wortmeldung zu einer persönlichen Bemerkung vor.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich entschuldige mich für die Bemerkung und ziehe sie zurück.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Vielen Dank.

(Abgeordnete der CDU-Fraktion und der FDP-Fraktion kehren um und ver- lassen den Plenarsaal nicht)

- Moment, bitte! Vielleicht können wir die Beratung ordnungsgemäß zu Ende bringen. Wir würden das sehr begrüßen.

Nun hat für die Landesregierung Herr Innenminister Pistorius das Wort. Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Lassen Sie

mich vorab eine persönliche Vorbemerkung machen. Das ist jetzt meine vierte Sitzungswoche im Landtag, und ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich bin erschüttert über das, was ich mir heute hier habe anhören müssen.

Wir reden über eine Härtefallkommissionsverordnung, die Ausdruck einer neuen Flüchtlings- und Asylpolitik der rot-grünen Landesregierung in Niedersachsen ist. Wir reden über eine Verordnung, die für mehr Humanität in der Frage von drohenden Abschiebungen sorgen wird. Und dieses Parlament - entschuldigen Sie den Ausdruck - fällt übereinander her. Ich habe dafür kein Verständnis. - Ich erwarte gar keinen Beifall. Das ist eine persönliche Bemerkung meinerseits. Ich finde, das ist der ganzen Diskussionslage nicht würdig.

Ich habe zur Kenntnis genommen, dass die FDP - deswegen begrüße ich das sehr - hier einen Entschließungsantrag eingebracht hat, der zum Ausdruck bringt, dass man diesen neuen Weg mitgehen will. Ich freue mich darüber. Das ist ein gutes und wichtiges Zeichen für einen Wechsel - über die Regierungsfraktionen hinaus - in den Köpfen der Verantwortlichen des Landes Niedersachsen. Das ist sehr erfreulich.

Lassen Sie mich mit einem Augenzwinkern hinzufügen, dass ich trotzdem etwas zusammengezuckt bin, als Herr Bachmann mich einen liberalen Innenminister genannt hat. Ich habe kurz gezuckt, räume aber ein, dass ich weiß, wie er es gemeint hat, und deswegen kann ich natürlich damit leben, in die Nähe der wahren Liberalen gerückt zu werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Die Landesregierung hat bereits in den ersten Wochen ihrer Regierungstätigkeit - darüber ist heute Nachmittag ausführlich diskutiert worden - den Paradigmenwechsel in der Ausländer- und Flüchtlingspolitik angestoßen. Neben der Abschaffung der Wertgutscheinpraxis, der Neuregelung des Rückführungsvollzugs und unseren Bemühungen im Bundesrat zur Einführung einer stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung gehört die Reform der Härtefallkommission zu den wichtigsten Vorhaben im Bereich der Ausländerpolitik.

Die Verordnung zum Härtefallkommissionsverfahren ist aus folgenden Gründen grundlegend überarbeitet worden - insofern ist es sehr, sehr bedauerlich, dass die CDU-Fraktion zum größten Teil nicht anwesend ist; denn es wäre wichtig, hierüber auch durch Anwesenheit einen Konsens herzustel

len -: Es geht nämlich um den humanitären Auftrag des Härtefallverfahrens, um den humanitären Umgang, dem wir mehr Gewicht verschaffen wollen, als das bisher der Fall war.

Vordringliches Ziel ist dabei, die Härtefallkommission in den Stand zu versetzen, mehr Menschlichkeit im Umgang mit Flüchtlingen zu ermöglichen. Ich füge hinzu: Die Härtefallkommission - insofern ist Herr Focke, leider ist er draußen, einem sehr beliebten, aber verzeihlichem Irrtum erlegen; hier werden nämlich zwei Fallgruppen miteinander vermischt - beschäftigt sich ausschließlich mit Fällen, bei denen alle rechtlichen - zuvor alle politischen, aber auch alle ausländer- und aufenthaltsrechtlichen - Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Das heißt, dass es keinen Weg mehr zu einem legalen Aufenthalt gibt.

Die Fälle, von denen Herr Focke auch in Zitierung meiner Aussagen vor dem Flüchtlingsrat gesprochen hat, sind Fälle, die zeitlich vorgelagert sind, bei denen wir irgendwann feststellen müssen: Es klappt mit einem Bleiberecht nicht, z. B. weil - in einer ganz kleinen Zahl von Fällen - Totalverweigerung vorliegt, weil die Integration überhaupt nicht gelingt, nicht gewollt ist oder was auch immer. Aber selbst in diesen Fällen, auch bei Vorliegen bestimmter Straftaten - unterhalb einer bestimmten Grenze - muss die Möglichkeit bestehen, den Zugang zur Härtefallkommission zu öffnen. Das ist der Ansatz der Härtefallkommission.

Ich glaube, wenn man sich bei dem Straftatenkatalog, um den es geht, am Freistaat Sachsen orientiert, der sicherlich unverdächtig ist, liberaler zu sein als ich, dann kann man nicht so ganz falsch liegen.

(Zuruf von Jörg Bode [FDP])

- Die einen sagen so, die anderen so.

Worauf es also ankommt, ist, diese Fallgruppen sehr deutlich voneinander zu trennen. Wenn wir in der Härtefallkommissionsverordnung einen Zugang haben, der, was die Straftaten angeht, niedrigschwelliger ist als vorher, dann deshalb, weil wir vorher eine Regelung hatten, die faktisch schon bei kleinsten Straftaten einen Zugang verhindert hat. Diesen Zugang wollten wir ändern. Das spiegelt die neue Härtefallkommissionsverordnung wider, und das bringen wir jetzt in das weitere Verfahren.

Die einfache Mehrheit ist angesprochen worden. Ich wiederhole jetzt nicht alles, was schon diskutiert worden ist, weil offenbar klar ist: Der Ent

schließungsantrag der FDP-Fraktion ist zeitgleich oder zeitnah zu unserer Freigabe der Verbandsanhörung eingebracht worden. Wer Mitglied wird, ist bereits geregelt. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen erhält ein Vorschlagsrecht für die Benennung eines stimmberechtigten Mitgliedes. Frau Doris Schröder-Köpf als Migrationsbeauftragte ist in dieser Kommission herzlich willkommen. Das Innenministerium benennt außerdem im Einvernehmen mit dem Sozialministerium - das ist neu und wichtig - eine Ärztin oder einen Arzt mit einschlägigen Erfahrungen. Uns hilft kein Orthopäde oder Gesichtschirurg. Wir brauchen jemanden mit dem entsprechenden Hintergrund, und auch das als stimmberechtigtes Mitglied.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das heißt, die Zusammensetzung der neuen Kommission bietet eine Gewähr dafür, dass bei der Beurteilung der Frage, ob dringende persönliche oder humanitäre Gründe vorliegen, alle Belange der betroffenen Personen die notwendige Berücksichtigung finden. Darauf, meine Damen und Herren, kommt es im Kern an.

Mindestens genauso wichtig wie die Zusammensetzung der Kommission ist aber die Frage, welche Hürden es beim Zugang zu dieser Kommission gibt. Hier liegt ein weiterer Schwerpunkt. Die zahlreichen Nichtannahmegründe wurden auf die rechtlich unbedingt erforderlichen Regelungen reduziert. Bei strafrechtlichen Verurteilungen wird künftig nicht mehr auf das Strafmaß abgestellt, sondern auf die Straftat selbst. Das wird dem Anspruch dann auch gerecht. Ich will das hier nicht im Einzelnen ausführen.

Das Vorprüfungsgremium ist künftig nicht mehr an Regelnichtannahmegründe gebunden, sondern entscheidet, wenn keine absoluten Nichtannahmegründe vorliegen, frei von jeglichen Vorgaben in jedem Fall über die Annahme der jeweiligen Eingabe.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Regelausschlussgründe, die den Bewegungsspielraum der Kommission im Rahmen der Beratung von Eingaben erheblich eingeengt haben - z. B. Verstöße gegen Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung und Identitätsklärung oder fehlende Sicherung des Lebensunterhaltes -, sind vollständig gestrichen worden. Meine Damen und Herren von der FDP, damit erledigt sich auch die Nr. 9 Ihres Entschließungsantrags.

lleicht noch einen Satz zum Kirchenasyl. Das Kirchenasyl wird immer gerne als ein besonderes Institut genannt. Wir sind uns aber, glaube ich, alle einig: Das Kirchenasyl ist kein eigenes Rechtsinstitut, es hat keine eigene Rechtsqualität in unserem Ausländer- und Aufenthaltsrecht. Durch die neuen Regelungen in der Härtefallkommissionsverordnung hat jeder Betroffene vor Ankündigung eines Abschiebetermins jetzt noch vier Wochen Zeit, die Härtefallkommission anzurufen. Das heißt, es bedarf auch keines gesonderten Kirchenasylgrundes für den Zugang zur Härtefallkommission. Das verlangen nicht einmal die Kirchen, wie mir berichtet wurde. Die haben zu diesem Punkt nichts gesagt.

Festgehalten hat die Landesregierung an dem Nichtannahmegrund des feststehenden Abschiebetermins, allerdings mit dem qualitativen Unterschied der Möglichkeit, vier Wochen vorher eine Frist zu bekommen, die dann eben auch ermöglicht, einen Antrag bei der Härtefallkommission zu stellen. Diese Frist gibt den betroffenen Menschen die Möglichkeit, sich ohne größeren Zeitdruck über das Härtefallverfahren zu informieren und die Eingaben dann sorgfältig zu begründen. Auch insofern sind die Nrn. 4, 5 und 12 des Entschließungsantrags von meinem Haus bereits antizipiert worden, wenn Sie mir den Ausdruck erlauben.

Die weiteren Forderungen der Fraktion der FDP entsprechen bereits der langjährigen Praxis der Zusammenarbeit zwischen Kommission und Innenministerium bzw. sind ohne größere praktische Relevanz. Eine Unterrichtung der Kommission über die Entscheidung des Ministeriums über ein Ersuchen erfolgt bereits. Die Anregungen, dass Personen nicht mehr auf Vorschlag von Verbänden vom Ministerium ernannt werden, ist bereits Praxis.

Meine Damen und Herren, aus alldem ergibt sich: Der Entschließungsantrag ist gut gemeint. Er ist vor allen Dingen wichtig, was die Atmosphäre in diesem Hause in Fragen der Asyl- und Flüchtlingspolitik angeht. Deswegen freue ich mich und begrüße diesen Antrag. Zumindest, was diesen Teil des Hauses angeht, ist das unbestritten der Fall. Anderes kann ich leider nicht bewerten.

Ich freue mich über diesen Antrag und bin sicher: Wir werden in der weiteren Beratung Wege finden, die Kommissionsverordnung, soweit das geht, noch besser zu machen. Das wird weder am Innenministerium noch an den Mehrheitsfraktionen scheitern. Wenn wir demnächst auch solche Debatten wieder mit etwas mehr Friedlichkeit und

konsensorientiert führen könnten, hätten Sie einen dankbaren Innenminister.

In diesem Sinne vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. - Ihrem Wunsch kann ich mich nur ausdrücklich anschließen.

Bevor ich jetzt die Beratung schließe: Der Kollege Herr Focke von der CDU-Fraktion hat das Wort zu einer persönlichen Bemerkung nach § 76 der Geschäftsordnung gewünscht.

(Jens Nacke [CDU]: Er ist nicht mehr im Hause!)

- Ich sehe, Herr Focke ist nicht im Hause, sodass wir die Beratung schließen können.

Ich komme zur Ausschussüberweisung.

Der Ältestenrat empfiehlt Ihnen, den Antrag an den Ausschuss für Inneres und Sport zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Vielen Dank, Sie haben so beschlossen.

Wir kommen zur Festlegung von Zeit und Tagesordnung des nächsten Tagungsabschnitts. Der nächste, der fünfte Tagungsabschnitt ist vom 18. bis zum 21. Juni 2013 vorgesehen. Der Präsident wird den Landtag einberufen und im Einvernehmen mit dem Ältestenrat den Beginn und die Tagesordnung der Sitzung festlegen.

Bevor ich die heutige Sitzung schließe, weise ich noch darauf hin, dass der Ältestenrat jetzt sofort im Raum 235 zu einer Sitzung zusammenkommt. Die Mitglieder des Ältestenrates sollten einen entsprechenden Einladungsschnellbrief sowie einen Vorabdruck der Drucksache 17/215, die Gegenstand der Beratung sein wird, inzwischen auf ihren Plätzen erhalten haben.