Protokoll der Sitzung vom 13.11.2015

Es geht einerseits darum, den Menschen, die in Not sind, wirksam zu helfen und sie menschenwürdig unterzubringen. Andererseits geht es darum, wieder mehr Ordnung und Steuerung in das Asylverfahren zu bringen, mit dem Ziel, mittelfristig zu deutlich sinkenden Flüchtlingszahlen zu kommen.

Mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz - dem die rot-grüne Landesregierung aus Koalitionsräson ihre Zustimmung verweigert hat - hat der Bund erste dringend notwendige Maßnahmen zur Bewältigung der derzeitigen Flüchtlingssituation eingeleitet. Das Gesetz hilft den Kommunen und den Ländern dadurch, dass sich der Bund nun dauerhaft an den Kosten beteiligt. Das Gesetz hilft auch, die Verfahren für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten zu beschleunigen. Es hilft ebenso, die Zahl an Wirtschaftsflüchtlingen deutlich zu reduzieren und durch den Grundsatz des Wegfalls der Geldleistungen und den Vorzug der Sachleistungen dies auch deutlich zu unterstreichen.

(Unruhe)

Einen Moment, bitte, eine ganz kurze Unterbrechung, Herr Thümler! - Es scheint hier einen hohen Gesprächsbedarf zu geben. Ich bitte die Kollegen und Kolleginnen, die nicht der Debatte folgen wollen, sich aus dem Plenarsaal zu begeben. - Bitte, Herr Thümler!

Das allein reicht jedoch bei Weitem nicht aus. Deshalb sind auch die Beschlüsse des jüngsten Koalitionsgipfels von CDU, SPD und CSU ein weiterer wichtiger Meilenstein auf dem Weg, wieder zu geordneten Verhältnissen zu kommen und in der derzeitigen Flüchtlingssituation mit Maßnahmen

gegenzusteuern, die unserer Rechtsordnung entsprechen.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir begrüßen ausdrücklich die Schaffung von besonderen Aufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern mit Wiedereinreisesperre bei Folgeanträgen ohne Mitwirkungsbereitschaft. Wichtig ist, dass dort in Anlehnung an das Flughafenverfahren beschleunigte Asylverfahren durchgeführt werden und dabei auch eine verschärfte Residenzpflicht gelten wird.

Ich freue mich, dass diese besonderen Einrichtungen inzwischen auch bei der SPD begrüßt werden.

(Zuruf von Minister Boris Pistorius)

- Sie begrüßen das natürlich nicht, lieber Herr Innenminister; denn inhaltlich waren Sie ja immer ganz anderer Auffassung darüber, was da passieren soll. Das, was jetzt semantisch verbrämt als „besondere Aufnahmeeinrichtungen“ bezeichnet wird, sind nämlich nichts anderes als Transitzonen, nur dass sie sich nicht an der Außengrenze, sondern im Inland befinden.

(Zurufe von der SPD)

Zu lange hat sich die linke Sphäre der deutschen Politik diesem Problem nicht wirklich gestellt und aktiv daran mitgearbeitet, dass es zu vernünftigen Lösungen kommt. Das gilt insbesondere für sehr schlaue Politikerinnen und Politiker, die jeden Tag neu erzählen, was man alles machen könnte, aber keinen wirklich konkreten Lösungsvorschlag auf den Tisch legen. Das muss jetzt abgestellt werden, damit wir zu geordneten Verhältnissen kommen.

Ob Sie es hören wollen oder nicht: Angela Merkel hat diesbezüglich einen klaren Kompass.

(Johanne Modder [SPD] und Anja Piel [GRÜNE]: Nein!)

Das mag uns und insbesondere Ihnen nicht gefallen.

(Johanne Modder [SPD]: Der eigenen Partei nicht! Das ist eine schöne Ge- schichte!)

Aber Ihr Bundesvorsitzender hat gerade heute wieder eine ganz schlaue Feststellung getroffen. Wissen Sie, wie sie lautet? - Sie lautet: „Der Zustrom der Flüchtlinge muss begrenzt werden.“ - Großartig, der Mann! Er sagt aber nicht, wie.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

So etwas kann ich auch. Ich kann auch sagen, der Zustrom muss begrenzt werden. Prima, dann bekomme ich Applaus von allen Seiten. Aber die Antwort darauf, wie das gehen soll, bleibt Herr Gabriel schuldig.

Ich sage Ihnen: Frau Merkel weiß genau, wie es zu machen ist. Seien Sie sicher, dass sie die Situation im Griff hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN - Helge Limburg [GRÜNE]: Sagen Sie das Herrn de Maizière und Herrn Schäuble! Ihre eigene Partei ist es, die die Bundeskanzlerin angreift!)

- Sie brauchen sich hier nicht aufzuregen. Die entscheidende Frage ist, ob es gelingt, die Dinge innenpolitisch, europapolitisch und außenpolitisch so miteinander zu verknüpfen, dass sie genau die Wirkung entfalten, die sich entfalten muss. Insoweit sind auch die Maßnahmen, die Thomas de Maizière ergriffen hat und ergreifen will, vollkommen richtig. Darüber gibt es in der Bundesregierung auch keinen Dissens, zumindest nicht, was die Unionsseite angeht.

Meine Damen und Herren, ich halte es für wichtig, dass wir uns gelegentlich einmal vergegenwärtigen, wie es denn in der Vergangenheit gewesen ist. Aus der Vergangenheit kann man schließlich für die Gegenwart und für die Zukunft lernen. Wir sollten häufiger schauen, was kluge Köpfe bereits vor mehreren hundert Jahren gesagt haben.

Ich habe einmal in den Unterlagen nachgeschaut, die ich noch aus meinem Studium habe, was z. B. Immanuel Kant zu einer solchen Debatte, wie wir sie heute über den Umgang mit Flüchtlingen führen, gesagt hat. Immanuel Kant hat - und das ist schon bestechend - im dritten Definitivartikel seiner wegweisenden Schrift „Zum ewigen Frieden“ gesagt, dass Flüchtlinge ein Besuchsrecht haben, dass Flüchtlinge aber auch abgewiesen werden können, wenn es ohne ihren Untergang, so schreibt er dort, möglich ist.

Im „Ewigen Frieden“ sucht Kant nach den Bedingungen für stabile und friedliche Verhältnisse. Dazu zählt er auch das Recht der Hospitalität: Staaten dürfen Besucher durchaus ablehnen, aber eben nicht gewaltsam und nicht, wenn es zu deren Leid wäre. Das gilt für alle Menschen, ob Flüchtlinge, Touristen, Geschäftsreisende oder Philosophen: Solange sie sich freundlich verhalten, muss

sich auch der Staat mit ihrem Aufenthalt freundlich auseinandersetzen und sie freundlich behandeln. Es bleibt also ein Besuchsrecht und kein Gastrecht. - Das hat der große Philosoph Kant bereits vor über 200 Jahren aufgeschrieben.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Reden Sie doch einmal über unsere Verfassung, Herr Thümler!)

Das ist der Geist der europäischen Aufklärung, und genau dieser Geist spricht auch aus dem Antrag, den wir vorgelegt haben, nicht mehr und nicht weniger. Das sollten Sie sich gelegentlich einmal anschauen.

Und wenn Sie wieder dazwischenschreien, Frau Polat, kann ich Ihnen sagen:

(Helge Limburg [GRÜNE]: Der Zwi- schenruf gehört dazu, Herr Thümler!)

Die Verfassung unserer Bundesrepublik Deutschland und die Genfer Flüchtlingskonvention basieren genau auf diesem Geist der Aufklärung. Das, meine liebe Frau Polat, sollten Sie sich endlich einmal hinter die Ohren schreiben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Helge Limburg [GRÜNE]: Gerade Frau Polat braucht keine Belehrun- gen, und schon gar nicht von Ihnen!)

Im Übrigen bildet gerade dieser Geist der europäischen Aufklärung das Grundfundament aller demokratischen Parteien in Deutschland. In dieser Frage gibt es keinen Dissens, sondern einen breiten Konsens. Auf dieser Basis sollten wir auch miteinander diskutieren. Er sollte sogar Basis unseres politischen Handelns sein.

Die SPD hat sich in der aktuellen Asyldebatte inzwischen der Realität angenähert, übrigens ganz im Sinne der Kant’schen Lehre. Mancher Amtskollege von Herrn Weil konnte sich mit dieser Auffassung bei seinem jeweiligen Koalitionspartner inzwischen auch durchsetzen. Das, was Frau Kraft, Frau Dreyer und Herrn Albig gelungen ist, nämlich sich von ihrem Koalitionspartner so weit zu emanzipieren, dass am Ende nicht der Schwanz mit dem Hund wackelt, sollte auch dieser Landesregierung noch gelingen - weil es staatspolitisch notwendig ist, jetzt das Richtige zu tun und den Kurs der Bundesregierung zu unterstützen.

Meine Damen und Herren von SPD und Grünen, Ihre Verweigerung, dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz im Bundesrat die notwendige Zustimmung zu geben, hat Sie nicht nur in der Bun

desrepublik Deutschland und in Niedersachsen der Lächerlichkeit preisgegeben - auch international wird so etwas durchaus beobachtet. Es schwächt die Position von Niedersachsen bei Verhandlungen.

In dieser Situation ist es überaus wichtig, dass wir eine handlungsfähige Landesregierung haben. Dass unsere Landesregierung handlungsfähig ist, können wir aber gerade nicht erkennen. Ich wiederhole es: Hier wedelt der Schwanz mit dem Hund, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Statt die vom Bundesgesetzgeber geschaffenen Möglichkeiten zur Erleichterung der Rückführung ausreisepflichtiger Asylbewerber zu torpedieren, sollten Sie, ähnlich wie Baden-Württemberg es jetzt vorhat, die organisatorischen Grundlagen für die, ich betone, rechtsstaatlich gebotene Rückführung schaffen. Um nichts anderes geht es. Das wird von Ihnen verlangt, und das müssen Sie liefern.

(Beifall bei der CDU)

Wer es versäumt, die rechtskräftig abgelehnten und damit ausreisepflichtigen Asylbewerber zeitnah zurückzuführen, untergräbt nicht nur das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat, nein, er trägt auch unweigerlich dazu bei, dass die Akzeptanz der Bevölkerung auch bei der Aufnahme von wirklich Schutzbedürftigen zusehends schwindet. Auch das müssen Sie sich immer vergegenwärtigen, meine Damen und Herren. Der Ruf „Alle herein!“ kann nicht funktionieren, wenn nicht auch wieder welche herausgehen, nämlich die, die nach unserer rechtsstaatlichen Ordnung nicht hierbleiben dürfen. Alles andere untergräbt die gemeinsame Basis und schadet der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und dem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, der Ministerpräsident hat die Beschlüsse des jüngsten Koalitionsgipfels zur Asylpolitik wieder einmal uneingeschränkt begrüßt. Herr Ministerpräsident, wir werden Sie an Ihrem Wort messen. Wir erwarten, dass die Landesregierung die Gesetzesänderungen im Bundesrat unterstützt. Wir erwarten, dass Sie alle weiteren notwendigen Maßnahmen des Bundes ebenfalls konstruktiv begleiten und dass alle Hemmnisse einer Zusammenarbeit von landes- und bundes- und kommunalpolitischen Behörden, angefangen bei der Schnittstellenproblematik, über die wir ges

tern schon etwas gehört haben, die aber nicht unbekannt ist, bis hin zu Datenschutzfragen, die ein gemeinsames Miteinander dieser Ebenen verhindern, unverzüglich behoben werden. Daran kann nicht nur der Bund allein arbeiten, da ist auch die Mitwirkung der Länder und der Kommunen gefordert, meine Damen und Herren. Das müssen Sie liefern und dürfen sich dem nicht verweigern.

(Beifall bei der CDU)

Schließlich haben Sie, Herr Weil, unmittelbar nach der Bundesratssitzung im Oktober in der HAZ das Versprechen abgegeben, dass die Enthaltung Niedersachsens ein Einzelfall bleiben wird. Ich zitiere aus der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 17. Oktober 2015:

„Entscheidend ist aber, ob es sich um einen einmaligen Vorgang handelt oder ob das jetzt häufiger zu befürchten ist. Letzteres hielte ich für außerordentlich negativ.“

Das war schon eine starke Ansage an Ihren Koalitionspartner. Allerdings lässt mich der Verlauf des Landesparteitages der Grünen vom vergangenen Wochenende daran zweifeln, dass Ihre ernste Ermahnung bei Ihrem Koalitionspartner in irgendeiner Form auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Die Grünen haben ja die Eigenschaft, nicht einmal auf ihre eigenen Kommunalpolitikerinnen und -politiker zu hören. So skandierte man „Aufhören, aufhören!“, als Herr Jordan die Lebenswirklichkeit aus der kommunalen Praxis vorgetragen hat.

(Widerspruch bei den GRÜNEN - Un- ruhe - Glocke der Präsidentin)

Ich glaube nicht, dass das so geht. Das geht deswegen nicht, weil Sie sich der Realität, die die Kommunen derzeit erleben, nicht verweigern dürfen, sondern trotz weltbildlich anderer Voraussetzungen endlich einmal zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Situation angespannt ist. Deswegen: Ändern Sie endlich Ihren Kurs in dieser verfehlten Politik, meine Damen und Herren!