Protokoll der Sitzung vom 20.01.2016

Meine Damen und Herren, dieses Jahr werden 16- und 17-Jährige wieder an den Kommunalwahlen teilnehmen. Und das ist richtig so! Gerade die Landespolitik hat für junge Menschen eine immense Bedeutung für ihre ganz konkreten Lebenswirklichkeiten.

Die Schulpolitik ist ein politisches Feld, das den Lebensalltag von jungen Menschen massiv beeinträchtigt. Junge Menschen sind hier Expertinnen und Experten in eigener Sache, und es ist absurd, dass Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, jungen Menschen diese Entscheidungskompetenz über dieses Themenfeld nicht geben wollen.

Ganztagsschulen - ja oder nein? Schulstress - ist es alles zu viel? Reicht die Berufsorientierung an Schulen? Brauchen wir flexiblere Bildungswege und ein Lernen im eigenen Tempo? - Alle diese Fragen diskutieren wir rauf und runter, aber unter dem Strich über die Köpfe der Betroffenen hinweg.

An dieser Stelle möchte ich Vertreter des Bündnisses 16 herzlich begrüßen, die sich für eine Mitbestimmung auf Landesebene einsetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Denn einmal ernsthaft, meine Kolleginnen und Kollegen:

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Wenn man das ernsthaft gewollt hätte, hätte man vorher einmal gesprochen!)

Stellen wir uns mit unseren Positionen, stellen Sie von der Opposition sich mit Ihren Positionen - wie etwa dem Turbo-Abitur, das Sie in der letzten Legislaturperiode eingeführt haben - den von diesen Reformen Betroffenen? - Nein. Sie wollen Wahlen nicht zulassen. Sie wollen Jugendliche nicht mitentscheiden lassen, wie das Parlament zusammengesetzt wird. Ihre Inhalte machen deutlich, warum, meine Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Dabei ist das Bürgerrecht der Wahl eines der zentralen Rechte in unserem Grundgesetz und unserer Verfassung. Anders als Sie es mit Ihrer Partei propagieren, Herr Thümler und Herr Nacke, geht mit der Ausübung des Wahlrechts in unserem Land keine Ausübung von Pflichten einher. Wenn Sie eine solche Debatte ernsthaft und konsequent führen wollten, Herr Nacke, dann kämen Sie rechtlich ganz schnell ins kurze Gras, und das wissen Sie auch. Denn die Debatte über die Einschränkung dieses hohen Rechts ist eine sehr brisante und eine sehr gefährliche, und man braucht sehr gute Gründe, um ein so gewichtiges und fundamentales Recht für unsere Bundesbürger einzuschränken.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung bei der SPD)

Es braucht gute Gründe, Menschen von diesem Recht der Entscheidung, wer ihre ureigenen Interessen vertritt, auszuschließen. Das müssen wir ernsthaft diskutieren, Herr Nacke. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Ihnen ein einfaches „Es war schon immer so“ in der Debatte nicht viel helfen wird.

Mit welchem Recht, frage ich Sie, wollen Sie 16- und 17-Jährige von der Ausübung dieses Rechts ausschließen? Viele junge Menschen beginnen in diesem Alter eine Ausbildung. Sie ziehen aus, sie übernehmen Verantwortung. Es sind auch gerade diese jungen Menschen, die sich in unserer Gesellschaft massiv engagieren. Der Einsatz für geflüchtete Menschen an Schulen und in Jugendverbänden sucht wirklich seinesgleichen in unserer Gesellschaft.

Wenn Sie sich unter den Jugendlichen umhören, dann werden Sie feststellen, dass die politische Bildung gerade bei jungen Menschen sehr hoch

ist. Also zieht auch das Argument der mangelnden Sachkenntnis, das Sie hier immer gerne vortragen, nicht.

Betrachtet man das Argument der Unmündigkeit, so ist auch dieses haltlos. Die Jugendstudien der letzten Jahre machen deutlich, dass junge Menschen immer selbstständiger werden und wir ihnen immer mehr erlauben und auch zumuten. Die Selbstständigkeit bei der eigenen Freizeitgestaltung, der eigenständige Medien- und SmartphoneGebrauch legen eine Teilhabe junger Menschen an unserem gesellschaftlichen Leben nahe, die keinen Ausschluss von dem Recht zu wählen rechtfertigt.

Es war Ihre Partei, die CDU, die sich in der letzten Legislaturperiode nicht um die Frage der Volljährigkeit geschert hat, als Sie vom Turbo-Abitur geredet haben. Da hatten wir plötzlich Jugendliche mit ihren Eltern an den Universitäten sitzen, da die 17-Jährigen noch nicht die Erlaubnis hatten, sich eigenständig einzuschreiben oder eine Wohnung zu mieten. Insofern ist Ihr Ruf nach Einhaltung des Alters der Volljährigkeit nicht sehr glaubwürdig.

(Beifall bei den GRÜNEN - Mechthild Ross-Luttmann [CDU]: Wie ist es denn mit dem 16-jährigen Lehrling?)

Jugendliche sind bereits mit 14 eingeschränkt straffähig - gerade Ihre Partei, Herr Nacke, fordert hier immer wieder eine weitere Absenkung -, sie sind mit 14 familienrechtlich verfahrensfähig, sie sind religionsmündig, sie sind mit 15 sozialrechtlich handlungsfähig.

Es gibt eine Reihe weiterer Punkte, bei denen Jugendliche schon sehr viel Verantwortung und Pflichten in unserer Gesellschaft übernehmen. Nicht umsonst sagt Artikel 38 GG, dass das aktive Wahlrecht mit 18 Jahren, das passive Wahlrecht hingegen mit der Volljährigkeit einhergehen soll. Es ist im Grundgesetz angelegt, dass dieses differieren kann. Also, auch Ihr Argument, dass das im Einklang passieren muss, zieht hier nicht, meine Kolleginnen und Kollegen.

(Dirk Toepffer [CDU]: Wie sieht die Verantwortung in unserem Strafrecht aus?)

Mit welchem Recht also, frage ich Sie, wollen Sie Menschen von der Ausübung des Wahlrechts ausschließen? Mit welchem Recht schränken Sie es ausgerechnet für diese Personengruppe ein? - Sie brauchen für Ihre Verweigerungshaltung gute Ar

gumente und nicht etwa wir, die das Wahlalter senken wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Wir bedienen mit diesem Antrag auf Änderung der Verfassung keinen Populismus, Herr Thümler. Nein, wir wollen junge Menschen mitentscheiden lassen und fordern Sie dazu auf, diese jungen Menschen von der Ausübung dieses Rechts nicht länger auszuschließen.

Ich prognostiziere Ihnen, dass die gesellschaftliche Debatte um diese Frage jetzt erst losgehen wird - und da brauchen Sie gute Argumente.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Hamburg. - Jetzt hat sich Frau Abgeordnete Glosemeyer, SPD-Fraktion, gemeldet. Bitte schön, sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ Das kündigte schon Willy Brandt 1969 in seiner Regierungserklärung an. Damals ging es u. a. um die Möglichkeit der früheren Übernahme politischer Verantwortung bei Wahlen.

Sehr geehrte Damen und Herren, auch wir wollen mit dem von uns eingebrachten Gesetzentwurf mehr Demokratie wagen.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

„Junge Leute interessieren sich doch sowieso nicht für Politik; woher sollen sie denn wissen, was sie wählen sollen?“ - Diese und einige andere Phrasen hört man immer wieder, und das leider nicht nur, wenn es um die Diskussion um das Wahlalter geht.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das wirklich so? - Ich nehme junge Menschen ganz anders wahr: offen, diskussionsfähig und präsent, wenn es um ihre Belange geht. Denken Sie doch bitte einmal an die Schuldebatte zurück. Damals konnten wir erfahren, wie viele Jugendliche ihrem Anliegen eine Stimme gegeben haben. Oder: Als Pegida und diverse Ableger in den Städten demonstrierten, haben sich viele tausend Jugendliche dagegen gestellt und Gesicht gezeigt. Und wer

sich auf Facebook bewegt, sieht, wie viele junge Menschen sich zu den Themen Flüchtlinge, Europa und soziale Gerechtigkeit äußern. Ebenso engagieren sich viele junge Menschen in Sportvereinen und ehrenamtlichen Bereichen, wo sie schon sehr früh am Gemeinwohl und an den demokratischen Prinzipien arbeiten. - Das sieht für mich nicht nach politischem Desinteresse aus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten es ihnen ermöglichen, dieses unglaublich wichtige Gut Demokratie mitzugestalten; denn nur so signalisieren wir: Wir nehmen euch ernst, und wir trauen euch Verantwortung zu.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es ist bei Weitem nicht so, dass Jugendliche erst mit 18 Verantwortung übernehmen. Frau Hamburg hat es geschildert. Einige stehen vielmehr schon an der Schwelle zum Ausbildungsplatz, und andere müssen sich entscheiden, was sie studieren wollen. Die Wahl des Berufs ist für mich eine sehr weit reichende Zukunftsentscheidung, die Jugendliche bereits vor dem 16. Lebensjahr für sich treffen müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in dieser Legislaturperiode mehrere zentrale Jugendthemen beraten und verabschiedet. Ich möchte Sie noch einmal daran erinnern. Wir haben die Studiengebühren abgeschafft, wir haben das G 8 abgeschafft, wir haben den Landesjugendhilfeausschuss wieder eingerichtet, wir richten eine Kinderkommission ein, und wir werden die Landeszentrale für politische Bildung wieder einrichten. Dies ist eine hervorragende Leistung, die wir in drei Jahren hier vorlegen konnten.

(Beifall bei der SPD)

Zu einer vielschichtigen Partizipation von jungen Menschen zählt, ihnen die Möglichkeit zu geben, an ihrer Zukunft mitzugestalten. Es sind genau ihre Zukunftsthemen, die uns hier beschäftigen. Wir machen hier Politik, die die jungen Menschen zukünftig direkt betrifft. Da geht es z. B. um Staatsschulden, den Schutz unserer Umwelt oder die Bildung für sie selbst oder später für ihre eigenen Kinder. Alle diese Entscheidungen betreffen Jugendliche unmittelbar. Deshalb sollten sie auch mitentscheiden können.

So wie wir sehen das im Übrigen auch viele andere, die die jungen Menschen hier im Land vertreten. Das sind unter u. a. die parteilichen Jugendorganisationen, z. B. die Jungen Liberalen, aber

eben auch das Bündnis 16; Frau Hamburg hat die Mitglieder heute begrüßt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir ist klar, dass es ein großer Schritt ist, das Wahlalter zu senken. Dies funktioniert nicht losgelöst und ohne weitere Maßnahmen. Ein wichtiger Akteur wird in diesem Zusammenhang die Landeszentrale für politische Bildung sein. Mit der Wiedereinrichtung der Landeszentrale, die Rot-Grün im letzten Jahr beschlossen hat, wird die schwerwiegende Fehlentscheidung der schwarz-gelben Landesregierung von 2004 rückgängig gemacht und damit ein Grundstein für eine politische Anlaufstelle gelegt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Eine der wichtigsten Aufgaben der Landeszentrale wird es sein, in Zusammenarbeit mit Schulen und Jugendverbänden nicht-parteiliche politische Informationen an Multiplikatoren zu geben und die jungen Menschen bei der Meinungsbildung zu unterstützen. Ebenso tragen Maßnahmen der Bundeszentrale für politische Bildung sowie viele Aktionen des Landesjugendrings - z. B. die U-18Wahl - zur Bildung und Partizipation von Jugendlichen bei. Und auch wir bringen den Jugendlichen Politik ein Stück näher, z. B. mit dem Zukunftstag, an dem jedes Jahr allein in unserer Fraktion 100 Jugendliche teilnehmen und so Politik hautnah miterleben.

(Beifall bei der SPD)

Wir sollten uns damit beschäftigen, wie wir die gesellschaftliche Entwicklung der Politikverdrossenheit umkehren können; denn sie ist kein junges, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem. Um noch einmal auf Ihr Argument der Wahlbeteiligung einzugehen: Wenn man die Wahlbeteiligung von 16-Jährigen bei Kommunalwahlen betrachtet, stellt man fest, dass sie genauso hoch oder niedrig ist wie bei den 35- bis 42-Jährigen. Wir sollten uns lieber die Frage stellen: Warum ist das so? Liegt es vielleicht auch daran, dass wir politische Teilhabe nicht so gestalten, dass sie sich angesprochen fühlen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, besonders die jungen Leute kritisieren, dass sich die etablierten Parteien einigeln, dass sie ihre Themen nicht transportieren. Sie nehmen Parteien als in sich geschlossene Systeme wahr, die sie nicht von außen beeinflussen können. Sie wünschen sich mehr Transparenz und direkte Einflussmöglichkeit. Mit dieser Kritik stehen sie nicht allein da; denn wir

erleben es leider, wie eingangs gesagt, dass beinahe jeder zweite Wahlberechtigte in Niedersachsen nicht wählt. Wer dann immer nur auf die Jugendlichen schaut und meint, sie hätten kein politisches Interesse, der macht den Fehler, zu übersehen, dass es ein mehrschichtiges Problem ist. Das zu ändern, wird auch weiterhin eine zentrale Aufgabe für alle demokratischen Parteien sein. Dieser müssen wir uns unabhängig von der Diskussion um das Wahlalter stellen. Wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie stehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion, ich möchte noch einmal kurz auf Ihr Argument eingehen, dass das Wahlalter an die Volljährigkeit gekoppelt sein muss, da man erst mit Volljährigkeit voll geschäftsfähig ist und erst dann Verträge geschlossen werden können. Eine Wahl ist kein Vertrag,

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)