Protokoll der Sitzung vom 20.01.2016

Meine Damen und Herren, wenn Flüchtlinge straffällig werden, sind die Opfer mitunter selbst Geflüchtete. Daher war es ein wichtiger Schritt, dass unsere Sozialministerin Cornelia Rundt und unser Innenminister Boris Pistorius gemeinsam ein Konzept für den Schutz von Frauen und Kindern in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes erarbeitet haben, und zwar schon vor den Ereignissen in Köln.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wir behaupten an keiner Stelle, dass nichts mehr passieren kann. Die Menschen sind vor Gewalt und Unsicherheit zu uns geflohen. Umso wichtiger ist es, dass die Einrichtungen unseres Landes sichere Orte sind. Menschen brauchen Rückzugsorte. Frauen brauchen ruhige Plätze, um ihre Kinder zu stillen, und sie brauchen auch Ansprechpartnerinnen für den Fall, dass irgendetwas so ist, wie es nicht sein soll. Auch dafür müssen Menschen bereitstehen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Die Zahlen des Innenministeriums zeigen aber nicht nur ein realistisches Bild der so oft thematisierten Straffälligkeit von Geflüchteten. Sie zeigen uns leider auch, dass Flüchtlinge vermehrt Opfer von Straftaten durch Deutsche sind. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Übergriffe in Flüchtlingsunterkünften in Niedersachsen massiv gestiegen. Eine Steigerung von 8 Straftaten im Jahr 2014 - das muss man wirklich einmal auf sich wirken lassen; dazu habe ich von Ihnen heute noch nichts gehört - auf 110 im Jahr 2015 entspricht einer Steigerung von über 1 000% innerhalb eines Jahres. Da hören wir keine Forderungen nach Strafverschärfungen oder nach anderen Maßnahmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Ulf Thiele [CDU]: Natürlich!)

Die Bandbreite der Taten - man muss das natürlich ins Verhältnis setzen - reicht vom Hitlergruß über Volksverhetzung bis hin zum versuchten Mord wie etwa im Fall des heimtückischen Brandanschlags auf eine Flüchtlingsunterkunft in Salzhemmendorf. Im allergrößten Teil dieser Fälle wird von einem rechtsmotivierten Hintergrund ausgegangen. Meine Damen und Herren! Wir alle - da schließe ich Sie ausdrücklich mit ein - beobachten mit großer Sorge, dass die Zahl der Angriffe auf Flüchtlinge steigt. Es sinken hier offensichtlich die Hemmschwellen.

Wir müssen uns dann aber auch fragen lassen, warum die Resonanz bei Taten, deren Opfer Geflüchtete sind, so gering ist. In diesen Fällen gibt es, wie gesagt, keine Debatten über Verschärfungen.

(Ulf Thiele [CDU]: Das stimmt doch überhaupt nicht! - Editha Lorberg [CDU]: Das stimmt doch nicht! - Wei- tere Zurufe!)

- Wir haben die Resolution ja gemeinsam verabschiedet, Frau Lorberg. Haben wir danach über Strafverschärfungen gesprochen? - Daran kann ich mich nicht erinnern.

Wir müssen Polizei und Justiz - da bin ich wieder ganz dicht bei Ihnen -, aber auch die Zivilgesellschaft stärken, um mit dieser Bedrohung umgehen zu können;

(Christian Dürr [FDP]: Wo stärken Sie denn die Polizei?)

einer Bedrohung übrigens nicht nur - - -

Frau Piel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele?

Nein. - Eine Bedrohung übrigens nicht nur für die Geflüchteten, sondern auch für die Demokratie und den Rechtsstaat insgesamt.

Meine Damen und Herren! Bei allen berechtigten Sorgen brauchen wir aber auch Vertrauen in unsere rechtsstaatlichen Strukturen. Wer sich jetzt in einem Überbietungswettbewerb verliert, wer nach immer neuen Instrumenten, nach immer schärferen Gesetzen ruft, der verstärkt die Ängste der Menschen, der vermittelt den Eindruck, als hätten wir einen hilflosen Rechtsstaat. Auch wenn in Köln Fehler gemacht wurden, auch wenn nicht bei je

dem Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim innerhalb von wenigen Stunden die Täter gefunden werden, so haben wir dennoch einen funktionierenden Rechtsstaat.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Aber auch in so einem funktionierenden Staat bleibt es eine fortlaufende Herausforderung, Straftaten zu verhindern. Es ist eine enorme Integrationsaufgabe, den Menschen, die sich zu uns flüchten, echte Chancen für einen Neuanfang und für Sicherheit zu bieten. Es muss noch viel passieren, bis wir ein gesellschaftliches Klima und eine Rechtsprechung haben, die heimtückische Anschläge, rassistische Übergriffe oder Gewalt auf Frauen ausnahmslos ächten.

Aber - auch an dieser Stelle bin ich den Worten der Kollegin Modder dankbar -: Wir befinden uns tatsächlich nicht im Wilden Westen. Wenn man auch gern Western guckt, so ist der Umgang mit Geschehnissen wie denen in Köln, glaube ich, kein Western, bei dem der gewinnt, der zuerst zieht. Das möchte ich gern einmal in Ihre Richtung sagen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD - Helge Limburg [GRÜ- NE]: Richtig!)

Wir brauchen keine Bürgerwehren. Wir brauchen zusätzlich zu den polizeilichen Regelungen für den Einsatz von Schusswaffen auch hier keine Neuregelungen. Was wir für die Verhinderung von Straftaten aber brauchen, sind ein klarer Blick auf die Realität und ein besonderer Umgang mit der tatsächlichen Gefahr.

Dafür geht mein Dank an unseren Innenminister und an die unzähligen Menschen im Land, die rund um die Uhr für unsere Sicherheit da sind. In diesen Dank schließe ich ausdrücklich mit ein die Polizei, den Verfassungsschutz und die Justiz. Was wir in diesen Tagen aber nicht brauchen, sind ständig neue Forderungen, die sich aus alten Ressentiments nähren.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Piel. - Meine Damen und Herren, zu diesem Tagesordnungspunkt liegen mir keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Die Re

dezeiten sind im Wesentlichen ausgeschöpft worden.

Von daher können wir jetzt übergehen zu dem

Tagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde

Für diesen Tagesordnungspunkt sind mir vier Themen benannt worden, deren Einzelheiten Sie der Tagesordnung entnehmen können.

Mir liegt allerdings der Hinweis - ich denke, aus allen Fraktionen - vor, dass die Reihenfolge der Beratung etwas verändert werden soll. Begonnen werden soll mit Tagesordnungspunkt 3 a - „Weils Wende - ist die Willkommenskultur schon am Ende?“ -, Antrag der Fraktion der CDU. Dann soll Tagesordnungspunkt 3 d - Antrag der Fraktion der FDP betreffend „Rot-grüne Regierung ohne Plan und ohne Mehrheit in der Flüchtlingspolitik - Weil fordert Plan B von Merkel und hat selbst keinen Plan A“ - beraten werden. Ich gucke noch einmal zu den parlamentarischen Spitzen. - Darüber scheint Konsens zu bestehen. Dann wird das so gemacht. Danach würden dann die Tagesordnungspunkte 3 b und 3 c folgen.

Die in unserer Geschäftsordnung für den Ablauf der Aktuellen Stunde enthaltenen Bestimmungen setze ich bei allen Beteiligten - natürlich auch bei der Landesregierung - als bekannt voraus.

Ich eröffne die Besprechung zu

a) Weils Wende - ist die Willkommenskultur schon am Ende? - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/4990

Diesen Antrag möchte begründen der Abgeordnete Björn Thümler. Herr Thümler, ich erteile Ihnen das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ereignisse der Silvesternacht in Köln waren in vielerlei Hinsicht eine Zäsur. Seitdem wird offen wie nie über die Kriminalität von Ausländern diskutiert. Jedem, der die Debatte in den letzten zweieinhalb Wochen aufmerksam verfolgt hat, ist klar: Die Stimmung hat sich verändert. Sie hat sich vor allem in Teilen der Politik verändert.

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta übernimmt den Vorsitz)

Geblieben - und das ist gut so - ist die Hilfsbereitschaft der Deutschen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Es ist verblüffend, mit welcher Schnelligkeit, mit welcher Rasanz, ja, mit welcher Leichtigkeit zurzeit politisch Verantwortliche wie Stephan Weil die Position wechseln. Im Grunde lässt sich die Botschaft, die der Niedersächsische Ministerpräsident mit seiner öffentlichen Äußerung zur Flüchtlingspolitik ausgesandt hat, auf die einfache Formel bringen: Er schafft es nicht. - Das Wort der Kanzlerin: „Wir schaffen das!“, ist keine bloße Feststellung, sondern es ist eine Aufforderung an uns alle und auch an Sie, Herr Weil.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Widerspruch von der SPD - Un- ruhe - Glocke der Präsidentin)

Sie aber wollen es offenbar gar nicht schaffen. Sie haben Angst. Sie zögern, Sie zaudern. Sie trauen sich und den Menschen in Niedersachsen offenbar nichts zu. Herr Weil, Sie sind mit Ihrer wohlfeilen Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin ohne Not in das Lager der Opportunisten gewechselt. Was wir in Deutschland und in der EU jetzt aber brauchen, sind starke Nerven, nicht aber starke Sprüche, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU - Helge Limburg [GRÜNE]: Einen Brief hat der Minis- terpräsident aber nicht geschrieben!)

Im Gegensatz zu Ihnen bin ich der festen Überzeugung: Ja, wir schaffen es. „Wir schaffen das“ ist nämlich die Aufforderung, es zu tun. Genau diese Botschaft müssen wir als verantwortliche Politiker gegenüber den Ehrenamtlichen und den anderen in der Flüchtlingspolitik Engagierten voller Überzeugung vertreten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU - Johanne Mod- der [SPD]: Man muss sich mal die Realität angucken!)

Sie selbst haben bei der Auftaktveranstaltung von „Niedersachsen packt an“ am 7. Januar 2016 noch gesagt, dass das Bündnis dafür kämpfe, dass die Gesellschaft mitfühlend und weltoffen bleibt. Die Aufgabe der Integration der Flüchtlinge könne nur gemeinsam im Schulterschluss zwischen Politik und Gesellschaft bewältigt werden.

Und jetzt, nicht einmal zwei Wochen später, die Kehrtwende. Dabei hat sich objektiv nichts verändert. Nichts hat sich in diesen 14 Tagen verändert, was diese Kehrtwende rechtfertigen könnte; es sei denn, man würde unterstellen, dass der drohende Machtverlust in Rheinland-Pfalz die SPD plötzlich hat so nervös werden lassen, dass sie um sich schlagen muss, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich will daran erinnern: Im Herbst letzten Jahres wurde das Asylpaket I beschlossen. Weitere Westbalkanstaaten wurden zu sicheren Herkunftsstaaten. Bestehende Verfahrenshindernisse für Abschiebungen wurden beseitigt. Der Bund gab die Zusage und hat sie eingehalten, sich an den Kosten für die Asylbewerber dauerhaft zu beteiligen. Der Bund greift Ländern und Kommunen bei den unbegleiteten Minderjährigen mit 350 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich unter die Arme. All diesen sinnvollen Maßnahmen, meine Damen und Herren, haben Sie nicht zustimmen können, weil Sie nicht durften. Sie sollten einmal darüber nachdenken, was das mit der von Ihnen so vielbeschworenen Willkommenskultur zu tun hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Und, meine Damen und Herren: Gegenwärtig wird im Bundestag bzw. im Bundeskabinett das zweite Asylpaket vorbereitet. Es geht um schnellere Verfahren für Asylbewerber mit geringer Bleibeperspektive. Es geht um die besonderen Aufnahmezentren. Es geht um die weitere Erleichterung der Abschiebung von Asylbewerbern mit falschen Angaben und gefälschten Papieren. Es geht um die Notwendigkeit schärferer Kontrollen von ärztlichen Attesten abgelehnter Asylbewerber. Es geht um Residenzpflicht und strengere Wohnsitzauflagen für Asylbewerber. Es geht genauso um eine Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsstaaten um Algerien, Marokko und Tunesien - Länder, in denen viele Deutsche Urlaub machen.