Protokoll der Sitzung vom 20.01.2016

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Modder. - Für die FDP-Fraktion folgt jetzt Herr Dr. Birkner. Bitte sehr! Ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir über die Sicherheitslage in Niedersachsen sprechen, ist es unseres Erachtens zunächst einmal wichtig, einzuordnen, worum es im Kern geht, nämlich um eine elementare Säule unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung: um das Rechtsstaatsprinzip. Es besagt u. a., dass der Staat die von ihm aufgestellte Rechtsordnung effektiv durchsetzt, die Bürgerinnen und Bürger effektiv vor Rechtsverletzungen schützt und Rechtsbrüche konsequent verfolgt und ahndet, und zwar

selbstverständlich gleichermaßen und ohne Ansehung der Person und ihrer Herkunft.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren, das Funktionieren des Rechtsstaats ist eine notwendige Voraussetzung für das demokratische Gemeinwesen. Denn nur so ist gewährleistet, dass die Grundrechte gelebt und im Zweifel durchgesetzt und geschützt werden können. Verlieren die Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats, verlieren sie letztlich das Vertrauen in die Demokratie. Deshalb ist die Gewährleistung der inneren Sicherheit für uns eine der wesentlichen Aufgabe des Staates, dem das Gewaltmonopol zusteht, für die wir einen starken und handlungsfähigen Staat benötigen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, zahlreiche Ereignisse haben in den letzten Wochen die Verletzlichkeit des Rechtsstaates gezeigt sowie Schwächen bei der Durchsetzung des Rechts durch den Staat und damit letztlich auch durch die politisch Verantwortlichen offenbart: die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus mit den Ereignissen in Hannover und München, die geschilderten fremdenfeindlichen Anschläge und die Ereignisse in der Silvesternacht in Köln und an anderen Orten.

Diese Ereignisse, aber auch die Einbruchskriminalität, die sich vielfach in Niedersachsen zeigt, sind geeignet, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat und damit letztlich auch in die Demokratie empfindlich zu beeinträchtigen und die extremen Ränder in diesem Land zu stärken. So haben laut einer aktuellen Forsa-Umfrage 60 % der Menschen in Deutschland kein Vertrauen in die Parteien, diese Probleme tatsächlich zu lösen. Die Frage, ob und inwieweit die Polizei und die Justiz in Niedersachsen in der Lage sind, dem Recht zur Geltung zu verhelfen, ist somit wesentlich für die Stabilität und die Zukunftsfähigkeit unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung.

Meine Damen und Herren, es ist ein in der Politik weit verbreiteter und eingeübter Reflex, nach spektakulären Ereignissen, bei denen sich der Staat hilflos gezeigt hat - wie z. B. in Köln in der Silvesternacht -, nach der Verschärfung des Rechts zu rufen. In den meisten Fällen handelt es sich hierbei aber um reine Ablenkungsmanöver, die das staatliche und somit letztlich politische Versagen verschleiern sollen und die suggerieren, dass nach

einer erfolgten Rechtsänderung solche Vorfälle und solche Fälle nicht wieder vorkommen würden.

Ich will nicht ausschließen, dass die Verschärfung des Sexualstrafrechts geboten ist, um Strafbarkeitslücken zu schließen, oder dass die Regelungen für die Ausweisung von Straftätern angepasst werden sollten. Aber keine dieser Verschärfungen hätte die Straftaten von Köln verhindert.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, vorrangig ist doch, dass das gegebene Recht wirksam durchgesetzt wird, dass Straftaten verhindert werden und dass Straftaten, wenn sie schon nicht verhindert werden konnten, effektiv polizeilich verfolgt und konsequent durch die Justiz geahndet werden. Wenn dies gelänge, würde das Vertrauen in den Rechtsstaat erhalten werden können. Rechtsverschärfungen helfen da erst einmal nicht weiter, die Rechtsdurchsetzung schon.

Meine Damen und Herren, genau an diesen Punkten müssen wir auch in Niedersachsen ansetzen. Die Polizei muss in der Lage sein, zu jeder Zeit und an jedem Ort in Niedersachsen die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten und das Recht durchzusetzen. Mit anderen Worten: Jedermann muss zu jeder Zeit an jedem Ort in Niedersachsen grundsätzlich sicher sein. Es darf keine sogenannten No-go-Areas geben, in die sich selbst die Polizei nicht oder nur in großer Stärke vorwagt, oder Gegenden, in denen es zu bestimmten Zeiten wahrscheinlicher ist, Opfer einer Straftat zu werden, als unbehelligt zu bleiben.

So sehen wir auch Vorfälle am Raschplatz oder Entwicklungen am Steintor in Hannover mit Sorge. Wenn sich hier mittlerweile die Betreiber von Gastronomiebetrieben per Anzeigen anbieten müssen, um ihren Gästen Schutz zu gewährleisten, dann müssen Sie, Herr Minister, sich fragen lassen, wie es so weit kommen konnte und warum der Staat nicht in der Lage ist, für die notwendige Sicherheit zu sorgen.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Gleichermaßen muss der Staat natürlich für die Sicherheit in Flüchtlingsunterkünften sorgen, wie auch für die Sicherheit von Flüchtlingen in Niedersachsen.

Meine Damen und Herren, auch muss die Polizei in der Lage sein, Straftaten zügig und konsequent

zu verfolgen. Auch da bestehen Defizite, z. B. bei der Auswertung von Dateien mit kinderpornografischem Inhalt, der Auswertung von Spuren, insbesondere von DNA-Spuren, der Verfügbarkeit von Einsatzfahrzeugen und der Ausstattung mit Waffen, Munition und Schutzausrüstung, was gerade im Hinblick auf die terroristische Bedrohung von Bedeutung ist.

Zur Wahrnehmung dieser Aufgaben, der polizeilichen Aufgaben, muss endlich die erforderliche personelle und sächliche Ausstattung zur Verfügung gestellt werden. Wir sehen, dass unsere Polizistinnen und Polizisten derzeit über ihrem Limit sind. Die gewerkschaftlichen Interessenvertretungen liefern und senden uns seit Monaten entsprechende Alarmsignale. Deshalb hatte die FDP-Fraktion für den Haushalt 2016 vorgeschlagen, 350 zusätzliche Polizeianwärter einzustellen und die entsprechenden Haushaltsmittel dafür bereitzustellen. Aber das haben Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, abgelehnt.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Christian Dürr [FDP]: So ist es! - Jörg Bode [FDP]: Unglaublich!)

Wir wollen eben nicht nur die Altersabgänge kompensieren, sondern den Polizeikörper dauerhaft um 1 000 Stellen erhöhen, um die innere Sicherheit auch auf Dauer gewährleisten zu können.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung von Jens Nacke [CDU])

Meine Damen und Herren, aber nicht nur die effektive Verhinderung und Verfolgung von Straftaten durch die Polizei ist für die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats von wesentlicher Bedeutung, sondern auch und insbesondere eine konsequente gerichtliche Ahndung der Straftaten durch die Justiz. Deshalb gehört zur Sicherheitslage in Niedersachsen natürlich auch die Funktionsfähigkeit der Justiz, die die Landesregierung heute noch überhaupt nicht angesprochen hat. Gerade im Hinblick auf jugendliche und heranwachsende Straftäter gilt, dass die Verurteilung der Tat auf dem Fuße folgen muss, um möglichst wirkungsvoll und eindrucksvoll zu sein. Auch dies setzt zunächst das Personal voraus, aber auch eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten, nämlich von Staatsanwaltschaften, Jugendgerichtspflege und Richterschaft.

Auch eine bessere Vernetzung der Gerichte und Staatsanwaltschaften ist sicherzustellen. Ein

Staatsanwalt und auch ein Richter in Hannover müssen wissen, wenn gegen einen Beschuldigten oder Angeklagten bereits an anderen Orten Ermittlungsverfahren laufen; denn nur so können auch reisende Täter zur Rechenschaft gezogen werden.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Herr Minister Pistorius, Sie versuchen, mit Ihrer Unterrichtung zu signalisieren, dass in Niedersachsen alles in bester Ordnung sei. Dem ist aber nicht so, wie allein der Umstand zeigt, dass und was Sie hier vorgetragen haben. Der Kollege Nacke hat darauf hingewiesen, wozu Sie gar nichts gesagt haben. Dass hier nicht alles in Ordnung ist, ist nicht erst seit Köln der Fall. Deshalb haben wir bereits bei den Haushaltsberatungen eine deutliche und dauerhafte Stärkung der Polizei gefordert.

Die Landesregierung ist gefordert, Schwerpunkte zu setzen und sich zu entscheiden: Wollen Sie weiter auf Landesbeauftragte, Tierschutzbeauftragte und mehrere Hundert andere Stellen in der Ministerialverwaltung setzen oder aber die Defizite bei der Polizei und Justiz konsequent abbauen?

(Beifall bei der FDP)

Wir fordern Sie auf: Verzichten Sie auf unnötige Posten und Pöstchen! Beseitigen Sie stattdessen die Defizite bei Polizei und Justiz konsequent! Stellen Sie unverzüglich deren uneingeschränkte Handlungsfähigkeit sicher! Verhindern Sie damit, dass das Vertrauen in den Rechtsstaat weiter erodiert!

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Birkner. - Schließlich folgt jetzt der Redebeitrag für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Frau Abgeordnete Piel, ich erteile Ihnen das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gewalt, die Frauen in der Silvesternacht in Köln und in anderen Städten erfahren mussten, hat uns erschüttert. Ich bin mir sicher, dass ich für uns alle spreche, wenn ich den Opfern der Übergriffe von hier aus unser Mitgefühl ausspreche.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Diese Vorfälle müssen jetzt vollständig aufgeklärt und konsequent verfolgt werden. Völlig unangemessen aber ist der Überbietungswettbewerb an Vorschlägen zur Verschärfung asylrechtlicher Regelungen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich bin froh zu wissen, dass in Niedersachsen ein besonderes Augenmerk auf Straftaten im Umfeld von Flüchtlingen gelegt wird. Dies hat die Unterrichtung durch Innenminister Boris Pistorius deutlich gemacht. Straftaten, bei denen Asylsuchende als Tatverdächtige ermittelt wurden, werden seit November 2015 erfasst. Diese Zahlen zeigen: Nur ein sehr kleiner Teil der Flüchtlinge wird tatsächlich straffällig. - Ich hoffe, diese Zahlen leisten einen sachlichen Beitrag zur aktuellen Debatte, in der es doch zuweilen zu wenig hilfreichen Pauschalisierungen kommt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

An dieser Stelle möchte ich mich den Worten der Kollegin Modder anschließen und mich ausdrücklich beim Leiter der Braunschweiger Kriminalpolizei, Herrn Ulf Küch, und seinem Team der Sonderkommission „Zentrale Ermittlungen“ auch von hier aus bedanken. Herr Küch macht sich wirklich dafür stark, vorbehaltlos über die Kriminalität von Flüchtlingen zu berichten. Er stellt sich damit gleichzeitig gegen Pauschalisierungen und gegen Angstmacherei.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie hätten die Zahlen, über die wir heute reden, sicherlich gut für Ihre Landesvorstandsklausur gebrauchen können.

(Christian Dürr [FDP]: Herr Weil gibt ja Interviews immer vor Klausurtagun- gen!)

Es freut uns, wenn Sie in der Pressemitteilung nach der Klausurtagung in Walsrode schreiben, bei der Strafverfolgung und Verurteilung dürfe es keine Rolle spielen, welcher Herkunft die Straftäter sind. Nach meinem Rechtsverständnis ist das eigentlich eine Selbstverständlichkeit,

(Beifall bei den GRÜNEN)

die ich dann aber in den konkreten Forderungen leider nicht wiederfinde.

Falls Geflüchtete, wie Sie es fordern, bereits dann von der Asylberechtigung ausgeschlossen werden sollten, wenn sie zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt sind, wo bleibt dann bitte die geforderte Gleichbehandlung?

Ginge es wirklich um eine konsequente Ahndung von sexualisierter Gewalt, müssten Sie doch fordern, den Strafrahmen insgesamt und für alle zu erhöhen. Deshalb meine Bitte an Sie: Nehmen Sie Ihre eigenen Worte ernst!

Meine Damen und Herren, wenn Flüchtlinge straffällig werden, sind die Opfer mitunter selbst Geflüchtete. Daher war es ein wichtiger Schritt, dass unsere Sozialministerin Cornelia Rundt und unser Innenminister Boris Pistorius gemeinsam ein Konzept für den Schutz von Frauen und Kindern in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes erarbeitet haben, und zwar schon vor den Ereignissen in Köln.