Protokoll der Sitzung vom 22.01.2016

Es gibt gerade in diesem Moment eine Konferenz, eine Konsultation zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei. Natürlich geht es dort vorrangig um die Frage der Flüchtlinge, die aus Syrien über die Türkei nach Europa kommen, und um die Frage, ob es die Möglichkeit gibt, dass die Flüchtlinge in Aufnahmelagern in der Türkei verbleiben.

Sie wissen, dass in London eine Finanzierungs-, eine Geberkonferenz auch unter Einbindung der finanzstarken Staaten aus dem arabischen Raum stattfinden wird.

Sie wissen, dass die niederländische Regierung in der Zeit ihrer EU-Ratspräsidentschaft - also im ersten Halbjahr 2016 - die Aktivitäten rund um Frontex, also die europäische Grenzsicherung, erweitern und aktiv gestalten will.

Es passiert also etwas. Es passiert aber natürlich nicht groß und bombastisch, und es gibt nicht gleich ein ganz großes Ergebnis. Auf internationaler Ebene ist das häufig nur sehr schwer möglich. Besonders schwierig ist es unter dem Umstand, dass die deutsche Position zum Umgang mit Flüchtlingen offenkundig nicht deckungsgleich mit der Position sehr vieler anderer europäischer Staaten ist.

Wer in einem solchen Moment als Ministerpräsident eines wichtigen Bundeslandes - Niedersachsen ist die entscheidende Stimme Norddeutschlands - diese Zahl in den Raum wirft und damit Überschriften wie beispielsweise heute in der Hannoverschen Allgemeinen provoziert „Niedersachsens Städte warnen: Zwei Millionen Flüchtlinge nicht zu bewältigen - Einschätzung des Ministerpräsident alarmiert Kommunen“, der erledigt das Geschäft derjenigen, die mit der Angst vor Flüchtlingen Kasse machen wollen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Editha Lorberg [CDU]: Un- glaublich!)

Dafür, Herr Ministerpräsident, tragen Sie aus meiner Sicht die Verantwortung. Das Schlimmste ist: Man hatte in der Tat den Eindruck, dass das völlig unbedacht passiert ist,

(Zuruf von der SPD: Blödsinn!)

dass Sie einfach mal eben nach vorne gekommen sind, um diese Zahl in den Raum zu stellen.

(Zuruf von der SPD: Blödsinn!)

- Da können Sie noch so oft „Blödsinn!“ dazwischenrufen! Sie sind doch dabei gewesen, als das hier passiert ist! Hatten Sie denn den Eindruck, dass der Ministerpräsident hier eine durchdachte Zahl vorgetragen hat

(Zurufe von der SPD: Ja!)

und sich ernsthaft mit den Maßnahmen der Bundesregierung auseinandergesetzt hat?

(Zustimmung bei der SPD)

Ich hatte diesen Eindruck nicht.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn das so wäre, wenn Sie allen Ernstes in Erwägung zögen, dass das mit den 2 Millionen so kommen werde, dann müssten wir als Opposition jetzt im Grunde genommen fragen: Wie bereitet sich das Land darauf vor

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Genau!)

in der Frage der Unterrichtsversorgung, in der Frage des Spracherwerbs, in der Frage des Wohnraums?

(Andrea Schröder-Ehlers [SPD]: Das erzählen wir Ihnen doch die ganze Zeit, dass da einiges auf uns zu- kommt!)

- Frau Schröder-Ehlers, ich kann Sie nicht verstehen, wenn Sie immer dazwischenrufen. Aber jetzt gebe ich Ihnen die Gelegenheit. Bitte schön! -

(Heiterkeit bei der CDU)

Dann belassen wir es dabei.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Diese Frage müsste man jetzt natürlich stellen. Aber wenn wir als Opposition das jetzt täten, dann würden wir natürlich auch gleich sagen: Ja, wir akzeptieren diese Zahl. Ja, wir gehen jetzt auch davon aus, dass es 2 Millionen werden. - Damit würden wir wiederum das Geschäft mit der Angst befördern. Also werden wir damit etwas verantwortungsvoller umgehen.

Aber an einer Stelle muss man natürlich eine Frage stellen, und zwar zur Erstaufnahme. Herr Ministerpräsident, die Erstaufnahme hat im vergangenen Jahr - insbesondere in den Monaten September, Oktober, November und Dezember - völlig versagt. Sie wissen, dass am Ende die Kommunen die Kohlen aus dem Feuer holen mussten, indem sie die Aufgaben des Landes erfüllen mussten.

Wir müssen jetzt natürlich die Frage stellen: Wie soll es in diesem Jahr zum Ende des Jahres werden? Wie werden Sie sich auf die Erstaufnahme vorbereiten?

Seit in Oldenburg das Kloster Blankenburg ans Netz gegangen ist, hören und sehen wir nichts mehr von dem Ausbau der Kapazitäten in der Erstaufnahme. Im Moment ist ja auch Platz. Die Kommunen wissen aber immer noch nicht ganz genau, wann diese Zwangsmaßnahme, mit der Sie die Kommunen belegt haben, ausläuft. Eine Antwort darauf gibt es nicht, und eine Antwort darauf, wann und wie eigentlich das Geld erstattet wird,

gibt es auch nicht. Das haben wir heute Morgen besprochen.

Also ist die Frage der Erstaufnahme auch für das Jahr 2016 völlig unbeantwortet. Es gäbe also Aufgaben, die das Land nun wirklich angehen könnte. Aber das tun Sie nicht. Stattdessen stellen Sie einfach unseriös Zahlen in den Raum. Das ist einem Ministerpräsidenten eines so wichtigen Landes wie Niedersachsen nicht angemessen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich würde jetzt gerne noch zu dem Antrag kommen,

(Zuruf von der SPD: Ach!)

der natürlich in dieselbe Richtung geht. Denn dort wird die Frage der Residenzpflicht thematisiert.

Auch diese Aussage hat der Ministerpräsident nach der Klausurtagung des Kabinetts einfach in den Raum gestellt hat: Er sei für eine Residenzpflicht. - Ihre Pressesprecherin hat das dann allerdings dahin gehend korrigiert, dass Sie eigentlich wohl eine Wohnsitzpflicht gemeint haben, und das dann wohl auch nicht für Asylbewerber im laufenden Asylverfahren, sondern eher für anerkannte Flüchtlinge - wenn wir das richtig verstanden haben.

(Christian Dürr [FDP]: Das weiß der Ministerpräsident selber nicht so rich- tig!)

Daher ist jetzt der Punkt 1 umso bedeutender: dass Sie Ihre Überlegungen zu diesem Thema hier einmal sehr sorgfältig darstellen. Was wollen Sie jetzt eigentlich?

Die erste Aufgabe des Landes wäre es natürlich, dafür Sorge zu tragen, dass man weiß, wer hier ist. Der Umstand, dass die Leute einfach irgendwo - - - Auch bei den Kommunen ist das ja passiert: Die Busse kommen an, und die Hälfte der Leute macht sich erst einmal auf den Weg. - Die Anweisung des Innenministeriums an die Kommunen war ganz klar: Da macht ihr gar nichts! Ihr lasst die einfach ziehen! - Das hat die Menschen in diesem Land wirklich nachhaltig verunsichert. Das gilt es in diesem Land absolut abzustellen. Daran müssten Sie als Landesregierung arbeiten.

(Beifall bei der CDU)

Dann ist die Frage, ob man zu einer Residenzpflicht zurückkehrt, durchaus erwägenswert. Wir würden da möglicherweise zu gemeinsamen Er

gebnissen kommen. Wir haben nur den Eindruck, Herr Ministerpräsident, dass das mit Ihrem Koalitionspartner nicht zu machen ist. Denn der hat sich jedenfalls bisher anders geäußert, und Sie haben sich zumindest dahin gehend eingelassen, dass Sie das in den Koalitionsvertrag auch anders hineingeschrieben haben.

Hier gibt es also mehrere Punkte - die Videoüberwachung und die Residenzpflicht -, bei denen Sie ganz klar etwas anderes sagen als das, was Sie mit Ihrem Koalitionspartner in der Koalitionsvereinbarung vereinbart haben. Gilt jetzt das, was Sie sagen, oder sind das nur Worthülsen, mit denen Sie punkten wollen auf Kosten und gegen Ihren Koalitionspartner? - Auch diese Frage hätten wir hier gerne einmal beantwortet.

(Zustimmung bei der CDU)

Zur Frage der Wohnsitzpflicht. Sie argumentieren hier ja, dass es die Handwerksbetriebe im ländlichen Raum sind, die dringend Ausbildungsplätze besetzen wollen und dafür Menschen suchen. Das geht ja alles ein ganz klein bisschen sogar in die Richtung, die der Oberbürgermeister Junk aus Goslar bereits vor vielen Monaten ins Gespräch gebracht hat. Von Ihnen haben wir damals sehr hämische Bemerkungen gehört. Auf einmal decken sich die Forderungen. Das finden wir natürlich auch sehr spannend.

Nur, ich glaube, die Fragen, inwieweit freie Arbeitsplätze im Markt vorhanden sind und dies dann zu Bewegungen führt, regelt der Markt von ganz allein. Das Problem, das Sie hier eigentlich im Blick haben, ist doch ein anderes.

Das Problem, das Sie im Blick haben, aber in dieser Deutlichkeit vielleicht nicht ansprechen mögen, ist die Sorge - die ist nicht unberechtigt -, dass Menschen, die möglicherweise mit dem Spracherwerb große Probleme haben, die Sprache nicht erwerben können oder nicht erwerben wollen, die vielleicht keinen Arbeitsplatz finden - entweder aufgrund fehlender Qualifikation oder aufgrund fehlender Bereitschaft -, möglicherweise eine besondere Anziehung darin sehen, die Ballungsräume, die Großstädte aufzusuchen, und dass sich in den Großstädten eben doch etwas bilden kann - ob man das nun „Ghetto“ nennen will oder wie auch immer; Sie wissen, was ich meine - wie eine Konzentration an einzelnen Orten, an denen Menschen sind, die die eigene Sprache sprechen und mit denen man sich dort in besonderem Maße verständigen kann und mit denen man zusammen sein möchte. Darum geht es doch, wenn Sie etwas

verklausuliert „Residenzpflicht“ sagen und „Wohnsitzpflicht“ meinen.

Darüber können wir uns ja auch unterhalten. Dann sollten Sie möglicherweise auch die Ideen dazu auf Bundesebene einbringen. Denn für ein Land wie Niedersachsen wäre das ja angemessen, dass Sie Ihre Vorstellungen präsentieren, dass Sie sagen, welches Ihre Gedankengänge sind, um die Lösung zu präsentieren. Das können Sie nur nicht, weil Sie ja dort keiner mehr ernst nimmt, da Sie dem Asylpaket I nicht zugestimmt haben. Jetzt rächt sich das!

(Editha Lorberg [CDU]: Genau!)

Sie haben sich gegen die Grünen nicht durchsetzen können. Natürlich fragt niemand mehr, was Niedersachsen zum Asylpaket II zu sagen hat, weil ja jeder weiß: Beim Asylpaket II werden Sie auch wieder nicht zustimmen können, weil die Grünen bereits erneut angekündigt haben, dazu werde die Zustimmung Niedersachsen verweigert werden.

(Zuruf von der CDU: Peinlich!)